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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Bolksblatt. Kr. ILO. Sonnabend, den 23. Mai 1893. 12. Jahrg. Deutscher Reichstag . S9. Sitzung vom 24. M a i 1S9E>, II II h r. Am Tische des Bundesraths: Graf Posadowsky, v. Bötticher. Der Abg. M ö l l e r-Dortmund(natl.) hat durch Schreiben om heutigen Tage sein Mandat niedergelegt. welches nach dem Antrage der Wahlprüfungs.- Kommission für ungiltig erklärt werden sollte. Auf der Tagesordnung steht zunächst die dritte Berathung der Novelle zum Branntweinsteuer-Gesetz. In der Generaldebatte erhält das Wort Abg. Graf Kunitz(k.): Man könnte das Bedenken haben. daß das Zuckersteuer- und Spiritusgesetz nicht geeignet seien. der darniederliegenden Landivirthschaft wirksame Hilfe zu ge- währen und daß die verbündeten Regierungen nicht alles gelhan haben, was sie thun konnten, um der Landivirthschaft aufzuhelfen. Diese Auffassung würde nicht unzutreffend sein; es unterliegt keinem Zweifel, daß ihre preis steigern de Wirkung eine ganz minimale sein wird, ihr Hauptvortheil liegt darin, daß sie einem weiteren Preisrückgang vorbeugen. Die Wirkung wird nur eine beschränkte sein; es giebt weile Distrikte, die an Zucker und Spiritus nicht betheiligt sind, und zwar nicht blos in Ost- preußen, sondern auch in großem Umfange in West- und Süd- deutschland. Für diese Gegenden ist also keine Hilfe gebracht. Man hat gesagt, daß sie dem Großgrundbesitz in höherem Maße zu gute kommen, als dem kleinen. Das ist richtig, und das ist ein Bedenken, welches mich bewegen könnte, gegen die Gesetze zu stimmen.(Hört, hört!) Ich konnte mir indessen nicht verhehlen, daß es sich nicht um laudwirthschaftliche Fragen allein hierbei handelt, sondern daß die Zuckerindustrie eine große Bedeutung für unseren nationalen Wohlstand hat, und wenn wir das Gesetz ablehnen, so schaden wir dem einen, ohne dem andern zu nützen. Dieser Gesichts- punkt allein veranlaßt mich, den Gesetzen zuzustimmen.(Beifall rechts.) Als wir in die Session eintraten, erklärte der Staats- sekretär Graf Posadowsky, daß man 30 Jahre zr.rückgehen müsse, um auf so niedrige Preise für laudwirth- schaftliche Produkte zu kommen, wie sie heute beständen, daß diese Preise für die Landivirthschaft geradezu ruinös seien, daß die Regierung ein Interesse an der Zufriedenheit des Bauern- standes habe und daß es eine arge Pflichtverletzung sein würde, wenn die Regierung sich nicht auf das allerernsteste mit der Frage beschästigen würde, wie dem landwirthschastlichcn Roth- stände innerhalb der vertragsmäßigen Grenzen abzuhelfen sein würde. Diese Ausführungen des Staatssekretärs erweckten da- mals die Hoffnung, daß die Maßregeln der verbündeten Regierungen sich nicht blos auf Spiritus und Zucker, sondern auch auf die Hebung der Getreidepreise erstrecken würden. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Anderenfalls würde ich jene Aeußerung gar nicht haben verstehen können.(Sehr wahr! rechts.) Der Staatssekretär muß solche Maßregeln auch inner- bald der vertragsmäßigen Grenzen für zulässig gehalten haben, sonst würde er nicht auf die ruinöse Wirkung der Getreidepreise hingewiesen haben. Wir haben einen Antrag eingebracht, von welchem man eine angemessene Steigerung der Getreidepreise wohl hätte erwarten können. Ich bedauere, daß die verbündeten Regierungen diesem Antrage gegenüber eine ablehnende Haltung eingenommen haben, ohne ihrerseits etwas besseres vorzuschlagen. (Beifall rechts.) Ob nun das Spiritussteuer- und das Zucker- sieuer. Gesetz zur Zufriedenheit des Bauernstandes beitragen wird, stelle ich dem Ermessen des Grafen Posadowsky anheim.