Nr. 117.
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Vorwärts
12. Jahrg.
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Die Revolte
Dienstag, den 21. Mai 1895.
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Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.
Wege zu berathen, wie der infamen Steuer auf die Güter Dolitische Leberlicht.
Gottes Widerstand zu leisten sei. Die Bischöfe nahmen Partei für jene Diener der Armen, die der Fiskus be rauben wollte; sie hätten gern selbst einen Kongreß abgehalten, aber das Konkordat verbietet ihnen jede Kollektiv fundgebung, da sie Angestellte des Staates sind.
Die katholischen Priester haben einen Genius mit zwei Gesichtern sie weihen ihr Leben der Erwerbung des Sie entschädigten sich für diese erzwungene Mäßigung Himmels, ohne jedoch die Erde aus dem Gesicht zu ver- dadurch, daß sie Kreisschreiben, apostolische Briefe und lieren. Sie geben uns in diesem Augenblick merkwürdige andere geistliche und mystische Schrifistücke aussandten, die Proben ihrer zähen Anhänglichkeit an die grobmateriellen ausnahmslos von demselben irdischen Geiste weltlicher Güter dieses irdischen Jammerthals. Eigenthumsliebe durchdrungen waren.
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Aus dem Reichstage. Als der Kolonialschwindel begann, war es besonders der Hinweis auf die Grenel der Sklaverei", womit Stimmung zu machen versucht wurde. Hente weiß alle Welt, daß Kolonien in West- und Ostafrika ohne das Institut der Sklaverei bis auf weiteres überhaupt nicht denkbar sind.
Wer aber noch im Zweifel sein sollte, daß dem so ist, der kann sich aus der Vorlage eines besseren belehren, die heute in erster und zweiter Lesung im Reichstag verhandelt wurde. Die skandalösen Vorgänge auf dem Gebiete des Sklavenraubes und Handels, welche sich in unseren Kolonien abgespielt haben, und wobei deutsche Reichsangehörige und hat die Regierung veranlaßt, wenigstens so zu thun, als wollte man der Sklaverei zu Leibe gehen. Daß das aber nicht der Fall ist, zeigt am besten die Ueberschrift der heute verhandelten Vorlage. Dort ist nämlich nur von Sklavenraub und Sklavenhandel die Rede, während der Besitz von Sklaven nach wie vor auch in unseren Kolonien ges stattet sein soll.
Die Kammer, der das Gleichgewicht des Budgets um Ein einziger, der Bischof von Beauvais , hielt sich zurück fo mehr Sorgen macht, je tiefer das Loch des Defizits und rieth den Körperschaften seines Sprengels, sich dem wird, hat in jüngster Zeit eine Steuer auf das Eigenthum Gesetze zu unterwerfen, wie hart es auch sei. Alle seine der religiösen Körperschaften( Orden u. s. w.), ein sogenanntes Kollegen und Oberen, die Bischöfe und Erzbischöfe, find Zuwachsrecht( droit d'accroissement) beschlossen. Damit wüthend auf ihn; sie haben ihn mit fulminanten Briefen, speziell Hamburger Firmen hervorragend betheiligt waren, hat fie eine wahre Revolution in der heiligen Armee der voller evangelischer und christlicher Beleidigungen und BeMönche, Nonnen, Bischöfe und Erzbischöfe hervorgerufen. schimpfungen, überschüttet. Man hat ihn mit ExkommuniEine Steuer auf die Güter der Kirche legen, die Güter der zirung bedroht, man hat ihm ins Gedächtniß gerufen, daß Armen sind, welche Gottlosigkeit! ein Konzil befohlen habe, jeden Priester, der das EigenSo lange die