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Üe. 242 42. Jahrgang

I. Seilage öes vorwärts

Sonntag, 24. Mai 1425

Das stürmisch bewegte Leben der Gegenwart zwingt die Be- wohner der sogenannten.zivilisierten Staaten", sich immer wieder mit neuen Problemen zu beschäftigen, und es sind nicht etwa nur rein wissenschaftlich« Fragen, die im Vordergrund der Diskussion stehen. Eine neu« Zeit verlangt nicht nur neues Denken, sondern auch neues Leben, und.neues Leben" heißt mit in erster Linie neues Wohnen. Die Mietskaserne als Typus ist überholt! Sie ist eng, lichllos, luftlos und unpraktisch, und selbst der unsozialste Kapitalist und Reaktionär muß einsehen, daß in ihr zu wohnen Qual und Strafe ist. Sieht er es nicht«in, so erlebt er eben gegen seinen Willen, daß in Zukunft anders, zumindest freier und be- quemer, gebaut werden wird. Die verkehrstechntstheu Stünde. Besonders das Gesicht der Großstadt wird in den nächsten Jahrzehnten manche Veränderung erfahren, denn hier sprechen l>uch sehr stark verkehrstechnische Gründe mit. Wir können un- möglich unser« Städte endlos in die Breite wachsen lassen. Gerade der Berliner weiß von den hemmenden Entfernungen manch Trauerlied zu singen. Bauen wir nun aber mehr in die chöh», muß natürlich auch sehr überlegt vorgegangen werden« denn in Amerika haben sich setzt verschiedene planlose Eilybildungen al» lleberbildungen erwiesen, da die verhältnismäßige Eng« der Der- kehrswege«in beängstigendes Gewirr und Stauen im Gesamtverkehr zur Folge hat. Man erwägt nun dort unter Vorausahnung un- geheurer Kosten eine völlige Aenderuag der Verkchrsverhällniss«. Straßen von mehreren Stockwerken übereinander, geeignet für Auto- und für Fußverkehr, ja sogar Straßen von Dach zu Vach oder vielmehr von Plattform zu Plattform werden vorgeschlagen. Aber trotz der rapiden Steigerung amerikanischer Verkehrsschwierig. keiten zwingt die Entwicklung des Weltverkehr» auch uns langsam und sicher in einen ähnlichen Weg der Entwicklung, wie Ihn Amerika bereits überschritten Hot. Aber gerode weil unsere Architekten am amerikanischen Beispiel viel lernen konnten, werden st« hoffentlich keiner gesundheitsschädlichen oder verkehrshindernden Bauart zum Opfer fallen. Im übrigen sorgen schon Verkehrs«, Bau» und Wohl- fahrtspolizei für eine Beschränkung der Bauhöhc. die bisher in der Normalstraße 22 Meter bis zum chouptgesims betragen durfte. Beim Bau von Hochhäusern ist stets individuelle Entscheidung not- wendig und üblich.

Sureauhaus oder Wohnhaus!

Das Bureauhaus ist für europäische Begriffe eine neuere Er- findung. Nachdem immer und immer wieder neue Bureaus unter- gebrocht werden sollten und wie es nun einmal das Wesen der kapitalistischen Geschäftsentwicklung oerlangt auch untergebracht werden mußten, verschwanden die Privatwohnungen mehr und mehr aus der Innenstadt. Jedoch ist in den Raumverhältnissen, die ja ursprünglich für Wohnungen bestimmt waren, ein Bureau nicht vorteilhaft unterzubringen. Man ging also dazu über, Tim- bauten für Vureaozwecke zu errichten. Hochhäuser brauchten vor dem Kriege trotzdem noch nicht gebaut zu werden, weil in dieser Zeit des Kapitalüberflusses bei den Bauherren große Wohnhäuser neu errichtet worden sind, wodurch.fortwährend Wohnungen in der

Bureaabaus von Borsig-Tegel.

