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Nr. 113.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Oesterreich . Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Gingetr. in der Post- Zeitungs- Preislis für 1895 unter Nr. 7120.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, 33euth- Straße 2.

Der Zweck der Parlamente.

v. Köller,

Donnerstag, den 16. Mai 1895.

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Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Politische Leberlicht.

Alsdann werden

Tas Arbeitsprogramm des Reichstags. Wie ein parlamentarischer Berichterstatter meldet, ist nunmehr die Vereinbarung zwischen dem Reichskanzler und dem Präsidium des Reichstages dahin getroffen worden, daß Mitte nächster Woche die Neichstagstagung geschlossen werden wird. Die beiden Nachtrags- Etats und das sogenannte Noth- Zucker­stener- Gesetz werden am Donnerstag auf die Tagesordnung zur ersten Berathung gestellt und höchstwahrscheinlich ohne Kommissionsberathung erledigt werden. der Antrag der Wirthschaftlichen Vereinigung betreffend den Handel und Verkehr mit Butter u. f. w. und die Brannt­einsteuer- Novelle, die bis dahin für das Plenum reif sein wird, zur Berathung gestellt werden. großen und ganzen das Arbeitspensum des Reichstages er­மோதி schöpft sein. Die Landtagsfession soll nach der National- Beitung" bis Ende Juni fortgeführt werden, nachdem zwischen der Stempel­Steuer- Kommission und dem Finanzminister eine Verständigung über die streitigsten Punkte erzielt worden sei.-

