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Nr. 291+ 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Dienstag, 23. Juni 1925

Krommer

Die Lungen

ber

Grostast

Die Sehnsucht des Großstädters nach Licht, Luft, grünen Wiesen, Bäumen und Sträuchern ist nur zu verständlich. Mit den ersten Anzeichen feimenden Lebens in der Natur schnürt er sein Ränzel, weckt den Wanderstab aus dem Winterschlaf und zieht hinaus ins Freie. Es ist doch aber immerhin nur verhältnismäßig Wenigen der vier Millionen Berliner beschieden, die Natur außerhalb der Großstadtmauern erleben zu fönnen.

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Der Reiseersah.

Für alle die vielen, die vom Schicksal dazu verurteilt sind, auch an den Sonntagen oder in ihrem färglichen Urlaub die berühmte, sogar besungene Berliner Luft" einatmen zu müssen, haben wohl­bedachte Stadtväter einen Reiseerfaz geschaffen, der, so gut er an sich auch sein kann und auch bisweilen ist, aber doch immer nur ein Ersatz bleibt. In allen Gegenden Berlins steigen aus dem Eteinhausen unsere Partanlagen heraus und bilden in der Wüste Großstadt" die Dasen. Im Norden sind Schillerpark und Humboldthain; der Friedrichshain ist im Nordosten. Der Südosten birgt den Treptower Part, an den sich der Plänterwald anschließt. Für den Süden und Südwesten ist der Bittoriapark und schließ­lich ist im Westen noch der Tiergarten. Dieser ist allerdings keine Schöpfung unserer Stadtväter, sondern ist bekanntlich anderen Ur­fprunges. Durch die Schaffung Groß- Berlins sind noch durch zahlreiche andere Parks die Lungen der Großstadt bedeutend ver­mehrt worden. Hierbei handelt es sich vielfach um die Schloßparks, die in der Regel sehr große Flächen umfassen und prächtigen Baum­bestand aufweisen.( Niederschönhausen , Charlottenburg u. a.)

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Auch die vielen freien Plätze inmitten des Straßengewirres, die häufig ebenfalls von großen, alten Bäumen bestanden sind, dürfen nicht übersehen werden. Sie können naturgemäß nicht der Klasse der Lungen zugezählt werden, spielen aber für die Atmung der Großstadt eine außerordentlich bedeutsame Rolle. Es fann behauptet werden, daß jehr viele Berliner unsere Parkanlagen über­haupt nicht fennen. Sie besuchen wohl die in ihrer Nähe befind­lichen und fümmern sich um die übrigen weiter nicht. Wenn etwas befonderes unternommen werden soll, kommt allenfalls an einem Sonntag ein Besuch des Tiergartens oder des Viktoriapartes in Frage. Es war mir interessant zu beobachten, wie wenig der Bifforiapart unser diesem Namen bekannt ist. Ich fragte eine größere Anzahl Menschen, wie ich genannten Park erreichen könne, und sehr oft befam ich die Antwort, daß er ihnen gänzlich uns, befanni sei. Auf meinen Hinweis, daß der Bittoriapart mit dem Kreuzberg identisch sei, sah ich jedesmal ein erstauntes Gesicht.

Sehenswürdigkeiten.

Fast jeder der Berliner Parks hat seine Sehenswürdigkeit. Und es kommt vor, daß die in der Nähe wohnenden Menschen auf diese Sehenswürdigkeiten( wie sie sie auffassen) noch besonders stolz find. Beginnen wir mit dem Tiergarten. Er hat seinen Neuen See" mit den sommerlichen Gondelfahrten und der herrlichen Eisbahn im Winter; ferner den Goldfischteich. Dann finden wir in ihm den Rosengarten, in dessen Mitte sich das häßliche, schon zu Leb­

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Die Baumwollpflücker.

Roman von B. Traven .

Copyright 1925 by B. Traven, Columbus, Tamaulipas , Mexico , Freilich, da jetzt die Sonne senkrecht über uns stand wie mit dem Lot gerichtet, gehörte schon eine langausprobierte Uebung dazu, herauszufinden, wo eigentlich der Schatten war. Zeit war ihnen ein ganz und gar unbekannter Begriff; und weil sie wußten, daß ich ja auch dort hin wollte, wo sie hin wollten, überließen sie es mir, den Weg auszufundschaften. Sie würden gehen, wenn ich gehe, nicht früher; und sie würden mir folgen und wenn ich sie bis nach Beru führte, immer in der Gewißheit lebend, daß ich ja zum gleichen Ort müsse wie fie.

