fir. 271 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 140
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Donnerstag, den 11. Juni 1925
Paris , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Havas Agentur veröffentlicht ein offizielles Rommuniqué über den Inhalt der französichen Antwort auf das deutsche Garantieangebot, die, nach dem sie die volle 3ustimmung der englischen Regierung gefunden habe,
werden soll. Der Text befinde sich bereits seit Mittwoch im Besizz fämtlicher alliierten Kabinette. Die französische Note sei von Anfang bis zu Ende von dem lebhaften Wunsch diffiert, die Verhandlungen über einen gegenseitigen Sicherheitsvertrag zu einem günfligen Resultat zu führen; sie habe lediglich zum Ziel, genaue ergänzende Informationen zu erlangen, da eine aufmerkfame Prüfung des deutschen Memorandums vom 5. Februar notwendig erscheine.
Dies deutsche Memorandum gehe über gewisse Punkte mit einem beunruhigenden Stillschweigen hinweg.
Es erwähne z. B. den Bölkerbund, dem Frankreich und seine Silliierten angehören, nicht mit einem Wort. Bevor Frankreich in den Verhandlungen über den Garantiepakt weitergehen fönne, müsse es miffen, ob Deutschland bereit sei, durch seinen Ein tritt in den Bölkerbund unter den ihm von dessen Rat im März d. 3. mitgeteilten Bedingungen die gleichen internationalen Berpflichtungen auf sich zu nehmen wie Frankreich und die anderen Nationen. Weiterhin hält es Frankreich für notwendig, schon jetzt genau zu präzisieren, daß der Abschluß eines Sicherheits vertrages mit Deutschland teine Aenderung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag von Versailles im Gefolge haben fönne, vielmehr dessen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit respektiert werden müßten. Das gelte nicht nur für Frankreich , sondern auch für Belgien , das dem Patt, wenn er zustandekomme, felbstverständlich beitreten werde. Der Patt könne fernerhin für
beide Länder
in feiner Weise geltende Vereinbarungen über die Okkupation des Rheinlandes beeinträchtigen.
Die deutsche Regierung habe weiterhin den Abschluß von Schieds. gerichtsverträgen mit den Mächten westlich des Rheins, angeboten. Frankreich erkenne gern an, daß diese Verträge die natürlichste Ergänzung des Rheinpattes bilden, aber es verlange ausdrücklich, daß diese Verträge auf alle Konflikte Anwendung finden und daß sie die Möglichkeit einer bewaffneten Intervention nur für den Fall einer Verlegung des Friedensver= trages hoffen lassen. Um dem Schiedsgerichtsvertrag vollen Wert zit geben, sei es erforderlich, daß dieser von den an dem Rheinlandspakt teilnehmenden Mächten gemeinsam und indivibuell garantiert werde. Für den Fall endlich, daß einer der Kontrahenten, ohne eine feindselige Handlung zu begehen. den übernommenen Verpfichtungen nicht nachkomme, solle der Bölkerbundsrat die ihm zur Sicherstellung der Vertrags
eifüllung geeigneten Maßnahmen vorschlagen.
Die deutsche Regierung habe fernerhin den Abschluß von Schiedsgerichtsverträgen mit allen Staaten, die dazu bereit seien, d. h. insbesondere mit Polen und der Tschechoslowakei , angeboten. Frankreich nehme von dieser Erklärung Kenntnis, mülle aber dazu mit ausdrücklicher Zustimmung Englands bemerken, daß die Alliierten aus den bestehenden Ber: trägen Rechte erworben hätten, auf die sie nicht verzichten könnten und Verpflichtungen( Militärbündnisse! Red. d. 23.") übernommen hätten, deren sie sich nicht entledigen könnten. Diese dürften durch die in Aussicht genommenen Schieds: gerichtsverträge in feiner Weise beeinträchtigt werden.
