Nr. 229 4 42. Jahrgang
7. Seilage des vorwärts
Sonüabenö, 16. Mai 1425
Vom Kriege her ist uns der Begriff der„Zange" geläufig: man wird daher verstehen, wenn wir zivil-strategisch sagen, die kleine märkische Stadt Templin wird durch die Zange ergriffen, die von den beiden Bahnlinien Berti n— E b e r s w a l d e— T e m p l i n und Berti n— L ö w e n b e r g— T e m p l i n gebildet wird. Um es gleich vorweg zu nehmen: von Templin gehen weiter noch aus Bahnen nach Ltjchen, nach Fürstenwerder und nach Prenzlau — also Verbindungen in reicher Fülle, nur leider spärlich und langsam. Wer einen Tagcsausflug machen will, muß schon früh aufstehen. Eine malerische Staütansicht. Aber schon die Fahrt lohnt, namentlich wenn man den etwas längeren Arm der Zange— über Eberswalde — wählb Man ist kaum damit fertig geworden, die unter dem Ausruf„Spritzkuchen gefällig" auf dem dortigen Bahnhof ausgebotenen und gern gekauften Delikatessen zu verzehren, so taucht man schon im schönen Walde ein, der später bei Zoachimsthal von zwei großen Seen: Grimnitzsee und Werbellinsee , flankiert wird und, natürlich mit einigen Unter- brechungen, sich bis Templin hinzieht. Station Templin -Vorftadt ist endlich erreicht: wir folgen nicht dem sonst viel gehörten Rate, schon hier auszusteigen, sondern bleiben bis zum chauptbahnhof— wie großstädtisch das klingt!— sitzen. Und siehe da: zur Rechten er- hebt sich ein graues Ungetüm und oerdeckt die Stockwerke der Häuser, deren Dächer allein sich darüber erheben. Ja, das ist sie, die viel- gerühmte Stadtmauer von Templin . die noch heute die ganze alte Stadt umzieht. Feldsteine in allen Größen bilden sie— ein Mathematiker könnte hier rechnen, wie viele es sein mögen, die diese oft bis 7 Meter hohe Schutz- und Trutzmaucr mit ihren vielen Halbkreis- förmigen„Wachhäusern" füllen, und ein Volkswirtschaftler mag be- rechnen, wie lange Zeit und wie viele Menschen ihre Errichtung er- fordert haben mag. Wir halten uns aber mit solchen Problemen nicht auf, ersreuen uns an dem malerischen Bilde, das diese alte Umwallung bietet— in der Tat eine ins Moderne gerettete Wieder- gäbe der bekannten, etwas steifen, aber doch recht getreu ausgeführ- ten Stadtbilder des Frankfurter Kupferstechers Matthäus Marion (t 1650). Nun ist aber das, was diese Mauer umschließt, nicht so sehr all, denn obgleich Templin (von dem slawischen roplu(teplu) gleich warm, sich ableitend) eine alte Geschichte hat, so ist durch zahl- reiche Brände fast alles Alte ionerhalb der Mauern zugrunde ge- gangen. Namentlich legte ein Brand von 1733 die ganze Stadt nieder, und die einfachen, aber durchweg doch Eigenart bekundenden Häuser sind nach dieser Katastrophe erbaut worden. Wie unseren Lesern bekannt ist. hat Königsberg i. d. Nm. auch eine noch ganz erhaltene Stadtmauer, aber aus schweren Ziegelsteinen. Königsberg hat als Stadt noch sein prächtige- Rathaus und die stolze Kirche in die Wagschale zu werfen. Templin hat aber wiederum Vorzüge, die aus seiner Lage entspringen: der Wechsel voo Berg und Tal.
von Land und Wasser, von Gärten und Wald schafft sehr erfreuliche Anblicke, so daß man den Stolz seiner Bewohner auf das„schöne" Templin begreift, auch versteht, warum das Streben des Magistrats, vor den Toren der Stadt Villenkolonien aus dem Boden zu stampfen, von so gutem Erfolg begünstigt gewesen ist— für reiche Leute, die, was das Geschäftliche betrifft, nur noch mit der Couponschere „arbeiten", bietet Templin einen idyllischen Ausenthalt. Der wander- frohe Tourist wird diese Leute nicht beneiden: er nimmt das Gute, wo er es findet. Geschichtliches. Im 13. Zahrhundcrl, das hier Kämpfe der Askanier mit den Pommern sah, dürste eine Burg die Heerstraße gesichert haben. Als Heirotsgut kam sie in brandenburgischen Besitz: später folgten kriege- rische Verwicklungen zwischen Brandenburg , Mecklenburg und Pom-
Stadtmauer mit Pulverturm.