Innenstadt für Geschäftsräume frei wurden. Heute wird man aber doch ollmählich zum Hochbau kommen weil es billiger istl Und aus diesem sehr gewichtigen Grunde scheim auch das tiochhaus al» Wohnhaus keine Utopie zu sein. Das Siedeln, das jeden zum eigenen Hauswirt und zum eigenen Gärtner macht, ist ein wunder- voller Gedanke, ober vielleicht wäre doch durch die Errichtung van Hochhäusern schneller und wirksamer, d. h. also mehr Menschen, ge- halfen. Die Bevölkerung steht diesen Plänen deshalb skeptisch gegenüber, weil die Vielfamilienhäuser besonders in den prole-

tarischen Gegenden zu häßlichen und ungesunden Mietskasernen wurden. Vermeidet man beim zehn- oder zwölsstöckigen Haus solche drangvoll fürchterliche Enge, errichtet man es architektonisch schön, läßt man Luft und Licht durch große Fenster reichlich Zutritt, sorgt man für den Einbau von Terrassen, Ballonen und Dachgärten, be- rücksichtigt man die Notwendigkeit mehrerer Fahrstühle dann wird es sich auch im Hochhaus gleichgültig ob mit oder ohne Kindern bequem und tatsächlich relativ billig wohnen lassen. wo gibt es Hochhäufe? I Berlin ist hochbauarm. Sehr typisch ist aber das von Professor Schmohl erbaute Lureaugebäude von Vorfig in Tegel . Veranlas­sung zu diesem Bau war außer Platzmangel der Wunsch nach Kon- zcntration der Betriebsführung. Das arkitektonifch sehr geschmack- voll ausgeführte Haus besteht aus neun Stockwerken und trägt unterm Dach außerdem noch einen großen Repräsentationssaal für Sitzungen, Feiern usw. Der in der Friedrichstraße geplante Bau ist vorläufig aufgegeben worden, und anzunehmen ist daher, daß die Errichtung des Hochhauses der Zunkers-Werke aus dem Tempel- hoser Felde schneller vonstatten gehen wird. Da dieses Haus dann inmitten der neuen Dorstadt auf dem Tempelhofer Feld sehr zentral gelegen sein wird, ist eine äußerst ästhetische Wirkung zu erwarten. In der Berliner Straße will dieGesellschaft der Bücherfreunde" ein Hochhaus bauen, ober von Wohnbauten in solch modernem Sachstil" ist bis jetzt leider noch nichts bekannt. Nicht klein ist die Zahl der Architekten, die bedauern, daß in den weitesten Kreisen der Bevölkerung die Ansicht Platz gegriffen hat, daß zwischen Wolkenkratzern und Siedlungshäuschen das einzige Mittelding die Mietskaserne sei. Was in dieser Art in den letzten Jahren in Deutschland sonst noch eirtstand. dient ebenfalls nur dem Geschäfts- leben. In Köln , Essen. Hamburg und Frankfurk wurde schon mancherlei geschaffen, am meisten aber in Düsseldorf , wo schon wchrere Hochhäuser zur Verschönerung des Stndtebildes beitragen. Ideal zu nennen ist dort das von Professor Kreis erbaute Wilhelm- Marx-Haos, das bei einer höhe von annähernd 60 Metern 13 Stock­werken Raum gibt. Es umfaßt über 30»00 Kubikmeter und über 10000 Quadratmeter Bureaufläche, 2000 Quadratmeter Läden und 3 Etagen Börfenräume mit Wandelhalle, Restauration usw. Die Gefamtkonftruktion ruht auf einer starken durchgehenden ar­mierten Betonplatte. Die aufgehende Konstruktion ist bis zur Turm- spitze in Eisenbeton ausgejührt. Die Ausmauerung der Geschosse ist zwischen die Eisenbetonkonsiruktion eingehängt, so daß jedes Stockwerk für sich getragen wird. Die künstlerische Bedeutung des Wilhelm-Marx-Hauses liegt vor allem darin, daß der Turmbau in der Mitte des Hindenburg-Walles diesen abschließt und da- Zentrum der Stadt in hervorragender Weise markiert. Vom Abend- Himmel stechen die scharfen Umrisse imponierend ab und geben dem ganzen Straßenzug einen machtvollen Halt. Die Masse der Fenster, die geschlossene Wucht der Fronten haben auch bei dem kleinen Stockwerksformot großen Zug. Wir haben«inen eigenen, neuen Stil für diese eigene, neue Zeit. Wir brauchen keinen Namen, auch nichtExpresstomsmus*. Die Wahrheit und Ehrlichkeit, welche aus der charaktervollen Bau- weise unserer Zell spricht, läßt einen noch nie dagewesenenSach- stil" zur Geltung kommen. Wer immer noch Schnörkel und Ver­brämungen benötigt, um das Gewand eines Bauwerkes erträglich zu finden, lebt nur mit halbgeöffneten Augen. Er richtet seinen Blick in überholte Romantik, verschließt ihn aber vor der Zukunft, die sich freier und kräftiger ausbaut. Ein Rathausturm war früher ein Ausdruck von Macht und Glanz, einen Zweck erfüllte er,-sieht man von Uhr und Feuerwächter ab, ebensowenig wie jeder Kirch- türm. Heute denken wir uns einen Rathausturm als ein Bureau- Hochhaus, dessen Höhe Ausdruck sei für die Emsigkeit der städttsHen Verwaltung. Arbeit und Schönheit in diesem Zeichen gehen wir besseren Zeiten entgegen, und das Hochhaus sei Symbol?