Wenn
zwischen Deutschland und seinen öftlichen Nachbarn Berträge dieser Art zustandekommen sollten, jo müffe es allen Signatar mächten des Versailler Vertrages auf ihren Wunsch freistehen, dafür eine Garantie zu übernehmen. Dieses System einer allgemeinen Sicherheitsgarantie habe jedoch nur dann Wert, wenn alle in Aussicht genommenen Abmachungen, d. h. sowohl der Rheinlandpalt wie die verschiedenen Schiedsgerichtsverträge, 3u gleicher Zeit in Kraft treten. Alle diese Abmachungen, die dem Geiste der Völkerbundsatte tonform sein müßten, sollen vom Bölferbund registriert und unter seine Auspizien gestellt werden. Sie sollen außerdem dem Beitritt aller Mächte offengehalten werden, und Frankreich würde es mit ganz besonderer Genugtuung begrüßen, wenn auch die Bereinigten Staaten von Amerika sich eines Tages dazu entschließen könnten.
Nur gegenseitiae Garantie! London , 10. Juni. ( WTB) Premierminister Baldwin er lärte heute im Unterhaus: Es ist noch fein Sicherheits paft unterzeichnet worden und es wird keiner abgeschlossen werden, ohne daß dem Parlament Gelegenheit zu voller Aus fprache gegeben worden ist. Gegenüber gewiffen Mißver tändnissen in der öffentlichen Meinung stellt sich die Lage bis heute so dar, daß die englische und die franzöfifche Regierung nach jorgfältiger Ermägung aller am 9. Februar der franzöfifchen Regie:
| rung gemachten deutschen Vorschläge zu einem vollen Einverständnis über gewisse grundlegende Brinzipien gelangt find, mit denen jedes derartige Abkommen übereinstimmen muß und wobei aller Anlaß zu der Erwartung besteht, daß Bel gien und Italien ihre 3ustimmung geben. Dem Vernehmen nach werden jene Ansichten von der französischen Regierung Deutschland mitgeteilt werden, und wenn die deutsche Regierung dann die Ansichten teilen zu können glaubt, so würde für gegenseitige Verhandlungen über den Bakt zwischen den am Rheinland interessierten alliierten Mächten und Deutschland ein Weg geöffnet sein, und zwar auf dem Fuße der Gleichbe
rechtigung.
Das ins Auge gefaßte Abkommen hat streng zweifeifigen Charakter und nicht einseitigen,
wie es möglicherweise in einigen veröffentlichten Berichten dargestellt worden ist. Sowohl die englische wie die franzöfifche Regierung sind der Ansicht, daß das Abkommen allen Signatarmächten, solange sie bei den Bertragsverpflichtungen bleiben, die größtmögliche Sicherheit geben muß. Andererseits fann der Batt nicht von irgend einer schuldigen Macht ins Feld geführt werden, um sich vor den Folgen eines absichtlichen Bruches ihrer Bertragsverpflichtungen zu schützen. Der Balt wird dem Barlament mitgeteilt werden, sobald Frankreich die Ansichten Englands und Frankreichs in Berlin mitgeteilt hat.
Baldwin gab diese Erklärung in Beantwortung der Anfrage ab, ob die französische halbamtliche Lesart des Paftes die ven England gebilligte Vereinbarung richtig darstelle. Im weiteren Verlauf der Sigung fragte Kenworthy, ob sich das Abfommen nur auf das Rheinland beziehe und ob darin Deutschlands östliche Grenzen oder überhaupt Grenzen in Deft er reich( gemeint sind wohl die Grenzen zwischen Deutschland , Deutschösterreich und der Tschechenrepublik. Red. d.„ V.".) irgendwie erwähnt würden. Baldwin erwiderte, es sei besser, über den Batt erst zu sprechen, wenn der Staatssekretär des Aeußern( Chamberlain) zurückgekehrt sei. Es sei sehr schwierig, die von Ken worthy berührten Bunfte zu erörtern, ohne in großer Länge auf das Dokument selbst, das noch nicht veröffentlicht werden könne, einzugehen. Der Patt unterscheide sich in keiner Hinsicht von dem, was der Staatssekretär des Aeußern dem Hause bereits mit geteilt habe.
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Bankkonto: Direktion
der Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkasse Lindenstraße 3
Ein schwarzer Tag.
Die latente Krise der Wirtschaft.
Vor wenigen Tagen wurde die deutsche Oeffentlichkeit durch die Nachrichten über die innere Krise des StinnesRonzerns und die Bildung eines Sanierungskonsortiums der Großbanken und der namhaftesten Privatbanken unter Führung der Reichsbank alarmiert. Die Vorgänge an der geftrigen Börse sind eine zweite Alarmierung.