mern, und die inzwischen erstandene Siedlung verstand es geschickt, aus den Wirren Nutzen für sich zu ziehen— der 13 000 Morgen große Wakdbesitz stammt aus jener Zeit, aber auch noch im 15. und 16. Jahrhundert konnte sie sowohl Landbesitz wie Gerechtsame ver- mehren. Die Brände von 1492, 1530, 1546 und 1618 richteten zwar großen Schaden an. konnten aber die Entwicklung nicht aufhalten. Und nach dem bereits erwähnten Feuer von 1735 tat 10 Jahre später«ine bedeutsaine Regienmgshandlung das ihrige zur wirt- schaftlichen Hebung; der Templiner See wurde durch einen 13 Kilometer langen Kanal mit der Havel verbunden und damit der Ab- transport des geschlagenen Holzes erleichtert. Diese Holzindustrie ist noch die hauptsächlichste gewerbliche Betätigung geblieben— Fabrikschornsteine fehlen in dem Stadtbilde. Staütinneres und Tore. Seitlich der vom Hauptbahnhof zur Stadt führenden, mit den üblichen Bahnhofftraßenhäusern besetzten Straße zieht sich ein Wiesental mit dem Kanal hin, darüber erheben sich die Anhöhen des 3l Hektar großen Bürgergartens. Der Eintritt in die Stadt erfolgt durch das Berliner Tor, rechts in der Berliner Straße die alte und kleine gothische Bocksteinkirchc, bis auf die Fassade noch aus dem 14. Jahrhundert stammend, die zu dem ebensalls noch vorhandenen St.-Georgen-Spital gehört. Bald haben wir den Markt erreicht, einen vier Morgen großen Platz, auf dem das Rathaus sich erhebt. Nach den Plänen des fridericianischen Baumeisters Knobelsdorfs aus der Brandstätte des 1733 zerstörten alten Gebäudes errichtet, bietet der dreistöckige Bau durch das hölzerne kupfergedeckte Türmchen mit dem fliegenden Adler auf der Spitze einen gefälligen Anblick inmitten der Reihen alter Lindenbäume, die den Platz zieren. Run links in die Mühlenstraße einbiegend, erblicken wir rechts die St.-Maria-Magdalenen-Kirche, 1749 fast ganz neu errichtet, und erreichen dann das Mühlentor, das von einem Storchnest gekrönt wird. Hinter ihm die Schleuse zwischen See und Kanast über die eine Brücke führt und dann links in den schattigen Bürgcrgarten, während zur Rechten sich das„Scheunenviertel " hinzieht. Scheunen im wahren Sinne des Wortes, den in der Stadt gehörigen Acker- bürgern gehörig, deren Gehöfte in den Straßen keinen Platz für die Bergung des Erntesegens haben. Der Blick von dieser Brücke ist ein besonders schöner: man sieht ein weites Stück der gewaltigen Mauer und hoch oben Meister Langbein auf seinem Nest stehen, das in so malerischer Weise das wuchtige Tor krönt, man sieht in das fruchl- bare Tal und auf der anderen Seite auch den in der Sonne schim- mernden See und findet einen Ruhepunkt in den Waldmassen, die hoch aufragend sich anlehnen. Berliner Tor. Mühlentor, noch bleibt uns übrig, das dritte große alte Tor, das Prenzlauer , aufzusuchen. Zum Markt zurückgekehrt, bringt uns die links abzweigende Prenz- lauer Straße schnell zu dem Abschluß, dem aus Außen- und Jnnentor bestehenden Prenzlauer Tor. Ein Teil des Baues ist jetzt zum Spritzenhaus geworden: ferner hat man neuerdings eine„Krieger- ehrung" eingebaut. Es ist mit solchen Anhängseln eine eigene Sache: das Bestehende wird geschädigt und die Wirkung des Neuen durch die Wucht des Alten beeinträchtigt. Neben den drei Haupt- toren hat das moderne Vcrkchrsbedürfnis noch andere Zugänge gc- schaffen: man zählt im ganzen 10 Tore, so das Eichwerdertor, das Schultor, das Neue Tor usw. Die großen Tore sind zirka 20 Meter hoch, viereckige Turmbauten, unten aus Feldsteinen, oben aus Ziegeln hergestellt: die Durchfahrten sind fpitzbogig. An Omamenten finden sich auf den Giebelseiten des Berliner und des Mühlentors französische Lilien als wappenzeichen der Templiner , die durch den Bruder des letzten Askaniers in der Mark, der zu Anfang des 14. Jahrhunderts der Komturei Templin des Templinordens vor- stand, herbeigerufen und mit der Leitung der Befestigungsarbeiten betraut worden waren. Früher Hot man daher wohl den Namen Templin von diesen Templern herleiten wollen, bis die neueren Forschungen die oben gegebene Herleitung aus dem Wendischen sicherstellten. Der Umgang um die Stadt längs der Mauer erfordert je nach dem Marschtempo'/i bis% Stunde: die Mehrzahl der Besucher wird sich aber wohl mit einigen Probegängen zu seiten der Haupt- tore begnügen. Eine �Prenzlauer vorstaüt�. Geht man vom Prenzlauer Tor entweder geradeaus die Arnim- straße oder rechts die Bismarckstraßc— erster« ist wohl nicht nach dem bekannten Gegner Bismarcks, Grafen Harry, benannt—, so glaubt man sich in die Kolonie Grunewald oder Frohnau versetzt. „Vornehme" Villen, gepflegte Gärten. Durchblicke nach dem tiefer
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Schnock.
Ein Roman von See und Sümpfen. Von Svend Fleuron . (Aus dem Dänischen von Thyra Jakstein-Dohrcnburg.)
Besinnlich liegt er seinem Gewerbe ob, in langen, abge- mesienen Schritten einherstolzierend. Sein großer, dem An- schein nach so schwerer Körper wiegt sich auf den grünlich- gelben, gestielten Beinen, der kurze, breite Schwanz scheint fast die Wasseroberfläche zu kämmen, während der runde, armlange Hals in ständiger Bewegung ist und den kahnsör- migen Schnabel gleich einem Florett in die verschiedenartig- sten Angriffsstellungen bringt. Lachmöwen und Seeschwalben umschwärmen shn— und von Zeit zu Zeit tun sich drei, vier von ihnen zusammen, ihren großen Konkurrenten zu foppen. Gerade wie der Reiher in Fängerstellung, den Schnabel nur ein Geringes über dem Wasserspiegel haltend, sich zum Ergreifen der Beute anschickt, streichen die Möwen von hinten über ihn hinweg. Fauchend muß er den Hals einziehen und dg.s Florett nach oben richten, um nach seinen Plagegeistern zu schnappen und zu stechen. Lange Zeit hindurch setzt oft solch ein neckischer kleiner Möwenschwarm sein Spielchen fort— und wenn er sich dann endlich jauchzend und spottend entfernt, hat er dem großen stummen, geduldigen Fischer manch günstige Gelegenheit zer- stört und viele kostbare Minuten gestohlen. Sobald die Möwen von dannen geflogen sind, gibt der Reiher sich mit doppelter Leidenschaft seiner Beschäftigung hin. In verschiedenen Ausfallstellunaen tauchen seine Schna- felspitzen wie ein Aalstecher ins Wasser hinab. Ostmals sind die Stöße vergeblich: er muß sich weiter vorwärtstasten: schließlich aber hat er einen kleinen Aal erbeutet. Es ist indessen nicht so einfach, den zappelnden Fang zu schlucken, der Aal rvrndel sich und wül m den Sack nicht hinein, so daß der Bogel ihm das Zappeln verleiden muß, indem er ihn in seinem scharfkantigen Schnabel auf- und niederrvllen läßt. So rutscht er schließlich... Der Reiher von hinten an Schnock heranpirschend, neigt behutsam den Hals über den treibenden Schilfstengel. Er bemerkt irgend etwas Verdächtiges an dem Stümpfchen, glaubt aber, daß er irre und will seinen Weg fortsetzen. Er führt den Schritt jedoch nicht zu Ende, der Fuß hält auf halbem Wege inne—- und in der nächsten Sekunde erfolgt der Stoß. Kur«mnal schlug Schnock mit dem Schwänze. Daun
wurde sie gegriffen. Und etwas Scharfes und Hartes, das stärker war als sie, zwang ihren Widerstand zur Ruh«. Dann ging es kopfüber in eine warme, enge Rinne. In dieser Rinne herrschte ein fürchterliches Fischgetriebe. Man drängelte mit Flossen und klatschte mit Schwänzen. In einem fort schob irgend etwas von hinten vorwärts, aber das Gewimmel vor ihr versperrte den Weg. Sie kam nicht voran. Und dennoch rutschte sie weiter. Ganz langsam führte das dicke, schleimige Wasser der Rinne den lebendigen Schlammbrei, in dem sie sich befand, von dannen: sie merkte, wie ihre Mundwinkel sich an den Usern der Rinne scheuerten ... es war ihr kaum möglich, Luft zu holen. Unterdes flog der Reiher mit ihr uich all seiner übrigen Beute heimwärts zu seinen Jungen.... Draußen auf dem See begegnete er einem Boot, in dem ein Mann saß und angelte. Die Erfahrung sagte ihm. daß er es mit einem Fischer zu tun habe: aber er war im Irrtum — im Boot befand sich auch eine Büchse, und als er sich in die Lüste schwang, fiel ein Schuß, der den Vogel zwang, seine Last teilweise fahren zu lassen, um schneller entschlüpfen zu können. Schnock war unter den Glücklichen! Plötzlich verringerte sich das Gewühl in der langen düsteren Rinne, und der zäh» flüssige Schlammstrvm, der sie mit sich riß, änderte die Rich- hing. Bald darauf geriet der Strom in ein sausendes Tempo und spülte sie kopfüber fort, sie sah mit einem Male Licht und hatte Platz genug, um mit den Flossen zu schlagen..�.. Da fiel sie aus dem Schlund des Reihers in einer Höhe von etwa zwanzig Metern herab... sie hatte eben noch Zeit, um festzustellen, wie erstickend dürr die andere Welt doch war: die Eingeweide wurden ihr förmlich aus dem Körper gerissen, und was sie auch unternahm, um wieder in das rechte Fahr- wasser zu gelangen, immer erging es ihr gleich übel. Zum Glück erreichte sie endlich ihr irdisches Element, das Wasser spülte ihr über die Kiemen, und sie tonnt« wieder schwimmen. Im Schutze des Wieks. Als sie das erste Jahr vollendet hatte, bekam kie Schuppen. In ihrer frühesten Jugend, als sie nur winzig kleine Tiere verdauen konnte, hatte sie ausschließlich von Wasserinsekten und Larven gelebt. Von nun an aber war kein Fleisch ihr heilig, außer dem, das an ihren eigenen Gräten saß. Sie fiel jedweden Fisch an, der nicht so groß war, sie verschlingen zu können, und rückte Plötzen und kleinen Weiß- fischen mit einem sonderbaren Behagen auf den Leib. Jetzt nahm sie Rache an diesen gierigen Fischlein, die sich einstmals an ihr versündigt hatten, als sie noch erst im Werden war. Sie war nicht auf künstliche Weise ausgebrütet oder m
einer von fließendem Wasser durchströmten Holzkistc zur Welt gekommen, nein, höchst natürlich war die Sache zugegangen. Ihre Mutter hotte im gelben Sonnengeslimmer des März- tages, umgeben von dreien feurigen Buhlen, die sich gegenseitig nichts nachgaben, gelaicht, der Roggen war herabgesunken und hatte sich an einige Grasbüschel am Rande des Sees ge- hängt. Bereits am nächsten Tage hatten kleine Fische sich um diese Grasbüschel zu tummeln begonnen, und noch einen Tag später wimmelte es förmlich davon: eifrig durchsuchten sie die Büschel und fraßen alle Hechteier, derer sie habhaft werden konnten. So gründlich gingen sie zu Werte, daß von den Tausenden und Abertausenden von den Eiern ihrer Mutter nur zwei übrigblieben, die sich tief im Herzen eines Halmes verborgen hatten. Aus dem einen war sie geschlüpft. Die Sonne nahm sich ihrer an. brütete sie aus und lehrte sie räubern, was sie nur annähernd bezwingen konnte. Jetzt aber rächte sie ihren Stamm und übte keine Gnade... Sie besaß ein verblüffendes Talent, sich richtig anzu- bringen und verstand es, ihren Platz derart zu wählen, daß sie gleichsam mit dem Wasser zusammenfloß. Schilsitengel warfen ihre Schatten kreuz und quer über Ihren Körper, Wasserknöterich und treibende Entengrütze verhüllten sie, die blöden Weißfische und andere rastlose Fischchen huschten zeit- weise so dicht an ihrem Rachen vorbei, daß sie den Wellen- schlag ihrer Schwanzflosse spürte. Einige rannten fast mit der Stirn gegen sie an:— entdeckten sie sie aber, hui, dann war das Wasser von Sternengeflimmer erfüllt, dann eilten sie sich, fortzukommen! Wo die Wasserlilien wahre Flöße und grüne Inseln bildeten, hatte sie ihr Lieblingsoersteck: hier fielen die vsr- räterifchen Schatten— ihre besten Freunde— sichtbar durch das Wasser, nahmen sie unter sich auf und machten ihr das Jagen leicht. Wußte sie sich dann aber entdeckt, so entfernte sie sich nur ungern w wilder Host, derartiges Borgehen er- weckte zuviel Aufmerksamkeit und schuf in der weiten Fisch» weit Unbehagen. Stand sie zum Beispiel dicht unter der Oberflüche, und ahnte ihr, daß man sie von oben her belauerte, so wurde sie ganz allmählich unsichtbar, bis sie mit dem dunklen Wasser zusammenfloß, indem sie sich unmerklich tiefer sinken ließ. Gleichzeitig begannen alle Flossen zu arbeiten: in üppigen Falten schmiegten sie sich um den langen, schwarzen Stecken, dem ihr Körper nunmehr glich, bekränzten ihn mit Fransen, hüllten ihn ein und führten ihn von dannen. (Fortsetzung folgt.)