sr« Unterhaltung unö Missen
Der verhinöerte dichter. von Else kolliner. Arthur Schnitzler hat vor kurzem eine neue Novelle„Fräulein Plse' veröffentlicht. Diese Novelle ist eine vollkommen seelische Photographie, hinter der wie auf einer medialen Platte als zweite V.'stolt die Züge des verhinderten Dichters sichtbar werden. Arthur Schnitzler hat sich ein Leben lang die bürgerliche, viel- mehr die Wiener jüdisch-bürgerliche Welt, seine Welt und die an iorem Rgnde lockenden Abenteuer vorgenommen. Er litt an ihr, er rebellierte gegen sie, aber er blieb in ihr stecken. Er bekämpft den Salon mit der Mentalität des Salons— Salon als Atmosphäre, die ouch das Ordinationszimmer der berühmten Aerzte, die Cafehäuser, t�e freie Natur parfümiert. Vielleicht erfüllte sich damit der Fluch s-ines Erfolges, denn hier fand Schnitzler das Publikum, das jede Useste im Dialog versenkte Andeutung verstand, das Publikum, das il?m immer wieder Modell saß. Selbst seinen Aristokraten merkt man den Verkehr mit den gebildeten Juden an. Diese Gesellschaft, also anscheinend ohne Grenzen in andere Schichten übergehend, in die große Welt, in den Bezirk des kleinen Mannes, war in allem Dynamischen ganz eng. Es gab keine starken, keine ungebrochenen l.mpulse, keine unbürgerlich große, nur ein« antibürgerliche, an ihre Antithese gebundene Leidenschaft. Da Schnitzler an dieser Welt litt und doch den Weg ins Freie nicht fand, blieb ihm nur das Aus- weichen in eine schmerzliche Ironie— Rationalisierung und ihre nur scheinbare Ueberwindung. Warum sich das Künstlerische, das Dichterische, die menschliche Feinheit in Schnitzler nicht bis zur reinen Dichtung steigerte, in seinen Theaterstücken nicht und nicht in seiner Epik, wird deutlich, wenn man ihn neben einem anderen Oesterreicher, neben Stifter sieht. Stifter brachte nicht wie Schnitzler das Typische einer Gesellschaft mit dem ihr eigenen Maß an Menschlichkeit in Konflikt, sondern ous einer wunderbar gesammelten Tiefe drang der menschliche Ge- balt in typische Erscheinungsformen. Der kleinbürgerlich lebende Stifter hat sein inneres Bild zu Gestatten der verschiedensten sozialen, zeitlichen, nationalen, geographischen Lebensslächen oerdichten lonnen. Bei Schnitzlcr würde jeder Uebertritt über die Grenzen seiner Well als Kostümierung empfunden werden. Stifters Menschen können au» der Natur, in die sie gebettet sind, nicht herausgelöst werden. Sie wachsen fast aus ihr zusammen. Bei Schnitzler ist die Umgebung Literatur und jeden Augenblick gegen eine andere Vedute des Salons auswechselbar. Schnitzler kannte noch die Generation, von der authentische Aussprüche wie: Liebesheiraten sind gegen die Natur, sich in der lieberlieferung erhalten haben. Diese Generation bestimmt« auch noch das Maß der Auflehnung gegen sich selbst. Was man damals als künstlerische Lösung der Atmosphärenspannung empfand, weil diese Gesellschaft das„Geistreiche" züchtete, um rebellische Kraft zu z.-rweichen, war undichterisch, weil es nur negiert« und keine eigen« starke Welt entgegensetzte. Wenn Schnitzler Menschen und Situa- tioncn bildete, wurden sie nicht auf das überzeitlich Gültige bezogen, sondern das überzeitlich Gültige wurde ihnen angepaßt. Schnitzler Imt sich im Grunde nie entwickelt. Seine Probleme sind nie tiefer, nie aufwühlender geworden, er hat sie nur variiert und kombiniert. Nie hat er sich von der sentimental-sinnlichen Erotik befreien können. Eine gehallarme Zeit, eine gehaltarme Schicht. Aus den ersten Blick könnte man glauben. Schnitzler habe, wenig ehrgeizig, in„Fräulein Else " den„Leutnant Gustel" ein Pendan« in derselben Technik geben wollen. Aiuh