Die Auszahlung der Zunircnlen. Auf den Antrag des Ver- bandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter, den Pensionären und Ruhelohnempsängern der Stadt Verlin die Be- züge für Monat I u n i v o r d c m F e st zur Auszahlung zu bringen, hat das Tarifvertraasamt der Stadt Berlin Mitteilung gemacht, daß diesem Antrage Rechnung getragen werde.

SI

Schnock.

Ein Roman vou See und Sümpfe«. Don Svend Fleuron . (Aus dem Dänischen von Thyra Jakstein-Dohrenburg.)

Sie hängen ihnen in der Länge und in der Quere aus dem Maule heraus: kreischend und schreiend, einander ver- folgend, fliegen sie mit ihnen davon. Die armen Plötzen... sie waren so herrlich anzuschauen? Vom Rücken bis ganz über den Kopf und die Nase streckte sich das smaragdene Grün, und die Augenränder konnten, wenn sie blinkten, wie der Edelstein selber spielen und leuchten. Ihr glanzvoller Bauch war weiß wie der eines Schwanes, und von ihren gewölbten Seiten ging ein Schimmer aus, der funkelte und glänzte wie Eis und winterlicher Voll» mond. Aber sie waren nun einmal von der Hand des Schöpfers dazu auserkoren, anderen zur Nahrung zu gereichen. Ein Boot lag einige hundert Meter von hier entfernt vor Anker. Ein älterer Mann saß darinnen.... Es war ein Sonntagsfischer! Vom frühen Morgen an war er auf dem See. hatte einen herrlichen Tag verbracht, doch aber nicht das geringste ge- fangen. Was hatte das doch nur zu bedeuten? Jetzt lag er ausgestreckt auf dem Boden des Fahrzeuges und träumte.... Er war viel draußen auf dem See; der Drang seiner Bor'ahren nach dem freien Leben in der Natur brannte ihm im Blute. Wie man weiß, sind drei Generationen nötig, um einen Gentleman hervorzubringen. Aber das Dreifache war von- '-n. um aus einem Gcsch'echt wie dem seinen, das feil dem Morgen aller Zeiten sich draußen getummelt hatte, eine Ge- Iteration zu machen, die weder eine Büchse noch eine Angelrute anrühren mochte. In seiner Jugend war die Büchse sein erklärter Freund? Aber die Jagd stellt ihre großen Anforderungen an Beine und Muskeln und Herz. Wenn man nicht mehr im besten Mannes- alter ist, soll man sich hüten, allzu stürmisch der Frau Diana zu huldigen. In ihrem Gefolge es nützt nichts, das zu ver- fchleiern ist der Greis selten gern gesehen: seine Zeit ist vorbetl Dafür nimmt aber der alte Dater Neptun mit Freu-

