Reichsbannertag in Sreslau. Beteiligung der republikanischen Parteien. Breslau . 20. Juni. (Eigener Drahtbericht.) Breslau steht feit gestern im Zeichen der republikanischen Farben, die anläßlich eines Gautages des Reichsbanners das ganze Straßenbild de- herrschen. Ein Fackelzug der Reichshannerleute am gestrigen Abend vereinigte bereits 6000— 7000 Bundesmitglieder, die mehr als 100 000 Menschen als sympathisierende Zuschauer auf die Demonstra- tionsstraßen gelockt hatten. Ein großer Teil der auswärtigen Mit- glieder trifft ober erst heut« ein, so daß zur morgigen Kundgebung eine erheblich stärkere Beteiligung zu erwarten fft. Bei der Banner- weihe wird die Hauptansprache Genosse Schützinger halten, während in der öffentlichen Kundgebung Genosse Reichs tagspräsident Lobe, der demokratische Senotspräsident Großmann, der katho- lffche Bolksvereinsführer Dr. Kraneburg vom Zentrum zu den Massen sprechen werden.
Der Ankläger als Rngeklagter. Das Ende einer völkische« Hetze. München , 20. Juni. (Eigener Drehtbericht.) Im Chiemgau sitzen nicht nur stramm organisiert die Hauptgetreuen der Wittels- bacher, sondern eine Reihe von nationalistischen Verbänden und Bünden betrachten seit Jahren diesen Landstrich als ihr Haupt- rekrutierungsgebiet. Es ist daher verständlich, daß die aufrichtigen Demokraten und Republikaner, die dort leben, vielen Schikanen und Belästigungen ausgesetzt sind. Einen der krassesten Fälle, nämlich der des Kunstmalers Wehrung in Seebruck , spielt seit langem in der Oeffentlichkeit eine besondere Rolle. W. war seit Jahren der Gegenstand einer systematischen Verhetzung, die zu zahl- reichen Drohbriefen, zum persönlichen Boykott und schließlich im Herbst 1923 zu verschiedenen Attentaten führt«. Dabei wurde stark geschossen und zuletzt die Villa Wehrungs durch Dynamitbomben furchtbar zugerichtet. Die Folge dieser Anschläge war die Verhaftung zweier Mitglieder des Bundes „Bayern und Reich" und eine Zeitungspolemik, in der auf den Präsidenten des Bayerischen Automobll-Klubs, des ehemaligen Majors C z e r m a k, der am Chiemsee ein Schloß bewohnt, als Anstifter der Hetze hingewiesen wurde. Czermat war bereits im vergangenen Jahr wegen Vergehens gegen das Sprengstoffgesetz zu sechsmonatlicher Gefängnis st rafe, natürlich mit Bewährungsfrist, verurteilt worden. Er verklagte nun Wehrung wegen Beleidigung bzw. übler Nachrede. Das Ergebnis der vier- tägigen Verhandlungen am Traunsteiner Amtsgericht war für den Kläger niederschmetternd. Er glaubte sich nur noch durch ein Der- gleichsangebot retten zu können, das abgewiesen wurde. Das unter großem Andrang des Publikums verkündete Urteil sprach nicht nur den Erstbeklagten Wehrung frei, sondern verurteilte gleichzeitig den Herrn Major und Führer der vaterländischen Bewegung des Chiem- gaues wegen fortgesetzten Vergehens der öffentlich verübten„üblen Nachrede" und der„Beleidigung" zu 3 00 0 Mark Geldstrafe, eventuell 60 Tage Gefängnis und Tragung sämtlicher Kosten.
Die Steuerfabotage. Stinnes hat noch ketne Erbschaftssteuer gezahlt. Der Steuerausschuß des Reichstags beendete am Sonn- abend die Beratung des Bewerlnngsgesehes.§ 54 sieht vor, daß die Emheilswerle bei landwirtschaftlichen Grundstücke« osfcngelcgt wer- den. Ein soziatdbmokratischer Antrag will, daß diese'Offenlegung der Steuerlisten zwingend vorzunehmen ist und nicht von dem Ermessen des Reichsfinonzministeriums abhängt. Staatssekretär P o p i g erklärt, sich damit einverstanden, daß künftig die Offenlegung der Steuerlisten für die Vermögenssteuer der Landwirte eingeführt wird. Bei den S t ra ib e st i m m u n g e n entspinnt sich eine Debatte über den folgenden§ 77 Abs. 2: „Wer in dem Bewußtsein, daß infolge seines Verholtens eine Verkürzung von Einnahmen an Einheitswertsteuern eintreten kann, es unternimmt, die mit der Wertermittlung befaßten Be- Hörden irrezuführen, wird bestraft wie wenn er den Ver- such einer Hinterziehung von Reichssteuern begangen hätte."