in„Fräulein Else " muß man den Faden der Aktion, den Konflikt aus der Aufzeichnung de» Denkprozesses rekonstruieren, ouch hier handelt es sich um eine Handlung gegen den Ehrenkodex, diesmal gegen den weiblichen. Aber„Leutnant Gustel" steht künstlerisch viel höher, gerade weil die Technik nicht zu der lückenlosen Totalität der Wiedergabe entwickelt ist und der Stoff dem allgemein Menschlichen näher kommt. „Fräulein Else " ist der Typus der Wiener Jüdin, gegen die der Lokalantisemitismus die Waffen streckt. Di« physischen Unterschiede sind ausgeglichen, man hat von der gemeinsamen guten Erziehung wahrscheinlich noch mehr profitiert als die arische Altersgenossin, man treibt Sport und gibt sich wie«ine kleine Königin. Zu diesem Typus, dem Typus einer abgelaufenen Zeit(Schnitzler datiert die Erzählung auch 30 Jahre zurück) gehört die Ueberbetonung der Un- nahbarkeit und des eigenen Wertes, das Entzünden der Wünsche i nd die eigene Kälte, die in lichten Augenblicken ihre Rigidität seind- selig betrachtet, ohne ihr doch entrinnen zu können. Fräulein Else also mit der unterminierten Psych« wird von ibrer Mutter in einem Expreßbrief mitgeteitt, daß ihr sehr be-
Die öegegnung. von Max herrmann-veihe. (Copyright 1925 Tic na Tcttschalk äjcrl««, Berlin .) Man weiß, wie solche zufälligen Bekanntschaften zustande kommen. In der Hauptstadt sehnten sich viele danach, dem vor- bildlichen Künstler die Hand reichen zu dürfen: man spazierte auf dem Korso, ahnungslos, plötzlich raunte wer:„Das war Hermann Karst!", da wurde flugs umgekehrt, zurückgerannt, dann wieder langsam herangepirscht und versucht, möglichst unbefangen des Meisters Züge zu erspähen. Natürlich sah man vor lauter Erregung nicht einmal genau. In diesem gottverlorenen Provinznest aber mußte ausgerechnet der Klempnermeister Worbs mft Hermann Karst an einem Tische sitzen und fast bis zur Bruderschaft gedeihen. Worbs war früh von Haufe fort, ein geschäftlicher Gang, jeder kennt das. die Frau brummt hinter einem her:„Ausreden sind wohlfeil!" Man muß notgedrungen mit einer Grobheit auftrumpfen, lächell aber innerlich, und kaum, daß sich das Haustor hinter einem schließt, wird die Zigarre angesteckt, vielleicht sogar«in leichtfertiges Lied gepfiffen, jedenfalls mit unternehmungslustigem Wicg-schritt in den freien Tag hineingestelzt. Worbs trat noch in den Wurst- laden und kaufte ein großes Stück Polnische, die gerade frisch in der Mulde hereingebracht wurde, schäkerte dabei mit den Verkäuferinnen. man muß ein bißchen mit ihnen schmusen, dann wiegen st« bester ab, kurz vor der Brücke stand der Spediteur Exner bei seinen Möbel- wagen und gab den Kutschern Anweisungen, da mußte doch holt- gemacht und die Lage besprochen werden, was die Kerls einem die Vierde ruinieren, wie rabiat heutzutage die Packer find. Am Wehr hockte wieder mal der Rentier Beyer beim Angeln: der weiß nicht. wie er dem Herrgott die Zeit totschlagen soll. Worbs guckt schnell aus die entgegengesetzte Seit«, kommt da im Galopp der Rittmeister Iellsch angeprescht. Heids, wie der Hut vom Kopf« geeisten und mit unbändiger Kurve gedienert wird, übern ganzen Damm weg:„Habe die Ehre", daß der Staub nur so ins offene Maul ballert, ach Gott, und dabei ist die Rechnung schon seit undenklichen Zeiten nicht bezahlt, und wegen so eines kleinen Be- träges möchte man sich die Sohlen von den Schuhen lausen. Worbs pfeift nicht mehr, und auch die Zigarre ist kalt geworden. Richtig muh doch an der Eisenbahnüberführung wieder dieser e'elhafte Krüppel den Gutdummen auflauern, der immer so wider- »ich seine Wunden zur Schau stellt, sich geradezu damit brüstet.
