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Str. 27142. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 11. Juni 1925

Komádianten Summer

Die Zeit um Balmarum ist für das Theatervolt die sorgenvollste. Denn spätestens am 1. Mai ist die Wintersaison im allgemeinen zu Ende; die meisten Theater schließen ihre Pforten. Die ganzjährige Spielzeit ist immer noch eine ziemliche Seltenheit, deshalb sind solche Berträge die begehrtesten. Privatbühnen pflegen, von Hauptstädten abgesehen, im Sommer ihre Tätigkeit einzustellen, falls nicht irgend= welche Gastspiele dann stattfinden. In Berlin hält die Operette ihren Einzug in den ernstesten Theatern. Die heiße. Jahreszeit bedingt eine leichtere Roft für das Publikum.

Erzwungene Ferien.

Die gut bezahlten Kräfte verleben die Theaterferien an der See oder im Gebirge, genau wie andere Menschen, die Erholung von den Anstrengungen des Berufs suchen; fie müssen sich besonders für den neuen Theaterwinter stärken. Andere Künstler haben viel­leicht ein Zuhause, in dem sie ihre Ferien vom Ich feiern. Schlimm ergeht es denjenigen, die weder eine eigentliche Heimat noch Er­sparniffe haben. Die fihen plöhlich auf der Straße, wenn sie nicht durch Protektion oder Zufall irgendeine Beschäftigung finden. Der Film ist zwar eine der reitenden Möglichkeiten, jedoch weiß man, wie gering die Schancen heute bei dem gewaltigen Andrang sind. Manche Sängerin ist oft froh, wenn fie in einem Kabarett in einem der vielen Badeorte aufwarten darf. Dieses Engagement muß als Sommerreise- Ersatz gelten. Der Beginn der Sommersaison öffnet die Bäder und Sommerfrischen, die gezwungen sind, ihren Kurgästen nach Möglichkeit zerstreuung zu bieten. So hat fast jeder Kurort heute ein Kurtheater", wie fich hochtrabend fast jede Dorfschmiere Menni. Die ganz fleinen Bäder werden mit tödlicher Sicherheit von reifenden Theatergesellschaften heimgesucht, womit jene fünstlerisch

geleiteten Wanderbühnen natürlich nicht gemeint find. Auch im großen Berlin tun gewöhnlich zum Pfingſtfeſt einige Sommertheater ihre Pforten auf. Der Berliner liebt es, draußen Kaffee zu trinken und auf der Gartenbühne Konzert zu hören oder Spezialitäten" zu sehen. Den Abschluß des Programms bildet wohl eine Revue oder eine poffe mit lokalem Einschlag. Als Beispiel mag das Rose­theater im Osten Berlins gelten.

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Die Freilicht- und Naturtheater. Biele ernste Schauspieler find glücklich, gelingt es ihnen, für ein Freilichttheater verpflichtet zu werden, auf einer Waldbühne mit

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Schnock.

Ein Roman von See und Sümpfen.

Von Svend Fleuron .

Einen Augenblick darauf erzittern die Pflanzen, die Büschelmassen des Sphagnummooses schwellen an wie Wolfen ein Unwetter zieht aus dem Grunde auf, die Moosdecke hebt sich... die Wasserfläche schaukelt und wird plöglich durch ein Platschen unterbrochen, da Schnock nämlich hochschießt just in dem Augenblid, als eine Schwalbe in graziöjem Sprung eine Mücke von der Wasserfläche auffpnappt.

Das Waffer wird wieder ruhig, die Blafen schwimmen davon und zergehen auf dem Wege nach dem Ufer, Schnod aber sinft in ihr Bett zurück mit der Schwalbe, die ihr halb im Schlunde fizt.

Aber alle Wasserläufer und Mücken wurden zu einem Modderbrei zusammengerührt.

