Einzelbild herunterladen
 
  

Nr. 28942. Jahrg. Ausgabe A nr. 149

Bezugspreis:

Böchentlich 70 Pfennig, monatlich 3, Reichsmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig , Gaar- und Memelgebiet, Desterreich, Litauen , Luxemburg 4.50 Reichsmart, für das übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.

Der Borwärts" mit der Gonntags beilage Volt und Reit" mit Sied. lung und Kleingarten sowie der Beilage Unterhaltung und Wissen" und Frauenbeilage Frauenftimme" erfcheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.

Telegramm- Adresse: -Sozialdemokrat Berlin *

Sonntagsausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

15 Pfennig

Anzeigenpreise:

Die einfaltige Nonpareille. zeile 70 Pfennig. Reklamezeile 4, Reichsmart. Kleine Anzeigen" das fettgedruckte Wort 20 Pfennig ( zuläffia zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 10 Pfennig. Stellengesuche das erfte Wort

10 Bfennig, jedes weitere Wort 5 Pfennig. Borte über 15 Buch­staben zählen für zwei Worte. Familienanzeigen für Abonnenten Reile 30 Pfennig.

Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 42 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft, Berlin SW 68, Linden. ftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachm.

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktions Dönhoff 292-295

Verlag: önhoff 2506-2507

Sonntag, den 21. Juni 1925

Vorwärts- Verlag G.m. b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr. 3

Postscheckkonto: Berlin 37536- Bankkonto: Direktion der Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstraße 3

Wer will Brotwucher?

Eine Frage des Volkes an die Parteien des Reichstags.

Morgen, Montag, sollte im Reichstag der Kampf um| die Zollvorlage beginnen. Er ist verschoben worden, die Vorlage ist den Abgeordneten noch nicht zugegangen. Die Regie hat nicht geflappt. Man fönnte das als ein günstiges Vorzeichen betrachten, aber wir sind nicht abergläubisch. Zweifellos steht ein schwerer Kampf bevor.

Die Gesegesvorlage der Regierung ist nicht hervorge­wachsen aus objektiven, rein sachlichen Erwägungen, sie ist nicht Ausfluß eines zwedbewußt auf das Gemeinwohl ge­richteten Willens. Sie ist das Ergebnis parteipolitischen Machtwillens des Herrschaftswillens einer zahlenmäßig schwachen Klasse des Volkes. Sie stellt ein enges Gruppen­interesse über das Gemeinwohl. Es handelt sich bei den kom menden parlamentarischen Auseinandersehungen nicht nur darum, den Nachweis zu führen, daß die Zollpläne der Reichs­regierung in entscheidenden Punkten unbegründet und gefähr­lich für die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft sind, es handelt sich darum, mit Empörung und Leiden­schaft den Versuch zurückzuweisen, die Interessen des ganzen Boltes dem Egoismus einer Gruppe unterzuordnen.

Die sogenannte fleine 3ollnovelle, die in Wahrheit in der Fassung, wie die Regierung sie dem Reichstage vorlegt, von grundlegender Bedeutung für Deutschlands fünftige Handels­politik ist, enthält industrielle und agrarische Schutzölle. Wird sie Gesez, so wird ihre Folge eine Verschiebung der Einkommensverhältnisse zwischen den Be­völkerungsflaffen sein. Eine Schwächung der verbrauchenden Massen, eine Stärkung der landwirtschaftlichen, Großbefizer, während die großen Industriefartelle sich durch hohe Industrie­zölle und monopolartige Beherrschung des inneren Marktes fich ihre in der Inflationszeit gewonnene Machtstellung sichern. Erhaltung der Kartellrente, Erhöhung der Grundrente das ist das Ziel der Zollvorlage der Reichsregierung.

-

Teures Brot!