(Zu- stimmung rechts.) Ich für meine Person fürchte das Gcgentheil. (Hört! hört! links.) Ich fürchte, daß die Verstimmung im Lande durch die abwartende Haltung der verbündeten Re- gierungen nur gesteigert werden wird(Sehr wahr! rechts), und ick fürchte, daß die sterilisirten Personen, von denen Staats- sikretär Graf Posadowsky gesprochen hat. die garnicht im stände seien, zu erkennen, was im Lande draußen vorgeht, sich auch in solchen Kreisen finden, die dem Staatssekretär recht nahe stehen. Da nun die Session hente oder morgen geschlossen wird, so frage ich: Warum haben die. verbündeten Regierungen sich bei diesen kleinen Mitteln nur aus Zucker und Spiritus beschränkt und nicht einmal ein Margarinegesetz vorgelegt?(Lebhaste Zustimmung rechts.) Warum nicht auch ein Börsengcsetz?(Erneuter Beisall rechts.) Ein Margarinegesetz würde gerade de» kleinen Leuten helfen.(Rufe im Zentrum: Zur Sache!) Wir haben ein Margarinegesetz ausgearbeitet und jetzt, wo es fertig ist, wird die Session geschlossen.(Hört! hört! rechts.) Bei Beginn der Session und dann wiederholt ist ein Börsengesetz versprochen worden.' Eine unliebsame Interpellation ist hintan gehalten worden. Nun aber gehen wir nach Hause, ohne daß man in der Börsenresorm auch nur einen Schritt gethan hat. Die verbündeten Regierungen üöerschätzen auch in diesen Punkten die vorhandenen Schwierigkeiten. Wir verlangen ja gar keinen ausführlichen Gesetzentwurf. Wenn uns Herr von Bötticher ein Blatt Papier gegeben hätte mit der Aufschrist:Entwurf eines Börsengesetzes", den Text hätte» wir schon selber hinein- geschrieben.(Stürmische Heiterkeit.) Wenn wir nach Hause gehen und nichts weiter mitbringen, als das Spiritus- und Zuckersteuer- Gesetz(Rufe links: Zur Sache!), dann gestehe ich offen, würde ich lieber mit ganz leeren Händen zurückkehren.(Sehr gut! links.) Mit Spiritus und Zucker wird die Roth der Zeil nicht geheilt.(Große Unruhe; erneute Rufe: Zur Sache!) Ich bin bei der Sache.(Zurufe links: Branntwein!) Ich möchte an die verbündeten Regie- rungen die dringende Bitte richten, bis zum Wiederbeginn unserer Sitzungen, also spätestens bis zum Herbst, entweder selbst ein wirksames Mittel zur Hebung der Gelreidepreise aussindig zu machen oder sich nuserem Antrag anzuschließen. Wir werden unseren Antrag, der jetzt schon genügend vorbereitet und mit dankenswerthem Fleiße geprüft ist, von neuem einbringen. Jeder Zeitverlust fordert hier neue Opfer, und das Vertrauen zur Re- giernng wird durch eine weitere Verschleppung der Sache nicht gehoben werden.(Lebhafter Beifall rechts.) Abg.Lieberman» V. Sounenberg(Reformp.): VondenAus- führungen des Vorredners unterschreibe ich vollkommen das Be- dauern, daß diese Tagung so ergebnißlos im Interesse des Mittelstandes verlaufen ist: Für die Landivirthschaft nichts Er­hebliches, kein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, kein Börsenreform-Gesetz, nichts für den Handwerkerstand! Die Gründe eines Theils meiner Freunde gegen die Vorlage sind schon dargelegt, die Minorität derselben stimmt trotzdem dafür; aber ohne Streichung des Artikels IIa hätten wir nicht dafür stimmen könne», denn nur durch diese Streichung wird die Gefahr der Begünstigung der Börsenspekulation einigermaßen beseitigt. Ganz zu verhindern, daß die jüdische Spekulation fast jedes neue Gesetz zu ihrem Vorthecl ausnützt, sind wir heute in Deutschland leider nicht mehr im stände. Darum kann ich auch die Verdienste der Herren Singer und Richter. die sie sich vorgestern um die Börse erworben haben, nicht über- mäßig hoch anschlagen. Wir können der Vorlage nicht unsere Zustimmung versagen; denn der Landwirthschaft wird immerhin dadurch etwas geholfen. Und nicht allein der Großgrundbesitz wird davon Vortheil haben, sondern gerade die kleinen Brenner; und deshalb stimmen wir dafür. Damit verzichten wir aber nicht aus eine gründliche Inangriffnahme