Nr. 265 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 137
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Sonntag, den 7. Juni 1925
England und die Entwaffnungsnote.
Zwiespältige Beurteilung.
Die britisch- französische Garantienote. London , 6. Juni. ( Amtlicher Britischer Funkspruch.) StaatsDie Besekretär Chamberlain ist nach Genf abgereist. Sprechungen zwischen ihm und Briand , der ebenfalls der Tagung des Bölferbundrats beiwohnen wird, sind frühestens Anfang Der auszuarbeitende Entwurf nächster Woche zu erwarten. der französischen Antwortnote an Deutschland ist gestern mit einem Begleitschreiben im Foreign Office eingegangen. Wenn demnächst das Schriftstück der deutschen Regierung übermittelt wird, so fann sein Inhalt als ausdrücklich von der britischen Regierung gebilligt betrachtet werden. Es verlautet, daß sich die Erörterung nur noch um wenige Punkte dreht, die außerdem von geringerer Bedeutung sind. Es ist daher nicht anzunehmen, daß bei den privaten Unterhaltungen zwischen Chamberlain und Briand irgendwelche Schwierigkeiten sich ergeben werden.
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Entwaffnung.
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Sorgen des Tages. Aufgaben der Zukunft. Jeder, der beim Militär gewesen ist, weiß, wie es ist, wenn ein hoher Vorgesetzter die Kaserne inspiziert. Dieser Borgesetzte hat felber wieder Vorgesetzte, die von ihm Schneidigkeit verlangen, und die ihm etwas zuviel Schikane eher verzeihen als etwas zuviel Nachgiebigkeit. Er muß also beweisen, daß nichts seinem Adlerblick entgeht, daß er dreinfahren, sich in Respekt setzen kann. Und, weiß Gott , er tut es. Aber hat sich das Donnerwetter entladen, hat der Donnergott selbst die Stätte verlassen, so sieht man statt der dienstbeslissenen Gesichter mur noch entspannte und etwas spitzbübische. Denn es gibt beim Militär in Friedenszeiten kein schöneres Gefühl als dieses: den Vorgesetzten ein wenig bemogelt zu haben.
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London , 6. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Soweit man sich hier überhaupt schon eine Meinung über die Note der Alliierten gebüdet hat, muß die Aufnahme als ausgesprochen zwiespältig bezeichnet werden. Die Times" betonen, daß der Inhalt der Note feinerlei unvernünftige oder übertriebene For derungen darstelle. Sie nennen sogar die Note äußerst be scheiden. Demgegenüber sieht die liberale Bresse, wie Daily News",„ Manchester Guardian" und das Abendblatt„ Star" nunmehr große Gefahr für die schwebenden Sicherheitsper handlungen und dem rechtzeitigen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund; selbst im Fall der Annahme und Durchführung der alliierten Forderungen durch Deutschland bedeute die fünfmonatige Berzögerung die große Gefahr, daß der Eintritt Deutschlands in den Bölkerbund und der Abschluß der Sicherheitsverhandlungen fich bis Ende 1926 hinausziehen werden. Wenn auch die Feststellung der Verfehlungen in liberalen und Labour- Kreifen zum Teil scharf fritisiert wird, so erhofft man auch in diesen Kreisen im Infereffe der Beruhigung Frankreichs und der Fortführung der Sicherheitspalt- Berhandlungen von Deutschland Erfüllung der Forderungen. So interessant die scharfe Kritik der Opposition an der Note ist, so muß man sich in Deutschland hüten, die politische Bedeutung dieser Meinungsäußerungen zu überschäßen. Die Note stellt ein äußerst schwer zustandegetommenes britisch französisches Kompromiß dar. Im Intereffe eines guten Berhältnisses zu Frankreich glaubt man in britischen Regierungsfreifen eine Nachgiebigkeit gegenüber etwaigen deutschen Begenvorstellungen nicht zeigen zu dürfen. Ein bedeutungsvolles Symptom ist es, daß der einem Teil des Ministeriums, den soge- Minderheiten in Südslawien und Rumänien . Auf der Tages Deutschland Stellen gegeben, die zu sehr mit der Feldwebelnannten Illusionisten, nahestehende„ Expreß" unter dem Titel " Gegegpaft eine Rampagne gegen den Sicherheitspaft eröffnet und sich gegen je de europäische Verpflichtung der Regierung mit dem Hinweis auf das Verschwinden der deutschen Flotte und damit der deutschen Gefahr für England wendet.