Ein schwarzer Tag für die Berliner Börse - anders fönnen diese Vorgänge nicht charakterisiert werden. Seit dem Bekanntwerden der Krise im Stinnes - Konzern hat sich die Börse nicht wieder erholt. Die Kurse der schwerindustriellen Bapiere fanten stetig. Gestern trat ein allgemeiner großer Kurssturz an der Börje ein. Er erstreckte sich nicht nur auf die Papiere der Unternehmungen, die in engem oder losem Zusammenhang mit dem Stinnes - Konzern standen. Er era griff nicht nur alle schwerindustriellen Werte. Der Kurssturz wurde allgemein. Die Kursrückgänge betrugen bis zu 15 Proz. Es verloren Stinnes- Werte etwa 6 Proz., die Werte des Klödner- Konzerns etwa 9 Proz., die Aktien von KölnNeuessen, das erst vor wenigen Tagen gemeinschaftlich mit Hoesch eine vielbemerkte Expansion vorgenommen hatte, verloren 11 Broz. Am Elektromarkt verloren Schudert- Werte 7 Proz., AEG. etwa 5 Proz. Ebenso verloren die Bankattien: Deutsche Bank 2 Proz., Berliner Handelsgesellschaft 4 Proz., Reichsbantanteile 7 Broz. Diefelbe Erscheinung zeigte sich an der Frankfurter Börse. Die Flucht aus den Aktien war allgemein. Zahlreiche industrielle Unterneh mungen verkauften, um ihre Liquidität zu sichern. Die Versuche der Großbanken, die Kurse zu stüßen, blieben era folglos.
Alles in allem: ein Krisensymptom erster Ordnung, eine schwere Erschütterung des Vertrauens. Wer sich jetzt damit zu trösten versucht, daß im heutigen Zustand der deutschen Wirtschaft die Börse kein Gradmesser für den wirklichen Zustand der Wirtschaft sei, verschließt die Augen vor den Tatsachen.
Die Vorgänge an der Berliner Börse sind nicht nur die Folgen der Beunruhigung, die durch die Vorgänge im StinnesKonzern hervorgerufen worden ist. Diese Borgänge haben lediglich den lezten Anstoß gegeben. Eine Reihe anderer beunruhigender Meldungen fam hinzu: ein Gerücht, daß der Otto- Wolff- Konzern sich in ähnlichen Schwierigkeiten wie der Stinnes - Konzern befinde und das sich trotz eines Dementis behauptete, ferner die Nachricht, daß die Reiherstiea- Werft in Hamburg wegen finanzieller Schwierigkeiten geschlossen worden sei. Der schwarze Tag an der Berliner Börse tennzeichnet den Beginn der Vertrauenstrife. Durch den offenen Ausbruch der Vertrauenskrise wird sichtbar, daß sich die deutsche Wirtschaft in einem latenten schwer trisenhaften zustande befindet. deutsche Wirtschaft in einem latenten schwer frisenhaften zu
Chamberlain mit Baldwin konform. Genf , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Briand reist am Mitt. woch abend nach Paris zurück. Paul Boncour vertitt ihn im Völkerbundsrat. Chamberlain bleibt bis Freitag hier. In einer offiziellen Mitteilung der britischen Dele gation wird erklärt, daß Chamberlain teine Erklärungen abDie sichtbarsten Zeichen der latenten Wirtschaftskrise sind zugeben hat und alle Kommentare und Vermutungen über den Inhalt der Note hinfällig sind, solange Berlin nicht die Note die folgenden: Erstens: Die Dividendenlosigkeit der Industrie. crhalten und den Text veröffentlicht hat. Die Mitteilung jagt Gestern wurde bekannt, daß namhafte Industriefirmen wie zum Schluß, daß der Standpunkt der englischen Regierung derselbe die Daimler- Gesellschaft und die Donnersmard- Hütte unbleibt, wie ihn Chamberlain im Januar 1925 im Unterhaus ver- günstige Abschlüsse zu verzeichnen haben und feine Dividenden teat, wo er erklärte, daß England niemals einen einseitigen verteilen werden. Zweitens: Die Schwierigkeiten der InGarantiepakt mit Frankreich abschließen wird. In englischen Kon- flationskonzerne. Alle Inflationskonzerne, gleichgültig, ob großz ferenzkreisen wird