einer Gesetzgebung, die der Landwirthschaft in allen ihren Theilen hilft. Diese Vorlage ist nur eine ganz kleine Abschlagszahlung. Abg. Meyer-Halle: In dieser ganzen langen Reichstags- session, die nun anscheinend ihrem Ende entgegengeht(Zwischen- ruf rechts: Warum?), habe ich nichts so Erquickendes und Erfrischendes gehört, wie die Worte des Grafen Kunitz(Sehr wahr! rechts) und habe dankbar in das Bravo eingestimmt, das ihm gezollt wurde. Ich habe gejubelt bei dieser Rede in der Empfindung, daß mit dieser Regierung endlich einmal in solchem Tone gesprochen wurde. Denn das verdient sie, namentlich von feiten der Freunde, die sie sich machen wollte und nicht zu machen verstanden hat. Wenn auf der rechten Seite des Hauses so über diese Regierung geurtheilt wird, so können Sie sich ein Bild davon machen, wie von unserer Seite über sie gedacht wird (Heiterkeit links), wenngleich uns nicht die machtvolle Rhetorik zu Gebote steht(Große Heiterkeit), die den Grafen Kunitz zu jeder Zeit ausgezeichnet hat. Auf den Zwischen- rufWarum" erwidere ich, daß, wenn es der Regierung gefiele. heute das Margarine- und das Börscngesetz einzubringen, wir auch am Platze sein werden.(Zustimmung links.) Wir sind es nicht, die durch Beschlußunfähigkeit(Unruhe rechts) die Arbeiten des Hauses gestört haben. Geben Sie nur die Zusicherung, daß Sie während der folgenden schönen drei Monate in derselben Voll- zähligkeit vorhanden sein werden, in der Sie jetzt gekommen sind, um den Lohn einzustreichen für das Opfer Ihres Abwartens, dann können wir den ganzen Sommer hindurch an der Margarine und an der Börsenreform arbeiten. Wir versprechen Ihnen, uns nicht von der Arbeit zu drücken. Graf Kanitz möchte fast gegen das Gesetz stimmen, um nicht in den Verdacht zu kommen, daß er dasselbe für genügend halte. Dieses Bedenken ist hinfällig; in d c n V e r d a ch t werden Sie niemals kommen, daß Sic irgendwie genug bekommen haben. Und wenn Sie das Margarinegesetz und den Antrag Kanitz und noch verschiedene andere Kleinigkeiten nebenher haben, dann werden Sie andere Dinge finden, nach denen Sie dann verlangen. Graf Kanitz wollte ferner das Gesetz verwerfen, weil es im wesentlichen dem Großgrundbesitz und nicht dem kleinen Bauernstand zu gute kommt. Dieses Bedenken kann ich dem Herrn Grafen Kanitz leider nicht ausreden, es wird auch von uns gehegt. Ich glaube mit ihm, daß die Unzufriedenheit in ländlichen' und bürgerlichen Kreisen durch diese Wohlthat, die Sie dem Großgrundbesitz widmen, nicht zu beschwichtigen sein wird. Wir stimmen gegen diese Vorlage mit einem lauten Nein! Denn es werden hier Steucrgesetze gemacht, die dem fiskalischen Interesse Eintrag thun und die Taschen der einen lediglich zu dem Zweck belasten, un> die Taschen der anderen zu füllen. Es handelt sich nicht um die Förderung der Volkswohlfahrt, nicht um die Unterstützung der Landwirthschaft. sondern um die B e- günstigung einzelner Kreise der Landwirth- s ch a s t, die zum großen Theile mit gewissen Gesellschaftsklassen zusammenfallen. Und Ihre Antwort darauf haben wir gehört. Noch lange nicht genug!" ist der Wahlspruch einer bekannten märkischen Familie, und diesen Ruf:Noch lange nicht genug!" haben Sie sich zum Feldgeschrei für ewige Zeiten gewähll. Wenn sich jemand als die Ausgabe des Staates vorstellt, Nothleidenden zu Hilfe zu kommen, dann sind die Sozialdemokraten die allein Konsequenten, denn die verlangen wenigstens, daß jedem in der gleichen Weise zu Hilfe gekommen wird; sie verlangen zwar etwas Unausführbares, aber was weuigstens de» Schein des Rationellen für sich hat. Der Schatzsekretär sagr: die Kresse, denen ich zu Hilfe kommen will, suche ich mir aus, und darüber lasse ich mir von keinem andern dreinreden. Den Nutzen, den dieses Gesetz