Unterhaltung unö ANissen
Seklage öes vorwärts
Eine Knopffarbe, ein Igel unö— ein kurzer Traum. Von Franz Friedrich Oberhäuser. Schöne Erlebnisse, die manchmal zwischen den graueu Mauer. fluten der Großstadt ausblühen, gleichen freundlichen Märchen, die kommen und gehen, wie goldene helle Sonnenlichter. Der Knabe Rudolf Lebwasser trottete mit halbhungrigem Magen durch die morgendlichen Straßen, blieb manchmal vor dem Schaufenster eines Geschäftes stehen, um nachzusehen« ob noch all« Donbons in den Schachteln lagen, oder er verweilte«in wenig vor den Fenstern einer Kafseeschenke, und dann erinnerte er sich an sein Frühstück, das ihm heute sein Pflegevater wieder«inmal zu»ser» vieren� vergessen hatte. Und hier tranken sie weißen Kasse« und oßen knusprige Semmeln dazu. Und jetzt sah er. wie ein Mann die Schale gar nur halb zu Ende trank, aufstand und fortging. Aber nun geschah es, daß der Knabe Rudolf in einer Straße auf ein Päckchen stieß. Er bückte sich rasch, hob es auf, öffnet« es und fand darin zwei Schinkensemmeln und eigen» in ein weiches Zeichen- papier gewickelt eine grüne Günther-Dagner-Knopffarbe und einen kleinen, seidenzarten Pinsel. Dieser Fund war für den Knaben Rudolf ein großes Erlebnis. Er hatte«in wonniges Gefühl. Genau genommen hatte er ein solches, das dem Gefühle eines Reichtums gleichkam, niemals gehabt, da er eigenllich auch kein Knabe, sondern ein.Bub' war. und«inen Pflegevater hatte, der Laternenanzünder war und der für jknaba»- träume nichts übrig hatte. Der Knabe Rudolf drückte das Päckchen innig an sich, lief weiter und kam schließlich an einen Kanal; ganz knapp am Wasser setzte er sich nieder. Packte die Schinkensemmeln aus, legte Farbe, Pinsel und Zeichenpapier sorgsam neben sich und begann zu frühstücken. Das war nun ein wunderschöner freundlicher Morgen. Rudolf fühlte sich unternehmungslustig, froh und reich. Run fragt« es sich, was er mit der Farbe und dem Pinsel beginnen sollte. Er betrachtete sie lange. Ei. könnte er sie nicht dem Klemens Kalander verkaufen? Der Klemens war reich. Oder sollte er sich dafür etwa» eintauschen? Der Eyprian Weller hatte ein« Rech« prachtvoller afrikanischer Marken. Das war« etwas ganz Feines. Aber der Jonas Fannichel hatte«inen Igel. Einen Igel,«wen lebendigen Igel; er brachte ihn«inmal zum Gaudium der Schüler in die Schule mit. Ob sich vielleicht da etwas machen ließe? Ach. er war so drollig, dieser Igel. Und er liebte die Tiere so sehr. Ob der Jona» auf den Tausch wohl eingehen würde...? Aber da ereignete sich plötzlich, daß es dem Knaben leid tat. diese wunderschöne Farbe und den Pinsel zu verlieren. Sein Pflege- vater konnte ihm solche Dinge doch nicht kaufen; er war ja glücklich, sie zu besitzen. Und schlecht war es von ihm auch nicht, daß er die Dinge mitgenommen harte. Gott , so eine kleine süße Farbe und so ein winziger Pinsel... Was die schon viel kosteten... Er hatte den jähen Einsall. auf das Zeitungspapier einig« Dinge zu malen. Das war begreiflich, wenn man bedenkt, daß der Knabe Rudolf des Morgens nur schwarzen Kaffee bekam, de» Mittags eine Suppe und des Abends nicht viel mehr. Die schönen Sachen