Sonntag
31. Mai 1925
Unterhaltung und Wissen
Pfingsten.
So ward der Geist verkündet: Das Wunder ging voraus, Die Flamme ward entzündet Und schlug im Sturmgebraus. Es rief in fremden Sprachen Beseligt ärmster Mann, Biel harte Ketten brachen Und neue Welt begann. Und wo der Geist gestaltet, Muk erst dies Wunder sein, Daß Liebe zeugend waltet Wie Frühlingssonnenschein. Nur das wird gufer Garten, Wo Gärtner einig find, Beherzt im rauhen Warten Auf Flamme und auf Wind. Der Geist ist ausgegoffen Und strömt zu Weg und Tat, Wir wirken treu, Genossen, Lebendiger Bölferjaat. Es soll ein Pfingsten werden, Wir läutens jubelnd ein: All Arbeitsvoll auf Erden Soll Bund von Brüdern fein. Ans Wert in deutschen Landen, Wer Geist und Liebe wahrt, Sie find im Sturm erstanden Und gehn auf Flammenfahrt. Das ist das rechte Lieben, Was treu det Heimat lebt Und weit vom Geiff getrieben Um Erde Hoffen webt.
Laßt Rausch der Fahnen schlagen Aus freuer Kämpferhand! Frisch auf an frohes Wagen Um Bolt und freies Land! Hat Herz zu Herz gefunden, So jei der Sturm entfacht, Es flammt aus Feierffunden Der heilige Geist der Wacht.
Franz Rothenfelder
Caillaux.
Ein Lebensbild von Walter Hafenelever.
Unter den Männern, die Frankreich augenblicklich regieren, er regt Jofeph Caillaug auch im Auslande die größte Aufmert. famfeit. Selten war die politische Baufbahn eines Staatsmannes unferer Beit so bewegt, wie die des jeßt 62jährigen Finanzministers im Rabinett Bainlepé, das Don bösen 3umgen das Rabinett Caillaur" genannt wird. Nicht nur der Historifer, auch der Dramatifer wird pon ben wechselnden Ereignisfen im Leben diefes Mannes berührt, der in allen Situationen persönlichen Mut und große Willensstärke gezeigt hat.
Beilage des Vorwärts
Brotwucher
Verfassungsänderung
7
Schutzzölle
Aufwertungsschwindel
Alles, nur kein heiliger Geist!
Ein Gewattmensch voll Ehrgeiz und Fanatismus. Sch hörte feine erste öffentliche Rede nach der Amnestierung in Paris . Ein gewaltiger fahler Schädel, der in der Erregung frebsrot wird, mit bem englisch gestußten Schnurbart und dem unvermeiblichen Monnisters an feine Gattin. Die fenfationshungrige Meute auf den
ofel im Auge. Seine Stimme, die in der langen Berbannung etwas von ihrer Schärfe eingebüßt hat, fnarrt wie die eines Generals. Et fönnte Chef der Kolonialtruppen fein.
Eine gewiffe Aehnliditeit mit Mussolini ist unverfennbar. Benn Plutarch heute lebte, würde er vielleicht in einem Bergleich diese beiden Männer nebeneinanderstellen, beren Ende ebenso ungewiß ist, wie ihr Aufstieg ungewöhnlich war. Auch das Gesicht des fran zösischen Finanzdiftators hat etwas von dieser Brutalität, die viel leicht die Bürgschaft des politischen Erfolges ist. Was er wirklich denkt und will, weiß fein Mensch. Er fönnte, wie jener römische Raiser, zu seinen Feinden sagen, die immer noch zahlreicher als feine Freunde find: Sie mögen mich haffen, wenn sie mich nur fürchten."
Er mind am 30. März 1863 in Le Mans geboren. Wie fein Vater, der ihm als Senator und Finanzminifter dorangegangen ist, widmet er sich der politischen Karriere. Er promoviert als Jurist und sird nach zehnjähriger Tätigkeit in der Finanzinspektion 1898 b. geordneter von Mamers, wo er über den royalistischen Kandidaten fiegt. In der Rammer tritt er fofort in die Rommissionen ein. Seine Berichte fallen auf. Ein Jahr später ift er, Finanzminister unter Walded- Rouffeau. Mit 36 Jahren! Sein Aufstieg beginnt.
Beitgehende Reformen, die ihm den Haß der Ronservativen zu ziehen, werden von ihm durchgeführt. Seine ungewöhnliche finanztechnische Begabung sichert ihm wachsenden Erfolg. Er saniert die Finanzen des Landes. Unter der Regierung von Clemanceau wird er zum zweiten Male Finanzminister. 1911 Ministerpräfident.