Das Kernstück dieser Vorlage sind die Getreides zölle. Die Vorlage der Regierung sieht vor, daß sofort nach Infrafttreten des Gesetzes bis zum 31. Juli nächsten Jahres eine Mindestzollbelastung von 3 M. für den Doppel­zentner Roggen, von 3,50 m. für den Doppelzentner Weizen, Don 2 M. für den Doppelzentner Gerste eintreten soll. Bom 1. August 1926 aber soll der Zoll mindestens betragen: bei Roggen 5 M. für einen Doppelzentner, bei Weizen 5,50 m. für einen Doppelzentner, bei Gerste 2,30 M. für einen Doppel­gentner. Die Preise für Brotgetreide follen durch den vorgeschlagenen 3oll um ein Viertel bis ein Drittel des heutigen Preises erhöht werden. Diese Maßnahme würde die deutschen Getreidepreise über den Weltmarktpreis bringen. Das in einer Zeit, in der die Löhne der deutschen Arbeiterschaft hinter den in der Welt bezahlten Durchschnittslöhnen zurückbleiben. Die Aufnahme der Getreidemindestzölle in die kleine Bollnovelle ist erzwungen worden von jener reattionären Herenschicht in Deutschland , die von jeher die Massen des Boltes bedrückt hat. Ihr Vorstoß ist nicht nur ein wirtschaft­licher, sondern im höchsten Maße ein politischer. Die Großagrarier bilden jene Herrenschicht, die in allen Ländern, die sich zur Demokratie entwickelt haben, oder noch auf dem Marsch zur Demokratie begriffen sind, am längsten und am zähesten an der autoritativen Staatsform festgehalten haben. Auf der Basis des Grundeigentums der stärksten Position des privatwirtschaftlichen Systems stehend, flammern sie sich zäh an überkommene Borrechte, die sie gegen jeden Fortschritt ver­teidigen. Sie fordern, daß das Bolt sich ihren Interessen unterordne. Herrenrechte vor Boltsrechte! Die reaktionäre Tendenz dieser Klasse bildet eine Gefahr für den Fortschritt, der sich in geordneten demokratischen Formen voll­zieht. Die Ueberwindung ihres Herrenstandpunktes, die Be­feitigung ihrer Sonderrechte, die Schwächung ihrer Macht durch den Willen des Volkes ist die Voraussetzung ruhiger fortschrittlicher Entwicklung in demokratischen Formen. So lange die Vormachtstellung dieser Klasse, ihre verhängnisvolle Rückwirkung auf die Formen des Fortschritts nicht gebrochen ist, solange ist die moderne Demokratie nicht stabilisiert. Indem die Rollvorlage der Reichsregierung diese Klasse auf Kosten des Volkes stärken und mit wirtschaftlichen Vorrechten aus­statten will, ist fie ein Angriff auf den demokratischen Ge­danken. Der Kampf gegen die unter agrarischem Inter­effentengesichtspunkt gefaßte Schutzzollvorlage der Reichs­regierung ist deshalb Rampf für die Demofratie. Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

Abbau der Zollmauern! Deutschland muß sein handelspolitisches System neu ordnen. Am 10. Januar 1925 find alle handelspolitischen

-

Bindungen Deutschlands durch den Versailler Vertrag ge­fallen. Europa ist durch Zollmauern zerrissen. Das Hoch fchutzollsystem ist bis zu einer fast unerträglichen Grenze durchgeführt. Die deutsche Handelspolitik muß bei ihrer Neuorientierung dieser Tatsache gewiß Rechnung tragen, sie muß aber auch das Ziel ins Auge faffen, die Zollmauern abzubauen. Deutschland , das hohe Reparationslasten zu tragen hat, muß sich die Vorteile des internationalen Waren­austausches zunuze machen. Wenn Deutschland Handelsver­träge abschließt, die zu einem Abbau der Zollmauern führen, so ist damit ein wichtiger Anfang zur Abkehr vom Schußzollsystem in Europa gemacht. Handelsvertragsver handlungen werden geführt unter dem Gesichtspunkt do ut des gib, daß auch dir gegeben werde. Deuts land muß deshalb die Möglichkeit haben, den Schutzöllen der anderen Kampfzölle entgegenzusehen, um zu erreichen, daß die anderen den Abbau der deutschen Kampfzölle mit dem Abbau der eigenen Schutzölle erkaufen. Diesem Zweck sollte ursprüng­lich die Zollvorlage der Reichsregierung dienen. Die Zölle dieser Borlage müssen deshalb beweglich fein. Die Regierung muß die Möglichkeit haben, sie bis Die Regierung muß die Möglichkeit haben, sie bis auf ein äußerstes Minimum herabzusehen. Die Reichsregie­rung hat, dem Drängen der Agrarier folgend, in die kleine Bollnovelle Getreidezollfäge hineingearbeitet, deren Höhe nach unten ein für allemal gebunden ist. Aus einem Instrument, das den Abbau der Zollmauern in Europa dienen soll, ist die Borlage der Regierung damit zu einem Instrument zur Er­richtung neuer Schuzzollmauern, zur Verstärkung der alten Schuzzollmauern geworden.. Deutschlands Kampf um wirt­schaftlichen Wiederaufstieg ist unvereinbar mit dieser Zoll­vorlage.

