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Abendausgabe

Nr. 260 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 127

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Pfennig

Donnerstag

4. Juni 1925

Betlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2502

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Gärung in China .

61 Tote in Shanghai. - Kundgebungen in Peking .

London , 4. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Der Streit in Shanghai nimmt an Ausdehnung zu. Bisher find 21 Streifende getötet worden, 65 wurden verwundet. Die Aufständigen sind in die West­vorstadt zurückgedrängt worden, wo der Hauptherd der Unruhen sich befindet.

London , 4. Juni. ( TU) Aus Shanghai wird gemeldet: In den Außenbezirken der Stadt find zahlreiche Ausländer von Chinesen mißhandelt worden, jedoch sind hier teine Todes­fälle vorgekommen. Die Streifunruhen haben bis jetzt 61 Tofe und mehrere hundert Berlehte gefordert. In der Umgegend von Kanton werden bedeutende Truppenzufammenziehungen vorge. nommen. Es wird ein terroristischer Handstreich befürchtet.

Auch in Peking fam es zu großen Kundgebungen gegen die Ausländer.

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Die Unruhen in Shanghai sind nur ein Abschnitt aus dem ungeheuren Gärungsprozeß, den die Bölker Afiens seit Kriegsende durchmachen. Eine seltsame Mischung Don erwachendem Nationalgefühl und Klassen= bewußtsein. Unter Führung einer kleinen Schicht von Intellektuellen, den sogenannten Studenten, die auf die große, leidende, aber im Gegensatz zur japanischen Arbeiterflaffe fulturell sehr rückständige Masse einen ungeheuren Einfluß besigen, versucht das chinesische Proletariat das Joch seiner fapitalistischen Ausbeutung abzuschütteln. Diese Ausbeuter­find aber in erster Linie ausländische Unternehmer, die, ob­jektiv gesehen, einen wesentlichen Anteil an der wirtschaft­lichen und kulturellen Hebung des Fernen Often bean­spruchen können. Sie besigen daher nach der europäisch­fapitalistischen Auffassung gewissermaßen ,, wohlerworbene Rechte", auf die sie nicht leichten Herzens verzichten werden. Bielmehr dürften sie um so mehr auf die Unterstützung ihrer Regierungen rechnen können, als ja nach dem Boreraufstand China fich verpflichten mußte, den Ausländern bestimmte Rechte zu gewähren. Ebenso wie in Peking und in anderen großen chinesischen Städten gibt es in Schanghai gewiffe Biertel, die für die englische, die amerikanische, die französische, die japanische und die sonstigen Fremden­folonien reserviert sind, und es ist den Mächten ausdrücklich gestattet, im Falle der Bedrohung ihrer Staatsangehörigen eigene Schuhmaßnahmen zu ergreifen.

Das ist ein Zustand, der naturgemäß mit der Zeit, und je mehr das chinesische Bolt in feinem Nationalbewußtsein erwacht, unhaltbar wird. Andererseits bleibt die Frage. offen, ob man den Schutz der Fremden schon jetzt den chinesischen Behörden vorbehaltlos anvertrauen kann. Nach den Ereignissen des letzten Jahres, die sich als ein Gemisch von Bürgerkrieg und Räuberunwesen darstellen, läßt sich diese Frage faum bejahen. Ebensowenig läßt sich eine Lösung des Problems in der Form empfehlen, daß die ausländischen Unternehmer, Kaufleute usw. einfach Hals über Kopf das Feld räumen.

Was hingegen gefordert werden muß, das ist, daß der fchrantenlosen Ausbeutung der chinesischen Pro­letarier durch ausländische Unternehmer ein Riegel vor geschoben werde, denn die Streifs, die jetzt in Schanghai zu so schweren Unruhen geführt haben, sind in erster Linie ein Ausdruck des Klaffenkampfes. Die fremden Mächte werden gut daran tun, die Konsequenz aus dieser Erkenntnis zu ziehen, d. h. für menschenwürdigere Verhältnisse zu sorgen, sonst würde ihnen diese Bewegung sehr bald über den Kopf wachsen und, anstatt des notwendigen allmählichen Abbaues der ausländischen Vorrechte würde eine un­geheure Entladung der fremdenfeindlichen Leiden­schaften erfolgen, die Tausenden von Europäern und Ameri­fanern das Leben fosten würde. Einer gewaltsamen Aus­einandersetzung mit dem chinesischen Volke, das mehrere hundert Millionen Menschen zählt, ist Europa nicht gewachsen. Das Zeitalter des schrankenlos ausbeutenden Imperalismus ist für die weiße Rasse vorüber. Je länger man sich in London und Washington dieser Erkenntnis verschließt, desto mehr werden die tonfusen, aber gefährlichen national bolichemistischen Theorien unter den Bölfern Asiens - nicht allein unter den Chinesen an Anziehungs­fraft gewinnen.

