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Sonntag 5. �prll 1925

Unterhaltung unö �Wissen

Sellage öes vorwärts

Georg fjerwegh. (3« seinem 50. Todestage am 7. April) Von Erwin Marquardt. In vielen Arbeiterwohnungen hängt heute noch ein früher viel verbreitetes Bild, das den zur Ruhe ausgestreckten Arbeiterriesen darstellt, an dessen Gliedern das ganze Getriebe der Industrie, des Handels und der Landwirtschaft machtlos verebbt. Das Motto unter dem Bilde: Alle Räder stehen still, Wenn dein starker Arm es will, stammt von Herwegh . aber wer kennt noch den Dichter, der die bildliche Darstellung dieses Gedankens angeregt? In diesen Tagen, wo das Andenken Ferdinand Lassalles weit über Deutsch - lands Grenzen hinaus von der sozialdemokratischen Arbeiterschaft gefeiert wird, soll man den Dichter des berühmten Bundes- l i e d e s, das man in der ersten Zeit seiner Verbreitung allgemein dieArbeitermarseillaise" nannte, nicht vergessen. Er stand an der Wiege der politischen Arbeiterbewegung und hat ihren Aufstieg mit leidenschaftlichem Interesse verfolgt.'Blutechter Republikaner, überzeugungstreuer Vorkämpfer der politischen Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit von den ersten Tagen seines öffentlichen Wir- kens an. trotz Verfolgung. Verbannung. Schmähung. Einer der wenigen, die aus der Zeit der achtundvierziger Revolution ihre Ideale rein und unverfälscht ins kaiserliche Deutschland hinüber- gerettet hatten. So stark hing er an diesen Idealen, daß ihm vor dem ausBlut und Eisen" gekitteten Bismarckreich graute. Ja, er wollte nicht einmal in diesem vom Militarismus und Gewaltgeist beherrschten Lande begraben sein. Auf seinen Wunsch begruben ihn die Freunde aus der Revolutionszeit, Freiligrath , Ludwig Pfau , Friedrich Stoltz« in freier republikanischer Erde in Liestal in der Schweiz , die dem aus der Heimat Verbannten fo manche Jahr« Zuflucht und Brot gewährt hatte. In der Zeit der finsteren preußisch-Sstemichischen Reaktion, die alle Freiheitshoffnungen des mündig gewordenen Volkes mit Aus- nahmegefetzen, Zensur und Polizei zu ersticken suchte, beginnt Her- tvegh seinen Weg als Journalist und politischer Dichter. Als Zwanzigjähriger muß er aus seiner württembergischen Heimat fluchten, um der angedrohten Einziehung zum Militärdienst zu ent- rinnen. Er arbeitet zunächst mit Wirth. dem pfälzischen Republi- kaner, der bekannt ist durch das.Hambacher Fest ", die erste große republikanische Massendemonstration, bei der etwa 30 000 Menschen im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold ihren Willen für eine einheit- liche, auf Frieden und Freiheit gegründete, großdeutsche Republik bekundeten. Für diese Ideen arbeitete Herwegh in radikalen Zei- tungen bis zum Erscheinen seinerLieder eines Lebend.i» g e n", die ihn berühmt machten. Es ist die Zeit, in der Heine» politische Gedichte, in der Freiligrath und Hosfmann von Fallers. leben die politischen Tendenzen des radikalen Bürgertums im Liede zum Ausdruck brachten. Herwegh wurde in diesen Kreisen mit ge- radezu stürmischer Begeisterung aufgenommen und erlebte Triumphe, wie ste selten einem Dichter zu Lebzeiten beschieden waren. Aber in seiner weiteren Entwicklung erkannte er die Schwächen des wortreichen Radikalismus der bürgerlichen Liberalen, die im Grunde sich mit gemäßigten Reformen, vor allem mit der Klein- staaterei und dem ererbten dynastischen Ballast abfanden. Des- weifln finden wir Herwegh in den Märztagen von l848 nicht auf der Seite der Paulskirchenmehrheit, die nie zur revolutionären Tat kam, sondern im Bunde mit dem idealgesinnten badischen Frei- scharenführer Friedrich Hecker . Als dieser, um den vom Frankfurter Vorparlament schon aufgegebenen republikanischen Ge- danken zu verwirklichen, in Baden und der Pfalz den Kampf gegen die Regierungen eröffnete, organisierte Herwegh in Paris aus den Hunderten von Ausgewiesenen und Verfolgten ein«Deutsche Le- gion", die unter Führung von Corvin den badischen Freischaren zu Hilfe eilte. Bezeichnend Ist der Aufruf, den Herwegh an die deutschen Ra- dikalcn sandte, bevor die Legion den Rhein überschritt: Wir sind deutsche Demokraten, wollen alles für das Volk. Die Armeen der Fürsten umgeben euch von allen Seiten: schätzt euch glücklich, daß auch eine Armee der Freiheit in eurer Nähe steht... Wir erklären euch aber zugleich, daß wir u n- gerufen nicht kommen, daß es uns ferne liegt, gewalt- sam in Deutschland einzudringen, und daß, falls ihr unglücklicher- weife für Deutschland die vollständigste Staatsform der Freiheit: die Republik , noch nicht reif wähnt, wir weit entfernt sind,

Wochenübersicht.

