Einzelbild herunterladen
 

Nr. 14642. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Die Vorgänge der Streiktage.

Endlose Vernehmungen.

Nach längerer Beratung beschloß das Gericht, den Kasseler Kreis­crzt Dr. Wagner zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden. Ueber Lie Frage, ob das Gericht sich eventuell zu einer Bernehmung des Oberbürgermeisters Scheidemann nach Kaffel begeben wird, ist noch fein Beschluß gefaßt.

Hierauf wurde in die Zeugenvernehmung eingetreten. Als erster Zeuge wurde

Richard Müller

cernommen. Er äußerte sich zunächst über den Verlauf der Dele. giertenversammlung im Gewerkschaftshaus, die unmittel­bar nach Ausbruch des Streifs stattfand. Nachdem dort die Dele­gierten für die Streitleitung gewählt waren, wurden die bekannten fieben Forderungen formuliert und einstimmig angenommen. Dann wurde auf Antrag aus der Versammlung beschlossen, drei Mit­glieder des Unabhängigen Parteivorstandes in die Streitleitung zu nehmen. Das hatte zur Folge, daß uschick das gleiche Recht für den Vorstand seiner Partei, der Mehrheitssozialdemokraten, for berte. Obwohl Ledebour gegen die Forderung scharf Stellung nahm, wurde der Antrag Wuschicks schließlich mit Mehrheit angenommen. Sonst ist in dieser Versammlung nichts weiter er­criert worden.

Bors: Am Abend fand dann eine Sitzung der Streifleitung statt. Was wurde dort beschlossen?

Zeuge: Wir waren im ganzen 17 Personeen, 11 Arbeiter telegierte und die sechs Abgeordneten. Als erster nahm Ebert das Wort. Er wünschte nochmals eine Diskussion über die Forde­ungen, da er nicht in allen Buntten mit ihnen einverstanden war. Das wurde von uns jedoch abgelehnt. Dann versuchten wir. die Zahl der Streifenden festzustellen Wir haben dazu Meldungen aus den einzelnen Betrieben eingefordert. Unsere Arbeit wurde jedoch durch das Erscheinen der Polizei unterbrochen. Am nächsten Morgen, also am 29. Januar, famen wir abermals zu fammen. Wir beschrachen bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit, mit der Regierung in Berhandlungen einzutreten. Es wurde be. schlossen, daß die Abgeordneten nicht ohne Anwesenheit einiger Arbeitervertreter mit der Regierung zu verhandeln hätten. Als allraf einen Empfang unserer Delegierten ablehnte, fand am Abend in der Urbanstraße eine neue Sitzung der Streifleitung start. Borf.: Was wurde da beschlossen?

Zeuge: Die Sigung ging bald wieder auseinander, ohne daß wir besondere Beschlüsse gefaßt hatten. Am nächsten Morgen trafen wir uns im Wartesaal des Bahnhofs Friedrichstraße . Dort nurde vereinbart, am Nachmittag desselben Tages in einer Küche in Treptow zusammen zu fommen.

Borf.: Wer war denn auf dem Bahnhof?

Jeuge: Scheidemann und Ledebour bestimmt, ob auch Ebert dort war, weiß ich nicht mehr.

Borf.: Wer fam von den Abgeordneten zu der Sigung in der Treptower Küche?

Jeuge: Sämtliche sechs Abgeordnete, also Scheidemann, Ebert, Braun, Dittmann, Haase und Ledebour.

Im Laufe der weiteren Verhandlung führte der Zeuge Müller weiter aus: Es wurde in der Besprechung in der Treptower Küdje Me Streiflage besprochen, der Druck des bekannten Flugblattes Leschlossen und die Rednerliste für die Versammlungen des folgenden Zages aufgestellt.

Borf.: Wissen Sie bestimmt, daß der Druck des Flugblattes erst in dieser Gizung und nicht einige Tage vorher in der Urban­straße beschlossen wurde?

Jeuge: Jawohl, auch der Inhalt des Flugblattes spricht dafür, daß es erst in der Treptower Küche beraten wurde.

Borf: Wurde dort auch festgesetzt, was die Redner am folgen den Tage den Arbeitern in den Versammlungen zu sagen hätten? Zeuge: Nein, denn es war selbstverständlich, daß jeder der Redner im Sinne der Streifleitung sprechen würde.

Der Zeuge Müller schilderte dann weiter die Bemühungen der Abgeordneten, eine vermittelnde Rolle zu spielen. Besonders in der Cigung der Streifleitung am Neuen Tor bemühten sich die Herren ron der Sozialdemokratie, uns neuen Verhandlungen geneigt zu machen.