den ihn in seinen nassen Armen auf und jagt die Fische in Spiel und Munterkeit um sein Boot. In späteren Jahren war denn auch die Angelrute des alten Holzdrechslers Freund und Freude geworden. Sommer auf Sommer unternahm er allwöchentlich den langen Weg von der Stadt mit der Eisenbahn und dann mit Wagen zum See. Er angelte auf gute, alnnodische Art, sprach wenig und war immer allein im Boot. Das Wetter ist heute als Angelwetter das schlechtest mög- liche, die Iulisonne brennt heiß und sendet ihre Strahlen tief in den See hinab. Der See schlummert, mit einem flaschengrünen Schein über den Tiefen und einem voiletten über dem Seegrunde: wo der Grund sandig ist, wechselt die Farbe und wird gelb. Weit drüben läßt ein Schwärm aufflatternder Wildenten schwache, sanfte Wellen entstehen... sie schimmern blau, so blau! 2)« Holzdrechsler, ein starker vierschrötiger Mann mit ? roßer, schwarzumränderter Brille auf der umfangreichen tase, ist in seinem gewöhnlichen Fischeranzug: einem alten Strohhut, mit Gummiband unter dem Kinn befesfigt, Hemds- ärmeln und ohne Kragen. An den Beinen trägt er ein Paar dicker, gelblichbrauner Hosen aus Englischleder und an den Füßen strohgefütterte, hölzerne Stiefel mit Filzschaft. Den ganzen Tag pflegt er auszuhalten und noch ist es lang bis zum Abend!' Jetzt in der schläfrigen Ruhe des Mittags streckt er sich lang und genießt den großartigen Frieden, der über dem See liegt. Das Ende seiner Schnüre hat er um das eine Handgelenk gewickelt: er wartet geduldig und wenn er allmählich, so gegen Abend, das Glück hätte, einen H�cht auf- zuziehen, so würde ihn das mit einer stillen, innigen Freude erfüllen. Da erwacht er mit einem Ruck: Er hört ein Brausen wie von fernen Dampferichrouben, die das Wasser zerreißen und zerspalten: er sieht, wie die Schwalben sich zu Scharen zusammenfinden und die Plötzen fortdauernd die Wasserfläche tellen, wenn sie hoch in die Lust springen. Er holt den Anker auf und rudert hinzu, bis er Platsch auf Platsch, von den gierigen Barschen ringsum herrührend, vernimmt da ist er auch schon inmitten des Strudels von Fischen. Bier Schnüre macht er klar, genug bekommt er zu schaffen mit dem Auswerfen und Aufziehen. Er muß den Hut und die Weste abwerfen und das Hosenbund aufknöpfen, so über» strömt ist er von Schweiß..,,

Schließlich hat er keipe Kraft mehr, ermattet sinkt er auf einer Ruderbank in sich zusammen. In weniger als zwanzig Minuten fängt er über fünfzig Barsche von einem bis zu drei Pfund das Stück: sie liegen in großen messingfarbenen Haufen im Boot. Da greift er zum Futtersack, holt die Flasche mit dem klaren Wasser hervor und führt sich einen guten Tropfen zu Gemüte... das pflegt er sonst jedesmal zu tun, wenn er einen Fisch von Bedeutung gefangen hat. Er trinkt das Wohl des Sees... des Sees mit den frischen Wellen und dem klaren, reinen Wasser... des Sees, der seine liebsten Erinnerungen birgt. Der P e r l f i s ch. Zwischen einnM wolkenschweren Himmel und aufge- wühlten See mühte der Wind sich im feinen Staubregen durch Röhricht und Schilf.... Schnock lag am Rande der Grundplantage auf der Lauer; sie hatte seit dem vergangenen Abend nicht eine Fisch- Mahlzeit in den Magen bekommen. Da platscht es vor ihr,«in breiter Fuß dringt schräg durch das Wasser«in und zwängt einen großen, dickenSchwimm­vogel" hinein. Kurz darauf blinkt es plötzlich auf: in wilder Eile jagt ein kleiner Flüchtling von einem Fisch, sich das Kielwasser des großen Schwimmvogels zunutze machend, von dem einen Schilfverstcck in das andere. Schnock hat allmählich so viele Plötzen und Weißfische in sich hineingestopft, daß sie ihr nahezu alltägliche Kost be- deuten... und sieh: hier schwimmt ein fremder Bissen. ein Fisch, dessen Fleisch rot und grün und schwarz und blau leuchtet und der große, glänzende Perlenaugen hat! In gebührlicher Entfernung folgt sie dem Leckerbissen. der wie kein anderer Fisch im Wasser umherschwimmt, unauf- hörlich um sich selber kreisend. Wie er sich aber auch anstrengt! Sie sieht, wie ein leuch- tender Sternenschein ihn' umgibt; seine feiste Schwanzflosse flimmerte wie eine lange Schleppe hinter ihm drein. Der Erscheinung vermag man nicht zu widerstehen... Greif zu, sagen ihre Augen... greis zu, dröhnt es aus ihrem leeren Magen. Es gelingt ihr nicht, den Perlfisch quer zu packen, wie sie zu tun pflegt, sie muß einen Anlauf nehmen und ihn in einem Hops von hinten herunterschlmgen. ...(Fortsetzung folgt.)