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Ernste Sorgen in London und Tokio . London , 4. Juni. ( WTB.) Die Aufmerksamkeit der Blätter fonzentriert sich heute auf die Vorgänge in China .

Daily Telegraph " meldet aus Totio, die Lage in Schanghai merde dort mit ernster Sorge betrachtet. Man betone, daß die Stellung der Studenten in China mit der im Westen nicht zu vergleichen sei. In China hätten sie einen ungeheuren Ein­fluß in allen politischen Zentren und bildeten eine wirkliche Macht. Seit vielen Monaten sei unter den Studenten die Doktrin China den Chinesen in erneuter Auflage verbreitet worden und die Feind feligkeit gegenüber jeder Art Einmischung, besonders Eng lands und Japans , jei deutlicher geworden. Man glaube in Japan , daß die direkten Folgen des Ausbruchs von Schanghai schnell vorbeigehen könnten, daß aber die Niederschießung von Studenten in ganz China nachdrücklich ausgebeutet werden werde und daß die Lage große Borsicht erfordere.

In einem Leitartikel warnt, Daily Telegraph " die Mächte da Dor, gegenüber der Lage in China auch nur die geringste Schwäche zu zeigen. Die Wiederherstellung der Ordnung und die Aufrechterhaltung der Gejeze müsse entsprechend den Bestimmungen

der Berträge unbedingt durchgeführt werden. Das Blatt fordert zum Schluß die Einberufung einer Konferenz nach Wiederher­stellung der Ordnung, um die Lage in China wieder zu klären.

Times" sagt im Leitartikel über die Lage in China , es ge­reiche den Staatsmännern der nächstinteressierten Mächte nicht 3ur Ehre, daß sie in der Bergangenheit feine Einigkeit gewahtt haben, die gegenüber China so wesentlich sei. Der diplomatische Be­richterstatter des Daily Telegraph " hebt hervor, daß Japan den Bertrag mit Sowjetrußland nur abschloß, weil es eine Isolierung fürchtete und hoffte, daß die englische und amerikanische Diplomatie die Gelegenheit benußen würde, wenn die Agenten Mostaus Unruhen gegen die Ausländer in China schürten, um Freundschaft und Solidarität mit Japan wiederherzustellen.

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Schanghal, der Mittelpunkt des Aufstandes in China .

Paris , 4. Juni. ( WTB.) Nach einer Meldung aus Schanghai ist der Panzerfreuzer Jules Ferry " vor Schanghai ange. kommen. Er hat alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, um die französischen Staatsangehörigen aufnehmen zu können, falls die fremdenfeindliche Bewegung in China weiteren Umfang annehmen sollte.

Ministerium Poullet?

Das Stillgeld muß bleiben!

Zur geplanten Neuregelung der Wochenhilfe. Bon Dr. med. Alfred Korach.

Am Montag, den 8. Juni, findet in der neuen Aula der Universität eine Rundgebung gegen den vorliegenden Gefeßentwurf über die Wochenhilfe statt, durch den das Stillgeld in seiner bisherigen Form be jeitigt werden soll. Die Einladung zu der Beranstaltung ist unterzeichnet vom Deutschen Städtetag, dem Aerzicver­einsbund, dem Verband der Aerzte Deutschlands , ferner vom Aerztlichen Kommunalbeamtenverein, vom Verein für öffentliche Gesundheitspflege, von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, dem Roten Kreuz, der Vereinigung für Säuglings- und Kleinkinderschutz, dem Bund deutscher Aerztinnen, der Kommunalen Vereinigung für Gesund­heitsfürsorge im rheinisch- westfälischen Industriegebiet, so­wie der Vereinigung deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte. Fast alle sachverständigen Bereinigungen protestieren also gegen den Gesezentwurf, in dem mon direkt eine Gefahr für die Säuglingsfürsorge erblickt. Genosse Dr. Korach begründet im folgenden die Bedenlen, die gegen den Entwurf zu erheben sind. Im Reichsarbeitsblatt ist unlängst der Entwurfeines Gesezes über Wochenhilfe veröffentlicht worden, der zurzeit dem Reichsrat zur Beratung vorliegt.