2.

zeiten errichtete Standbild der früheren Kaiserin erhebt. Neben| Sträucher start beeinträchtigt. Auch die in den letzten Jahren auf Denkmälern großer Musiker( Wagner, Lorging, Mozart ) find noch zahlreiche andere ehemals gekrönter Häupter. Es handelt sich wohl um solche, die in der geschmacklosesten Denkmälerstraße der Welt, der Siegesallee ", teinen Platz mehr gefunden haben. Einen Teil des Nordwestrandes des Tiergartens bilden die Zelten", die jedem Berliner Kind mindestens dem Namen nach bekannt sind und die jeder in Berlin anwesende Fremde aufsucht. Erholung fann man in dem dortigen Rummel aber nicht finden. Nur ganz besondere Geschmacksrichtungen werden in den Zelten zufriedengestellt. Nächste

Krimen c

Alte Bäume im Treptower Park. Station ist der Viktoriapark oder der Kreuzberg , unter welchem Namen er besser bekannt ist. Vor Jahren bildete er den jüdlichen Abschluß des Berliner Häusermeeres. Für die im Norden der Stadt Wohnenden war damals fein Besuch ein Tagesausflug. Unte: uns breitete sich in ihrer ungeheuren Größe die Riesenstadt aus. Nach Süden glitten die Augen über das Tempelhofer Feld; jetzt ist die Aussicht durch die inzwischen herangewachsenen Bäume und

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Die

mal ziemlich viel Baumwolle hier verladen worden. Farmer famen mit Autos, also wird wohl noch etwas Weg übrig geblieben sein. Ob einer von den Farmern Mr. Shine hieß, weiß ich freilich nicht, ich habe nicht nach den Namen gefragt, ich habe nur beim Verladen mitgearbeitet."

Wie weit kann es denn sein?" fragte ich. ,, Wenigstens achtzig Kilometer von hier, vielleicht neunzig. So genau weiß ich es nicht. Die kamen mittags an und find sicher früh morgens abgefahren."

einer anderen Richtung keine Baumwolle gebaut wird." " Dann müssen wir also in jene Richtung gehen, wenn in

Farmern Mr. Shine heißen kann, alle find Gringos. " Ich glaube sicher," sagte er dann, daß einer von den

Amerikaner. Er hat ungefähr dieselbe mißachtende Bedeutung " Gringo" ist in Latein- Amerika der Spottname für wie Boche" in Frankreich für Deutsche . Aber die Amerikaner, die viel zu viel unzerstörbaren Humor befizen, um sich so leicht beleidigt zu fühlen und sich dadurch das Leben schwer zu machen, haben diesem Spottnamen die ganze Schärfe ge­nommen dadurch, daß sie, wenn in Latein- Amerika gefragt, für Landsleute sie seien, sie sich selbst

dem Felde erstandenen Häuser sperren die Aussicht. Der Part ist wohl einer der schönsten Berlins . Sein hügeliges Terrain gibt ihm einen ganz besonderen Reiz. Auf seinem Gipfel erhebt sich ein Denkmal zur Erinnerung an die Befreiungstriege. Der Kreuzberg ein künstliches Gebilde war berühmt durch seinen Wasserfall, der von der Spize bis hinunter zur Straße steil herniederstürzte. An einigen Abenden in der Woche wurde er durch Scheinwerfer bunt beleuchtet. Durch den Krieg ist der Berliner um dieses Bild gekommen.

