Sonntag
14. Juni 1925
Filmgefängnisse.
Aus der Film- Welt
Kritische Betrachtungen eines„ Sihredakteurs".
Ganz offenbar besteht die Filmindustrie aus überaus ehrenwerten Leuten. Noch keiner von ihren Repräsentanten ist anscheinend jemals mit dem Gesetz derart in Konflift gekommen, daß er mit Polizei, Gericht oder gar Gefängnis nähere Bekanntschaft hätte machen fönnen. Mir selbst ist es leider anders gegangen. Wenn auch unschuldig( das kann jeder sagen!), so habe ich doch drei schöne Frühlingstage hinter wohlvergitterten Fenstern des" Alex" und daran an fchließend als informatorische Zugabe noch drei weitere im Hotel Moabit" zubringen dürfen.
Meine Absicht, mich von dieser Zeit an auf Grund der eingehen den Studien als Sachverständigen für deutsches Gerichts- und Gefängniswesen in der Filmbranche zu habilitieren, mußte ich leider aufgeben. Gegen die blühende Phantasie der Herren Filmarchitekten fonnte ich nicht aufkommen. Da also meine fachmännischen Kenntnisse auf diese Art nicht in die Deffentlichkeit dringen fonnten, so will ich versuchen, sie hier an den Mann zu bringen.
Der schönste Kriminalfilm" würde seinen Zweck verfehlen, wenn der Angeklagte nicht verinadt" würde( unschuldig natürlich, vonwegen der Rührung), denn dann kommt er in die Zelle, jenen mysteriösen Raum, den feiner unserer Filmarchitekten bisher aus cigener Anschauumg fennen lernen durfte, und in den sie doch alle hineingesperrt gehörten für die Sünden, die sie in diesem Punkte auf ihr Haupt geladen haben. In ihrer Phantasie sputen alle die Räuberromane umher, die sie vom Schmöter aus der Schulzeit her über den Casanova, Dumas, Friz Reuter bis zum Ernst Toller unserer Zeit gelesen und.nicht verdaut haben. Was sie da errichten, ist halb ein Alt- Nürnberger Lochgefängnis, halb Festungstasematte, mit einem fräftigen Schuß Venezianer Bleidächer, Gummizelle und möblierter Studentenbude in Berlin NW. 7.
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Natürlich muß das Mauerwerk selbst aus Quadersteinen bestehen, wie sie zu des seligen Pharao Zeiten zur Freude aller Antisemiten die Juden zu den Pyramiden türmen mußten. Man hört förmlich das Gras zwischen den Steinrizen wachsen und die Wanzen darin bellen! Ohne Ratten num gar ist ein fomfortables Filmgefängnis überhaupt nicht auszudenken. Wer wird sich daran stoßen wollen, daß es immer zufällig weiße find? Gewöhnliche graue haben nun einmal die leidige Gewohnheit, nicht im Bildfeld" bleiben zu wollen; und seitdem bei dem schüchternen Versuch, so einem Albino mit Nigrofinfarbe zu milderem Aussehen zu verheffen, dem armen Ateliermaler die Nasenspite beinahe abgebissen worden ist, streifen die Pinselschinder" bei derartigen Anfinnen realistitmütiger Regisseure. Oftmals habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, warum der arme Gefangene ausgerechnet in monatelanger Arbeit mit dem Koch löffelstiel sich durch die Quadermauern in die Freiheit bohren mußte, wo er es durch die Gitterstäbe doch so viel bequemer gehabt hätte. Denn die waren erstens einmal in so prachtvoll geringer Höhe, wie nie in Wirklichkeit.( Der Beleuchter hätte nämlich sonst zuviel Kletterei mit dem Scheinwerfer für den stimmungsvollen Mondenstrahl ins Zellenduntel!), zweitens aber stehen doch diese Eisen( sprich: Besenstiel-) Gittertraillen derart weit auseinander, daß selbst zwei zusammengebundene Fattys noch wie der Zwirnsfaden durch Gebot bleibt oberstes Gesetz; also„ nicht drüber weg, sondern unfen
durch!"
Viel Spielraum für feine Charakterisierung ergibt dann die Bettenfrage. Ist der Gefangene recht bemitleidenswert, so hat er nur einen Strohfad auf blanker Diele. Luxuriöser ist schon die Holzpritsche aus der militärischen Wachtstube, die dann zumeist fast die ganze Zelle einnimmt. Aber der gütige Architekt fennt in seiner großen Menschlichkeit Gott sei Dant ja auch noch richtiggehende Bettftellen, ja fogar Federbetten, und wie ein mir vorliegendes Photo beweist, gönnt er dem armen Zuchthäusler selbst einen luftigen Bal fon, von dem aus er dann wohl nach des Tages Mühen sein Pfeifchen rauchend über Felder und Wälder schauen darf. Was find dagegen die sauber geweißten Wände, die blankgescheuerten Klapp fize und Klapptische der nüchternen Wirklichkeit, die ja auch nur das hochklappbare Gurtenbett und das Wandbrett für Eßgeschirr und Buggerät tenni!