Nach den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen wird während zweier Wochen vor der Geburt und sechs Wochen nachher ein Wochengeld gewährt, ferner ein einmaliger Ent­bindungskostenzuschuß in Höhe von 25 M. und Stillgeld auf 12 Wochen. Nach dem neuen Entwurfe sollen weibliche Ver­sicherte ärztliche Behandlung als Wochenhilfe erhalten, falls solche bei der Entbindung erforderlich wird; im Falle der Entbindung einen einmaligen Betrag in Höhe von 80 M.; schließlich ein Wochengeld in Höhe von drei Viertel des Kranken­geldes für vier Wochen und 6 Wochen unmittelbar nach der Niederkunft. Ein Krankengeld soll neben dem Wochengeld für die Zeit der Entbindung nicht gewährt werden. Der Entwurf enthält dann noch einige, Rann"-Bestimmungen. Die Kran fentasjensagung soll die Dauer des Wochengeldbezuges bts auf 13 Wochen erweitern und auch das Wochengeld bis auf drei Biertel des Grundlohnes erhöhen fönnen. Die Kranten­tassen sollen auch das Recht erhalten, in ihre Sagung eine Bestimmung einzuführen, nach der bei der Entbindung und bei Schwangerschaftsbeschwerden freie Hebammenhilfe und freie Arznei gewährt werden.

Alle diese Bestimmungen hören sich schön und wohltuend an. Das Wichtigste an dem Gesezentwurf ist aber das, was in ihm nicht enthalten ist. Das Reichsarbeitsministerium glaubt gut zutun, im Handumdrehen das Stillgeld zu beseitigen. Warum? Die Begründung, die dem Gesetz­entwurf beigefügt ist, gibt darüber Auskunft. Man sagt da, für das Versicherungswagnis sei der Unterschied im Geschlecht und Familienstand ebenso bedeutungsvoll wie auch der Unter­schied in der Fruchtbarkeit der städtischen und ländlichen Be­völkerung. Die Belastungen der Kaffen wichen bezüglich der Leistungen der Wochenhilfe erheblich voneinander ab, deshalb sei ein Lastenausgleich dringend notwendig, bei der gegen wärtigen Gliederung in den Leistungen der Wochenhilfe ist ein einfaches Rostenausgleichsverfahren aber nicht durchführbar. Man' spricht in der Begründung von unfrucht­barer Verwaltungsarbeit"; also hinweg mit dem Stillgeld. 3war bildet es nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums sprechende Ernährung der Wöchnerin"; aber die Form der Leistungsgewährung des Stillgeldes ist mit versicherungsrecht­lichen Grundsägen schwer vereinbar".

Die Entscheidung der Sozialisten steht noch ans. Brüssel, 4. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Der ehemalige Kultusminister Poullet hat gestern nachmittag den Auftrag zur Kabinettsbildung angenommen. Er wird verfuchen, ein Mini­sterium zu bilden, das seine erste Pflicht in der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Haushalts erblickt und dessen Programm eine Reihe demokratischer Reformen enthalten wird, für die eine starte mehrheit im Parlament erwartet werden kann. Poullet beab­fichtigt fein Kabinett aus Perfönlichkeiten aller drei Parteien, also auch der sozialistischen, zusammenzusetzen. Die endgültige Entschei­dung der Sozialisten über eine eventuelle Teilnahme an der Regie­rung wird nicht vor Sonntag fallen, da erst am Sonnabend der parteitag, 3ujammentritt. Vandervelde und Wauters haben am Dienstag im Generalrat der Partei erklärt, nicht ohne Zu- ,, wirtschaftlich einen Beitrag zu den Kosten für die zweckent­fimmung der 3 weidrittelmehrheit des Kongresses von dem früheren Kongreßbeschluß zugunsten einer demokratischen Regierung unter sozialistischer Führung abweichen zu wollen.