Der erste Versuch.

Bor einem Jahr unternahm der Bertreter der agrarischen Interessen in der Reichsregierung Graf Kanis den erſten Versuch, Getreidezölle im Interesse des landwirtschaftlichen Großbefizes wieder einzuführen. Eine Mehrheit der dama­ligen Reichsregierung stand hinter seiner Vorlage. Sie war ein Teil des Kaufpreises, den die Regierung von damals den Deutschnationalen für die Zustimmung zum Dames- Plan bezahlen wollte. Die Annahme der Dames­Gefeße war um des Lebens und des Sterbens des deutschen Voltes willen eine politische Notwendigkeit. Die Deutschnatio­nalen, deren Führer immer wieder den Satz verkündet: Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun, wei­gerten sich um des deutschen Volkes willen, diese Notwendig feit zu vollziehen. Sie taten die Sache nicht um ihrer selbst willen, sondern gegen Bezahlung, die in Ministersißen und in der Wiedereinführung des Getreideschutzzolles bestehen sollte. Wenige Tage nach der Annahme der Dawes- Gesetze versuchte Graf Kaniß das Geschäft zu verwirklichen. Es gelang jedoch damals der sozialdemokratischen Reichstags fraktion durch einen gefchickten parlamentarischen Schach­zug die Absichten des Ministers Ranig zu vereiteln.

Der Erpressungsfeldzug.

=

um den fachlichen Erfolg. Sie will verhindern, daß der Zolltarif in dieser Form Gesetz wird.

Gelingt ihr das, so werden auch viele, die rechts von ihr stehen, allen Grund haben, erleichtert aufzuatmen. Die bürger­liche Mitte wird dann von einer Verantwortung befreit sein, die sie vor ihren Wählern nicht tragen kann. Allein können es ja die Deutschnationalen nicht schaffen. Sie können es nur, wenn sich eine Mehrheit findet, die entschlossen ist, gegen den Willen einer starken Minderheit, gegen das Urteil der Wissenschaft, gegen das Votum des Reichswirtschaftsrats, gegen den Willen des größten deutschen Landes die Gesetz­werdung des Regierungsentwurfs zu erzwingen. Eine so umstrittene, so tief ins Leben jedes einzelnen einschneidende Vorlage binnen weniger Wochen Gefeß werden zu lassen, während zugleich viele andere wichtige Materien der Erledi­gung harren, das vermag nur ein brutaler, beutegieriger, alle fachlichen Bedenken, alle parlamentarischen Rechte der Minder­heit niederstampfender Herrenmille!

Findet sich im Reichstag eine Mehrheit, die sich diesem Herrenwillen beugt, desto gewisser wird das Volf gegen ihn rebellieren, desto gewisser wird es dafür sorgen, daß eine solche Mehrheit verschwindet! Wer dem Brotwucher dient, stirbt daran!

Politik und Wirtschaft.

Rechberg und die Kreuzzeitung ".

Rechberg , der den Gedanken des Abschlusses von Inter­

Das internationale Eisenkartell ist perfett. Herr Arnold essengemeinschaften zwischen der deutschen und französischen Großindustrie vertritt und an der französisch- deutschen Kali­interessengemeinschaft beteiligt ist, ist Teilhaber der Kreuz­3eitung" geworden. Graf 2e starp veröffentlicht in der Kreuz- Zeitung " eine Erklärung, die, wenn auch unaus­gesprochen, diese Tatsache zugibt und mit höflicher Verbeugung vor den wirtschaftlichen Bestrebungen des Herrn Rech berg der Situation Rechnung trägt. Darin heißt es:

Wenn die deutsche Raliindustrie mit der elsässi­chen eine Konvention über Preise und Absatzgebiete schließt, oder wenn zwischen der französischen und deutschen Indu

strie wirtschaftiche Abmachungen über Kohle und Eisen wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden mögen Interesse berührt wird, teine Einwendungen zu erheben sind. Den Gedanken aber, daß durch wirtschaftliche Interessen und Berhandlungen das politische Verhältnies zwischen Deutschland und Frankreich günstig zu beeinflussen sei, halten wir nach wie vor für unzutreffend. Frankreichs gegen Deutschland gerichtete Politik wird nicht ausschließlich oder auch nur vorwiegend durch die wirtschaftlichen Interessen der beiderseitigen Industrien bestimmt.