An eines nur wird im Film nie bei der Ausstattung der Zelle gedacht, daß nämlich der Häftling ja nicht nur effen, sondern auch einmal das Gegenteil davon tun muß. Alle Winkel der Zelle haben wir schon gesehen, aber noch in teiner dasjenige, was eine Brille
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DEIN BEGEHREN IST SUNDE...
MARIA MINZENTY JACK MYLONG- MUNZ Regie: FRANZ SEITZ MONCHENER LICHTSPIELKUNST A.- G,
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DER GROSSE ERFOLG DER SCHAUBURG
321 KONIGORATZER STRASSE 121
trägt und doch nicht... sehen kann! Ich weiß aber auch, warum das Bewußte unmöglich in der Filmzelle stehen darf! Man bedente doch, daß dort ja der Gefangene alle Besuche empfängt, bei denen es bisher leider nur immer noch verabsäumt wurde, Kaffee und Kuchen zu fervieren. Wie fönnte da also solch ein Requifit im Raume wirken! Der Sträffing muß zur Enthaltsamkeit erzogen werden? Oder foll ihn etwa der Schließer in jedem Einzelfalle aus der Zelle heraus: holen? Garnicht auszudenken! Bis der gute Alte aus seinen 596 Schlüsseln den passenden herausgefunden hätte, wäre es längst ohnehin 3u spät.
Lassen wir also schon lieber alles beim Alten, es wirkt so hübsch romantisch und bildhaft". Wer wirklich dereinst noch mit Polizei, Gericht und„ Kittchen " direkte Bekanntschaft machen sollte, erlebt dann wenigstens nette Ueberraschungen. Und wenn er dann von seiner langen„ Reife" zurückgefehrt ist, fann er wirklich was erzählen. Kann er fagen, wie grundfalsch das alles im Film dargestellt wird, fann grabezu progen mit seiner gründlichen Sach- und Lofalfenntnis. Er tut's leider nur nicht, weil er eben wieder mal flüger ist, als... ich, der viel zu offenherzige Dr. Gg. Victor Mendel.
Die Filme der Woche.
Lieblinge der Menschen.
UT. Kurfürstendamm.
Beilage
des Vorwärts
Im Schatten der Sünde".
Ein altes Thema, das realistisch und etwas schwerfällig mit Diana Karenne in der Hauptrolle gespielt wird. Die Handlung ist nach Spanien verlegt, was Anlaß zu schönen Landschafts bildern und Vorführung von interessanten Trachten gibt. Durch den Einberufungsbefehl wird ein junges Ehepaar auseinandergerissen. Die heißblütige Frau bleibt daheim, unter den Schutz des Schwagers gestellt, der sie liebt und begehrt. Da ist es gerade nicht meiter verwunderlich, daß nach der Weinlese der Rausch die beiden Menschen zusammenführt. Der Schwager, falt und egoistisch, übertreibt diesen Vorfall, als der Bruder heimkehrt. Das führt zu Lätlichkeiten unter den beiden Brüdern und dem Hinauswurf des Schuldigen und der jungen Frau. Der Schwager hofft, sie jetzt in seinen Besiz zu bringen. Die Frau aber stürzt sich vom Felsen, da fie lieber sterben will als dem Verfolger gehören. Da holt der Schuldige seinen Bruder, und Mann und Kind eilen an das Krantenlager der Frau, die über Gebühr Leid erlitten hat. Das Programm gibt sich nicht einmal die Mühe, Regisseur und Darsteller zu nennen. Der Regisseur hat z. B. beim Auszug der Refruten aus dem Dorf etwas altmodische Filmmethoden, überdies bringt er Diana Karenne übermäßig oft in Großaufnahmen. Die werden nicht nur ihrem Geficht gefährlich, sondern zerreißen auch den Eindruck des Spiels.
Edles Blut".
Ufa - Lichtspiele Tauentzienpalast.