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Damit wird im

Parlament oft nur nothgedrungen zusammenriefen mit f Außerachtsehung der beschworenen Verfassung, wenn sie Ob Sie die Gründe, die die Regierung leiten, für Geldbewilligungen, Besteuerungen brauchten. Ehrliche Ges Berlin , 15. Mai. richtig finden, das ist den verbündeten Reschichtsschreiber nennen diese Verfahrungsweise auch bei Der Reichstag hat heute den Antrag Rickert, beir. gierungen im großen und ganzen ziemlich gleich ihrem richtigen Namen, und Ehren- oder Schmeicheltitel Aenderung des Wahlgesetzes berathen. Es bot sich schöne giltig; die Regierung bedarf Ihrer nur insoweit, als sind es nicht, welche sie für derartige Herrscher in Bereit- Gelegenheit, die Pläne der Konservativen, die auf Ab­Sie den Gesetzen, die sie Ihnen vorlegt, zuzu stimmen schaft haben. änderung des Reichstags- Wahlrechts eventuell auch durch haben, und als Sie die Gelder zu be Und eins mögen die Köller u. Ko. sich merken: einen Staatsstreich hinzielen, zu beleuchten. Dieser Aufgabe willigen haben." Die Parlamente sind allerdings Geldbewilligungs- entledigten sich in trefflicher Weise die Abg. Singer und Herr von Köller war es, der allen etwa zu übertrieben Maschinen", wie Herr v. Köller ganz richtig meint. Aber sie Bebel. Die Stimmung der Konservativen, welche ohne Glauben für das Parlament des deutschen Volkes, wie es ist, können auch noch etwas anderes sein: Geld verweige- zu finden, derartige Pläne leugneten, wurde eine so ungemüthliche, schwärmenden vertrauensseligen Eeelen so arg den Staar rungs Maschinen. Und wenn es in früheren Zeiten, daß sie den Schluß der Sitzung herbeiwünschten. Nach einem gestechen hat. In einem fireng verfassungsmäßig parla- als die Vorfahren des Herrn v. Köller auf die Landstraße vergeblichen Versuche, die Beschlußunfähigkeit des Hauses mentarischen Lande könnte eine solche Feldwebel- Aeußerung gingen und sich aus dem Stegreis" das Geld der bürger- festzustellen, gelang dies endlich dem Abg. Kardorff, so daß einem Minister recht theuer zu stehen kommen, für lichen Kanaille holten, auch möglich war ohne Parlamente die zweite Lesung abgebrochen werden mußte. Die Regie­Preußisch Deutschland hat diese Aeußerung nur die Be- auszukommen, so ist dies heutzutage in jedem Staat mit rung weigerte sich, ihre Stellung zu dem Gesezentwurfe zu deutung, die sonst bestrittene Thatsache, daß wir Deutsche entwickelter bürgerlicher Gesellschaft einfach unmöglich. präzisiren. Man kennt sie aber trotzdem. nur im Sche in parlamentarismus leben, zu beweisen, Als vor dritthalb Jahrhunderten Karl der Erste von und zu zeigen, daß gewisse Organe der Regierung das England den Rathschlägen der zeitgenössischen Köller Parlament als Jasage- Maschine für ihre Gefeßesentwürfe, folgend, das Parlament zu vergewaltigen suchte, foftete ihm und dann weiter als Geldbewilligungs- Maschine betrachten, das bekanntlich den Thron und das Leben. Allein weil die als Dukatenmännchen für Herrn v. Köller und seine damals die bürgerliche Gesellschaft noch nicht weit genug Ministerkollegen zu dienen hat. entwickelt war, konnte nach Cromwell's Tode ein Rückschlag Man wird sich das merken und in ausgiebigfter Weise eintreten. Jedoch nicht auf lange Zeit. Gegen Ende des weiter verbreiten, was sich die verbündeten Regierungen 17. Jahrhunderts war das bürgerliche Element so stark, als den erhabenen Beruf der deutschen Volksvertretung daß es in einer zweiten Revolution zur Herrschaft gelangte, vorstellen, wenn Herr der preußische und seitdem hat kein englischer Monarch und Miniſter dem Polizeiminister, in der That recht haben sollte. Parlamente mehr Troz geboten. Hat er aber nicht recht, so muß das deutsche Und Deutschland ist heute weiter als England vor Bolt verlangen, vornehmlich müßte c3 auch ber 200 Jahren. Hat Herr v. Köller noch nicht darüber nach Reichstag , daß der Herr Polizeiminifter ganz gehörig gedacht, woher der preußische Staat und das Deutsche rektifizirt" werde, wie das wohl bei der Polizei genannt Reich ihre Existenzmittel hernähmen ohne Barlament? zu werden pflegt; genau wie einer seiner Schußleute, der Indeß das Nachdenken ist Herrn v. Köller's Sache nicht, fich eine Amtsgewaltsüberschreitung zu schulden kommen läßt. und auch nicht die von seinesgleichen. Es giebt Lente , die Die Aeußerungen der Herren Minister, namentlich der blos durch die Praxis belehrt werden können, wie Kinder preußischen, find in neuerer Zeit öfter recht interessant ge- trotz aller Belehrung so lang mit dem Feuer zu spielen wesen, nur schade, daß sie im Drange der Ereignisse so pflegen, bis sie sich die Finger tüchtig verbrannt haben. die Mögen die Herren mit dem Feuer spielen Herr von Köller ist jetzt so sehr in den Vordergrund leicht in Bergessenheit gerathen. Aber