Eine längere Debatte gab es dann über die Frage, ob die Streifleitung am 29. oder am 30. Januar in dem Lokal am Neuen Tor zusammengetreten sei. Müller erklärte, daß es am 30. Ja nuar gewesen sei, während Dittmann bei seiner Behauptung bleibt, daß es sich dabei um den 29. Januar handele.

am

Im Gegensatz zur Aussage Müllers erklärte Dittmann, daß er 30. Januar nachmittags von dem Abgeordneten Hugo Haafe aufgesucht worden sei, der ihm mitteilte, daß er am 21. Januar in Treptom sprechen sollte. Ledebour habe ihm jeit mitgeteilt, daß er sich auch nicht mehr erinnern könne, daß in der Treptower Küche der Entwurf eines Flugblattes durchgesprochen sei. Er habe auch Dittmann dort nicht gesehen.

Richard Müller: Ich habe alle diese Dinge in meinem Buche ror drei Jahren festgelegt. Hätte ich gewußt, daß wir beide einmal

Scheidemanns Erkrankung.

vor Gericht stehen werden, hätte ich noch ganz andere Dinge ge­schrieben. Ihre Aussage, Herr Dittmann, daß Sie das bekannte Flugblatt am 29. geschrieben haben wollen, ist unrichtig. Sie mögen ein anderes geschrieben haben, aber dieses, das dic Unterschrift des Attionsausschusses trägt, ganz sicherlich nicht.

Dittmann: Mein Flugblatt hier iist and say und nicht Ro­tationsdrud. Das spricht für meine Darstellung. Die Berliner Abendzeitungen brachten ja auch schon am Abend des 30. den Inhalt des Flugblattes, also tann es doch nicht erst am 30. ge­druckt worden sein.

Müller: Das stimmt nicht, aus den meisten Berliner Zeitungen ift gar nichts zu ersehen. Die Berliner Zeitungen haben sich wohl mit den Spartakus- Flugblättern, nicht aber mit den anderen be­schäftigt.

R.-A. Dr. Bindewald: Das in Rede stehende Flugblatt, Herr Müller, ist also 3hr Produkt?

Müller: Ja.

R.-A. Dr. Luetgebrune: Wie erklären Sie sich denn, daß auf diesem Flugblatt, das bereits am 30. bei Dittmann beschlagnahmt wurde, fich Notizen von Herrn Haase befanden?

Müller: Vielleicht ist das Flugblatt uns schon am Abend des 29. zugestellt worden Das Flugblatt tonnte von einigen Setzern in einer Stunde abgesetzt und gedruckt werden. Der Spartakus Wir bund hatte sehr leistungsfähige Drudereien. revolutionären Obleute hatten ein Netz über ganz Berlin . In ein paar Stunden war eine Parole oder ein Flugblatt an die Be­triebe verbreitet.

Diffmann: Jch bleibe dabei, daß schon um 5 Uhr nachmittags Haase mir das Flugblatt übergeben hat. Zeuge Malhahn: Das ist ganz ausgeschlossen, denn um diese Zeit war Haase noch bei uns in Treptow . Borf.: Ist es möglich, daß in Treptow die Herren von der SPD. die Diskussion über das Flugblatt überhört haben? Müller: Ach nein, die Herren haben immer sehr aufmert fam zugehört. Dr. Martin: Weshalb haben Sie den Eintritt der Sozialdemo: fiatie in die Streifleitung begünstigt?

Müller: Der Eintritt der SPD machte auf die Arbeiterschaft feinen großen Eindruck, aber die SPD war politisch doch ein Ma chtfaktor und gesellschaftlich sehr einflußreich. Ihr Eintritt gab unserer Bewegung nach außen hin einen starten politischen und moralischen Eindruck. Außerdem hatte die SPD . uns bei der Bewegung 1917 als Landesverräter bezeichnet. Deshalb war es uns natürlich 1918 sehr erwünscht, daß die SPD. nunmehr selbst unseren Spuren folgte.

Dr. Martin: War Herr Scheidemann, als Sie zu Staats­sekretär Wallraf gingen, willens, über alle fieben Forderungen, also auch die politischen, zu verhandeln?

Müller: Selbstverständlich. Erst im Hin und Her der Ver­handlungen einigte man sich später auf eine Berhandlung über nur wirtschaftliche Forderungen.