sah er nur bei anderen. Ach, so eine Knopffarbe. so ein wenig malen dürfen, das war doch wunderschön. Es war wunderschön. Er setzte sich hin, glätiete das Papier, holte sich eine chand voll Wasser, das er auf einen ausgehöhlten Stein schüttete. Dann vergaß er plötzlich alles; alles, was ringsumher war, lebte und geschah. Er überhörte den Zug, der über die Drücke donnerte, er überhörte die Wagen imi den Stimmenlärm der Menschen aus den Häusern. Er lag da und malte. Irgend etwas war bei ihm, die Vergessenheit, der Traum, ein bißchen Glück. Das Märchen. Das Märchen kam her, irgendwo über diese grauen Dächer, durch dies« grauen Gassen. Der Knabe Rudolf malte. Er malle unbeholfen und kindisch. Eine Landschaft; ein Haus, Bäum« malte er. Und eine endlose Wiese. Alles nacheinander, schief und verwackelt. Aber er wußte fa. was es bedeutete. Er wußte, das da ist der Himmel, obwohl der Himmel niemals grün ist. Für ihn war er auch nicht grün, sondern blau. Er malte Bäume und Wiesen, einen grünen Bach und ein grünes Haus; ein grünes Pferd oder so etwas Aehnliches: es konnte auch eine Kuh gewesen sein. Für ihn war dies alles etwas Wunderbares. Ein Paradies war es. In einer zarten seligen Freude, die wie Dust über ihn kam, trat er aus dieser grauen Well und wanderte in eine andere. Ja, da waren die grünen Wiesen, der blaue See, die weißen Spitzen der Berge, die grünen Wälder, die weiße Straße und das schöne weiße Haus. Fast wie ein Traum war es. Und eine Frau kam, über die Wiesen herüber, eine schöne blonde Frau! sie breitete die Arme aus. ganz well, und ihr Gesicht leuchtete wie die Sonne und lacht« ganz hell und froh und ihre Lippen waren sehr zart und rot und erwas geöffnet. Und sie riefen plötzlich: .Rudolf! Rudolf!' Er lief der schönen blonden Frau entgegen. Neß sich von ihr auffangen, fühlte ihr« Arme, schmiegt- sich an das weiche, seiden- feine Gewand und sah in ihr Gesicht. Ach. diese Augen waren so blau, so wunderbar blau wie der Himmel und sie strahllen, ach, sie strahlten so klar wie die Sonne. Und die Lippen waren so süß und die Wangen so weich. Und irgendwo sang eine helle Stimme«in Lied. Und Blumen dufteten ringsum. Und wunderbare goldene Birnen hingen an zahllosen Bäumen. Und dunkle Weintrauben leuchteten. Und rotbackige Aepfel... Und die Frau ward immer wunderbarer, ihre Augen immer Heller, ihr Haar immer goldiger. Da rief er plötzlich ganz voll Seeligkeit:»Müller!' Und noch einmal:.Mutter!' Und die Mutter lächelle. War voll Freude, schlang die Arme liebevoller um ihn, und er durfte noch immer ihre weiche wunder- bar« Wange küssen. Da tat es plötzlich einen lauten Knall neben ihm. Er schrak auf. sah verstört, in die Wirklichkeit gerissen, um sich. Aber niemand war da. Jemand lacht«. Da fiel sein Blick auf das Zeichenblatt, auf den grünen See, den grünen Himmel. Er sah dies olles nicht mehr. Ein gelber, faulriechender Brei verdeckte alles. Jemand hatte nach ihm einen faulen Apfel geworfen. Run war alles fort. Der Traum, die schöne Frau mft den blonden Haaren und den weichen Wange», die grüne Landschaft und der seidenweich« Pinsel.
Ein Silö ohne Worte.
Der Kampf um üie Krippe.