wunderter Vater Mündelgelder veruntreut hat. Es bleibt, um ihn vor dem Zuchthaüs zu bewahren, nichts mehr übrig, als Elses Ber> mittlung bei einem Freund des Hauses, der den Sommer im selben Hotel genießt wie Else und ihre Tante. Er ist bereit, die Summe rechtzeitig abzusenden, wenn er das Mädchen unbeNeidet sehen darf. In verzweifeltem Trotz wählt sie den vollbesetzten Musitsaal als Szene und trinkt im ersten Augenblick des Alleinseins das vorbereitete Vcronal. Dieser Stoff wäre außerhalb des kleinen Kreises, in dem er sich abspiell, s o kaum denkbar. Es ist die Mentalität einer absterbenden, vom zentralen Kräftepunkt weit entfernten Gesellschastszelle, nicht erschütternd, weil jede- Licht einer Erlösung in das Allgemein-
Stinne» Zun.:„Die verfluchte Stabilisierung!"
menschliche fehlt, nur quälend, nur drückend. Das. Sichselbst- bewahren" wird ein Trieb von so ungeheuerlicher Uebertreibung, daß er in sein Gegenteil umschlägt. Die gesellschaftliche Ueberlegen- heit der vielbegehrten jungen Dame bricht zusammen, weil sie keine menschliche lleberlegenheit ist. Man könnte die Technik dieser Gchirnphotographie neu nennen, weil ein so lückenloses Nacheinander der Gedanken mit ollen letzten Abirrungen, mit dem Durchschimmern der unbewußten Regungen noch nicht dagewesen ist. Es ist die Technik der psychoanalytischen, freien Assoziation aus Grund der Freudschcn Erkenntnisse. Aber Schnitzlers musischer Takt trägt die wissenschaftlichen Forschungs- resultate nie dick auf. Trotzdem ist diese wissenschaftlich hochein- schätzbare Technik, so sehr sie sich mit dem ununterbrochenen Ablauf deckt, die Spannung in kurzen glänzend gefügten Sätzen immer fester und sester anzuziehen weiß, drch nur eine literatenhafte und keine dichterische Technik. Ein phystologisch-epischer Sketsch, nicht weil der Stoff kraß, sondern weil dieser krasse Stoff nicht dichterisch gewendet ist. Die Psychologie entwickelt wie an einer Kette Glied um Glied. Die dichterische Gestaltung bestrahtt aus einem seelischen Brennpunkt die inneren Vorgänge, sie arbeitet plastisch und nicht linear. Auch die ungesunde Ichbetontheit könnte Brennpunkt sein, wenn sie mit der gesunden Welt zusammenstoßen, gerettet oder an ihr untergehen würde. In Fräulein Else identifiziert sich die Form noch mit der Ichbetontheit. Der Denkbericht ist hier nicht bloß die aktuelle Zuspitzung der Brief- und Tagebuchnooelle: er ist die letzte Stufe der Egozentrizität, wo Welt, Leben und Dichtung aufhören.