dieser Say so ausgelegt, daß England mit den oder klein, haben mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. gleichen Mitteln für Deutschland den Rhein garantieren wird Sie sind zum Abbau gezwungen, um nicht in Bahlungswie für Frankreich , so daß die franzöfifche Darstellung, daß das schwierigkeiten zu geraten. Der Abbau aber stößt angesichts Garantieangebot eine Spike gegen Deutschland habe, nicht der Enge des Kapitalmarktes auf zunehmende Schwierigautrifft. Im übrigen wird von englischer Seite betont, daß Eng feiten. In der Krise des Stinnes- Konzerns kommt diese Erland die Battbestimmungen absichtlich sehr weit gezogen habe, scheinung am schärfsten zum Ausdruck. Drittens: Stillegunum französisch- deutschen Sonderverhandlungen möglichst gen von industriellen Unternehmungen. Die Arbeiterentlaffungen bei Thyssen und die Schließung der ReiherstiegEs soll einmal betont werden, daß der Rhein die deutsch - Werft in Hamburg haben gestern ihr Teil zur Erschütterung französische Grenze mur in seinem Lauf zwischen Baden und der Vertrauens an der Börse beigetragen. Biertens: Zudem Elsaß ist. Bon da ab ist natürlich nicht mehr„ der Rhein " nehmende Zahlungseinstellungen im Handel. Namentlich im sondern das Rheinland zu garantieren! Textilhandel wächst die Zahl der Konkurse. Fünftens: Die Erschütterung des Kredits, die in der Stimmung der Börse zum Ausdruck kommt. Das sind einige der markantesten Erfcheinungen, die den latent krisenhaften Zustand der deutschen Wirtschaft kennzeichnen.
viel Spielraum zu lassen.
London , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) In hiesigen politischen Kreisen ist man der Ansicht, daß Frankreich darauf hinarbeitet, Italien von dem Rheingrenz- Bertrag fernzuhalten. Dagegen will man es angeblich zu einem zweiten Abkommen hinzuziehen. in dem Frankreich , Polen , die Tschechoslowakei und Italien fich gegen einen etwaigen Anschluß Oesterreichs an Deutchland sowie zur Garantie der italienischen Brenner Grenze und der deutsch - polnischen Grenze zusammenschließen follen.
Die Befürchtungen der englischen Arbeiterpartei, daß die Bercinbarungen zwischen Chamberlain und Briand eine ganze Reihe von Garantieverträgen hervorrufen, bestätigt sich also durch die Ansicht maßgebender englischer Kreise. Die Arbeiterpartei wird sich einem derartigen Durcheinander mit aller Entschiedenheit
widersetzen.
Die englischen Liberalen gegen Waffenbündnis. London , 10. Juni. ( BTB.) Laut„ Daily Chronicle" merde fich die gesamte liberale Bartei irgendeiner bindenden militärischen Bereinbarung mit Frankreich oder einem anderen Bande miderlegent,
Die Ursachen der Krise sind in der Fehlleitung der Wirtfchaftssenierung nach der Stabilisierung der Währung und der Annahme der Dawes- Geseze zu suchen. Die Auslandskredite, die nach der Annahme des Dawes- Planes nach Deutschland flossen, haben eine falsche Verwendung gefunden. Die deutschen Wirtschafter konnten sich nicht rechtzeitig von der Inflationspsychologie, vom Festhalten an den Sachwerten, freimachen. Sie verstanden nicht, ihre Unternehmungen den veränderten Marktbedingungen anzupassen. Sie benutzten die kurzfristigen Auslandskredite nicht als reine Umschlagkredite, sondern legten sie fest. Sie überschäßten den Wert ihrer Unternehmungen, weil sie wie in der Inflation sie nicht nach dem Ertragswert, sondern lediglich unter dem Gesichtspunkt des reinen Sachwertbefizes einschätzten. Ihr Bestreben ging nicht auf Berbilligung und Rationalisierung der Produktion. Sie suchten vielmehr die Internehmungen in dem aufgeblähten Zustand, in dem sie aus der Inflationsperiode heraus