Abg. Dr. Herh(Soz.) bringt das vertrauliche Rundschreiben des Kreisverbandes P r.- H o l l a n d, des Landwirtschaftlichen Verbandes Ostpreußens , zur Sprache, in dem die Landwirte aufgefordert werden, die fälligen Vermögens- und Einkommensteuern nicht zu entrichten. Redner fragt, was die Regierung gegen den Kampf der Agrarier gegen die Steuerzahlung tun werde und fordert in einer Entschließung die sofortige Vorlegung einer Statistik über die Verstöße gegen die Verordnung des Reichspräsidenten . Staatssekretär Popih erklärt, er werde den Fall untersuchen lassen. Falls sich die Sabotageverordnung des Reichspräsidenten an- wenden lasse, werde die Strafverfolgung eintreten. Im vorigen Jahre habe die Verordnung in einer nicht geringen Zahl von Fällen der Steuersabotage angewendet werden müssen und zu hohen Strafen geführt. Es sei richtig, daß die vranntweinsteuerhinterziehungen zu einem Kriege der Schwarzbrenner mit den Zollbeamten geführt haben, bei dem die Beamten vielfach in Lebensgesahr geraten feien. Die Entschließung Hertz wird angenommen, nachdem der Staats» sekretär Popitz erklärt hat, daß sich die Verurteilungen durchweg gegen prominente Organisationen gerichtet haben. Der Ausschuß tritt dann in die Beratung der Erbschaftssteuer ein. Abg. Ströbel(Soz.) begründete den Antrag auf Besteuerung des Gattenerbes. Staatssekretär Popitz teilt mit, daß durch Erlaß der Ausfall an Erbschaftssteuern gering sei. Anders sei es mit den Stundungen. Da ständen sehr erhebliche Beträge aus, die aber nur gegen Sicherheiten gestundet worden seien und dem Reiche nicht verloren gehen. Die Außenstände betragen etwa 50 Proz. Zum Fall Slinnes erklärte der Staatssekretär, er könne detaillierte Aus- künste nicht geben, es bestehe das Steuergeheimnis, das auch für ihn gelte. Die Ermittlungen im Falle Stinnes sind eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen. Wahrscheinlich feien noch nicht einmal die Verträge über die Auseinandersetzungen zwischen den ver- ! biebenen Persönlichkeiten zum Abschluß gediehen. Die geforderte N a ch l a ß st e u e r sei nicht notwendig, da man jetzt die laufende Vermögenssteuer habe. Die Abstimmung ergibt die Ablehnung des sozialdemokratischen Antrags auf Besteuerung des Gatlenerbes gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten. Die weitere Beratung wird auf Montag vertagt._ Der pleitegeier im Rechtsblock. Uns wird geschrieben: Nachdem vi« Verhandlungen wegen Neufinanzierung der deutschnationalen Zeitungen„S ü d- W e st en" und„Schöne- berg er Morgenzeitung" im Sande verlaufen sind, werden die genannten Zeitungen ab Montag ihr Erscheinen einstellrn. Innerhalb vier Wochen hätten somit vier Zeitungen des Rechtsblocks: die„Zeit".Nationalpost",.Süd-DesteN", .Schöneberger Morgenzeitung" aufgehört zu existieren.
Das Manöver-Unglück bei Veltheim. Prozeftbeginn Montag.— Tie Schnldfrage. Das große Manöverunglück der Reichswehr , dem am 31. März d. 2. anläßlich des Wefer-Ueberganges bei Nelt- heim 80 Soldaten und ein Zivilist zum Opfer fielen,, fft Gegen- stand der am 22. Juni vor dem erweiterten Schöffengericht in Minden beginnenden Verhandlung. Die Untersuchung der Staats- anwaltschaft ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der den Weser » Uebergang leitende Oberleutnant Jordan durch Fahr»' l ä s s i g k e i t die Katastrophe verschuldet hat. Gegen ihn ist An- klage erhoben worden, die durch den Oberstaatsanwalt v. Schme- dersky und Staatsanwalt Dr. Spranken, Bielefeld , vertreten wird. Die Perhandlung leitet Amtsgerichtsrat Bagedeß. Als Schöffen fungieren zwei Möbelfqbrik-i"*-» namens Meyer und Rffrncke, Minden . Die Verteidigung von den Rechtsanwälten Dr.' Recken, Hörter, Und Dr. Müller II, Hannover , geführt.'