Dr. Martin: Hatte der Vorstand der USPD . vor dem Strei? Renntnis, daß der Ausstand drohte?

Jeuge: Jawohl, ich habe selbst die Abgeordneten darüber in formiert und sie gebeten, mit ihren Namen einen entsprechenden Aufruf zu decken.

Die Meinung in der USPD. - Fraffion war jedoch geteilt, nur die Ledebour- Gruppe wollte mit ihrem Namen eintreten.

In dem offenen Eintritt für den Streit erblickte man eine Gefahr für die Partei

Dr. Cuelgebrune: Hat Herr Ebert gleich am ersten Tage des Eintritts in die Streifleitung sein Verbleiben dort von der Bedingung abhängig gemacht, daß die sieben Forderungen abgelehnt

werden würden?

Zeuge: Nein, er begnügte sich mit der Erklärung, daß darüber die Vollversammlung noch einmal einberufen werden sollte. Staatsanwalt Doßmann: Wir geht eben eine Nummer der ..Kaffeler Bolfsstimme" zu, in der mitgeteilt wird, daß Scheide­ mann erkrankt sei und daß Herr Kuffner an seiner Stelle sprechen werde. Es heißt weiter, daß Herr Scheidemann, der schon seit langer Zeit erkrankt ist, noch im letzten Augenblick gehofft hatte, sprechen zu können, daß aber eine Verschlimmerung seines Zustandes das nicht mehr gestattet.

Dr. Luetgebrune: Und mir geht soeben ein Telegramm zu, daß Herr Scheidemann nicht nur am 21. März im Reichstag gewesen, sondern daß er am 22. März in Bad Homburg und Umgegend mehrere Wahlversammlungen abgehalten hat, also wird er wohl auch wo anders reden können, als in Homburg . Kassel und Berlin .

Dann wurde noch der Zeuge Caufant vernommen, der der USPD. angehörte und nach Dittmanns Verhaftung sein Nachfolger in der Streifleitung wurde. Der 3euge erklärt, daß nach seiner Erinnerung a m zweiten Tage des Streits ein Flugblatt mit der Aufschrift Mitteilungen" gedruckt worden und von ihm und seinen

"

Freitag, 27. März 1925

Leuten verteilt worden sei. Der Drud sei im Auftrag der Streif leitung erfolgt. Er, der Zeuge, habe drei-, viermal den Drud eines solchen Flugblattes veranlaßt. Auf die Frage des Vorsigen­den, ob das Datum des Druckes der Flugblätter noch angegeben werden könne, erklärt der Zeuge, er fönne sich nur besinnen, daß das erste Flugblatt am Tage des Vorwärts"-Ber­botes gedruckt worden sei.

Hierauf wurde die Sigung auf Freitag früh vertagt.

Uferlose Beweisanträge.

Ununterbrochene Konflikte zwischen Verteidigung und Gericht in Leipzig . BS. Ceipzig, 26. März.

Zu Beginn der Donnerstag- Sigung stellte Dr. Wolf den An trag, neues Aftenmaterial als Beweismittel herbeizuschaffen. Unter anderem wird gefordert die Verlesung der Protokolle des Unter fuchungsausschusses des preußischen Landtages über sämtliche politische Morde, die Herbeiziehung der Aften zum Falle er mann, aus denen hervorgehe, daß Angehörige der Organi­sation Roßbach eines ihrer Mitglieder in viehischer Weise er­mordet habe, sodann die Verlesung der Rede Dr. 3eigners im fächsischen Landtag vom 18. Oftober 1923, worauf sich die Existenz einer Schwarzen Reichswehr ", die zum Bürgerkrieg vor­bereitete, ergäbe, dann die Ladung des Kaufmanns Seldte aus Magdeburg , der als 1. Vorsitzender des Stahlhelmi" befunden soll, daß der Stahlhelm" in Verbindung mit der Reichswehr steht, dann Verlesung mehrerer Zeitungsartikel, die im einzelnen nicht angegeben werden brauchen, sowie die Werlesung einer Rede Seve rings im preußischen Landtag, aus der die Existenz einer Feme bei der Organisation Roßbach hervorgehe. Darauf wurde die Liste. von 18 Jeugen, die zum heutigen Donnerstag geladen worden waren, sowie weiterer 6 Zeugen, die noch nachträglich von der Verteidigung. hinzugezogen worden sind, verlesen. Von den bereits angekündigten Zeugen sind die sächsischen Abgeordneten Böttcher, Lietmann und Sievert nicht erschienen, dagegen waren anwesend: Elrodt und Liebe­rajch, ferner der Heidelberger Privatdozent Dr. Gumbel.