einzelnen bringen wird, wird man wohl erkennen; den Schaden, den es ungezählten andern zusügt. denjenigen, denen es sortan verboten wird, ihre Kartoffel durch die Brennerei zu verwerthcn, werden wir in weniger scharfer Weise gewahren. Von den Acußerungen des Grasen Kamtz trennen mich manche Meinungsverschiedenheiten, aber in dem Schlußakkord stimme ich mit ihm überein. Die Zeit wird kommen. in der die Fehler der heutigen Wirthschastspolilik korrigirt werden; das ist das ewige Gesetz, das in der Geschichte herrscht. Die Zeit wird kommen, in welcher die ganze Politik seil dem Jahre 1879 korrigirt wird, aber es wird eine ernsthafte Kor- reklur sein. Daraus könne» Sie sich verlassen. Man hat nicht jeder Zeit Veranlassung, einzelne Fehler, welche von der Re- gieruug begangen werden, allzu tragisch zu nehmen; schon vor 250 Jahren hat der Kanzler Oxenstierna (Große Heiterkeit) gesagt:Du glaubst nicht mein Sohn, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird." Die Sparsanckeit in der Verwendung von Weisheit in Regicrungs- geschäften hat sich wie jeder Fortschritt im Laufe der Zeit ge- steigert, und ich glaube, wir sind jetzt aus dem Gipfelpuvkle an­gekommen, über den sterbliche Menschen für die nächste Zeit nicht werden hinausgehen könne»; aber ich fürchte, es wird die Zeit kommen, wo ein außerordentlich hohes Maß von Weisheit angewendet werden muß, um alle die Fehler wieder gut zu machen, die gegenwärtig begangen werde», und dabei wird es ernsthast in der Welt zugehen. Abg. Paaschc(natl.): Die Rede des Grafen Kanitz macht es uns, die mir stets schwere Bedenken gegen die Vorlage hatten, äußerst schwer, an ihr festzuhalte». Wir haben das Gesetz nicht etwa deshalb angenommen, weil wir in ihm einen besonderen Fortschritt der gerechten Besteuerung des Branntweins sehe», sondern weil von den Regierungsvertretcrn uns. wie wir glauben mit recht, gesagt worden ist, daß es sich darum handelt, ein Gesetz zu stände zu bringen, um der nothleidenden Land- wirthschast zu helfen.(Lachen links.) Wir glaubte» der Landwirthschaft einen wirklichen Dienst zu erweisen. Gras Kanitz sagte, wir würden den Bauernstand nicht zufrieden machen. Damit nehme» Sie uns ein großes Moment für das Gesetz. Trotzdem nieine ich, wenn auch nicht der ganzen Land- wirthschast, so doch einem großen Theile wird das Gesetz nützen, nicht blos den großen, sondern auch den mittleren Besitzern. (Sehr richtig! rechts.) Die ganzen Bestimmungen des Gesetzes gehe» darauf hinaus, �die gewerblich Stärkere» zu belasten, die Melassebrennereien einzuschränken, alles zum Nutzen der großen Brennereien. Wir haben die Rede des Grase» Kanitz mit lebhaftem Bedauern gehört; er meinte: nichts weiter als das elende Spiritus- und Zuckcrgesetz, und verwies auf seinen Antrag. Der Antrag Kanitz ist in der Kommission einer recht gründlichen Erörterung unterzogen. Man wird keinem den Vorwurf machen können, daß er die Verhandlungen derselben verschleppt oder verflacht habe: wir haben noch für morgen eine Sitzung an« gesetzt, weil der Reichstag ja noch nicht geschlossen ist.(Heiter- keit.) Sie sagen, Sie kämen wieder mit leeren Händen vor Ihre Wähler. Das beweist, daß Sie die ganze Sache nur agitatorisch verwerthen wollen.(Sehr richtig! links.) Wir wären gern bereit gewesen, noch wochenlang mit Ihnen zusammen zu arbeiten, aber gerade Ihre Bänke waren leer, Sie gerade haben die Ab- stimmungen unmöglich gemachr!(Schr richtig! links. Unruhe rechts.) Gras Kanitz hat Vorwürfe gegen die Regierung erhoben und der Abgeordnete Meyer hat miteingestimmt. Ich bedauere, daß das gerade von der rechten Seite des Hauses ge- schieht. Dieses Antasten der Autorität der Regierung seiner Majestät i Lachen und Lärm links), während Sie sich mit be- sonderem Tonfall rühmen, monarchisch und köuigstreu zu sein bis auf die Knochen, muß die Regierung seiner Majestät unter- graben.