JrilJof Nansen ist mit einer Kommission von Experten und Spezialisten für Baumwollbau über Tiflis in Eriwan einge- troffen, um die Möglichkeit zu untersuchen, die flüchtigen Armenier, hauplsächlich aus Griechenland , wo etwa 4? 000 in großem Elend leben, nach Sowjetarmenien überzuführen. Nun handelt»s sich um die Frage, ob durch Bewässerungsanlagen und Baumwoll- Plantagen den Armeniern Lebensmöglichkeiten geschaffen werden können.
Aber die werden manchmal Wirklichkeit— und dann wird man ja sehen. Westarps betvustter Verrat. Indes GrafWestarp wohlwollend Kenntnis vom Ab- fchluß des deutsch -srllnzcsisch-belgischen Eisenkartells nimmt, tobt die halbvölkische„Deutsche Zeitung" über diesen „Verrat ander nationalen Wirtschaf t". Es fei schlimm, daß die sozialdemokratische Arbeiterschaft das Reich aus den Fugen bringe, aber: „Wenn die Schwerindustrie dasselbe tut um nacktes persön- liches Gewinnstvoben, so ist ihr Verrat am Volke bewußter Ver- r a t, ist bewußt bsgongener Verrat für Geld. Das Abkommen mit Frankreich wäre ein Todesstoß für alle Arbeiten, eine nationale deutsche Wirtschaft zu schaffen. Zoilmariern um die Wirtschaft zum Schutze und zur Aufführung einer nationalen Wirtschaft sind gut. Zollmauern, um einer bestimmten Wirffchafksgruppe private vorteile zu verschaffen, sind Verbrechen. Wir brauchen keinen Schutz der Eisenindustrie, wenn die Eisenindu- strie gleichzeitig durch Abkommen mit Frankreich die nationale Wirt- schaff verrät. Dann ist das Wort nationale Wirtschaft Heuchelei, Phrase, Betrug am Volk." Herr R e ch b e r g ist oft genug von der„Deutschen Zeitung" des Verrats bezichtigt worden. Daß Graf Westarp jetzt in Gemeinschaft mit ihm des bewußten Verrats beschuldigt wird, ist neu. Mit ihm wird sich Herr Reichert, Vorsitzen- der des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustriellen, der sich in Saarbrücken mit den höchsten Tönen für das Eisen- kortell eingesetzt hat, über die wirbelnden Anschuldigungen: „Phrase, Heuchelei, Volksbetrug, Verrat für G e l d" gewiß sehr interessieren. Und erst Herr H u g e n- b e r g, den eben erst der Minister Schiele als„nationalen Wirtschaftsführcr" beglückwünscht hat!
wie sie verhandeln wollen. Teutschnationale Organisationen und Austcnpolitik. Während die Presse der Deutschnationalen in Berlin eine offene Ablehnung der stanzösischen Rote nicht forderte, legt sich die Provinzpresse der Deutschnationalen keine Zügel an. Die„M ünchen-Augsburger Abendzeitung" e'npfiehlt, die französische Rote kurzerhand in den Papierkorb zu werfen: die„P o m m e r s ch e T a g e s p o st" veröffentlicht unter der Ueberfchrift„Schluß mit der Erniedri- gungspolitik" eine Enffchließung des Landesverbands Hannover der Deutschnationalen Partei, in der es heißt: „Von Reichsregierung und unserer Reichstagsfraktion erwarten wir, daß sie der E n t w a f f n u n g s n o t e den Widerstand ern- gegensetzen werde, der der Würde des Reichs, unserer Sicherheit zur Verteidigung der Landesgrenzen, der Aufrechterhaltungsmöglichkeit ver Ruhe und Ordnung im Innern und den Belangen unserer Wirtschaft entspricht. Als selbstverständlich nehmen wir an, daß alle Forderungen a bg elehnt werden, welche über das Versailler Schmachdiktat hinausgehen. Bei dem kleinlichen Standpunkt, den der Feind bezüglich unserer Er- � ilung eingenommen hat. halten wir es für die höchste Zeit, daß nun auch endlich von unserer Seite öffentlich kundgegeben wird, wie immer der Feindbund den sogenannten Friedensvertrag seiner- seits verletzt hat. Schließlich fordern wir erneut den amtlichen Widerspruch der Schuldlüge. ...Mit banger Sorge sehen wir. den Verhandlungen über den Sicherheitspakt entgegen. Niemals darf niit deutschnationaler Zustimmung Unrecht für Recht erklärt werden. Ein, Eintritt in den Völkerbund kann für uns nicht in Frage kommen, solange der Versailler Vertrag besteht." Bei solchen Stimmen aus dem Lager der Negierungs- Parteien muß es für die Regierung ein Vergnügen sein, die Verhandlungen mit den Westmächten weiterzuführen.