Das Beiprogramm war die Hauptsache. Gerade in diesen heißen Sommertagen tut ein Film, der den Titel führt Alpine Majestäten", mit seinen weiten weißen Schneeflächen und Gletscherbrüchen besonders wohl. Es weht geradezu Kühlung aus diesem Film. Die Freude am Alpensport wirkt direkt ansteckend. Man möchte auch hinaus, und wenn's nicht bis zu den Zermatter Eisriesen langt, die den Hintergrund dieses Films abgeben, so wird die Sehnsucht doch an irgendeinem märkischen See befriedigt werden können. Immer wieder sieht man die scharf markierten Züge des Matterhorns, das einzigartig in seiner Form sich jedem einprägt, der es einmal gesehen hat. Aber das Ziel der Tour geht nicht auf diesen Berg, sondern auf den Monte Rosa los. Prachtroll werden alle Arten der Bergbewältigung zur Anschauung gebracht. Man erlebt förmlich mit, wie die Schwierigkeiten der schneebedeckten Gletscherspalten durch Umsicht überwunden werden, mie an steilen Graten empor in mühseliger Stufenarbeit geflommen wird. Die Herrlichkeiten der Aussicht erschließen sich durch Wolkengewoge hindurch, aber die schönste und reinste Freude gewährt der Abstieg auf Stiern. Es ist ein Hochgenuß auch für den Zuschauer dieses Gleiten und Sausen über die weißen Felder, dieses Springen in fühnem Bogen, diese scharfen Windungen und diese ergöglichen Purzelbäume.
Die Tiere spielten und spielen im Leben der Menschen eine hochbedeutsame Rolle, und es ist interessant, verdienstvoll und lehr reich zugleich, den Eigenschaften der Tiere nachzuspüren. Ein Kulturwerf, das ernsthafte Beachtung verdient, bringt die Ufa unter Eberhard Fangauf- Bush' Regie als Bilder aus dem Hundeleben heraus. Diesmal wird der Mensch nur als Staffage verwandt. Der Hund spielt die Hauptrolle, und der ganze Film ist auf einen nicht zu unterschätzenden Erklärungswert zugeschnitten. Wir sehen sehr viele Rassen, beispielsweise die ulfigen französischen Bulldoggen, grotest häßlich, die Pudel, so graziös und so fofett wie die großen Damen von Welt, die Rehpinscher, allerliebste Spielzeuge, die russischen Windhunde, schön und treulos, die Schnauzer. eifrig fläffend und wachsam, eine Größe aus dem Raritäten fabinett, den unmodern gewordenen Mops. Gewahren wir zuerst die Prominenten unter den Hunden, die Verwöhnten, so wird hernach recht angeregend der Wert des Gebrauchshundes demonstriert. Wir erblicken den Hofhund, deffen unendlich feiner Instinkt sofort weiß, wann dem Gehöft eine Gefahr droht. Die Jagdhunde be weisen, daß bei ihnen Dressur und natürliche Veranlagung vereint stets das beabsichtigte Ziel ergeben; mag man nun auf Barforce jagd ein Wildschwein stellen, der Förster Reineke auf den Leib rüden, einen Dachsgraben ausheben, oder mögen Jäger aller Art auf Hühner- und Entenjagd gehen. Selbst als Schauspieler leisten die Hunde etwas, und geschickt kostümiert bestreiten sie ein ganzes Varietéprogramm und stellen über dieses hinaus noch die ZuDer amerikanische Film Edles Blut", der im Anschluß ichauer selbst. Wissenswert ist es, wie man nach erprobten Grund- daran geboten wird, verblaßt daneben, obwohl er auch in die fäßen die Dressur des deutschen Schäferhundes vornimmt. welcher Leistungsfähigkeit er gelangen fann, beobachtet man, wenn Zu Wildnis führt, in die amerikanischen Wälder, aber die sehr ge fuchte, moralisch zugespitzte Handlung kann uns wenig interessieren: die berühmte Here" auf die Spur gesetzt wird. Die Zeitlupe er- Ein Tunichtgut, der als Sohn eines Obersten ein liederliches Lebent möglicht bei einem fabelhaft aufgenommenen Hunderennen Beführt, wird nach seiner Verstoßzung mit Hilfe des an seiner Statt wegungsstudien eigener Art. Auf jedem Spezialgebiet hatten Fach- als Adoptivjohn angenommenen Wildlings zur Arbeit und zu leute maßgebenden Einfluß. So wurde alles in allem ein Film einem tüchtigen Menschen erzogen. Das Milieu ist wild genug: der geschaffen, der, auch ohne alten Friz als Abschluß, Beifall finden Revolver regiert, Lynchjuftiz, Mord, Waldbrand sind die Senfationen. Der Sprößling der Cajans, in die Wildnis verdrängter Franzosen, bewährt als Adoptinsohn das„ edle Blut" seiner Herfunft. Es scheint den Amerikanern sehr zu imponieren, daß er von einem vom Hofe Ludwigs XIV. stammenden Aristokraten stammt. Die Darstellung war bemerkenswert gut, besonders M. de la motte in der weiblichen Hauptrolle.
würde.
Frau von Corlands Vergangenheit".
e. b.