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So schärfte der Kampf um die Nahrung täglich ihren Erfindungsgeist. In früheren Zeiten streifte fie um die Wafferlilieninseln, um Fische zu fangen jetzt gab es dort feine Fische mehr; aber ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, daß hier die Vögel zur Tränte herantamen. Die Nase dicht unter dem Rande der Blätter haltend, stellte sie sich in Bereitschaft... und sie raubte sich manchen Wippfferz; bald den weißen mit den mondlichtfilbernen Federn, bald den gelben- gelb wie just erblühter Hahnenfuß.

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Es fonnte auch geschehen, daß sie sich eine Waldtaube und einmal überfiel sie einen fing, eine Sumpfschneppe alten, vollausgewachsenen Reiher. Sie pacte ihn am Beine, zerrte ihn ins Waffer und zog ihn mit in die Tiefe, wo er

ertrant.

Aber der Reiher versuchte es verschiedentlich, sie auf seinem Schnabel aufzuspießen, und dadurch büßte sie das eine Auge ein. Schnuď.

In dem größten jener alten Torftümpel mit dem braun fchwarzen Wasser fonnte man bei starkem Sonnenschein einen vereinzelten großen Fisch unbeweglich zwischen dem Schilf unter der Böschung stehen sehen.

Sett undentlichen Zeiten war er in diesem Moorpfuhl zu Haufe, dessen Gewässer er nur selten verließ. Eine Bildente,

lebender Szenerie spielen zu können. Mond und Sterne, Bögel und Blumen werden ihnen dort zu Helfern. So märchenhaft eine Auf­führung im Freien von der Verjunfenen Glode" oder dem Sommernachtstraum" sein fann, sind doch die Gefahren dieses Theaterspielens für die Darsteller zu berücksichtigen, die leicht Er­fältungen usw. ausgesetzt sind und vor allem in tausend Fällen ihr Organ überanstrengen, da die Akustit oft sehr ungünstig ist. Zu den bekanntesten Freilichtbühnen gehören in Deutschland die großartige von Oybin und das romantisch gelegene Harzer Bergtheater, in dem diesmal die Lienhard- Festspiele veranstaltet werden. Die anmutige Waldbühne des Niederrheins, Cleve, hat leider aufgehört zu eristieren, wahrscheinlich petuniärer Schwierigkeiten halber. Das Freilicht­theater an den Triberger Wasserfällen( Schwarzwald ) brachte sogar den Faust in einer Nachtaufführung heraus... Der ärgste Feind dieser Sommertheater ist der Regen. Hize oder Kälte sind schließlich zu ertragen, wenigstens fann man sich gegen sie schützen. Ein mit Schirmen bewaffneter Zuschauertreis ist an sich schon ein

Im Sommertheater- Garten.

lächerlicher Anblick; hinzu kommt, daß Regenschirme die Aussicht ver­sperren. Die in der Erde hockende Souffleuse würde unter Um tänden hinwegschwimmen, hätte man schon kein Erbarmen mit den

Darstellern.

Es wäre grundverkehrt, das ernste künstlerische Schaffen vieler Freilichttheater mit großartigen Fachmannsmanieren als Ritsch ab­zulehnen. Denn es ist das Gegenteil von Liebhabertum, vom Ver­gnügen funftliebender Laien, was hier bewirkt wird.. Und da müssen wir auch die soziale Note antlingen lassen. Für manchen Künstler ist dieses Sommerengagement oft Rettung aus dringend ster, schwerster Not. Man tomme nicht mit der üblichen Phrase, daß sich die Begabten doch durchsetzen und nur die minderwertige Spreu zu Boden falle und untergehe. Abgesehen von der Unmensch­lichkeit dieſes Standpunktes, muß doch gesagt werden, daß diese Be­weisführung vor allem heute durchaus schief und unrichtig ist. Im

die Hechtrogen in ihren Federn gehabt, hatte ihn einstmals hierher verpflanzt. Schnud mar nicht annähernd so groß wie Schnod, aber länger und Enochendürr, mit einem Kopf und Zähnen wie ein Hai.