Die Rheinlandkommission hat die Auflösung deS deutsch » völkischen Jugendbundes und sämllicher Jugend« oder Propagandavereinigungen, die der deutichvölkiichcn FreiheitS - dewegung angeschlossen sind, im besetzten Gebiet angeordnet.
Das wieöerfehen. Von Adolf Lau. Wie oft war nun die kleine Lehrersfrau zum Jugendamt ge- laufen. Die zwieschlächtige Besoldungspolitik der Regierung hatte auch für den Gatten, den armen Gemeindeschullehrer der Gruppe S, keine glänzenden Früchte heranreifen lassen. Und der Junge sollte doch eine gut vorbereitete Laufbahn vor sich sehen, wenn er ins rauhe Leben trat. Die ungesunde Großstadtluft zehrte auch an seinem Körper. Schmal und fast eingefallen waren die Wangen, blaß das Aussehen. Die Brust zeugte von der üblichen Entwicklung der Großstadtjugend. Run endlich aber sollte er hinaus aus diesem Getriebe, sollte frische Bergluft atmen, in der Sonne die Kräfte des Körpers spielen lassen und bei guter Kost und Pflege gesunden. * Vier Wochen waren bereits dahin. Auf den Matten des Schweizer Iura tummelte sich eine muntere Schar, Jungen und Mädel des Berliner Ostens. Ordentlich braun gebrannt hatte die Sonne die früher so blassen Gesichter. Die Sehnen der kleinen Körper waren gestrafft, die Augen blitzten. Und wie war das ganze jugendliche Leben hier schon bereichert worden. Die törper- liche Entwicklung blieb durch keinerlei Nahrungssorgen gehemmt. Eine muntere Helferin des Berliner Jugendamts aber sorgte für Unterhallung und Spiele. Schöne Lieder wurden eingeübt, daß es weithin zu den Bergen schallte. Und was gab es dort draußen olles zu sehen: der bunte Blumenflor auf den Wiesen, das Treiben der Bienen und Ameisen, die Blütenpracht der Obstgärten, die schneebedeckten Kuppen der Bergesriesen in der Ferne.. Und alles zeigte ihnen die„Tante Anni", lehrte ihnen, wie in der Natur das Leben sprießt und wie der Mensch sich zu alle diesem stellt. Wie schön war es hier, fast könnte man die Heimat vergessen.. �. * Acht Wochen waren nunmehr seit der Abfahrt ins Land ge- gangen. Die Heimfahrt mußte angetreten werden. Auf dem Bahn- Hof nehmen die Eltern stäupend ihre gut entwickellen Sprößlinge in Empfang, die manchmal kaum wiederzuerkennen sind. Freudig eilt alles heim. Nur eine Gruppe scheint sich nicht schlüssig zu sein: die Lehrerfamilie. Inmitten von Kisten und Kasten steht der Junge. Er hat sich gut herausgemacht, ist mindestens zehn Zentimeter ge- wachsen. Und was er alles gesammelt hat, ein richtiger Natur- forscher wurde aus ihm. Dennoch scheint Unzufriedenheit zu herrschen.„Was ist nur mit meinem Jungen los", fragt ratlos die Mutter. Silber ich bitte Sie, er sieht doch gut aus", lautet die Antwort.„Ja, aber er spricht ja nicht!"„Nun, er kann sich noch nicht von der Schweiz trennen." Und,„ich möchte lieber dort bleiben", läßt sich nun auch der Junge oernehmen.—???— „Ist das nun der Dank...?" Der Dank fiebert in allen Adern, leuchtet aus den Augen, wird sich in der inneren Entfaltung zeigen und zukünftiges Menschenglück gestalten! Das ist der Weg aller Jugend'