Reichsanwalt Neumann teilte mit, daß sämtliche Beweisanträge für unerheblich gehalten werden und daher abgelehnt werden müßten. Bezüglich der 3eugenladung erklärte der Reichsanwalt in längeren Ausführungen, daß ein Recht zu unmittelbarer Ladung von Zeugen nur zu Beginn der Hauptverhandlung bestehe, und nur bei einer berechtigten Ladung set das Gericht verpflichtet, den Beugen anzuhören, ohne daß es befugt sei, vorher die Erheblichkeit der Beweisanträge zu untersuchen.

Rechtsanwalt Rosenfeld erklärte, er sei nicht an der Ladung der Beugen beteiligt, und er teile auch nicht die politische Gesinnung feines Kollegen Dr. Wolf. Dessenungeachtet halte er sich für ver­pflichtet, vor dem Beschreiten des Weges zu warnen, den die Ab lehnungsforderungen des Reichsanwalts dem Gerichtshof

weise.

4

versteckten Vorwurf, daß die Verteidigung die Absicht habe, den Der Berteidiger Dr. Wolf verwahrte sich entschieden gegen den Prozeß zu verschleppen. Nichts läge ihr ferner, aber man müsse doch bedenken, daß es sich um einen Parteiprozeß handelt, der das Vorspiel zum Prozeß gegen die kommunistische Zentrale fet,

Nach einer Bause erklärte Dr. Herzfeld: Wenn der Staats gerichtshof bei seiner bisherigen Pragis bleibt, dann werden sich das nächſtemal im Reichstag, wenn es sich um die Bewilligung der Mittel für den Staatsgerichtshof handelt, nicht wenige, sondern viele Gegner finden, die für die Abschaffung dieses Forums eintreten merden. Diese Auslaffung gab zu einer scharfen Ausein anderfegung zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden Anlaß, woran sich wiederum immer denselben Punkt behandelnde Darlegungen der Verteidigung und der Reichsanwaltschaft schlossen. Der Borsigende erklärte schließlich, daß sich das Gericht in der zum Zwede einer eingehenden Beratung verlängerten Mittagspause über das Verlangen der Verteidigung schlüssig werden würde.

Zu Beginn der Nachmittagsverhandlung wurde zunächst der Gerichtsbeschluß über den Antrag der Verteidiger verkündet. Sentats­präsident Dr. Niedner führte qus, daß das Gericht sich bewußt ge­wesen sei, daß die Entscheidung hierüber nicht von reinforma 1istischen Gesichtspunkten aus getroffen werden dürfe. Das Ge richt ist nach sorgfältiger Prüfung aller in Frage kommenden Ilm­stände zu der Ueberzeugung gelangt, daß die von der Verteidigung vorgeladenen Zeugen nicht zu vernehmen sind.

Nunmehr brachte Dr. Wolf einen neuen Antrag ein, in dem unter Beweis gestellt wird, erstens, daß die rechtsgerichteten Organisationen 1923 von allen Seiten auf Berlin losgezogen sind oder dies beabsichtigten, daß in Bayern 1923 die Verfassung auf­gehoben worden sei, drittens, daß seit 1923 bis heute in allen Teilen Deutschlands. eine Schwarze Reichswehr " bestehe, viertens, daß in allen Teilen Deutschlands bis heute in allen rechtsgerichteten Organi­fationen Ticheta- Feme - Organisationen bestanden haben, fünftens, daß die illegalen Organisationen über Waffenlager verfügen, zu denen ihnen die Mittel teils von der Großindustrie, teils vom Erbfeind" zugefloffen sind, worüder Dr. Gumbel zu ver­nehmen ist. Der Verteidiger vertrat sodann in mehr als einstündiger Rede die Auffassung, daß im Herbst 1923 die Verfassung nicht mehr bestanden habe, weil sie von amtlichen Stellen verletzt worden sei. Man kann feinen Hochverrat begehen gegen eine

FÜR DAS OSTERFEST

MARKE

Salamander Schuhe sind der Wunsch eines jeden, weil sie sich bei elegan­ter Ausführung und guter Passform durch Dreiswürdigkeit auszeichnen.

SALAMANDER

NEU!!

SALAMANDER

FUSSARZT

FUR

EMPFINDLICHE,

FÜSSE .

MANDE

SALAME

AP- B.

SALAMANDER

DAS MEISTERSTUCK DER SCHUHFABRIKATION