Steuer noch nicht beschlossen war, suchte thum der Kirche schmälere, aus der Kirchengemeinschaft man die Abgeordneten durch eine Volkskundgebung -in auszustoßen. Deutschland nennt man das Entrüstungssturm ein- Aber was all' diese, von den irdischen Gütern Ioszuschüchtern. Die katholischen Zeitungen sie sind in gelösten, frommen Leute am meisten erschreckt, das ist, daß Da aber die Existenz der Sklaverei den Handel mit Paris zahlreich forderten die Armen auf, in Massen der Staat, um jedes Jahr die Steuern dem Anwachsen der Sklaven, und dieser wieder den Raub derselben zur Vorauss vor das Parlament zu ziehen, und gegen das Attentat auf Drdensgemeinschaften anzupassen, Erhebungen über die sehung hat, so hatte unser Genosse Moltenbuhr ganz ihr der Armen Eigenthum zu protestiren. Die Größe der Besigthümer wird anstellen müssen; und da es recht, wenn er die Vorlage ein Dekorationsstück naunte, katholischen Agenten legten sich ins Zeug, um dem unter den Ordensgemeinschaften, die ant lautesten hinter der die Thatsache versteckt werden soll, daß unsere Proteste der Armuth einen imposanten Charakter zu schreien, eine stattliche Anzahl giebt, die Handel, Kolonien ohne Sklaverei nicht bestehen können. verleihen; fie warben die Camelots*) an und verbreiteten natürlich sehr frommen Handel, mit Likören, Zahn- Natürlich waren alle Parteien, mit Ausnahme der in den Volksvierteln Plakate, auf denen die Armen, wasser, Leinwaaren u. f. w. treiben, Leinwaaren u. f. w. treiben, so wäre es unseren, in der Vertheidigung der Sklaverei für die Mühseligen und Beladenen eingeladen wurden, sich auf dem in der That eine verzweifelte Geschichte, erführe die Welt, Kolonien einig und wurde dementsprechend der von Konkordienplage zu versammeln zur Vertheidigung ihrer wie hoch die jährlichen Profite sind. Diese Einmischung des Molkenbuhr und Stadthagen gestellte Antrag, Güter. Die Manifestation fiel erbärmlich ins Wasser, da Staates in die Vermögensverhältnisse der firchlichen Körper- den Besitz oder die Erwerbung eines Menschen durch ein die Armen niemals begriffen hatten, was das für ein schaften ist für sie der schrecklichste der Schrecken. Die Priester Rechtsgeschäft unter Strafe zu stellen, abgelehnt. Eigenthum war, das sie vertheidigen sollten. denken an vergangene Zeiten. Ohne Sklaverei kein Profit in den Kolonien; was aber Da die Armen sich nicht erheben wollten, so beschlossen Als die Feudal- Könige die Juden tüchtig ausgepreßt nüßt unseren allerchriftlichsten Ordnungsstüßen eine Kultur, die Priester und Mönche, als das Gesetz angenommen war, hatten, hielten sie sich an die Reichthümer der Kirche: Nach bei der kein Profit abfällt! in ihrer Weise eine Revolte zu machen. Vor kurzem fand dem zu schätzen, was man der Kirche genommen hat- Die Debatte über das Sklavereigesetz nahm einen so in Paris ein Kongreß von Delegirten aller religiösen sagt Montesquieu hätte man ihr zwei bis dreimal breiten Rahmen ein, daß, nachdem vorher noch der Entwurf Körperschaften von Frankreich statt, um über Mittel und das Königreich geben müssen." Die revolutionären eines Gesetzes über die Schutztruppen für Südwestafrika an Bourgeois plünderten die Kirche mit derselben Gewissen- die Budgetkommission verwiesen war, die namentliche Ab
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alters.