Krieg oder Frieden?
Auf der Höhe seimer Macht der erste Schidfalsschlag. Die Maraftofrife wird atut. Der heutige Senatspräsident, damalige Minister des Aeußeren De Selves bringt die Nachricht von der Ent fendung eines deutschen Kriegsschiffes nach Agadir . De Selves verlangt die sofortige Entsendung eines französischen Kriegsschiffes.
Das bedeutet Rrieg.
Der Ministerpräsident schwankt. Die ungeheure Berantwortung des Blutvergießens laftet auf ihm. Frankreichs öffentliche Meinung verlangt Gegenmaßregeln., Ist ein Ausgleich auf friedlichem Wege möglich? Caillaug entschließt sich zu diesem zweiten: Die mili
tärische Aktion unterbleibt.
Die Verhandlungen mit Berlin gelangen zu einem Abschluß. Unter der Regierung Caillaug wird am 4. November 1911 ein Abtommen unterzeichnet, durch das Deutschland fich gegen einen folo nialen Austausch an Marotto desinteressiert erklärt. Der Friebe ift gerettet. De Selves nimmt seinen Abschied.
Die franzöfifchen Nationalisten haben Caillaur diese friedliche Haltung als Deutschfreundlichkeit ausgelegt und nie verziehen. Ein Teil der späteren hege, die durch die Einkommensteuer noch verschärft wurde, ist so zu erklären. Caillaug mußte fallen.
Die Tragödic.
Da man ihn im öffentlichen Leben nicht treffen fonnte, griff in fein persönliches ein. Am 13. März 1914, als Caillaug
wiederum Finanzminister ist, beginnt ber Direktor einer franzö fifchen Zeitung mit dem Abbrud intimer Liebesbriefe des MiBoulevards stürzt sich jeden Morgen auf das Privatleben eines Wehrlosen, den fein Richter in Frankreich vor dieser Schurterei in Fortsetzungen schüßen tann. Jeder Brief wird höhnisch gloffiert, jede Zärtlichkeit beschmußt, das Geheimnis zweier Menschen scham los preisgegeben.
Die Frau des Ministers, von dieser täglichen Folter verstört, ift der Berzweiflung nahe. Für sie gibt es nur einen Weg. Frau Cail laug geht hin und erschießt den Direktor der Zeitung.
Der Minister findet seine Frau auf dem Polizeirevier. Er preßt sie an sich. Arme Frau, was haft du getan!" Bor den Geschworenen sehen sie sich wieder. Mit erhobener Stimme erklärt Caillaug, sich nie von feiner Frau trennen zu wollen. Er hat Wort gehalten:
Der Prozeß endet mit dem Freispruch der Angeklagten. Das leidenschaftliche Interesse, das die Deffentlichkeit an dieser Angelegen heit nahm, wird von einer viel blutigeren Tat abgelenkt. Das große Morden beginnt
Der Hochverräter.
Als Frau Caillaur das Gefängnis verläßt, hat man Jaurès umgebracht. Der Haß der Chauvinisten verfolgt auch den ehemaligen Minister. In Vichy versucht die aufgehegte Menge das Paar zu Innchen. In Italien , wo sie vor den Berfolgungen Schuß fuchen, denunziert ihn der französische Botschafter in Rom , Barrère, der Pariser Polizei. Die Spigel arbeiten. Man findet in den Stahlfammern einer Florentiner Bant eine Mappe mit geheimen Aufzeichnungen. Handelt es sich um einen Staatsstreich, durch den der Verräter Frankreich an Deutschland ausliefern wollte?
Bapiere, von der Bolizei gefunden, find geduldig. Im November 1917 folgt Clemenceau auf die Regierung Painlevé . Er verlangt und erhält von der Kammer die Aufhebung der Immunität feines ehemaligen Mitarbeiters, der immer noch als Abgeordneter von Mamers im Palais Bourbon fißt. 396 Abgeordnete ſtimmen dafür. Drei Wochen später wird Caillaur verhaftet.
Man feßt ihn in eine Belle unter ständige Bewachung. Es ist das Gefängnis, in dem die zum Tode Berurteilten ihre Hinrichtung erwarten. Ich werde nie den Blick vergessen", schreibt er,„ mit dem einer von diesen armen Teufeln die Menschen und die Dinge betrachtete und auf ein fleines Fledchen Himmel starrte, das er durch seine Lute sehen konnte."