das Wort des braven Herrn von Köller darf nicht so ohne Sang und Folgen müssen sie sich zuschreiben. Das aber steht fest: ob des öffentlichen Lebens getreten, daß er, falls ihm Eitelkeit Klang in den Strom der Vergessenheit schwimmen. nun der Reichstag die verfassungswidrigen Aeußerungen des innewohnt, sehr zufrieden damit sein kann. Er wird von Dem historisch und juristisch wohl genügend vorgebildeten Herrn v. Köller als Ausgangspunkt einer Aktion zur Sicherung vielen als Hauptvertreter des herrschenden Systems be­Herrn von Köller ist es vielleicht nicht unbekannt, daß die der parlamentarischen Rechte benutzt oder ob er den Kopf trachtet, und man hört sogar die Ansicht äußern, in den Parlamente früherer Zeit in ihrer Gesammtheit sowohl als in den Sand steckt und ruhig abwartet, was da kommt Ungeschicklichkeiten des Herrn von Köller liege Methode, er in Ausschüssen, die sie aus ihrer Mitte bildeten, Staats- einerlei, ob Herr von Köller im Amt bleibt oder zu den übrigen habe den Plan gehabt, die Umsturzvorlage zu Fall zu prozesse geführt und entschieden haben, wobei zuweilen geworfen wird die Frage, welche Stellung die Volks bringen, damit einem Ausnahmegesetze im Geiste Stumm's Minister und Könige den Kopf lassen mußten. vertretung in Deutschland einnimmt, ob die eines wirklichen und des Kriegs Ministers der Weg geba hut werde. Das ist das andere Extrem, Herr von Köller, und die ausschlaggebenden Wlachtfaktors oder eines bloßen Berathungs- Hiernach wäre Herr von Köller eine Art Brutus, diese Frage drängt nur mit umgekehrtem Zweck. Der alte römische auf Ihre phantastisch absolutistische Auffassung der Parla- törpers gleich dem russischen Senat mente gehörende Replik. jetzt endlich zur Entscheidung, und unsere Herren Politiker Brutus stellte sich bekanntlich) dumm, um die tyranni täuschen und Zeit und Ge werden sich wohl oder übel entschließen müssen, sie ins schen Wachthaber zu legenheit für die Befreiung des Volks zu finden. Und das Auge zu fassen. drei Jahren, wie die Kattundrucker die Arbeit ein- Ja, was ist das nun eigentlich?" fragte Hans Hartung stellten, weil sie bei ihrem Lohn verhungerten, da plöglich, indem er vom Essen aufsah mein Willkommen­machten die Herren da oben noch ein strenges Gesicht und schmaus oder mein Abschiedsmahl? Deun, wie mir scheint, steckten die armen Leute alle mit einander ins Loch. Im bin ich doch vergeblich hierher gereist." vorigen Jahr sperrten sie nur die Schlimmsten", die Aber Haus, Du böser Mensch, wie kannst Du nur so Mädelsführer, ein, und zu Königs Geburtstag ließ man sie sprechen!" sagte Lotte mit sauftem Vorwurf, während es alle mitsammen wieder laufen.' s sollte' ne Gnade sein, schmerzlich um ihre Lippen zuckte. Fühlst Du nicht, daß Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. extra vom König, aber kein Mensch hat's ihm Dank gewußt. Du uns weh thust mit solchen Worten? Laß doch die Die Ereignisse hatten es gefügt, daß er sich schließlich für Bös' Blut hat's gemacht, weiter nichts. Und der Winter Sache reifen, guter Rath kommt über Nacht, sagt das die Niederlassung in Paris entschied. Noch ganz erfüllt von den dies Jahr, der war noch schlimmer wie der letzte gehen Sprichwort." gewaltigen Eindrücken der Pariser Februartage, war er herbei- Sie nur hin ins Vogtland, und ins Frankfurter Viertel, geeilt, um Lotte sammt den Ihrigen aus der stickigen Atmo- und da herum, da können Sie schöne Sachen zu hören be­sphäre Berlins in die freiere Luft der Seinestadt zu ver- kommen!" pflanzen. Ihr zäher Widerstand hatte ihn verdrossen das war nun wieder jener echte deutsche Spießbürgersinn, der sich aus althergebrachter schlechter Gewohnheit nicht von der Scholle loszureißen vermochte. Nein, hier war Hopfen und Malz vor der Hand noch verloren. Er war auf seiner Den Bürgerlichen trau' ich nicht sehr", meinte Hartung, ,, So, mein treues Lottchen," sprach er, indem er seiner Fahrt auch durch Köln gekommen, dessen aufgeklärte Ar- die nehmen gern' s Maul voll, und wenn's drauf an beiterschaft er in lebhafter Erregung gefunden hatte. Er kommt, dann denken sie weit vom Schuß ist sicher. Wir von der unverhofften Freude überwältigten Braut einen hatte auch von den Zugeständnissen gehört, die hier und haben's erlebt, in Paris jetzt. Das arbeitende Volk- das Kuß aufdrückte jetzt ist's weder ein Willkommens- noch dort den deutschen Landesvätern von den drohenden Volks- ist die Armee, die von jeher die Schlachten der Freiheit und ein Abschiedsmahl, sondern ein Verlobungsschmaus. Und was auch kommen mag ich werde von Dir nicht lassen, massen abgetrost worden waren. Aber alles das erschien ihm nur als ein Wiederschein der Pariser Ereignisse, der mein Mädchen." gar bald verblassen und jedenfalls über die Elbe hinaus teine Wirkung ausüben würde.