Der Aufstand in China . Darstellung der chinesischen Gesandtschaft in Berlin . BTB. erhält von der Chinesischen Gesandtschaft in Berlin folgende Mitteilungen: Soweit bis jetzt festgestellt werden konnte, haben sich die Ereignisse in Shanghai in folgender Weise abgespielt: Als bei dem Versuch einer gewaltsamen Unterdrudung eines Streits chinesischer, in japanischen Baummollspinnereien beschäftigter Arbeiter einige derselben der= wundet worden waren, haben chinesische Studenten am 30. Mai einen Demonstrationszug durch die Straßen Shanghais unternommen. Die ausländische Polizei hat, ohne den Bersuch zu machen, den Zug in Ruhe aufzulösen, gefeuert, wobei 11 Personen, Manifestanten und auch Bassanten, getötet und 16 verwundet wurden. Etwa 40 Personen wurden verhaftet. Am 1. Juni wurden 3 Personen getötet und 17 verwundet. Dieses Vorgehen der ausländischen Polizei war durch die Haltung der Studenten, die unbewaffnet waren und lediglich eine Manifestation gegen die schlechte Behandlung der strei. fenden Arbeiter unternehmen wollten, in feiner Weise gerecht fertigt. Die Manifestation war nur aus patriotischen und Gerechtigkeitsgefühlen unternommen worden und konnte demnach teinen fremdenfeindlichen oder kommunistischen
Charakter haben. Deshalb haben
die bedauerlichen Vorgänge, für welche ausschließlich die ausländischen Behörden die Berantwortung zu tragen haben, einen gewaltigen Widerhall in ganz China gefunden und alle Chinesen mit Empörung erfüllt. Der Generalstreit ist in Schanghai beschlossen worden. Am 1. Juni hat das Auswärtige Amt in Pefing an die Vertreter der beteiligten Mächte eine Proteft note gerichtet, in welcher die sofortige Freilassung der Berhafteten verlangt und Geltendmachung von Forderungen nach Feststellung der Tatsachen an Ort und Stelle vorbehalten worden ist. Zwei Kommissare sind zu diesem Zweck sofort nach Ehanghai entfandt worden.
Programm des Völkerbundsrates. Minderheitenrecht. Sanierung. Entwaffnung Deutschösterreich!
Genf , 6. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die am Montag stattfindende Sigung des Bölferbundsrats, an der auch Briand und Chamberlain teilnehmen werden, hat ein umfangreiches Bro gramm zu erledigen. Neben der Erörterung der Frage der bul. garischen Minderheiten in Griechenland und der polnischen Minderheiten in Litauen wird eine Entschei bung getroffen werden über die Zukunft der madjarischen ornung befinden sich außerdem die Fragen der finanziellen Wiederherstellung Ungarns , der polnischen Post in Danzig und der polnischen- Danziger Beziehungen. Die beiden letzten Punkte betreffen die Methoden der finanziellen Sanierung Desterreichs und die Erhebung, die nach den Abrüstungsklauseln des Friedensver trages in Deutschösterreich vorgenommen werden soll.
Der Skandal von Hannover . Ein Schreiben des preußischen Unterrichtsministers. Prof. Leffing von der Technischen Hochschule in Hannover hatte vor den Reichspräsidentenwahlen in einem deutschfreundlichen tschechoslowakischen Blatt einen Beitrag über das Problem Hindenburg veröffentlicht, das einigen hakenkreuzlerischen Studenten nicht gefiel. Sie bildeten einen„ Kampfausschuß, der es als seine Aufgabe ansieht, die öffentliche Meinung und die Studentenschaft gegen den Hochschullehrer aufzuheben. Da sie mit ihren bisherigen Methoden keinen wesentlichen Erfolg erzielt haben, gehen fie jetzt zum Terror über. Sie haben am schwarzen Brett der Hochschule einen Anschlag angebracht, in dem sie ankündigen, fie würden es zu verhindern wissen, daß Prof. Leffing am kommenden Montag seine Vorlesungen wieder aufnimmt.