Längst hätte er in einem Spital untergebracht sein können, wenn er nur seine Einnahmen darauf verwenden wollte, der hat gewiß manchen Tag eine bessere Kasse als ich, denkt Worbs, und ich muß den Kerl miternähren. Den Ausdruck„ekelhafter Krüppel" hat er übrigens vom Herrn Gcwerberat: Worbs hatte damals im Schützen- hause gesessen, sie waren von der Wallfahrt nach Sankt Rochus hier eingekehrt, der Tag war heiß gewesen, und als erst der Kürschner- meister eine Runde bezahlt hatte und der Bäcker eine andere, konnte man nicht zurückstehen, die Martha, das Biest, hatte gerade den Kunstgriff mit dem Geldstück vorgemacht, eine verfluchte Schwemerei übrigens, da war rot wie ein Puter der Herr Gewerberat herein- gestürzt, ran ans Telephon und hineingemeckert, es solle doch mal die Polizei nach der Eisenbahnüberführung geschickt werden, um dem Skandal mit deni ekelhaften Krüppel ein Ende zu bereiten. Hinterher hatten die drei freilich über sein« Wichtigtuerei gelacht und dem Bettler einen Schoppen hinausgeschickt mft der Warnung, zu ver- duften: aber eigentlich war Gewerberat doch ein reputables Amt. eine Autorität, das kann man schon sogen! Das könnte sein Artur vielleicht ouch mal werden, der alte Worbs hatte sich damals gleich die Karriere erklären lasten, wenn er nur erst einmal das Abiturium bestanden hätte, kommt Zeit. kommt Rat. Iura soll er auf jeden Fall studieren, das ist und bleibt doch halt das vornehmste Studium! Der alte Worbs bekam immer noch einen ehrfürchtigen Schauder, wenn er mal als Zeuge das Amtsgericht betreten mußte. Am besten, man hat nichts damit zu tun. Aber wenn mir einer meine Ware schlecht macht, glatt ver- klagen! Und an seiner Tür stand„Mitglied des Verein» gegen Bettelei". Ordnung muß sein, alles was recht ist! Es ist nur ein langwieriges Studium, dem Glöckner Kunze seiner geht nun schon ins vierzehnte Semester: der sitzt freilich von morgens bis andern Tag morgens im Bahnhofshotel und sauft seinen Stiefel, ein Verhältnis soll er auch haben, und immer noch dieselbe aus der Primanerzeft her: unglückliche Eltern! Sein Artur war damit wohl nicht zu vergleichen. Saufen tut" der nicht, und die Mädels guckt er erst gar nicht an, woltt's ihm auch anstreichen, nu da! Aber, weih der Himmel, der Junge, der liest zuviel. Immer hockt er über den Schwarten, wo er was Ge- drucktes sieht, schon hat er's in den Krallen, was soll man machen. ungebildet will man auch nicht scheinen, und die Mutter, die unter- stützt den Bengel noch, läßt sich von ihm vorlesen, kommt der Alte unversehens ins Zimmet, schwapp, wie abgehockt, kein Laut mehr. und die beiden schweigen indigniert über die leidige Störung. Dabei ist man doch der Ernährer! Oder etwa nicht?