Freilich wissen wir z. B. aus der englischen Geschichte, daß viele Könige, Heinrich, Richard, Karl u. s. w. das

Feuilleton.

( Nachdruck verboten.]

Berliner Märztage.

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13

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" Fragen Sie doch' mal meinen Meister, wie der denkt!" versezte Ferdinand. Der hat uns gestern ein neues Lied lernen lassen das kostet wenigstens zehn Jahre Spandau , wenn man's auf der Straße fingen wollte."

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des menschlichen Fortschritts geschlagen hat."

Na, für Meister Grams möcht' ich jedenfalls gutsagen", versette Ferdinand in überzeugtem Tone.

" Dann ist er eine Ausnahme", entgegnete Hartung. Um so besser, je mehr solcher Ausnahmen da sind."

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Und nun stand ihm da, mit blizenden Augen, ein fünfzehnjähriger Knabe gegenüber, der sich kühn vermaß, Lotte trat ein und breitete ein blendend weißes Tisch­mit seiner Kinderhand an dem Jahrhunderte alten Gebäude tuch auf den kleinen Tisch, der in die Mitte des Zimmers ge­einer starr absolutistischen Herrschaft zu rütteln! Das schoben worden war, während Dora, von der Arbeit am imponirte ihm und gab ihm zu denken sollte er am Ende Küchenherd hochgeröthet, das für den Gast bereitete ein­diese Berliner doch falsch beurtheilen? fache Mahl auftrug. Hans zu Ehren war auch nach " Es sind nicht blos die Jungen," begann Schnid in furzem Bedenken ein Extrakaffee, wie man ihn in der guten feiner geheimnißvollen, sanften Weise. Die Erbitterung ist Beit getrunken hatte, gewagt worden, und die ganze Gesell­groß in allen Kreisen des Volkes. Armuth, Hunger, Krant- schaft labte sich mit Behagen an dem duftigen braunen heit sind überall zu Gast. Die Kartoffelrevolution im Tranke. Zum Ueberfluß hatte Schnick ein paar Silber­vorigen Jahre, das war so eine Probe. Da hätten groschen für Weißbier spendirt, das Ferdinand soeben in Sie sehen sollen, was die Noth aus den Menschen einem großen, schaumbedeckten Glase aus der Wirthschaft macht: Bor nebenan herbeibrachte. teinen Teufel haben sie gefürchtet.

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Nun, nun, verzeih," meinte Hans gutmüthig lächelnd, indem er die neben ihm sitzende Geliebte an sich zog. Und wenn ich nur gekommen wäre, um Dich wieder' mal zu sehen, mein Herz, dann hätt' sich's mir schon gelohnt."

Er zog unbemerkt ein kleines Etui aus der Tasche, ent­nahm ihm zwei blinkende goldene Ringe und steckte den einen dem überraschten Mädchen und den andern sich selbst an den Finger.

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Jubelud und glückwünschend umringten alle das herrs liche junge Menschenpaar. Bater Mathias konnte sich nicht länger halten und sank aufschluchzend an Hartung's Brust. " Verzeih', mein Junge, aber... ich... konnte nicht anders..." brachte er mühsam hervor.

Florian Schnick stand an den Schneidertisch gelehnt da und ließ in stiller Mitfreude die Thränen über seine Wangen perlen. Florian, Sie guter Mensch," sagte Lotte und drückte herzlich die Hand des Gesellen. Er war mein Erzieher, mein Freund und Lehrer..."

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Hans Hartung trat auf Florian zu, zog feinen buschigen Flachskopf an die Brust und küßte ihn auf die fein ge­furchte Stirn.

Wollen auch weiterhin Freunde bleiben," versetzte