Dem Kraben Rudolf schössen plötzlich die Tränen in die Augen; Groll, unbändiger Groll stieg in ihm hoch, und in der Aufwallung eines gewissermaßen verständlichen Rechtsempfindens und Straf- gefühles für diese Missetat woltt« er kürz«ntfchlossen mit einem Stein ein Fenster zertrümmern, aus dem der Apfel wahrscheinlich geflogen kam. Aber ehe er den Wurf tun konnte, war an einem der Fenster«ine Frau mft einigen Resedatöpfen beschäftigt. Rudolf sah diese Frau. Der Stein entfiel ihm jäh. D'e Aufwallung der Gefühle verslog. Und nichts war mehr um ihn als ein wunder» sames Klingen. Das war doch die Frau, die... das blonde Haar leuchtete in der Sonne ... die Augen strahllen zu ihm herab, ein Lächeln hing im Gesichte. »Mutter!' flüsterten die Lippen des Knaben tonlos. Aber da war die Frau wieder fort. Sie hatte vielleicht gar kein blondes Haar. Ihr Gesicht lächelle vielleicht gar nicht, und sie sah den Knaben Rudolf aller Dahrscheinllchkell wohl nicht. Aber der Knabe hatte sie gesehen. Der Groll war verflogen. E» war nur noch eine leise, fern herüberklingende Wehmut da. Eine unbekannt« Trauer. Langsam trottete Rudoss der Stadt zu. An einer Strahencke traf er den Jonas Fennichel. »Grüß dich Gott. Rudolf!' rief er.»Was treibst du?- »Ach, nichts!' erwiderte Rudolf verwirrt. Da erdwerte er sich aber an den Igel, den der Fennichel hatte. »Was macht der Igel. Jonas?' »Der Seppl? Ach. den hat Papa einfach weggegeben. Wer weiß wem!' »Weg— ge— geben? Ja, warum?' Und Rudolf dachte m das Tauschgeschäft, das nun freilich nicht mehr in Frage kam. »Weißt du, er mochte zuviel Wirbel in der Nacht. Wir konnten einfach nicht schlafen. Es war auch zu toll!' »So!' machte Rudolf. Und er mußte plötzlich löchek».»Weißt du. ich hätte ihn dir gratis eingetauscht!' »Eingetauscht! Hättest bloß ein Wort gesagt, dann hätte ich ihn dir geschenkt. Rudolf!' .Geschenkt!' .Buchstäblich!' Da war es dem Knaben Rudolf, als hätte er den Igel be- kommen. Er hing sich in den Kameraden ein und beide schritten eifrig plaudernd die Gassen dahin. Der Traum war längst ver- weht. Großstadtmärchen sind einsam, sind wie Sonnenstrahlen..»,
piranöellos Marionettentheater. Von Elha Fl«. Rom . Es ist ein Faktum: Prinz Karneval ist tot und begraben! Wie ging es doch lustig her in Goethes Tagen, als von den Ballonen die Schönen herabschauten auf die bunte lustige Menge, auf die Maskierten, die im tollen Wirbel unten vorbeisauften! Wie lebte da noch die kindliche, ausgelassene Freude im Volke,—in den Römer, die heute so teil nahmlos und blasiert durch die Straßen gehen! In diesem Jahre zappelte höchstens hie und da noch ein aller verschmutzter Masleradeanzug in einem Laden, aber niemand zog ihn an; die Masken glotzten hohläugig an den Türpfosten und wur- den schließlich wieder aufgeräumt. Die Kinopest tötet hier die Freude ebenso wie die Kunst, und das Volk ist ganz versessen auf den schnell sich drehenden Film; denn Abwechslung, Abwechslung muß sein! Man kann und will sich nicht verttesen, nicht stille stehen: jeden Augenblick braucht der Italiener neue Anregung und Ausregung, neue Emotionen. Der Film ist der Zaubermantel, der nach fernen Ländern trägt, die man in Gwanken durchstreift. Die allen nationalen Feste findet der Großstadter