(Lachen links.) Gesetz zu stimme», aber Beschlüssen festhalten. Abg. Richter(frs. Rechten doch in Schutz redners agitatorisch zu Sie machen es uns schwer, für das wir werden dennoch an de» bisherigen Vp.): Ich muß die Herren auf der nehmen gegen den Vorwurf des Vor- sein. Wenn es sich um den Zucker handelt, dann ist der Abg. Paasche genau so agitatorisch, wie die Herren da drüben.(Heiterkeit links.) Die Erklärung des Grasen Kanitz, daß diese Novelle dem Bauernstand nicht das mindeste nützt, möchte ich doch festnageln, das haben wir auch immer be- hauptet. Er meinte ferner, gleichwohl werde er für das Gesetz stimmen, weil sonst einem Theil der Produzenten geschadet würde, ohne dem andern zu nützen. Das ist eine falsche Vor- stellung. Als ob die Regierung überhaupt einem Zu- Wendungen machen könnte, ohne sie aus den Taschen des anderen herauszunehmen. Sie sprechen immer von niedrigen Preisen. Inzwischen sind die Roggen- und Weizen- p r eise um mehr als 14 Mark g e st i e g e n, sie sind um 14 Mark höher, als sie beim Abschluß des russischen Handelsvertrages waren. Diese ganze Diskussion am Schlüsse der Session ist deshalb so überaus lehr- reich, weil sie beweist, daß die Agrarier niemals genug bekommen(Widerspruch rechts) und daß, wenn man ihnen den kleinen Finger durch einen solchen Gesetzentwurf bietet, sie auch nach der ganzen Hand verlangen, um ihr ganzes Programm zu verwirklichen; man sieht, wie der Appetit beim Essen sich steigert. Die Schuld daran ist der Regierung und den Mehrheitsparteie» zuzumessen. Die Parteien hätten den Antrag Kanitz gleich ab- lehnen müssen und ihn nicht dilatorisch behandeln sollen. Die Haltung der Regierung gegenüber den Forde- rungen der Agrarier in der Währungsfrage war schwächlich, dadurch sind sie nur herausgefordert worden und haben ihre Ansprüche noch gesteigert. Die Berufung auf Se. Majestät den Kaiser muß ich doch zurückweisen. Die Opposition rechts wie links hat die Pflicht, vorzutragen. was sie nach ihrer eigenen Ueberzeugung für das richtige hält. Hoffentlich werden Sie(rechts) uns nunmehr anders beurtheilen. wenn wir unsere Ueberzeugung vertrete». Ich begrüße es, daß die Rechte immer mehr Verstäudniß für eine parlamentarische Regierungsform bekundet.(Heiterkeit.) Sie haben der SHegierung ein Mißtrauensvotum gegeben, Sie haben am Schlüsse den Fürsten Hohenlohe, den neuen Reichs- kauzler ebenso ungünstig behandelt wie den alten, den Grafen Caprivi. Niemals habe ich eine Regierung ver- las,' euer gesehen wie diese. Wenn ich die Haltung der Regierimg betrachte, möchte ich das Dichterwort anwenden: Und die Mutter blicket stumm, an dein ganzen Tisch herum." (Große Heiterkeit.) Wir habe» keine Veranlassung, dem Miß- tranensvotum der Rechte» ein Vertrauensvotum für die Regie- rung entgegen zn setzen. Wir hoffen, daß endlich wieder ein Negieruilgssystem zur Geltung kommen wird, welches, frei von jedem Sonderinteresse, in der Wirthschastspolilik lediglich das Gemeinwohl auf ihr Banner schreibt.(Beifall links.) Abg. v. Mnntcnffel: Graf Kanitz hat hier durch­aus in U e b e r e i n st i m in u n g mit seinen gesammten Parteigenossen gesprochen.(Lebhafte Zustimmung rechts.) Wenn aber der Abg. Paasche dem Grafen Kanitz vor- geworfen hat, daß er eine agitatorische Rede gehalten und sich bestrebt habe, die Autorität der Regierung nach allen Richtungen anzutasten, so muß ich das auf das allerentschiedenste zurück- weisen.