Wenn er
Seit sieben Jahren muß sich das besiegte, entwaffnete Deutschland die Spindrevisionen durch fremdländische Offiziere gefallen lassen. Sie haben Riesendimension angenommen, und was an verhältnismäßiger Gemütlichkeit in ihnen steckte, ist durch die nationale Gegensäglichkeit verloren gegangen. Der Ton ist, wie rechtsstehende Blätter mit Genugtuung bemerken, höflich und konziliant, die Spannung ist größer geworden. Im übrigen walten auch hier die Gesetze der militärischen Psychologie.
Die Herren von der Internationalen Militärfontrollkommission müssen Berstöße entdecken, um zu zeigen, wie tüchtig fie sind. Etwas Uebereifer wird man ihnen drüben nicht übel nehmen, aber ihre Karriere märe vernichtet, wenn man ihnen eines Tages nachfagen tönnte, fie hätten nichts gesehen. Auf der anderen Seite hat es auch in
psychologie behaftet waren, und die vielleicht sogar glaubten, dem Vaterlande zu dienen, wenn sie den Kontrolleuren da oder dort ein Schnippchen schlugen. Hier hat es an Erziehung gefehlt, und das rächt sich jetzt.
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Die ganze Entwaffnungsnote ist ein Dokument militärischer Subalternität. Es ist der Befehl erteilt worden, Berstöße zu entdecken, er ist ausgeführt worden, und man fann jetzt den Scharfblick der Herren Inspekteure bewundern. Er setzt sich selber ins hellste Licht.
Politisch betrachtet, ist aber das Ganze eine entsetzliche Dummheit. Man fann an einen zufünftigen europäischen Krieg glauben oder nicht an ihn glauben. Aber zweierlei ist gewiß: Erstens werden die vorhandenen Ausrüstungsgegenstände noch mehr als einmal verrosten, veralten und durch neue ersetzt werden, bevor dieser Krieg tommt wenn er überhaupt fommt und zweitens fann heute noch kein Mensch fagen, unter welchen Konstellationen und von welchen Roalitionen er ausgefochten werden wird. Bis dahin können Freunde zu Feinden werden und Feinde zu Freunden.
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Wohl rumort es an den verschiedensten Ecken und Enden der Welt, in Marokko , in China . Der Balkan und das übrige balfanisierte Europa , das der Weltkrieg hinterlassen hat, liefern eine beliebige Anzahl von Wetterwinkeln" für weit vorausschauende Betrachtungen. Aber die Hauptvölker Europas sind noch viel zu erschöpft, als daß sie schon wieder Lust verspüren tönnten, sich aufeinander zu stürzen. Deutschland ist entwaffnet, und nichts könnte den Franzosen vernünftigerweise gleichgültiger sein als die Frage, ob ein paar Minenwerfer und Stahlhelme mehr vorhanden sind, als der Vertrag erlaubt.
Rein europäischer Krieg steht vor der Türe, und es ist noch Zeit, den europäischen Frieden vorzubereiten.