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*) Camelot( sprich: Rammloh) ist der Pariser Ausdruck für haftigkeit aus wie die katholischen Könige des Mittel- ftimmung über die Zuckerprämien Vorlage erst kurz vor das, was Mary das Lumpenproletariat nennt: Leute, die von Der Reichthum ist die Wurzel alles Uebels 5 Uhr begann. Dieselbe wurde mit 191 gegen 45 Stimmen der Hand in den Mund leben, das erste beste sich ihnen dar- für die Besizer- er bringt ihnen immer Unglück. Egypten angenommen. Die Zuckerbarone können also auch weiterhin bietende Geschäft betreiben, Zeitungen verkaufen, Annoncen ver- wurde während des ganzen Alterthums seiner Schätze wegen die ca. 4 Millionen Mark pro Jahr einsacken. theilen, die Kutschenschläge öffnen und den Pferderennen bei- verwüstet und ausgeplündert; England und die anderen Da die Rechte sehr stark vertreten war, stimmte sie wohnen, wo sie allerhand Verrichtungen und Geschäfte betreiben, zivilisirten Nationen unseres Jahrhunderts brandschazen nunmehr gegen die Vertagung, damit für den Margarinedie sie vor die Zuchtpolizei bringen. das arme reiche Pharaonenland weiter; das gleiche Schicksal Antrag demonstrirend, welcher nun an der Reihe gewesen hatte Italien im Alterthum und im Mittelalter; das Gold wäre. Die Entscheidung mußte per Hammelsprung der Galliens zog Cäsar an, wie das Aas die Schmeißfliegen. erste im neuen Gebäude herbeigeführt werden. Mit 110 Die religiösen Körperschaften wollen nicht, daß die Kunde gegen 90 Stimmen wurde die Vertagung beschlossen.- ihrer Reichthümer in die Welt dringe, damit sie vor gierigen Kein preußisches Vereinsgesetz? Die„ Norddeutsche Fingern geschützt seien. Gallus. Allgemeine Zeitung " schreibt:
Der Boulangismus hatte die Camelots in seine Dienste genommen für die Manifestationen in Paris und in der Provinz: er hatte sie nach Art der alten Landsknechte organisirt mit Führern, die jedem für den Tag 2-5 Fr. bezahlten, je nach der Wichtigkeit der Manifestation. Die Camelots zeichneten sich durch ihre glühende Begeisterung für Boulanger aus.
Feuilleton.
der Nachbarschaft solle er wohnen, in einem Stall oder Schuppen..
Hans begann Umfrage zu halten, aber niemand konnte [ Nachbruck verboten.] ihm Bescheid geben. Endlich verwies man ihn nach einer Branntweinschänke.
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Links der Pferdestall, in dem bei gutem Futter und angenehmer Wärme ein Droschkengaul seine Ruhezeit verbrachte, rechts ein riesiger Haufen Dünger, der mit seinen Bestdünsten die Umgebung vergiftete und in der Mitte diese niedrige, enge fensterlose Höhle, in welcher Elsbeth wohnte seine Schwester Elsbeth, das schönste Mädchen weit und breit in seinem schlesischen Heimathsgau, in das einst alle jungen Männer, darunter sein Jugendfreund Hermann Rehberg, der Sohn des gräflichen Güterdirektors, und sogar der junge Graf Wildstein selbst verliebt gewesen
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17 Ach, der verrückte Pollacke," hieß es dort der wohnt mit Kind und Kegel im Hofe nebenan." Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Jm abendlichen Halbdunkel tastete sich Hans über den Das erste Glas Branntwein that ein übriges dem übelriechenden, kothigen Hof, in dessen Pfützen er bis an erften folgte ein zweites, zehntes, hundertstes. Zwar ar- die Knöchel einsant. Ein großer, lahmer Hund fuhr ihm beitete Kowalla zur Abwechslung einmal bald in dieser, kuurrend aus Bein und hinkte darauf ärgerlich zur Seite. waren! bald in jener Fabrik, aber sobald wegen stillen Geschäfts- Kein Mensch war zu sehen, kein Licht. Schon wollte Hans Hans trat einen Schritt vor, doch vermochte er in dem ganges Leute entlassen wurden, war Anton Rowalla