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Nr. 125.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Suferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Eernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Abonnements- Einladung.

,, Die Neue Welt".

Für Berlin nehmen sämmtliche Zeitungsspediteure, so­wie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen ent­gegen zum monatlichen Preise von

Freitag, den 31. Mai 1895.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Spike Dr. Flaissières stand, seine Demission gab und Rechnungen und Rechnungen fanden sich ganz merkwürdige Posten, so demnächst eine Neuwahl vorgenommen werden mußte. Nach über Lieferung vont Punsch, Zigarren und so weiter, allem, was die" Ordnungs" presse gegen den Marseiller dagegen waren öffentliche Arbeiten und Einrichtungen, Mit dem 1. Juni eröffnen wir ein neues Abonne- Gemeinderath vorzubringen wußte, fonnte man ficher die dem Gemeinwohl, namentlich der arbeitenden Bevölkerung zu ment auf den ,, Vorwärts" sein, daß kein einziger Sozialist mehr in den Gemeinderath gute gekommen wären, unterblieben oder vernachlässigt. In mit der illustrirten Sonntags- Beilage hineingewählt werden würde. Und siehe da: von all den Perpignan wurden unter der Herrschaft der sozialistischen Stadt­Kandidatenlisten hat die sozialistische, mit Dr. Flaissières an der verwaltung 800 000 Fr. für Gastereien u. s. w. aufgewandt, von Spitze, einzig und allein den Sieg davongetragen. Kein Wunder denen die arbeitende Bevölkerung gar nichts hatte. Die republis darum, daß die Presse, die sonst tagelang über die Niederlage fanische Stadtvertretung mußte für die brotlosen Handwerker der sozialistischen Kandidaten und die Scharfsichtigkeit der Wähler erst wieder Arbeitsgelegenheit schaffen." geleitartikelt hatte, auf einmal die Sprache völlig verloren hat und kaum das trockene Wahlergebniß meldet. Bei der 14 Tage vorher stattgehabten Wahl von Saint- Etienne , wo es sich um 15 Gemeinderäthe handelte, und die sozialistische Kandidatenliste, an deren Spitze der sozialistische Abgeordnete Girodet stand, gleichfalls mit großer Majorität durchdrang, hatte die sonst so großmäulige Presse nicht anders gehandelt. Was sollte, was fonnte sie auch auf ein so schlagendes Dementi, wie es diese beiden Wahlen sind, antworten?

1 Mark 10 Pfennige frei ins Hans. Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Abonne­ments zum Preise von

1,10 M. für den Monat Juni entgegen.( Eingetragen in die Post- Zeitungsliste für 1895 unter Nummer 7128.)

In unserem Feuilleton wird der Abdruck der ge­schichtlichen Erzählung:

Berliner Märztage"

von Michel Deutsch, fortgesetzt. Neu hinzutretenden Abonnenten liefern wir den Aufang des Romans auf Wunsch nach. Redaktion und Expedition des Vorwärts".

Gemeinderathswahlen

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Das Schnurrigste an der ganzen Geschichte ist nun, daß Perpignan noch nie eine sozialistische Gemeinde­vertretung besaß und somit auch nie unter sozia­li stischer Verwaltung stand. Ja, es scheint mehr als fraglich, ob es in Perpignan , das namentlich durch seine Kathedrale und seinen Großhandel mit Weinen, Del und Seide bekannt ist, überhaupt irgend eine sozialistische Bewegung giebt, da diese Stadt wohl eine Handelskammer und mehrere Unter­nehmerverbände beherbergt, in bezug auf Arbeiterverbindungen aber nichts als eine einzige Gewerkschaft aufzuweisen hat und zwar eine Tischlergeŵvertschaft mit 25 Mitgliedern. Wenn also die Geschichte der Stadt Perpignan " irgendwie besonders lehrreich" ist, so nur in bezug auf die Kampfesweise unserer bei ihnen eben nicht ab. Gegner. Ohne Lügen, Verdrehungen und Fälschungen geht es

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Wie erheiternd wirft es nun aber, nachträglich die Betrach­tungen zu lesen, welche die Herren auf grund dieser Geschichte" anstellten, die mehr oder minder aufgeputzt durch eine Reihe von Blättern ging und überall als Beweis dafür angeführt wurde, wie miserabel es mit allen sozialistischen Gemeindeverwaltungen beschaffen ist, was für ein verlottertes Gesindel die sozialistischen Stadtväter sind und wie sehr man sich überall danach sehnt, sie

in Marseille und Saint- Etienne.") antritt in der Stadttaffe 125 000 Fr. vorfand, welche die aus den Stadthäusern hinauszufegen. Und nun als Antwort die