Überreichung der Entwaffnungsnote. Erklärung des Reichskanzlers an die Ententevertreter. Amtlich wird mitgeteilt:

Die Botschafter Englands, Frankreis, Italiens und Japans sowie der belgische Gesandte haben heute mittag dem Reichst angler die Rollettivno te übergeben, in der die alliierten Regierungen der Reichsregierung die Maßnah­men mitteilen, von denen sie die Räumung der nördlichen Rheinlandzone abhängig machen.

Der englische Botschafter erklärte hierbei: Ent­sprechend dem am 5. und 26. Januar befolgten Verfahren habe ich die Ehre, Gurer Exzellenz im Namen meiner Kollegen und im eigenen Namen eine gemeinsame Note unserer Regie­rungen über die Voraussetzungen der Räumung der Kölner Bone auszuhändigen."

Der Reichstanzler nahm die Note mit folgender Antwort entgegen: Seit der Uebergabe der alliierten Noten om 5. und 26. Januar, auf die Euer Exzellenz soeben Bezug genommen haben, hat die Reichsregierung sowohl bei der Beantwortung jener Noten als auch bei anderer Gelegenheit wiederholt Anlaß genommen, ihren Standpunkt in der Frage der Räumung der nördlichen Rheinlandzone darzulegen. Ich nehme auf diese Erklärungen Bezug. Die mir übergebene Note wird von der Reichsregierung unverzüglich ge prüft werden. Die Reichsregierung wird fodann Entscheis dung über ihre weiteren Maßnahmen treffen.

Um nun aber offenbar gleich ein Großreinemachen zu ver­anstalten, sieht der Entwurf auch davon ab, die Gewährung des Stillgeldes weiter an die Voraussetzung des Selbststillens zu knüpfen". In der Begründung steht zu lesen, daß das Stillgeld seinem Zwecke nach eine Prämie für selbststillende Wöchnerinnen darstellt. Dieser Meinung waren auch bisher alle diejenigen, die sich mit Wöchnerinnenfürsorge beschäftigten und auf diesem Gebiete in mühsamer Arbeit Erfolge erzielt haben. Das Stillgeld von heute soll nun plöglich mit ver­sicherungsrechtlichen Grundsäßen schmer vereinbar sein. Uns deucht, daß die im Gesezentwurf und in seiner Begründung erfolgte Stellungnahme mit etwas anderem schwer vereinbar ist, nämlich mit den Grundgefegen einer er prießlichen Gesundheitspolitit.

Die Erfahrung lehrt, daß die meisten Frauen nur so lange ihre Kinden stillen, als sie das Stillgeld erhalten. Im Regel­falle jezt 3 Monate. In einigen Bezirken gibt man aber aus Spendenmitteln noch während des vierten Monats Stillgeld. Dort behalten die Frauen vier Monate lang das Kind an der Brust. Bahlreiche erfahrene Säuglingsfürsorgeärzte haben schon seit langer Zeit gefordert, eine gesetzliche Bestimmung einzuführen, nach der das Stillgeldim Interesse der Kinder auf vier Monate gewährt wird. Und nun fommt das Reichsarbeitsministerium mit seinen wirklich durch nichts bewiesenen versicherungsrechtlichen Grundsäßen" und will das Stillgeld abschaffen. Denn darum handelt es sich. Die einmalige Gewährung von 80 M. an jede Frau, die nieder­tommt, ist fein Stillgeld in gleicher Höhe", wie es in der Begründung des Entwurfes heißt. Nein. 80 m. kann jede Familie gut gebrauchen. Mit diesen 80 m. wird man irgend eine Anschaffung machen oder eine alte Schub abtragen. Man Die Note und ihre Anlagen werden am Sonnabend| wird einen Anzug oder Wäsche kaufen. Eine Handlung, gewiß morgen veröffentlicht werden.

Der Vorgang hatte nur wenige Minuten in Anspruch genommen, worauf die Diplomaten die Reichskanzlei wieder verlassen haben.

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ganz und gar zu gönnen einer jeden Familie. Das Stillen