Zu wiederholten Malen waren sie und Schnock einander in die Wolle geraten und befriegten sich aus Mißgunst in ihrem Kampf um die Nahrung. Die Narben von ihren Bissen, die in tiefen Furchen sich über ihre Flanken zogen, waren mit farblosen Schuppen bedeckt, die in Spiralen und Wirbeln bei­fammenfaßen.

In der letzten Zeit waren sie sich jedoch klüglich aus dem Wege gegangen, indem sich jede an ihren großen Torfpfuhl hielt... Im ersten Jahre, das Schnock im Moor verlebte, war sie von mehreren großen Männchen umschwärmt gewesen, und eine Unmenge jüngerer Hechtmännchen folgten in gebührlichem Abstande. Im zweiten Jahre waren nur noch einige wenige übrig geblieben. Und in diesem Frühling, als der Himmel wieder Licht und Wärme zu spenden begann, hatten sowohl sie wie Schnud ihre Laichen einsam und verlassen beendigen müssen.

Manch ein glücklicher Bräutigam war ihren Schlund hinabgegliften, und nun hatten sie im Verein das ganze Moor von Hechten geräumt.

Schlapp und abgemagert waren sie in die Tiefe zurück­gesunten, um auszuruhen.

Bis der Drang nach guter und reichlicher Nahrung heftig in ihren wurde und Mut und Dummdreistigkeit verstärkte.

Eines Morgens unterscheidet Schnod durch das noch nicht vom Tag erhellte Wasser den schwarzbeschmutzten Bauch des vom Tag erhellte Wasser den schwarzbeschmutzten Bauch des alten einheimischen Fisches. Vom Hunger bewogen hat er. Vom Hunger bemogen hat er eine fleine Reise vor seiner Höhle unternommen und steht nun im Pflanzendidicht ihr gerade gegenüber auf der Lauer.

Mitten auf dem Tümpel treiben große Stücke Padeises und breiiger Schnee dahin, aber an den Ufern und Busch­rändern entiang, über denen frühlingstrunkene Kiebige sich in Scharen hummeln, haben die Sonne und die Wärme des Tages bereits offene Straße und Strömung geschaffen.

Plötzlich steigt in Schnock eine aufreizende Erinnerung an die Konkurrentin auf, als sie ihre feuergelben Flanten bei einem Bisse funkeln sieht, pfeilschnell schießt sie hoch und mun sie einander begegnen nach glücklich überstandenem

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Chaos der jetzigen Geschäftstheaterpragis entscheiden Fürsprache und vor allem das Maß der Publikumsgunst. Dabei kommen sehr oft die tätigsten und wertvollsten jungen Kräfte unter die Räder. Und wenn die Prominenz" mit Riefengagen, wenn die mittleren Schau­spieler in vorerst gesicherten Engagements hinausziehen in die Sommerfrische, so wollen wir nicht jener tapferen, jungen Gemeinde vergessen, die sich fast erstickt in der öden Kunstlosigkeit jetziger Theatermacherei, um ihrer Ideale willen im Harz oder sonst irgend­wo für geringe Gagen durch den Sommer hindurchhungert.

Flohdialektik.

Das Haus der englischen Lords hat Sorgen. Es nicht die Arbeitslosenfrage, nicht das Problem Europa , das die Ges müter der britischen Hochfeudalen so schifaniert. Eine Frage von scheinbar minderer Bedeutung, deren Einzelheiten für die Gesamtheit mesenlos scheinen und die, nach dem brennenden Interesse zu urteilen, das ihre Erörterung im Parlament fand, zum täglichen Hausunter­haltungsstoff der Lords avanciert ist. Die englische Presse berichtet fehr ausführlich über die bedeutungsvolle Affäre.