Lotterpfaffen. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts machte sich in Deutschland , England und Frankreich ein starkes Ueberangebot an jungen theolo- gisch geschulten Kräften bemerkbar. Die Hoffnung aus eine gute fette Pfründe, verbunden mft den sonstige» nicht unwesentlichen Annehmlichkeiten des Seelsorgerberuss erschien großen Scharen studienbeslissener junger Leute äußerst verlockend und ließ sie die Hörsäle der Lateinschulen füllen. Im Volke dagegen war ein Be- dllrsnis nach Vermehrung der Psarrstellen nicht vorhanden. So stand denn die Zahl der geistlichen Posten an sich schon in keinem Ver- hältnis mehr zu dem Andrang zum Beruf. Dazu kam noch eme ständige Verminderung der Stellen infolge eines kraß ausgeprägten Egoismus seitens der gesttlichen Herren, der schlecht zu den von ihnen verkündeten biblischen Lehren paßte. Aus höchst unchristlicher Habsucht und purem Brotneid rissen nämlich zu der Zeit die Geist- lichen, die bereits in Amt und Würden saßen, jede erreichbare freigeworden« Pfarrstelle an sich und versahen so die Gläubigen von zwei, drei und mehreren Pfarrgründen mit ihrer Seelsorge. Es ließ sich eben bester leben, wenn man die Einkünfte aus mehreren Posten zugleich bezog! Was aus dem jungen Berufsnachwuchs werden sollte, der alljährlich von den großen Lateinschulen kam, kümmerte sie wenig. Der„cumulu? benekiciorum" wird dieser Zustand der Vereinigung mehrerer geistlicher Stellen in einer Hand% in der Kirchengcschichte genannt. Die Zahl der stellungslosen jungen Geistlichen nahm daher von Jahr zu Jahr zu. Die Vernünftigsten unter ihnen werden unter diesen Umständen gewiß ihre einstigen Hoffnungen begraben, die ver- lorenen Studienjahre in den Schornstein geschrieben und einen anderen Beruf ergriffen haben. Wer sich dazu nicht entschließen konifte oder wollte, mußte eben warten. Irgendwie aber mußten die Menschen doch leben, und so zogen sie dann einzeln oder in Gruppen als fahrende Scholaren, als sogenannte„Vaganten", durchs Land. Sie musizierten, trugen selbstversaßte Lieder und Gedichte in latei - nischer Sprache vor, hauptsächlich Trink- und Kneip-, Bettel- und Liebeslieder, Zoten und gelegentlich auch ernste Sachen. Sie spielten allerhand Komödien und Posten und erwarben oder richtiger er- bettelten sich so von Ort zu Ort ziehend ihren Lebensunterhalt. Mit der Zeft artete dann das ständig anwachsende gelehrte Vagantentum zu einem.regelrechten Vagabundentum aus. Sehr interestante Mitteilungen über das Leben und Treiben de? Vaganten oder Lotterpfafsen, wie sie der Volksmund bald nannte, finden wir in einem kleinen Werk von Theodor H a m p e.„Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit", das bei Diederich- Jena im vorigen Jahre neu ausgelegt worden ist. Danach erfreuten [ich die fahrenden Geistlichen eines herzlich schlechten Rufes. Hampe agt über diese ehrenwerten Männer:„Es war die Hefe der da- maligen Gesellschaft, zu Betrügereien und Gewalttätigkeiten aller Art stets geneigt und für ihren Lebensunterhalt fast auf solche an- gewiesen. In unanständigem Aufzug«, verlottert und verlumpt zogen sie im Land« umher, an den Türen der Geistlichen bettelnd oder auch wohl mit bewaffneter Hand in die Pfarrhäuser einfallend und Geld und Eßwaren als Beute davonführend. In den Dörfern hielten sie falsche Reliquien seil, erteilten Ablöste, drangen in die Kirchen, um Messe zu lesen oder den Altar durch Würfelspiel zu entweihen. Die übrige Zeit des Tages verbrachten sie gewöhnlich in der Kneipe, spielend, schmausend, trinkend, in Gesellschaft von Buhldirnen." Ein Holzschnitt aus damaliaer Zeit stellt eine Voaantenaesellschaft auf einem Saufgelage mit Hunde-, Schweine- und Afsenköpfen dar, und es muß wohl angenommen werden, daß diese Karikatur nicht zu Unrecht geschehen ist. Nebenbei bemerkt könnte sie gewiß auch heute noch recht gut aus so manchen Kommers unserer jetzigen stu- dierten Herren passen. Selbst eine eigene Organisation, einen„Orden", hatten dies« „Lotterpfafsen", und in den Berichten aus damaliger Zeit ist oft von unliebsamem Austreten der Mitglieder des Vagantenordens die Rede. Schließlich erreichte die Sittenlosigkeit und Verkommenheit der fahrenden Geistlichen derartige Ausmaße, daß sich endlich auch die Kirche bequemen mußte, sich mft ihnen zu beschäftigen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts erließen allenthalben die Kirchenbehöroen scharfe Verordnungen gegen den Orden und seine Anhänger, nahmen ihnen die verschiedentlichen Vorrechte, die sie als Mitglieder des Klerus noch genosten und die ihnen trotz ihrer Berlotterung doch immer noch eine Art Nimbus gegenüber den Laien gegeben hatten. Gegen den„cumulus deneliciorum" hatte die Kirche schon vordem Verbotsmaßnahmen getroffen. So ihrer Sonderstellung als Diener der Kirche beraubt, verloren sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts die entgleisten Theologen endgültig in der großen Masse des Lumpen- Proletariats, das als jährende Spielleute, Gaukler und Landstreicher die Landstraßen des Mittelalters bevölkerte. E. R.-W.