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Der Friedrichshain , die Luftquelle für den Berliner City­bewohner und den Nordosten, ist berühmt durch seinen Märchen­brunnen, dem von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann geschaffenen Meisterwerf. Von hier eilen wir zum Südosten Berlins , um dem Treptower Park unsere Aufwartung zu machen. Einer der belieb testen Wege in diesem Park ist der an der Spree entlangführende. Das Leben und Treiben auf dem Wasser bietet dem Spaziergänger viel Abwechslung. Dazu kommt noch das schöne Bild vom jen seitigen Ufer, dem vielbesungenen Stralau mit seiner reizenden alten Kirche. Seine Berühmtheit erlangte der Treptower Park schon durch die 1896 dort abgehaltene Berliner Gewerbe­ausstellung. Die Sternwarte mit dem Riesenfernrohr und vor allem die vielen großen Sommerrestaurants mit dem Brillant­Land- und Wafferfeuerwert" gehören zum eisernen Bestand Treptows. Die Ringbahn bringt uns gen Norden nach dem Ge­fundbrunnen und somit zum Humboldthain. Gerade für den Norden mit seinen vielen Fabriken und seiner dichten Bevölkerung hat der. Humboldthain eine sehr wichtige Mission zu erfüllen. Er war auch einer der ersten Parks, deren Rasenflächen an bestimmten Tagen der Woche der Schuljugend zur Verfügung standen. Auch der Humboldthain hat seine Berühmtheiten. Zunächst ein Denkmal für den Namenspender: Ein riesiger Granitstein aus den Rauenschen Bergen, mit Gedenktafel, und dann noch den Stier aus weißem Marmor, der vor etwa 25 Jahren dort hingestellt wurde und 40 000 Mark gekostet haben soll. Der Stier war faum dort aufgebaut, als der Berliner auch schon seinen Wiz darüber hatte. Er fragte: ,, Was stellt denn dieser Stier nun eigentlich vor?" Die Antwort follte lauten: Das linke( oder rechte? D. Verf.) Borderbein." Dic meisten wußten das natürlich nicht. Die gewaltige Ausdehnung des Berliner Nordens und seine ständig wachsende Bevölkerungs zahl gaben denn auch den Grund für die Anlage des Schillerpartes im höchsten Norden. Dort, wo früher der leichte Sand der Reh­berge die Luft füllte, wurden mustergültige Anlagen geschaffen. Er ist der jüngste unter seinen Brüdern und deshalb im Wachstum noch etwas zurüd. Sein bisheriges Gedeihen gibt aber zu den schönsten Hoffnungen Anlaß. Der Schillerpart hatte, nach meiner Erinnerung, die erste der Berliner Planffchwiesen.

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freien Pläge sagen. Das Heutige über die grünen Lungen Berlins Noch vieles ließe sich über die zahlreichen kleineren Parks und foll aber genügen. Für alle, die unsere Berliner Barfanlagen nod nicht kennen, sollen diese Zeilen einen Hinweis darstellen mit der Aufforderung: Besuchet eure Parks und nehmt teil an dem Guten, das sie euch bieten.

In einer diefer Hütten nach dem Wege zu fragen, war zwecklos. Wenn eine Auskunft überhaupt zu erhalten war, fo war sie sicher falsch. Nicht falsch gegeben mit der Absicht, uns irre zu führen, aber aus purer Höflichkeit, irgendeine beliebige Auskunft zu geben, um nicht ,, nein" sagen zu müssen.

3.

So wanderten wir denn frischweg los in jener Richtung, die uns im Postamt von dem Billardspieler genannt war und die ich für die einzige glaubwürdige hielt.

,, Achtzig Kilometer" war uns gesagt worden. Also wer­den es wohl hundertzwanzig oder hundertfünfzig Kilo­meter- sein.

Wir waren unserer sechs.

Da war der Merikaner Antonio, spanischer Herkunft, der mich zuerst angesprochen hatte.

stammung. Er war nicht ganz so zerlumpt wie Antonio und Dann kam der Merikaner Gonzalo, indianischer Ab­hatte ein Bündelchen, eingewickelt in eine alte Schilfmatte, und eine schöne, nach merikanischer Art farbenfreudig ge­

Wenn ich nur wüßte, wo Irtil--zu finden fei. In Her Nähe der Station war fein Haus zu sehen. Die Stadt, zu der die Station gehörte, mußte irgendwo im Busch versteckt liegen. Ich machte nun den Vorschlag, daß wir erst einmal in diese Stadt gingen, wo sicher jemand zu finden sein wird, Und sie sagen das mit einem so heiteren Lächeln, als ob es der musterte Decke, die er über der Schulter trug.

der den Weg meiß.

Nach einer Stunde tamen wir in die Stadt. Zwei Häuser nur waren aus Brettern. In dem einen wohnte der Stations­vorsteher. Ich ging hinein und fragte ihn, wo Irtil

liegt. Er wußte es nicht und erklärte mir höflich, daß er den

Namen nie gehört habe.