Ludendorff. Häujjer und vreilensträker, die drei uugetrönleu Infolge des Aufgebots eines ungeheuren Zeugenapparates

Könige der Wahlwoche.

verwandelt flch der Magdeburger Ebert- Prozeh allmählig iu einen deuifchnationalea Parteitag.

An der Loebell-vörfe herrscht starte vaiffestlmmnag. Zarres- werte werden nicht mehr notiert.

In der Aufwerlungsfrage beweist die Rechtsregierung kleinen Sparer das zarteste Entgegenkommen.

dem

euch unsere Ueberzeugung aufzuzwingen, oder euch zu zwin> gen, freie Republikaner zu werden, wenn ihr Untertanen bleiben wollt.... Dieser heroische Versuch, die Republik durchzusetzen, scheiterte an der politischen Unreife des deutschen Spießbürgers. In den späteren Gedichten hat dann Herwegh seinen Groll über dieses traurige Versagen der deutschen Kleinbürger in bitterer Satire zum Ausdruck gebracht: Gestern war es, daß sie riefen: Barrikaden! Barrikaden! Und im Bußhenid vor dem Volke stand der Gott von Gottes Gnaden. Unnütz in den Staub zerronnen ist das letzte Heldenblut,

Schneckcnsaft?- der Rest zum Färben eines Purpurmantels gut: Die Cäsaren kommen wieder nach dem Idus dieses Märzen, Noch einmal sind wir belogen und der Himmel wollte scherzen. Verzweifelt zog er sich in den nächsten Jahren, von der Poli- zei verfolgt und wieder in der Verbannung lebend, von der prak- tischen Politik verfolgt und wieder in der Verbannung lebend, von der praktischen Politik zurück. Durch die Berührung mit Karl Marx und dessen Kreis, hatte er den Weg zur proletarischen Be- freiungsbewegung gefunden, zu der ihn sein von Jugend an fein ausgebildetes Mitgefühl für die Notleidenden und Enterbten der Gesellschaft trieb, aber auch sein politisches Programm, für das er

/iuf öer Schwelle öes Lebens.

6,

Don Eugen Tfchirikow.

Mutorifierte Uebersetzung von Adele Lamper t.) Nun, dann werd' ich so, ohne Ladestock!... Das war genau dasselbe: statt zu schießen, genügte es zu sagen: dum»! und der Feind war mausetot. Auf wen schießt du? Gar auf Menschen? Was geht's dich an? Geh, sonst... t- drohte Wansa, nach der Köchin zielend. Räuber! Ein richtiger Räuber wächst da heran! Meinetwegen! Darf man denn einen lebendigen Menschen mit der Büchse?... Und die? Ach, du! Grad' wie der Druder! Geht denselben Weg... Galgenstrick! Und du bist dumm. 6. Tante, ich will zu Mama! Warte... man darf nicht. Wann denn? Wenn man dürfen wird.., Geht'« ihr besser? Resser. Und warum läßt du mich nicht herein? Sic schläft.. Man darf ste nicht wecken... Du sagst immer: sie schläft! Uild gestern, und heute... und immer... Und in der Küche unterhieU sich die Köchin mit einer Frau und sagte ihr, Wanjas Maina werde bald sterben... Wanja wurde still. Er glaubte weder der Tante noch der Köchin. Unrubigcn Herzens, mit angsterfüllten Augen, horchte er bald an der Küchentür, bald an der Tür nach Mamas Zimmer. In der Küche sagt nian, Mama würde Ostern nicht erleben,«nd was in Mamas Zimmer vorgeht kann er nicht herausbekommen... Ganz still ist es dort. Die Uhr tickt, ab und zu geht jemand auf der Fußspitze einher, manch, nal scheint es, als ob jeinand seufzt. Mamas Stimme ist nicht zu hören, und Tante spricht im Flüsterton... Wenn er wenigstens Mamas Stimme hören könnte!... Liebes Mütterchen! Wie sehnt er sich nach seinem lieben Mutterchen! Gott straft sie... für die Kinder ihre.,.l Der Aellefte war