(Beisall rechts.) Graf Kanitz hat nur. und zwar mit vollem Recht, seinem Bedauern Ausdruck gegeben, daß mehrere in der Thronrede angekündigte Gesetzentwürfe nicht erledigt oder nicht vorgelegt worden sind. Als ich beim Etat auf das Börsenreform-Gesetz hinwies, rief uns der Staatssekretär des Innern zu: Das werden Sie bekommen. Wir haben es aber bisher nicht bekommen. Auch die Gewerbe- Ordnuugs-Novelle, die eben die Kommission verlassen hat, wird nicht im Reichstage zur Verhandlung kommen. Wir sind jeder Zeit bereit gewesen, uns an der Verhandlung dieser Materien, namentlich an dem Margarinegesetz, wenn auch nach Pfingsten, zu betheiligcn. Was die Besetzung des Reichstages betrifft, so wollen wir nicht ein Rechenexempel zu unfern Gunsten aufstellen. Als aber die Beschlußunfähigkeit des Reichstages konstatirt war, waren unsere Reihen mindestens ebenso gefüllt, wie die der Linken. Es ist auch in den liberalen Zeitungen verschwiegen worden, daß eine große Zahl von Mitgliedern der Rechten in diesen Tagen den Verhandlungen des Herrenhauses, namentlich der Währnngs- debatte, beiwohnen mußte. Es ist ein Mißverständniß, daß der Gras Kanitz behauptet hätte, die Spiritusvorlage nütze den kleinen und mittleren Grundbesitzern gar nicht.(Widerspruch links.) Er hat nur gesagt, im wesentlichen könne die Spiritusvorlag« den größeren Besitzern zu gute kommen. Ich meine, sie kommt auch den mittleren und noch viel mehr den kleinsten Grundbesitzern zu gute. Man spricht von der Unersättlichkeit der Agrarier. Nennen Sie mir aber eine einzige Industrie, die so unter der Steuerlast zu leiden hat wie die Spiritusindustrie.(Zustimmung rechts.) Ihre Stenern machen das hundertfache des Werthes ans. (Widerspruch.) Nun, ich will die Zahl nicht urgiren. Die Textil-, die Eisen- und die Kohlenindnstrie hat so viele Steuern nicht zu tragen, und wenn sie solche Scheerereicn mit den fiskalischen Beamten durchzumachen hätten, so würden sie sich bekreuzigen und segnen. Von einer Unersättlichkeit ist also nicht die Rede, wir wollen aber das haben, was wir brauchen, nm fortbestehe» zu können.(Beifall rechts.) Staatssekretär v. Bötticher: Zu meinem großen Bedanern habe ich die Rede des Grafen Kanitz nicht gehört. Aus den Worten des Vorredners entnehme ich. daß die Klagen des Grafen Kanitz sich in zwei oder drei Punkten auf mein Ressort bezogen. Niemand kann mehr beklagen wie ich, daß das Börsenresorm- Gesetz und das Gesetz zum Schutz der vaterländischen Butter nicht in dieser Tagung an das Haus gelangt sind. Es war die feste Absicht, das Börsengesetz noch in dieser Session zur Verabschiedung zu bringen. Aber ich kann nur wiederholen: auch dieses Gesetz hatseine Schicksale" gehabt, die unabhängig waren von dem Willen derjenigen, welche das Gesetz gefördert haben. Das Gesetz wird erst heute im Plenum des Bundesraths zur Berathung kommen, und daß dies so spät geschieht, liegt daran, daß der ursprünglich bestimmte Referent ans dem Bundes» rath abgerufen wurde und es nahezu sechs Wochen erforderte, bis der neue Referent sich mit der Materie vertraut machte. Also ein Vorwurf trifft uns und mich nicht, da ich zur Förderung dieser Materie alles gethan habe, was in meinen Kräften steht. Der Entwurf eines Margarinegesetzcs ist fertig gestellt; er geht in seinen einzelnen Bestimmungen nicht so weit wie der Entwurf aus dem Hause. Der Reichstag wird sich überzeugen, daß unser Entwurf eine Mittellinie innc- hält, die zu grinsten des Naturbutterhandels gezogen ist. Wir werden uns darüber leicht verständigen. Was die Gewerbe- ordnungs-Novclle anbelangt, so besiuden wir uns in einem Stadium der Geschäfte, daß der Reichstag, auch wenn er noch bis in den Juli hier bliebe, dieses Gesetz fchwerlich verabschieden könnte. Ueberhaupt wollen Sie es uns nicht verdenken, wenn wir den Schluß des Reichstages auf den Schluß diefer Woche zu legen beschlossen haben. Sie selbst haben sich ja in Ihrem Seuiorenkonvent auch schlüssig gemacht über die noch zu erledigenden Materien, die heute oder