Neun Monate schwebt der Gefangene, der einmal höchster Beamter des Staates war, zwischen Leben und Tod. Endlich werden die Aften geschlossen. Er erscheint vor dem Senat als oberstem Gerichtshof. Die Anflage lautet auf Berschwörung mit dem Feinde und Anschlag gegen die Sicherheit des Staates. Er wird zwar von der Antlage des Hochperrates freigesprochen, aber wegen„ Einverständnis mit dem Feinde" zu drei Jahren Gefängnis wegen„ Einverständnis mit dem Feinde" zu drei Jahren Gefängnis mit Strafaufschub, fünf Jahren Verbannung aus Paris und zehn Jahren Berlust der bürgerlichen Rechte verurteilt. Caillaug geht in die Berbannung zu feinen treugebliebenen Wählern nach Mamers . Für die Deffentlichkeit ist er ein toter Mann.
Und jetzt?
W
Bor demfelben Senat, der ihn vor fieben Jahren verurteilte, steht Caillaur heute wieder als Finanzminister. Es tönnte leicht geschehen, daß die damaligen Richter zu Angeklagten werden. Borläufig aber müssen die zerrütteten Finanzen des Staates in Ordnung gebracht werden, eine Aufgabe, in der Caillaug einige llebung hat. Aber diese Aufgabe ist nicht die einzige. Wer die Augen diefes Mannes gesehen hat, weiß, daß er nicht vergessen fann...
As die Regierung Herriot ihn amnestierte, ahnte Caillaug, feine Stunde würde tommen. Man erzählt, daß er seit einem Jahre in Mamers mit eiserner Energie seine Nerven disziplinierte. Aus dem früheren Choleriker ist ein fühler, selbstbeherrschter Redner geworden. Seine Stunde ist da.
Fremde Gäste in unseren Gärten.
Bon Karl Meitner 5edert.
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Der berühmte Botaniter Kraus fagte einmal auf einer Natur. forscherversammlung, daß es erschreckend leer in unseren Haus- und Biergärten aussehen würde, wenn ein Zauber plöglich alles ent führte, was uns so traulich als einheimische" Pflanzen umgibt und was in Wirklichkeit fremder Gast in unseren Gärten ist. Auf dem Blumentisch im Hause, auf den Beeten der Gärten, auf den Schmuckplägen in den Straßen überall begegnet man unter den Blumen fremden Gäften. Die meisten stammen aus Afien und Amerika . Die Einfuhr ausländischer Pflanzen begann schon mit dem Zeitalter der Renaissance. Damals enthielt der Baumgarten" außer den aus dem Freien in den Garten gelangten Veilchen, Fingerhüten, Malven und Kornblumen teine Blume. Flieder, Rosmarin, Levkoie, Jasmin, Schneeball, Lavendel, dann Küchengewächse, wie Kürbisse, Gurken usw., die man so gern als„ ferndeutsch" bezeichnet, sind Kinder der Auslandsflora, aus der Zeit der Entdeckung Ameritas rührt der Import der fälschlich als indisch" bezeichneten Pflanzenarten her. Der indische Zucker( 3uckerrohr) fand damals den Weg über den Ozean, und manche amerikanische Pflanze wurde auf dem Uebersiedlungsweg nach dem Lande ihres Transportes um. getauft, 3. B. spanische" Kresse, spanischer" Pfeffer usw.
Mit der Erweiterung der Seeforschung begann eine neue Beriode: in Europa wurden orientalische Pflanzenarten eingeführt, und zwar meist aus Ostindien und China Hyazinthen, Narzissen, Raiserfronen, Tulpen, lauter farbenprächtige Blumen, die die einheimischen Blumen in den Hintergrund drängten.
Nach wissenschaftlicher Feststellung wurden anfangs des 17. Jahr. hunderts neue Pflanzen über Frankreich aus Kanada eingeführt. Wilder Wein, Osterakazie, Himbeeren, Nachtkerzen wurden ehemalig in Europa gezogen. Als die Holländer Südafrika kolonisierten, brachten sie uns die„ Kap- Pflanzen“: Geranien, Erita, Belargonie, Aloe usw. Neuholland lieferte auch für Südeuropa jene Pflanzen, die wir heute jenseits der Alpen als„ tropische" bezeichnen: Palmen, Agaven, Aloe, Eukalyptus, Aracee und verschiedene andere. Eigen artig flingt es, daß diese Tropenpflanzen", die in der Tertiärzeit Bewohner Europas waren, heute als Fremdlinge anzusprechen sind. Nach fremden Pflanzen herrscht in Fachkreisen eine enorme Nachfrage. Das Interesse für Blumenzucht ist allgemein geworden, und es mag genügen, wenn man statistisch anführt, daß England zirka 1500 Arten wildwachsende einheimische höhere Pflanzen fennt. dagegen mehr als 32 000 fremde, die eingeführt wurden.