ein richtiges Ungeheuer, und der Kleine, der Wanja, ist auch nicht besser: ein wahrer Räuber... Nette Kinderchen, das... Du darfst mich nicht Wanze nennen! Und was treibst du dich da an der Tür' rum? Horchen tust? Wanja verließ seinen Posten an der Tür und schlich sich leise durch den dunklen Gang zu Mamas Zimmer. Was ist das? Mama stöhnt? Ja'... Wanja drückt seine Wange an die verschlossene Tüe und lauschte dem Stöhnen Mamas. Und jeder stöhnende Laut hallte in seinem Herzen wieder, von den Wimpern fielen Tränen, und er flüsterte weinerlich: Mütterchen, stöhne nicht! Mutterchen, stöhne nicht! Einmal öffnete Tante die Tür und stieß dabei Wanja. Ach Wanja! Wozu... Mutterchen! Mein liebes Mutterchen! Ich will zu dir! Komm, mein Liebling.., antwortete kaum hörbar die Mama. Tante nahm Wanja b«! der Hand und sie traten ein. Wie war doch jetzt die Mama! So o mager... Sie sieht Mama gar nicht mehr ähnlich... Wayja küßte feine Mama und blickte dabei mit ängstlichen Blicken auf ihr Gesicht, auf die bleichen, ge- sprungenen Lippen, auf die spitze Nase, und die auf den Schläfen klebenden grauen Haarsträhnen... Die Hände mit langen langen Fingern liegen aus der Brust, über der Bettdecke, und die Augen, groß und dunkel, sind eingefallen, und blicken, als ob es fremde, nicht Mütterchens Augen wären... Mama lächelte und schloß die Augen, und Tränen begannen zu rinnen, eine nach der andern... Eine Träne hing lange am grauen Härchen und oer- schwand dann... Es tut dir was weh? Mama nickte kaum merklich. Wirst du zu Ostern gesund? Wieder nickte die Mama, und lächelt«, ohne die festgcschlossenen Augen zu öffnen. Wenn doch schneller Ostern käme!... Darfft du denn nicht sprechen, Mütterchen� Ich darf nicht, Wanja, flüstert« Mama und öffnete die Augen. Und in diesen Augen war etwas Furchtbare», was Wanja erschreckte... Maina betrachtete ihn unverwandt, und ihrem Blick fehlte das Gute, Liebe, das Wanja in ihnen zu sehen gewohnt war.-- Aljoscha ist gestorben... Aljoscha ist nicht mehr... flüsterte Mama, und die grauen ichrecklichen Augen schlössen sich wieder... Wanja glitt vom Bett herab, und stand schweigend, mit ge- senkte,» Kops,,.

Wanja, sagte leise die Tante, und legte die Hand auf seine Schulter. Wanja erhob die Augen. Sie wies mit dem Kopf nach der Tür und Wanja verstand: leise, auf den Fußspitzen ging er hinaus, und ebenso leise, auf den Fußspitze», kam er in sein Kinderzimmer. Man hatte also im Hofe die Wahrheit gesagt. Aljoscha würde' nicht mehr kommen... Astoscha würde nie mehr kommen... Niel Auch zu Ostein nicht... Wanja hob zaghaft den Blick zu Jesunr Christum und senkte ihn gleich wieder... Zum erstemnal teilte er Jesuin seine Gedanken über Aljoscha nicht mit... Er stand an der Wand, und riß kleine Tapetenstückchen ab, warf sie aus den Boden, und starr re finster aus die Wand... Dann erhob er noch- mal» die Augen auf Lesum Christum und flüsterte mit gesenktem Kopf: Ich will dich nicht mehr lieb haben... So kam scin erstes Zerwürfnis mit Iesum Christum . An diesem Tag wollte Wanja mit ihm nicht sprechen und sah nicht nach dem Gottesauge. Aber er fühlte es die ganze Zeit... Dort oben brannte das Länrpchen, glänzte die goldene Verzierung des Bildes, und das milde Gesicht Jesu blickte auf Wanja herab, und seine 5)and segnete ihn. Alles war wie zuvor, aber etwas Unverstand- lichev. Unerwartetes war geschehen, was hätte auch nicht sein können» wenn er dort oben n'cht gewollt hätte... Wanja wollte dahin nicht blicken und vermied hartnäckig die ganze Ecke. Und als er schlafen ging, legte er sein Kljsen auf das andere Bettende. Was inachst öu, Wanja? fragte die Tante. Dort ist Licht in die Augen... läßt nicht schlafen... Wanja steckt» die Hond unters Kissen, fand dort Aljoscha« Bild. und hielt es fest... Er dachte an Aljoscha und mühte sich ab, sich zu erinnern, wie er auegesehen hat. Und konnte es durchaus nicht: Im Gedächtnis entstand jene Nacht, wo man. Ahoscha von zu Hause weggebracht hatte, und er sah die ganze Zeit Aljcscha am Tisch stehen, den Rücken zu Wanja gekehrt, und zwei Haarsträhnen hingen herab, und Aljolchu strich sie mit der Hand zurück... Dann er- innerte er sich, wie Aljoscha ihn geküßt und wie Aljoschas Träne auf ihn gefallen und neben dem Ohr gekitzelt hatte. Und wie dann, als Wanja die Augen öffnete, durch die Tür nur noch Aljoschas Rücken einen Augenblick zu sehen war... Wie hat Aljoscha ausgesehen? Wanja nahm unter dem Kissen Aljoschas Bild hervor und be- trachtete es lange... Hat keine Aehnlichkeit mit Aljoscha! Hier ist ein Eymmrsiast, mit kurzgeschorenem Haar, und lustigem Gesicht, und Aljoscha war Student, hatte langes Haar und war traurig. Nun. ganz egal: es ist doch Aljoscha! lFortsetzung folgt.)