War ihm nicht gleich damals, vor zwanzig Iahren, abgeraten worden, sich mft der Zahlmeisterstochter«inzulassen? Geld hängt da nicht raus, aber Ansprüche zu machen verstehen die Zierpuppen. Dabei war sie das einzige Kind gewesen, verwöhnt bis dorthin und kein bißchen wirtschaftlich erzogen Woher hätte sie's ouch haben sollen: von der Mutter erzählte man sich schöne Dinge, einer hatte sie noch als Büfettdame gekannt, das Pack von Sergeanten fragt nicht, woher der Zaster kommt, und dann war's wie gewonnen, so zerronnen. Was brauchte eine Zahlmeistertochter auf die höhere Schule zu gehen, besser, sie lernte Kochen und Nähen, aber nein. 's muß partout übern Stand sein! Und die hatte sich der Worbs in den Kopf gesetzt. Sie war nicht einmal von hier: bleib« im Lande und eheliche, was in Betracht kommt! Mein, der Balg hatte 's ihm angetan! Arm und unpraktisch, da» ist nichts für«inen Handwerker. Damals hatte er sie justament genommen. Und sie hatte sich noch gesperrt, Sperenzchen gemacht, und schließlich, als sei's eine Gnade, sich herabgelassen. Warum war er eigentlich gerade auf die verfallen? Er wußte es im Augenblick selber nicht mehr. Am Ende war's doch nicht zum Schoden ausgeschlagen. Das Geschäft ging: daß die Frau nichts davon verstand, war eher«in Vortell, da konnte sie ihm auch nicht dreinreden, zu einem Ladenfräulein langte es wohl Gott fei Dank, und einen Sohn hatte sie ihm auch geboren, und manche beneideten ihn um die geblldete Frau. Er war jetzt an der Franziskanerkirche und überlegte: sollte er hineingehen oder nicht? Di« Brüder hatten schon was von ihm geschluckt, das heißt, daran war auch die Frau schuld, die lud sie zum Kaffee«in. dann blieben sie immer gleich oben und kriegten wer weiß was eingepackt und gingen weg, als ob das Geschäft wieder mal geflutscht hätte. Verdammt, warum waren in der letzten Zeft häufig solch« An- deutungen gefallen:„Ihr Herr Sohn hat recht gute Anlagen.,. Die katholische Wissenschaft braucht solche Köpf«...", was sollte da» heißen, umsonst war das doch nicht gesagt, einen Hintergedanken haben die immer— „Gelobt sei Jesus Christus!" eben strich einer so harmlos wie Möglich vorbei, auf leisen Sohlen und den Kops eingeknickt, ganz Wellabgewandtsein, aber im Augenwinkel gleißte der Triumph:„Wir haben euch alle!" und das„In Ewigkeit, Amen!" kam wie«ine Quittung zurück über pflichtgemäß beglichene Schuld. Man kann nie wissen. (Fortsetzung folgt.)