Fünfhundert Meter von diesem Holzhause war das andere " moderne" Brettergebäude. Es war der Kaufladen. Er war gleichzeitig Postamt, Billardsalon, Bierwirtschaft, Schnaps­cusschant und Agentur für alle möglichen Dinge und alle mög­lichen Unternehmungen. Ich fragte den Inhaber, aber er kannte den Ort auch nicht und sagte mir, innerhalb fünfzig Rilometer im Umkreis fei er sicher nicht, denn da fenne er jeden Platz und jeden Farmer.

Da kam einer von den Billardspielern, die ebenso zerlumpt aussahen wie wir, an den Ladentisch , setzte sich darauf, drehte fich eine 3igarette, wobei er den Tabat in ein Maisblatt wickelte, und als er sie angezündet hatte, sagte er:

" Den Ort fenne ich nicht. Aber die einzigen Baumwoll­felder, die hier in dem ganzen Staate überhaupt sind, liegen in jener Richtung."

Dabei streckte er den Arm ziemlich unbestimmt nach jener Gegend hinaus, die er meinte.

Bon dort her," fügte er hinzu, ist vor drei Jahren ein­

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schönste Big wäre.

Der Chinese Sam Woe war der eleganteste Bursche. Hemd trug, heile Hosen hatte, gute Straßenstiefel, feidene unter allen. Der einzige, der ein heiles und frisch gewaschenes Strümpfe und einen runden städtischen Strohhut. Er hatte zwei Bündel, ziemlich reichlich gepackt. Sie schienen gar nicht so leicht zu sein.

Die übrigen Gebäude der Stadt, etwa zehn oder zwölf, waren die üblichen Indianerhütten. Sechs rohe Stämme fent recht auf den Erdboden gestellt und ein Dach aus trockenem Gras darüber. Die besseren hatten Wände aus dünnen Stämmchen, aber nicht dicht aneinander gefügt. Keine Türen, teine Fenster, alles, was in der Hütte vor sich ging, konnte Er hatte immer die praktischsten Ideen und Ratschläge, man von außen sehen. Die einfacheren Hütten, wo ärmere lächelte immer, konnte das R" nicht aussprechen und war oder bequemere Merikaner wohnten, hatten nicht einmal diese scheinbar immer guten Mutes. Es wurde mit der Zeit unser angedeuteten Wände, sondern oben um das Dach herum hingen größter Kummer, daß wir ihn mit nichts, was immer wir einige große Balmblätter, um die Strahlen der Sonne, wenn auch taten, wütend machen konnten. Er hatte in einem Del fie in den frühen Vormittagsstunden und am späten Nachfeld als Koch gearbeitet und gut verdient. Sein Geld hatte mittag schräger einfielen, abzuschatten. er vorsichtig auf einer chinesischen Bank in Guanajuato hinter­legt, was er uns gleich erzählte, nur damit wir nicht etwa denken sollten, er trüge es bei sich und könnte dafür geopfert werden.

Das Bieh und das Hühnervolk hatten teine Ställe. Die Schweine mußten sich draußen im Busch irgendwo und irgend­wie das Futter zusammenfuchen. Die Hühner faßen nachts in dem Baunt, der der Hütte am nächsten stand. Eine alte Kiste oder ein durchlöcherter Schilfforb hing an einem Ast, wo die Hühner bran ihre Eier hineinlegten.

Rund um die Hütten standen Bananenstauden, die, ohne jemals gepflegt zu werden, ihre Früchte in reichen Mengen spendeten. Die kleinen Felder, wo nur gefät und geerntet, sonst nichts getan wurde, lieferten Mais und Bohnen mehr als die Bewohner aufbrauchen konnten.

Baumwolle pflücken mar ja nicht gerade seine große Leidenschaft meine noch viel weniger aber weil es nicht so sehr außerhalb seines Weges lag, wollte er die sechs bis sieben Wochen Verdienst noch mitnehmen. Er hoffte dann zum Herbst ein kleines Restaurant- ,, comida corrida 50" eröffnen. Er war der einzige unter uns, der wohldurch­dachte Pläne für die Zukunft hatte.

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( Fortsetzung folgt.)