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Es ist unverständlich, wie der Rettor der Technischen Hochschule diese Ankündigung eines öffentlichen Standals dulden kann. Seine Aufgabe ist es, für die Ruhe und Ordnung im Hause zu sorgen und die Lehrfreiheit zu schützen. nichts gegen Anschläge unternimmt, die die Lehrfreiheit bedrohen, versäumt er seine Pflichten. Der preußische Kultus. minister hat sich deshalb in einem Schreiben an den Reftor der Hochschule in Hannover gewandt, in dem er ihn auf seine Pflichten aufmerksam macht. In dem Schreiben heißt es, wie der Breußische Bressedienst meldet, u. a., daß Prof. Lessing als Inhaber eines Lehrauftrages dem preußischen Disziplinargeſetz vom 18. Juli 1852 unterliegt. Nach Artikel 118 Abs. 1 der Reichsperfassung, so führt der Minister aus, hat jeder Deutsche das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Recht darf ihn fein Arbeits- oder An- In Berfin sprach gestern abend der junge Führer der stellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benach jungen paneuropäischen Bewegung, Coudenhove = teiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Der Ralergi. Wäre die Politik von Logik regiert und nicht Miniſter weist darauf hin, daß der Artikel Lessings, so sehr in einer politisch erregten Zeit die start herabseßende Kritik in einer morgen der paneuropäische Kongreß zusammentreten, um von Gefühlen und erblichen Belastungen, fo müßte schon Zeitung des Auslandes zu bedauern sei, feinen genügenden über die Organisation der Vereinigten Staaten von Amerika will Gerechtigkeit gelten lassen. Anlaß zu einem disziplinarischen Vorgehen gegen Europa zu beschließen. Er müßte alle Schlagbäume, 3ollCondon, 6. Juni. ( WTB.)„ Times" melden aus Washing Prof. Leffing gebe. Die zur Entscheidung über die Eröffnung eines sperren und Paßkontrollen zwischen Warschau und Lissabon ton: Wenn auch die Regierung feine Neigung zeigt, den Einflußiziplinarverfahrens gegen Prof. Leffing auf Grund der Bericht- niederlegen und die Millionen von Soldaten, Grenz-, Baz- und emer tüdischen Propaganda in China zu leugnen, so ist erstattung über den Haarmann- Prozeß und seiner literarischen Be- 3ollmächtern einer produttiveren Beschäftigung zuführen. man doch nicht der Ansicht, daß hierin die einzige Arsache des gelangt, so daß sich der Minister in diesem Punkte seine Ent- Amerika wieder aufnehmen zu können, in dem es schon fast man doch nicht der Ansicht, daß hierin die einzige Ursache des handlung notwendigen Erhebungen sind noch nicht zum Abschluß Erst dann würde Europa Aussicht haben, den Bettlauf mit fchließungen vorbehalt. Hinsichtlich der durch den Anschlag am hoffnungslos zurückgeblieben ist infolge seiner Zersplitterung, fchwarzen Brett gefährdeten akademischen Lehrirei seiner inneren Rivalitäten, feiner sich immer erneuernden. heit ersucht der Minister am Schluß seines Schreibens den Rettor, immer aufs neue vorbereitenden Bruderkriege. für den Fall, daß Prof. Lessing seine Vorlesungen wieder aufzunehmen wünsche, Vorsorge zu treffen, daß dies unge hindert geschehen könne.
Uebels zu suchen ist.
Die elgentliche Urfache liegt darin, daß seit 30 Jahren die Berfehrsmittel und ein großer Teil der Bodenschätze des Landes unter fremder Kontrolle und in eine Atmosphäre der Intrigue und internationalen Eifersucht geraten find. Die Bereinigten Staaten glauben, daß nach Ratifizierung des Washingtoner Bertrages durch Frankreich eine Konferenz abgehalten werden sollte, die u. a. den Chinesen zeigen würde, daß diejenigen ihrer Forderungen, die ein weiteres Ziel verfolgen, schwerlich in einer Beriade nationaler Desorganisation bewilligt
werden tönnen.
Vielleicht nimmt der Rektor der Technischen Hochschule in Han nover sich jetzt seiner Pflichten etwas energischer an. Jedenfalls hat er die Berantwortung dafür, daß die Lehrfreiheit im Fall Lessing gewahrt bleibt und das Kultusministerium wird die Konsequenzen ziehen müssen, wenn er versagt.
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Würde es nur erst allen zu Bewußtsein kommen, in welcher Welt des Widerfinns und der Erbärmlichkeit wir leben! Würden die Völker Europas nur endlich begreifen, daß ihre Kazbalgereien immer mehr aufhören, Weltgeschichte zu sein, und daß nur noch ihre Rettung durch enge, friedliche Zufammenarbeit oder ihr Untergang durch Kurzsichtigkeit und Unfähigkeit die große weltgeschichtliche Frage ist, die zur Entscheidung steht!