Bei der Beratung des Gesezes zum Schuge dressier­ter Tiere erhob sich Graf Ullswata und verlangte von zuständiger Stelle zu wissen, ob dressierte Flöhe auch unter das Schutz­

gefeh fielen. Er sei im Zweifel, zu welcher Kategorie Lebewesen die Infekten zu zählen seien und ob man sie als legale Tiere" an sprechen fönne. Er fei kein Flohdresseur und verstehe von dieser Branche nichts, möchte aber erfahren, wie das Gesetz mit einem Floh befizer umspringe, der seinem Zögling die notwendige Nahrung, das ist also hier das menschliche Blut, vorenthielte. Jedenfalls sei der Begriff des Flohes wiſſenſchaftlich nicht genügend geklärt. lind es erhob sich Lord Desborough, der Regierungs­vertreter, und sagte mit verbindlichem Lächeln, auch höchstoffizieller­feits habe man über das Wesen des Flohes nicht genügend nach­gedacht. Das Ministerium befindet sich noch ganz im unilaren. Bögel, Reptilien und Fische würde das britische Gesetz als Tiere anerkennen, die Flöhe aber...?! Der Abgeordnete üйsmata ver­fauger in das Gesetz zum Schutze der Tiere. Es sprach noch Lord langte daraufhin die Einbeziehung der fleinen springlustigen Blut­Danesford, und daraufhin wiederum der- flohmütige Graf. Das ganze dauerte so an zwei Stunden, und trotzdem ist die Frage noch nicht geflärt.

Wochenbett, sind sie sich der Bedeutung diefer Begegnung vollauf bewußt: sie wollen sich gegenseitig verschlingen! Floffe neben Flosse fahren sie dahin, einander voller Tücke in die Augen schielend. Schnod ist ihrer Rebenbuhlerin dicht auf den Leib gerückt und drängt sie in der Haft in den Schilf­faum hinein.

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Im Laufe des Winters ist das ganze Röhricht abgeerntet worden; aber einer struppigen Bürste gleich sind die schräge gestuzten, speerscharfen Stoppeln unter der Oberfläche zurück­geblieben. Der Moorhecht wird mit seinem Körper fortwäh­rend über die Bürste gestrichen, die bei jeder Bewegung in ihrem Schwanz und Bauch reißt und im Handumdrehen ihr schwerfälliges, träges. Gemüt aus seinen Bahnen wirft. Sie bläst die Riemen auf und sträubt zornbebend die Flossen, wäh rend ein dichter Regen gold- und filberfunkelnder Schuppen durch das Wasser auf den Grund hinabschwirrt.

Mit einer geschickten Bewegung schlägt sie sich aus dem Schilfwalde heraus und wendet sich nun blitzschnell Schnock zu. Aber die alte Piratin ist dem trägen Moorhecht zu rasch, sie opfert der Gegnerin die Hälfte ihrer Rückenflosse, die scho­nungslos in langen Strahlen an den Gräten entlang herab­geriffen wird.

Da unternimmt Schnod eine Wanderung unter Schnud hinweg und stürzt sich mit offenem Rachen von unten her auf ihre Widersacherin, ihren Kiefer fest in deren Bauch ein­rennend. Schnuck versucht vergeblich, ihre Zähne in Tätigkeit zu setzen, sie sperrt den Schlund auf und schlägt knad knad die lange, fägenartige Zahnschere auf und zu. Schnod aber schüt telt sie unabläffig, so daß ein Schuppenregen nach dem anderen im Wasser um sie her flimmert. Sie wälzen sich umeine daß die Eisschollen bersten bald und die Tausende kleiner Kriflingen und klirren.. sind sie oben im Schneematsch, wo das gelbe, sandige Wasser unter, ihren peitschenden Schwänzen fiedet und brodelt, bald verschwinden sie in einem flimmernden Zidzad in die Tiefe.

Mit der Zähigkeit und der Energie, die Schnod immer­dar beseelt, wenn es die Beute gilt, liegt sie da und balgt sich mit Schnud. Sie fneift die Unglückliche, peinigt und quält fie und hält sie ununterbrochen in Atem. Das ist eine Schlacht, die Schnock nicht eben langweilt! Sie hat ja immer noch die Beute zwischen ihren Kiefern; es entflammt ihr Gemüt, ent­zündet ein Feuer in ihren Augen und treibt sie zu unbesieg­barer Ausdauer an.

( Fortsetzung folgt.)