Kehrt machen, um vorn im Hause Erkundigungen ein- völlig dunklen Raum nichts zu erkennen. ganz sicher mit unter den zuerst Entlassenen. Sprach zuziehen, als er das Prusten eines Pferdes vernahm und Bist Du... endlich da?" hörte er aus der einen Ecke er seine Verwunderung darüber aus, so hielt man ihm ein- gleich darauf aus einer Thürspalte ein matter Schimmer heraus eine schwache Frauenstimme. Hast Du... Brot... fach sein Zeugniß aus der königlichen Gießerei vor, in dem hervordrang. Er trat durch die Thür in den Raum, einen gebracht? ihm bei sonstiger Tüchtigkeit Aufsässigkeit und widersetz- fleinen, behaglich warmen Pferdestall, in dem ein Droschken- Der Droschkentutscher trat neben Haus und Leuchtete licher Geist" nachgesagt wurde, und er mußte schweigen. Er futscher seinen Gaul einlogirt hatte, welcher soeben beim mit seiner Stalllaterne in das Dunkel hinein. Ein erwar ja nur gelitten, lebte von der Gnade dieser industriellen Schein der Laterne aus dem Heu in der Raufe die Klee - schütterndes Bild des Jammers bot sich Hartung dar: ein Magnaten, gehörte nur der„ Reserve- Armee" ihrer dampfen- blätter herausschnupperte. abgezehrtes, bleiches Weib lag mit vor Schwäche geöffnetem den Schlote an. Munde und geschlossenen, vom Lichte geblendeten Augen auf einem breit über den Fußboden hingestreuten Strohlager. Neben ihr lagen vier Kinder, abgemagert, bis zum äußersten vernachlässigt, vor Ermattung schlafend, und nur ein fünftes, ein fräftiger Säugling von acht Monaten, saß wach und munter neben der Mutter. Er kaute an einem Strohhalm und schaute mit seinen erstaunten dunklen Augen auf die beiden Fremden. Alte, zerrissene Kleidungsstücke und ein Haufen Lumpen von unbestimmbarer Farbe und Form mußten den unglücklichen Wesen statt der Betten dienen. Reine Spur von Hausrath war zu sehen, nur etwas zerbrochenes Gerümpel stand in den Ecken umher.
Und so war er denn der komplette großstädtische Proletarier geworden, und zwar einer der unglücklichsten feiner Klaffe einer von denen, die nur ein Schritt noch vom Lumpenthume oder vom Verbrechen trennt.
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Hans Hartung Klopfte an die Thür der Dachwohnung, die Kowalla in der Invalidenstraße innegehabt hatte, und nach der er von Zeit zu Zeit Geldunterstüßungen aus dem Auslande gesandt hatte.
Wer ist da?" fragte eine fremde Stimme. Eine mürrische alte Frau erschien an der Thür und gab Hans die Auskunft, daß der Kowalla, der Strolch", seit Neujahr aus dem Hause geworfen sei.
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Aber wohin ist er denn gezogen? Das werden Sie doch wissen!" rief Hans ungeduldig.
Die Alte zuckte brummend die Achseln: irgendwo in
Haus fragte nach dem Maschinenbauer Anton Kowalla. Die Herrschaften? Janz recht, die wohnen bei mir Schamber jarnie, for naß", versetzte der grauföpfige Roffe. lenker mit dem gutmüthigen, leicht gerötheten Gesicht.
Wo denn?" fragte Hans, der seine innere Bewegung faum beherrschen konnte. „ Klingeln Se man jleich hier, nächste Dhier rechts, patterre", meinte der Droschenkutscher mit einer ganz verkniffenen Grimaffe.
Er trat mit Hans aus dem Stalle und öffnete eine nur angelehnte, aus rohen Brettern zusammen gezimmerte Thür, die zu einem Holzstall oder einem ähnlichen Behält niß zu führen schien.
Zögernd blieb Hans vor der geöffneten Thür stehen: da drinnen in dem Verschlage, der für einen Hund zu schlecht schien, sollten Menschen wohnen?
Bis ins Innerste getroffen und keines Wortes mächtig, stand Hans Hartung vor dem grauenhaften Bilde.
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Warum bist Du... so lange geblieben?" fuhr die vom Fieber geschüttelte Frau, die den Eintretenden für