vas Staatstheater ehrt öie �JugenS�. Max Halbe , der heute zur Verbitterung neigt, möge sich nicht beklagen. Regierte noch das, was ihm einigermaßen am Herzen zu liegen scheint, so würde man niemals am Staatstheater seine„Jugend gespielt haben. In unserer Republik wird nicht ver- gessen, daß diese Tragödie der Herzen immer noch wungerschön ist. Sie rührt durch Schlichtheit, sie bewegt duerch lyrische Zartheit. Die Dichter, die vor dreißig Jahren verdächtigt wurden, daß sie nur der Unzucht und Berderbnls dienen wollten, entpuppen sich heute als lautere Lyriker. Max Halbes„Jugend" ist die lyrischste Tragödie des Naturalismus geblieben. Aber dramatisch wirkt alles noch. was der junge Mann mit seinem Gefühle niederschrieb. Im Herbst werden wir den 60. Geburtstag Max Halbes begehen. Wir dürfen, wir müssen es mit einiger Feierlichkeit tun. Das verdient er. Heute werde nur festgestellt, daß der Regisseur Jürgen Fehling eine volkstümliche frühlingsoolle Borstellung schuf. Es atmete in dem westpreußischen Pfarrerhau» die glückliche Natur. Obwohl Herr F l o r a t h dem toleranten, gefühlsreichen, dem guten Leben noch keineswegs entfremdeten Pfarrer manches schuldig blieb, was diese wuchtige und imponierende Theaterfigur erfordert, strahlte die ganze Menschenfreundlichkeit dieses prächtigen Gottesmannes auf. Der Amandus des Herrn Stecket und der eifernde Kaplan des Herrn Volk waren nicht Leistungen des blü- henden Instinktes, sondern nur klug angelegte Rollen, und durch diesen Intellektualismus zerbröckelte viel von der Ursprünglichkeit dessen, was auf der Bühne stehen sollte. Herr Veit Harlan spielte den seligen unseligen Jüngling. Cr verschwendete zu viel Jugend. Aber er besitzt Jugend. So ließe sich gegen ihn nur ein- wenden, daß er seine Mittel mehr disziplinieren sollte. Alles erfüllte Fräulein Lucie Mannheim als Aennchen. Diese Künstlerin genügte nicht immer, wenn sie zu höhet Tragik aufbrausen wollte. Es schien, als ob sie sich zwingen müßte, dunk- lere Töne anzuschlagen. Nun schmilzt das Temperament des Aennchens und dessen Schicksal genau mit dem Temperament der Schauspielerin zusammen. Und es entsteht etwas sehr Liebliches. Jedes Wort der Heiterkeit, aber auch jed�r Seufzer werden so ge- tönt, daß sich nur die aufrichtigste Natur offenbart. Ja, das beste, was Fräulein. Mannheim bisher zeigen tonnte, war dieses süßeste Opfer der Jugend._ M. H. Hermann Kienzl begeht am Montag seinen 60. Geburtstag. Seine österreichischen Landsleute feiern ihn— er ist am 22. Juni 1865 als Sohn des Bürgermeisters in Graz geboren—. aber die Deutschen nicht minder. Allen, die mit Literatur und Theater, in Berlin zu tun haben, ist er seit 20 Iahren vertraut. Als Schauspiel- kritiker, der für große auswärtige Zeitungen schreibt, ist er in allen Premieren zu sehen.. Man hört ihn gern, nicht nur seines an- heimelnden steiermärkischen Dialekts wegen, sein unbefangenes, keinem Klüngel �und keiner Verstiegenheit dienstbares Urteil geht immer auf die Sache. Hermann Kienzl hat keine Feinde, mag er noch so scharf zupacken, man hat immer das Gefühl, daß ein warm- herziger Mensch am Werke fft. Neben seiner journalfftischen Tätig- keit.— er gab 1905— 1910 mit Jlgenstein die Wochenschrift„Das Blaubuch" heraus und leitet die Monatsschrift„Oesterreich-Deutsch- land"— geht sein dichterisches Schaffen einher. Eine Reih« Dramen,