lächerlich, die Fastnacht findet er kindisch; alles geht verloren, was hier«Hedem dem Balte eine Freude war! Und jetzt ist sogar unser liebes Marionettentheater verschwunden! Bor wenigen Wochen konnten wir uns dort noch so herrlich amü- sieren.— wie schön hatten sie Shekespeares.Sturm' montiert, und die Märchen, und Rossinis kleine Oper— wie machten sie uns Freude! Aber zu leer blieb das Nein« Theater, der Direktor geriet in Schulden, und die Türen wurden leider dieses Jahr geschlossen! Als wir dann eines Tages Arbeiter fleißig hinein- und heraus» gehen sahen, glaubten wir schon an eine Wiedererössnung des lustige» Puppentheaters, ober da lasen wir aus einer pompösen Anzeige, daß im Monat März hier ein neues Theater eröffnet wer- den sollt« unter Leitung des vortrefflichen Dramaturgen Pirandello, der. jett er im vorigen Jähr eine gefeierte Reise nach Amerika unter- nahm, zu den europäischen Berühmtheiten gezähst wird. Sollen wir uns freuen— oder es bedauern, daß gerade in diesem Monat, wo sich niemand mehr em Narrenkleid und eine Masle nahm, Propaganda gemacht wird für die Philosophie des Pirandello. die, kurz gesaßt, keine andere ist als diese: daß wir alle in der Welt maskiert und kostümiert herumgehen. Denn unfrei lebt der Mensch. das Leben verkümmert ihn, zwickt und schindet ihn, es ist kem Ent- rinnen mögllch! Obwohl ein sehr bedeutender Denker und Schriftsteller, ist Pirandello für uns doch keiner der Großen, weil er eben nie das erlösende Wort spricht; er vermehrt nur das Leiden dieses skeptischen Jahrhunderts, er tröstet uns nicht, er führt uns nicht aus dem Labyrinth ins Freie. Denn ist es kein Labyrinth, wenn er uns zeigt. daß der Menjch, den wir lieben, verehren oder zu verstehen glauben. viele Personen in sich birgt: daß wir nur«ine Seite seines Wesens kennen, daß in ihm ein anderer Mensch oder mehrere vielleicht auf der Lauer liegen, die eben nicht mehr zu«xlstleren scheinen, sich aber gleich wieder aus ihren Fesseln besreien und aufrichten. Denn in jedem von uns liegt wie in einem Knäuel ein Chaos von entgegengesetzten Eigenheiten; deshalb find wir nicht nur unserer Umgebung, londern uns selbst oft ein Rätsel. Verwirrt stehen wir uns gegenüber, im unklaren darüber, was und wen wir lieben, was wir aus unserem Leben machen wollen. Wir wundern uns über unsere gestrigen An- sichten und Beteuerungen, verschiedenen Personen zeigen wir ver- schieden« Letten unseres Wesens.— und doch sind wir allen gegen- über nichtsdestoweniger ehrlich und wahr? Die Verwirrung, die durch diese Kompliziertheit unseres Wesens auch in der Gesellschaft entsteht, liefert dem Philosoph-Dramaturgen einen willkommene» Baustosf für seine Komödien. Und noch ein anderes Thema arbeitet er mit Borliebe aus. Er führt uns immer den Menschen vor Augen, der nicht seiner Natur gemäß lebt, oder so wie er es im Stillen wünscht, sondern der durch die Umstände sein Leben eindämmen und kanalisieren läßt. Wir sehen den tragischen Zusammenstoß des innerlich-lebenden Menschen niit der Form, der Richtung, die er durch die Gesellschaft oder durch das Fatum gezwungen ist seinem Leben zu geben; dieses Leben wird damtt ein lügenhaftes, das er in tiefster Seele haßt. Dieser Dualismus ist der Schmerz, der die Menschen verzehrt; hinter der Plaste, die er aufzieht, steckt sein verstelltes Gesicht, unter dem Maskeradenanzug klopft ein zerrissenes Herz. In dieser dua- listischen Welt bewegen sich Menschen, deren Seelen verwundet und vergiftet sind, die aber eine gleichgültige Miene annehmen wie die Puppen aus dem Marionettentheater. Auch diese sprachen Worte des Schmerzes und der Liebe— ohne ihr Gesicht zu verziehen. Der weise König aus Shakespeares Märchen war fast ärmlich angetan, und er bewegte kein Glied; aber rott fühlten die Majestät seiner Ge- danken aus den Worte», die wie aus einer geheimnisvollen Welt zu uns herüber kamen. So gehen auch wir in Kleidern, die nicht zu unserem mtimen Leben passen, über die große Bühne der Welt. Niemand kennt den Menschen, er ist sich selbst ein großes Fragezeichen.--- Ist es nicht em merkwürdiger Zufall, daß man Pirandellos Dramen und Komödien in Szene setzen wird eben in dem alten Martoneltentheater? Aber ach, wenn wir es letzt besuchen, wie merden wir die köstlichen Puppen vermissen, die uns jo manchen Sonntag amüsierten: