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Nr. 253 4 42. Jahrgang! dienstag, 19. Mal 1925 e r linerf: in Die Stadt Berlin unterhAt tn Buch eine Kinderheil» an st alt. Dort ist eine besondere Abteilung für geschlechtskranke Kinder. Auf der Gonorrhoestation dieser Anstalt befinden sich gegen- wärtig(April 192S) 56 Kinder mit Gonorrhoe. Von ihnen sind 2 schwer, 2 wahrscheinlich durch Stuprum(Mißbrauch) infiziert. Don den übrigen 62 dürften wie der leitende Arzt, Dr. R o s e n st« r n, mit Genehmigung des Hauptgesundheitsamtes mitteilt 21 inner» halb der Familie angesteckt fein. Nur 11 von diesen 21 haben allein geschlafen. 16 haben ihr Bett mit anderen Familienangehörigen geteilt. kein öett für sich allein. Nach einer noch unveröffentlichten Statistik des sozialpolitisch hochverdienten bisherigen Direktors der Berliner Ortskrankenkasse. Albert Kohn . haben 1922 mehr al» 19 Proz.. 1923 mehr als 16 Vroz. der kontrollierten kranken kein Bett für sich allein gehobt. Der Bettenmangel wächst mit der Kopfzahl der Haushaltung. Wahrend bei Haushaltsgemeinschoften von 2 Personen mehr al» 91 Proz.«In Bett für sich allein benutzen, genießen den Borzug wie jenes Schulkind sagte:.Wie bei Kaisers" allein in einem Bett schlafen zu können, in Haushaltsgemeinschaften von 4 Personen schon nur noch annähernd 82 Proz., bei 5 Haushaltungsmitgliedern nur noch 69 Proz.. bei 6 noch annähernd 69 Proz., bei 7 nur noch 69 Proz., bei 8 sinkt die Zahl der.Bettkaiser' auf 39 Proz., bei mehr al» 11 haushaltungsmilgsiedern kommt da».kaiserliche Bett- Verhältnis' überhaupt nicht mehr vor. Man muß sich bei diesen Zahlen vergegenwärtigen, daß es sich um eine Krankenstatistit handelt, die sich nur auf 9H Tausend Mitglieder der Berliner Ort»» krankenkasse erstreckt und aus der die schwersten Fälle au». geschieden sind, deren Ergebnis Infolgedessen viel günstiger er» scheint als die Wirklichkeit ist. Dennoch..... 18 Proz. der kon- trolsierten kranken waren Harn- und geschlechtskrank und zwar mehr als fünfzehnmal mehr Frauen als Männerl 62 Proz. der Kontrollierten mußten auf dem Treppenabsatz oder im Hof gelegene Klosetts gemeinsam benutzen. Gesihlechtserkrantungen unter Kindern. Dr. Erich Langer. Oberarzt tn der vermatologischen Ab» teilimg de» Rudolf-Birchow-Arankerhause» in Berlin , berichtet, daß die Säschlechtserkrankungen unter Schulmädchen feil der Vorkriegszeit sich vermehren: Im Rudolf. Dirchow-Krankenhause wurden 19 21 133. 19 2 4 269 geschlechtskranke Kinder behandelt: mithin eine Zunahme um 49 Proz.. annähernd die Hälft«. Dr. Martin Gumpert , in derselben Abtellung tätig, bearbeitet gegenwärtig ein umfangreiches Material, da» beweist, daß Geschlechts» erkrankungen von Kindern in Kleinstädten und auf dem Lande ver- hältnismäßig nicht sellener al» tn der Großstadt sind. Ein Teil der im Dkrchow-Krankenhaus behandelten Fälle ist vom Lande ein» geschleppt. In der»Deutschen Medizinischen Wochenschrift' berichtet Echoenfeld über die Ausbreitung von Gonorrhoe und Lues unter den Kindern Pommern «. Erschreckenden Umfang gewinnen die Krankheiten, wenn sie in geschlossene Anstalten, Waisenhäuser, Ferienkolonien, Erziehungs- Heime hineingetragen werden. So berichtet Dr. Langer, daß in einem rheinischen Waisenhause 33 Proz. der Kinder syphi- litisch wurden. In Hannover wurden 16 kleine Mädchen von einer Hospitalinfektion ergriffen. Auf der Keuchhustenabteilung de« Eppendorser Krankenhauses wurde bei 29 von insgesamt 28 Mädchen Gonorrhoe festgestellt. Bon 49 Mädchen, die 1999 von Stuttgart aus in ein Solbad verschickt waren, kamen 16 mit Gonorrhoe zurück. Diese Infektion ging au» von einem achtjährigeu Mädchen, das nachweislich schon vor der Schul« an Gonorrhoe ge» litten hatte. Verwahrlosung als Jolge öer Wohnungsnot. Dr. Langer bezeichnet die Mietskaserne al» ideale vrutstätte für Geschlechtskrankheiten, die Mietskaserne, wo Kinder mit Er» wachsenen zugleich ein Bett benutzen, die Tochter von 19, 12 Jahren wegen Raummangel zum Schlafburschen gebettet wird, wie man durch Kinderaussagen vor Gericht erfährt. Das Mohnungselend züchtet die Kinder, die vorzeitig Geschlechtsverkehr suchen. Langer kennt eine ganz« Reihe von Fällen» wo klein« Mädchen von 12, 13 Jahren und jünger gegen Entgelt mit Schuljungen geschlechtlich oerkehrten und zum Teil diese infizierten. Cr erinnert an einen bekannt gewordenen Fall seiner eigenen medizinischen Praxis, wo «in elfjähriges Mädchen, dos zuvor vergewaltigt worden war, und an einer Gonorrhoe erkrankte, am Geschlechtsverkehr Gefallen ge» funden hatte und nun im Lauf« eine» Jahre» mit 29 Jungen geschlechtlich verkehrt«. DI« Sozialhygiene fordert: gründliche Prophylaxe. E» ist nötig, daß Schule, Eltern, Wohlfahrtspflege und dermatologische Spezial stellen Hand in Hand arbeiten. Systematische«ad zwar sachSrzlllch« Untersuchung besonder« neu eingeschulter Kinder vor Verschickung ml« Ferienkolonien. Ausnahme in Heime, Kindergärten. Spielschul« ist oLNg. Erkrankt« Kinder müssen sofort au» der Gemeinschaft mit anderen ausgesondert und in Behandlung genommen werden. Das darf nicht der Initiative verschiedener Instanzen. Vereine, Schulärzte, Schwestern über- lasten sein, erfordert vielmehr eine planmäßig geleitet« S e s ch l« ch t» k r o n k e n f 0 r so rg e mit gut ausgebildeten Aerzten, Schwestern usw., die eventuell auch für spätere Behandlung er» krankter Kinder zur Dersügung stehen müsten. Die Wurzel des Uebels liegt in der Wohnungsnot. Die Wohnungsnot aber wurzelt In der Bodennot. im Mißbrauch de» Boden» zu Börsenzwecken. Mithin liegt dt« radikale Bekämpfung der in vorstehenden Zahlen so schrecklich in Erscheinung tretenden Derseuchung unseres Dolke» auf dem Wege der Boden- r e f o r m. Dem Reichstag liegen gegenwärtig verschiedene Anträge auf Einbringung eines Bodenreformgesetzes vor. Der weitestgehend« ist der der Sozialdemokratischen Partei. Heraus mit dem Bodenreformgesetz. Die Staöt öer tausend Schmerzen. Sie siegt im Herzen der Riefenstadt, zwischen der nvrdsichen Frledrichstraße und der Stadtbahn, dem Schifserbauerdamm und dem Neuen Tor, eine Stadt für sich mit der Physiognomie des Leidens! Di« Charitö. Hier erklingt mehr Seufzen und Stöhnen aus gepreßten Lippen al» in irgendeiner anderen Gegend Berlins Hier strömt dag Leid und der Schmerz der Millionen zusammen. Die düsterroten Gebäude erzählen von Krankheit, Kummer und Schmerzen, vielleicht auch von Verzweiflung und empörtem Auf» läumen:»Warum, warum muh gerade ich so leiden?!' Glücklich der Genesende, der das Tor aufatmend hinter sich schließt, nach vielleicht wochenlanger Schmerzens-haft beseligt wieder die Luft der Freiheit einfchlürfend. Köstlich und balsamisch dünkt sie ihm, wenn es auch nur die benzinduftende Staublust der Eroßstadtstrah« ist. So mancher aber oerläßt die Anstalt in einem schlichten schwarzen Wagen, und ein paar verlast«« Menschen gehen leise schluchzend hinterher. In den frühen Bormittagsstunden sind die Straßen um die Tharite belebt von den Scharen Leidgeplagter, die in den Polikliniken Heilung und Linderung ihrer Schmerzen suchen. Es gibt wohl kaum etwas Trostloseres als die Wartesäle dieser großen Polikliniken. Wie- viel menschliches Elend findet sich hier zusammen! Der blendendsten Frühlingssonne gelingt«s nicht, die graue Stirmnung von Nieder- geschlagenheit, Schmerz und nervöser Unrast zu echeltern. Dieselbe Stimmung liegt über dieser ganzen Klinikstadt. Jedes zweit« Hau « der Lüsten» und Karlstraß« trägt das Schild»Poliklinik'. Ueberall steigen geplagte Menschen finstere, abgetretene Treppenstufen empor, um dann stundenlang jn einem trüben Wartezimmer vor sich hin» zubrüten. Prioatklinik reiht sich an Prlvatklmik. Ueberall in diesen Häusern liegen Menschen in quälendem Fieber, stöhnen, stammeln irre Wort« im Nartoferausch, flehen Arzt und Schwester um Linde. rung an. Zergrübeln ihr Hirn mit der bangen Frage:»Was wird. wenn ich nicht wieder gesund werbe, wenn ich nicht wieder werde arbeiten können?' Nachts siegen sie schlaflos und sehnen inbrünstig den Morgen herbei. Draußen aber tanzt das Leben mit wildern Zucken feinen irrsinnigen Taumeltanz.___ Die Dnrchlegnng der Klosterstraße. Die Bezirkskörperschaften de» Bezirk» Mitte haben die vom Magistrat angeregte Durchlegung der Klosterstraße zu dem einstweilen überhaupt noch nicht bestehenden Rolandufer einstimmig abgelehnt. Auf dem jetzt brach» liegenden Gelände soll ein großes Geschäftshaus errichtet werden. Der Erwerb dieses Grundstückes aber zur gradlinigen Verlängerung der Klosterstraße bl» zur Spree wird zweifellos Millionen mark erfordern. 41 Schnock. Ein Roman von See und Sümpfea. von Svend Fleuron . (Aus dem Dänischen von Thyra Iakstein-Dohrenburg.) Der Rücken fächer wird entfaltet und hebt sich sacht empor... begierig folgen ihre Augen dem kleinen, behenden Burschen. Ein Blitzstrahl fagt den anderen in immer kürzeren Zwischenräumen. Schnock fühlt, wie die Spannung und Ekstase der Raub» gier über sie hereinbricht alles das, was dem Ergreifen der Beute unmittelbar vorangeht, und in dem zu vergehen sie unsäglich liebt. Sie beginnt, ihr holzstockähnliches Aussehen zu verändern und sich unmerklich um ihre Mittelachse zu iegen. Der kleine Dralle ist von der Motteniagd allzusehr ge- engenommen. Sorglos läßt er fein« Rückenflossen in einem lieblich seegrünen Farbton spielen, während sein silber» " immemder Bauch alle Farben des Regenbogens aus dem asser hervorzaubert. Noch einige Sekunden... und die Beute ist nahel fang liebli i er gelingen würde. Der Weiderich im Schilfholm hört da» Plätschern und da» Krachen der aufeinanderschlagenden Kiefer. So herzhaft wurden sie zugeklappt, daß es dem Bogel war. als vernehme er den hilflosen Seufzer des Opfers und die dankbare Zu» friedenheit des vielverheißenden kleinen Räubers. Ja, sie war die Wildkatze des Wassers durch Geschick­lichkeit und Schläue, durch tückische Ueberfälle erjagte sie sich ihre Deute. Selten vermochte sie ihrem Beutetier von vorn beizukomm-n. Der Kuckuck auch mochte nach den behenden Antilopen des See» laufen, wenn sie scheu und ruhelos die Ebenen der Tief« abgrasten; man hatte sie ja entdeckt, ehe sie herangekommen war und zum Sprung ausholen konnte. Ihre Iagdgründe waren unendlich reichhaltig; sie brauchte sich nicht anzustrengen, in Ruhe und Frieden konnte sie sich Falke einen Fehlgriff tun kann, so war auch sie dazu imstandel Dann ward sie verlegen wie jede» Raubtier; sie wieder» holte nicht den Sprung, sondern machte sich schleunigst aus dem Staube. Wenn aber die Beute in ihrem hundertzahnigen Maule zappelte und deren bebende Rückenflosse ihr um die Ohren Natschte, dann richtete sie sich langsam, mit einem eigentümlich zögernden Geniehen, au» ihrer gekrümmten Angriffsstellung auf. War sie hungrig, so verschlang sie ohne Umschweife ihren Fang. Sonst liebte sie e» wohl, wie die Katze mit dem Opfer zu spielen, mit ihm im Maule umherzuschwimmen, es ,u wenden und zu drehen, und stundenlang darauf herumzu. tauen, ehe sie sich entschließen tonnte, ihm zu Leib« zu gehen. Sie stopfte sich voll, sie fraß und von dem ewigen Fressen wurde sie groß. Wie die See aussah. ym Wiek , wo sie zwischen Röhricht und Schilf lebte, hatte ein Schwärm Barsch« seine Heimat. Sie waren etwa ebenso groß wie sie, aber viel dicker und älter. Namentlich ihr An» führer, nach dessen Maßnahmen die ganze Schar sich richtete. war ein breitbäuchiger, turmrückiger Bursche, der die Bedeu» tung der Berteidigungswaffe, die er in seiner starten, stachel» gespickten Rückenflosse besaß, wohl kannte. Er hatte die eigentümliche Fähigkeit, seine Farbe zu wechseln, so daß sie jederzeit mit der Beleuchtung im Wasser und auf dem Grunde im Einklang stand. Es gab Tage, da erschien er kupfergrün, sein Messingschimmer war verschwun» den: zu anderen Zeiten wieder ließ er die schwarzen Flammen» blitze an den Seiten wie die Streifen eines Zebrafelles hervor» treten, die dem Bauch den gelben Dollmondglanz des Herbstes oerliehen. Das deutete aus gut Wetter...da kam Leben in das Wasserl Ihnen allen gemeinsam aber waren die rauhen, aesähr» liehen Panzerschuppen, die ihre möhrenroten Flossen dicht um- schlössen und ebenso die runden, goldenen Augen mit der erdfarbenen Pupille; sie lagen wie auf Kissen und rollten außerhalb des Kopfes umher, wodurch die Fische nach oben wie nach unten sehen konnten. Die Barsche gaben als ausgeprägte Raubfische Schnock nichts nach, sie kamen ihr bei den Kleinfischen ins Gehege und störten oftmals ihre Jagd; hätte sie nur die Kraft, sie hätte schon längst auch unter ihnen reinen Tisch gemacht. Eines Abends, al» sie so hungrig war, daß sie alle» unter- schätzt», lauerte sie auf«ine Gelegenheit, um den dunkel- farbenen Anführer anzufallen: aber der Reißer, der sich in der Klemme wußte, setzte sich mit dem Kraftaufwand einer Bull» dogge zur Wehr. Das Blättchen schien sich eben zu seinen Gunsten zu wenden, als Schnock sich durch einen kühnen Lachs« 'prung hoch in die Lust seinen Blicken entzog. Seitdem chwammen sie immer in gebührlichem Abstand, sich gegen- eltig anschielend, aneinander vorüber; Schnock aber begriff ehr wohl, daß der gestreifte Herr ihr nicht gnädig ge- onnen war. Und je größer sie wurde, je mehr sie sich als der groß- mächtige Herrscher fühlte, der seine Zahnwaffen einzig und allein zu dem Zweck bekommen hat, um anderen den Garauer zu machen, desto größer wurde ganz instinktiv ihr Haß gegen den Turmrückigen. Sie waren ja in ihrer Veranlagung so gänzlich verschieden! Sie war sprühend, wild und rücksichtslos in ihren An- Ä ffche h griffen und gab sich Ihrem Fängerrausche hin, bis ihr fchwin- delte; sie trug ihre Haut zu Markte und warf sich in ohn- mächtigem Grimm ihrer Raublust in die Arme. Der schlaue Barsch irrte sich nur selten, war vielmehr auf der Hut und in seinem Benehmen immer kühl und beherrscht. Und doch war er zu jeder Zeit in ebenso hohem Grade wie sie zum Ueberfall bereit; aber er verstand es meisterhaft, die Gelegen- heit wahrzunehmen, damit der Streich gelänge. Häustg raste er auf sie zu, doch plötzlich hielt er inne und überlegte, um dann wie ein Hund sie zu beschnuppern. Eigentlich war sie aus dem Backsischalter noch nicht her- aus, schlotterig und ohne Mark und nicht rasch genug im Wenden. Es war ihr mit genauer Rot aufgegangen, wo die Großen ihres eigenen Geschlechts sich aufzuhalten pflegten und wo sie deshalb aus der Hut sein mußte; sonst war sie mit nennenswerten Erfahrungen nicht belastet. Als junges Tier war sie nie in den tiefen See gegangen. sondern hatte sich klüglich an das stille Wasser gehalten: an Gräben und den Ufermorast des Wieks, wo Ihre Kräfte im Bcrbältnis zu der Umgebung ausreichten, und wo sie instinktiv empfand, daß ihre großen Feinde hier auf Grund laufen müßten, wenn sie sie verfolgten. Hier fand sie Schutz zwischen Röhricht und Binsenstengeln. Aber draußen war etwas, etwas Großes und Starte», etwas ewig Unruhvolles und das zog. Sie unrernahm jetzt längere und immer längere Ausflüge, und eines Tages, als das Wasser besonders leicht und klar war. begab sie sich auf eine lange Reise von dem einen End« des Sees zum anderen.(Fortsetzung jolgt.)