zur Verhandlung stehen, so find das Vorgänge, die nach rein und gegen die, solange nicht im einzelnen das gesamte deutsche

Sie beruht auf den Jahrhunderte alten politischen und historischen Beweggründen. des französischen Hasses und Vernichtungswillens, des Strebens der französischen Nation nach der Herrschaft über den Rhein und damit über den Kontinent. Uns erscheint es als eine Utopie, zu glauben, daß industrielle Kartelle oder Konventionen, die über die Rheingrenze hinausgehen, hieran etwas bessern können und wir halten es für eine politische Pflicht, dahin zu wirken, daß nicht durch solche Utopien der deutsche Abwehrwille ge­schwächt wird."

Nach den Dezemberwahlen erfolgte die Regierungs­bildung unter dem Gesichtspunkt, die Sozialdemokratie auszuschalten, damit eine bürgerliche Mehrheit unter deutsch nationaler Führung die Schutzollpläne der Deutschnationalen Derwirklichen könne. Die industriellen Kreise drängten auf eine beschleunigte Verabschiedung einer fleinen Zollnovelle, die in der Hauptsache nur Industriezölle enthalten sollte. Diese Für die Praxis die wirtschaftlichen Abmachungen mit Novelle war notwendig, um die schwebenden Handelsvertrags­verhandlungen rasch zum Abschluß zu bringen. Die agrarischen Frankreich , für die Agitation nach innen die nationalistische Streife haben das Zustandekommen eines derartigen Entwurfs Phrase. Man weiß in Zukunft, wie man die Haltung der in der Reichsregierung so lange verhindert, bis ihre Sonder- Kreuz- Zeitung" zu bewerten hat. wünsche erfüllt waren und die Getreidemindestzölle in die fleine Bollnovelle aufgenommen waren.

Wozu sind denn die Deutschnationalen in der Regierung? Drängt es sie, die Verantwortung für die außenpoliti chen Entscheidungen zu übernehmen, die in diesem Jahre getroffen werden müssen? Ihre bisherige Taktik zeigt, daß es ihnen in erster Linie darauf ankommt, materielle Interessen durchzusehen. Nicht die materiellen Inter­effen der Millionen fleiner Leute, die bei den Wahlen hinter ihrer schwarzweißroten Fahne hergelaufen find, sondern die Interessen einer dünnen Herrenschicht. Jenen Massen hat man einen nationalen Idealismus vorgegaufelt, um einem scham lofen wirtschaftlichen Materialismus frönen.

Der Kampf der Sozialdemokratie.

zu

=

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion tennt die Stärke ihrer Gegner, aber auch ihre eigene Stärke. Sie ist sich der ungeheuren Tragweite der bevorstehenden Entscheidung be­wußt. Sie tämpft nicht um den agitatorischen Vorteil, sondern

Herr Rechberg selbst nimmt im Börsen- Kurier" das Wort, um seine ,, Utopie" als realisierbar zu bezeichnen. Nach­dem er wie Graf Westarp die Kaltinteressengemeinschaft als feines Geschäft bezeichnet hat, erklärt er:

-

,, Ebenso muß ich für mich selbst die Bezeichnung als franzofen­

freundlich ablehnen. Das Ziel meiner Verhandlungen mit französi= fchen Staatsmännern zu Anfang des Jahres 1924 war, daß durch den Abschluß von Interessengemeinschaften zwischen den deutschen und den französischen Großindustrien politische Vorteile für Deutschland erreicht wür­den. Die französischen Staatsmänner waren damals durchaus bereit, in diese Richtlinien einzulenten, weil sie sich von einer solchen Lösung Vorteile auch für Frankreich versprachen. Mein Versuch scheiterte aber an 23iderständen auf deutscher Seite."

Man nähert sich an. Graf West arp erklärt mit höf­licher Verbeugung, feine Einwendung gegen den Abschluß wirtschaftlicher Interessengemeinschaften vorbringen zu können. Bon Landesverrat ist keine Rede mehr, nur noch von Utopien.