von denen das soziale Schauspiel„Der rote Leutnant" und die Komödie„Die Kammerwahl" starken Bühnenerfolg hatten, haben seinem Namen Achtung verschafft. Seine dramaturgischen und lite- rarischen Schriften zeugen von seinem gediegenen Urteil. Hermann Kienzl ist kein Stubenliterat, er nimmt an den Kämpfen der Zeit lebhaft Anteil, ols 2. Vorsitzender des Oesterrcichisch-Deutschen Volks- bundes hat er sich kräftig für den Anschluß seiner Heimat an das große Deutschland eingesetzt. Auch im„Schutzverband Deutscher Schriftsteller" ist er hervorragend tatig. Seine in seiner Stammes- ort wurzelnde Persönlichkeit ist der beste Beweis dafür, wie man der Heimat und der großen Volksgemeinschaft gleichzeitig dienen kann. Ein Reklungsbool, das nicht kentern kann. Die englische Ret» tungsboot-Gesellschaft, eine gemeinnützige Organisation, die über ganz Großbritannien verbreitet fft und ihren Hauptsitz in London hat, tellt mit, daß es einem ihrer Ingenieure gelungen ist, ein Rettungsboot zu konstruieren, bei dem die Gefahr des Kenterns vollständig ausgeschlossen ist. Bei Versuchen, die mit dem neuartigen Rettungsboot gemacht worden sind, wurde es mit Hilfe eines starken Krans derartig umgekippt, daß es zu mehr als 80 Proz. längsschiff unter Wasser stand. Trotzdem richtete es sich auf, und zwar überaus schnell, und kehrte automatisch in die Rormallage zurück. Unser neuer Roman. Man kennt das Leben der vormörzlichen schlesischen Leineweber, man kennt das Leben der modernen Textil- arbeiter, wer aber fragt nach denen, die dem Textilarbeiter das Roh- Material liefern, nach den Baumwollpflückern, noch den Arbeitern auf den Baumwollfarmen? Ein erheblicher Teil der in Mexiko geernteten Baumwolle geht in deutsche Spinnereien. Vom Leben und von den Lebensbedingungen der in jenen tropischen Gegenden tätigen Arbeiter erzählt uns der nicht umfang-, aber inhaltreiche. Roman „Die B a u m w o l l p f l ü ck« r", mit dessen Deröffent- lichung wir heute beginnen.- Dieser Roman hat weder einen Helden noch eine Heldin.. Es kommt auch keine süße Liebesepisode in ihm vor. Wo um das nackte Leben gekämpft wird, hat man für Liebe und Sentimentalitäten keine Zeit. Die mitgeteilten Tatsachen sind brutale Wahrheit. Der Berfasser B. Traven spricht aus eigener bitterer Erfahrung und die von ihm eingestreuten humoristischen Szenen vertiefen nur den Eindruck der Tragödie. Der Held des Romans— denn es gibt doch einen— ist die arbeitende Klasse, sind die mexikanischen Landarbeiter, meist Indianer. Im Vergleich zu diesen führen die Landarbeiter in den osielbischen Gefilden das reinste Schlaraffenleben. Der Verfasser kennt das Proletarierleben in Mexiko , in Nordamerika , in Zentralamerika . Als Oelmann, als Farmarbeiter, Kakaoarbeiter, Fabrikarbeiter, Tomaten» und Apfel- finenpflücker, Urwaldroder, Maultiertreiber, Jäger, Handelsmann unter den wilden Indianerstämmen in der Sierra de Madrt, wo die„Wilden" noch mit Pfeil, Bogen und Keule jagen, fft er tätig gewesen. Roch heute liegt sein mexikanischer Wohnplatz— wie er uns schreibt— 35 Meilen von der nächsten Stelle entfernt, wo er „Tinte kaufen kann". Ein Bild in der heutigen Nummer von„Boll und Zeit" gibt unseren Lesern einen Begriff davon, wie es in diesen tropischen Einsiedeleien aussieht. Eine deulsch« w sseig�astliche und industrielle INiislon, die über. 100 Mit- glieder.umicitzt, trai im Veracruz ein. Präsident Calles stellte der Miision einen Sonderzug für die von der mexilanijchen Regierung veransialiete Fahrt durch Mexiko zur Versügung.