Der neue Metro- Goldwyn- Film der Phoebus- Film- Gesellschaft im Marmorhaus stellt sich die Darstellung zweier meiblicher Hauptrollen durch dieselbe Schauspielerin zum Broblem, aber nicht in der Art des„ Studenten von Prag ", mo Wegener den Stu denten und sein Spiegelbild spielte, zur Erregung abgründiger Gefühle des Grufelns, sondern vielmehr etwa nach dem Beispiel Kainzens oder Mitterwurzers, die bisweilen Franz und Karl Moor gleichzeitig darstellten, um die ganze Stufenleiter ihres Könnens herauszustellen. Dieser Film, in dem eine russische Schauspielerin einen Krösus aus einer der alten amerikanischen Knickerbockerfamilien heiratet und daran zugrunde geht, daß sie sich als Prinzessin ausgibt, während sie einer Bauernfamilie entstammt und sich zu ihrer fleinen bäuerlichen Schwester nicht zu bekennen wagt, gibt May Murran Gelegenheit, sich nebeneinander als elegante, überfeinerte Frau von Welt und als russisches, mie aus einem Jfon geschnittenes Bauernmädchen zu präsentieren. Sehr gut find neben ihr Warle For und Elmo Lincoln . Das Tempo des Films, der wie die Mädchenhändler von New York " beweist, daß den Amerikanern die Masseneinwanderung von Russen durch den Kopf geht, ist ziemlich schleppend, einzelne Straßenbilder von New York sehr hübsch. Was diesem Film an Schnelligfeit fehlt, ersetzt aber das vorangehende sehr drollige Lustspiel Tip und Tops schlimmste Tage", das in Flugzeuggeschwindigkeit die unglaublichsten und ergöglichsten Geschehnisse aneinanderreiht. Die Phantasie der Amerikaner in dieser Hinsicht ist transzendental. F. H. C.
„ Die Tochter der Frau Larfac". Primus- Palast.
Die Sommersaison fängt an, sich in der Auswahl der Filmnovitäten bedeutend geltend zu machen. Es werden jetzt vielfach Filme herausgesucht, die auf alle Fälle gespielt werden müssen und von denen man sich doch nicht einen Dauererfolg in der guten Saison verspricht. Mir scheint das eine falsche Taktik zu sein. Man sollte gerade jetzt, wo das Publikum den Lockungen des Films nicht mehr im gleichen Maße folgt wie in den nichtsommerlichen Jahreszeiten, fich anstrengen, etwas besonders Gutes zu bringen. Immerhin, dieser Wiener Film, der zum Teil in Paris geturbelt wurde und durch die Verhaftung und Prozesse, die sich daran fnüpften, seinerzeit Aufsehen erregte, ist noch lange nicht der schlechteste. Die Handlung ist zwar sehr fonstruiert und auch nicht immer auf die filmwirkſamſte Beise in Spannung umgesetzt, aber dafür gibt es sehr schöne Bilder aus Paris und Benedig, eine große französische Revue, die im Versailler Park spielt und an abenteuerlichen Kostümen das Höchstmögliche bietet. Der gräfliche Frauenrerführer, ein moderner Don Juan , der jeder Frau versichert, sie fei seine einzige mahre Liebe, die durch ihn unschuldigerweise ins Unglüd gebrachte Frau, die darüber ihren Gatten verlor und von ihrer einzigen Tochter verachtet wird, die Tochter selbst, die spät die Unschuld der Mutter erfährt, sich an dem Grafen durch ein Attentat rächt und in der Aufregung darüber stirbt, endlich thre Freundin, die zur Mutter zurückkehren und sich als ihre Tochter ausgeben muß, das ergibt den Knäuel der Handlung. Die glüdliche Lösung erfolgt dadurch, daß der wahre Sachverhalt in dem Moment aufgeflärt wird, als die Freundin wegen Mordverdachts verhaftet worden ist und nun die Mutter der Verstorbenen erfährt, daß sie zwar ihre Tochter verloren, aber dafür eine Braut ihres Sohnes gewonnen hat. Die Freundin wurde von Marie Mas= cotte mit natürlicher Anmut und schöner Hingabe an ihre Rolle dargestellt. Biscot Meyer bewährt sich wieder in einer, menn auch furzen, Nebenrolle.
Dem Film voran ging eine sehr ausgelassene amerikanische Groteske, Die Verwandten meiner Frau", in der Buster Reaton feine tolle Lorme aufs luftigite spielen liek D.
мя
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KAMMERLICHTSPIEL
O
Wer
Unterhaltung
sucht, besuche die Vorführung des Films
,, Wege zu Kraft und Schönheit"
im
Ufa- Theater
Kammerlichtspiele
am Potsdamer Platz Dieser Ufa- Film zeigt
die berühmten Tänzerinnen
Karsavina Hasselquist Impekoven
Wochentags: 7 und 9 Uhr/ Vorverkauf ab 10 Uhr ununterbrochen
Sonntags: 5, 7 und 9 Uhr Jugendliche haben Zutritt
f.