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Wie muß es da erst gewissen deutschen Ordnungs" blättern zu Muthe sein? Denn in bezug auf die Räubergeschichten, die diese Blätter zu erzählen wußten, waren sie der französischen " Ordnungs" presse um mehrere Pferdelängen voraus. Die lustigste will, betraf die Gemeindeverwaltung von Perpignan . Am reich dieser Geschichten, von denen ich mir einige für später reserviren lichsten ausgeschmückt brachte sie wohl der Neue Pfälzische Kurier". In einem mit ,, Sozialdemokratischer Gemeindehaushalt" überschriebenen Leitartikel hieß es da:" Besonders lehrreich ist die Geschichte der Stadt Perpignan unter der sozialistischen Ver­waltung." Und hierauf wurde wie folgt erzählt: Dort in Perpignan nämlich wurde vor etwa zehn Jahren ein sozialistischer Stadtrath gewählt, der bei seinem Amts­frühere republikanische Stadtverwaltung gespart hatte. Wahlen von Marseille und Saint- Etienne ! Wie verderbt müssen Man schreibt uns aus Paris unterm 22. Mai: Zur Zeit, da Unter der Herrschaft der Sozialisten, die mehrere Wahl- da wohl die Leute sein. Ganz besonders in Marseille . Denn Perier und Dupuy am Ruder standen und das sie stüßende und perioden hintereinander am Ruder blieben, wurde nicht blos wie da die sozialistischen Stadtverwalter gewirthschaftet haben, von ihnen gestützte Panamistenthum wähnte, daß es nur einer dieser Schatz verausgabt, bald zeigte der städtische Haushalt auch davon fann man sich kaum einen Begriff machen. Es sei denn, Fauft bedürfe, um die ganze sozialistische Bewegung mit Stumpf einen Fehlbetrag, 1888 hatte die Stadt bereits 100 000 Franken daß man die Berliner Tägliche Rundschau" tennt. Diese und Stiel auszurotten, da gab es keine Lüge, keine Verdächtigung Schulden und mußte, um nur die nothwendigsten öffentlichen wußte in der That schon vor Monaten zu erzählen, daß sich in und keine Verleumdung, die die Ordnungspresse" nicht als Arbeiten ausführen zu können, schon eine Anleihe aufnehmen. Marseille das ganze städtische Interesse um die Frage drehe, Waffe gegen die Sozialisten gebraucht hätte. Nicht zum mindesten Für einige Zeit war man also wieder flott. Die einzelnen ob man Ersaywahlen vornehmen, oder gleich reine Bahn waren es die sozialistischen Gemeindevertretungen, denen diese städtischen Verwaltungszweige famen in die größte Verwirrung, machen und die gesammte sozialdemokratische Schwefel­Art des Kampfes galt. Wie fonnte die Arbeiterschaft es sich die Einnahmen aus den städtischen Steuern gingen immer mehr bande auskehren soll." Wie denn auch anders. Denn herausnehmen, in Vertretungen, in denen sonst die Bourgeoisie zurück. Das hinderte die sozialistischen Stadtväter aber die Leistungen der bisherigen sozialdemokratischen Stadt­unumschränkt herrschte, Sozialisten zu entsenden und sich so in feineswegs, das Geld der Steuerzahler weiter zu ver verwaltung schrieb sie bedürfen keines Kommentars. den Besitz gar mancher namhafter Stadthäuser zu sezen? Das schwenden. Als 1889 in Paris die Ausstellung war, Die Stadtfinanzen liegen völlig darnieder, in war ja die reinste Enteignung und noch dazu eine Enteignung wollten die Sozialisten in Perpignan es der Hauptstadt gleich einzelnen Verwaltungszweigen wohnt das Grauen, alle Rassen ohne jedwede Entschädigung, also ein wahrer Raub. thun. Sie veranstalteten auch eine Ausstellung mit Hauptgebäude, sind leer oder mit Schulden behaftet, um so besser haben die Und war die Besetzung der Stadthäuser schon ein Raub, Maschinenhallen, leuchtenden Springbrunnen ut. f. w. Ein Genossen" in ihre persönlichen Kassen und Taschen gewirth­so natürlich das ganze Thun und Lassen der sozialistischen Vierteljahr lang feierten sie Feste, veranstalteten Bälle, Gast- schaftet. Der Stadthaushalt leidet an einem chronischen Ab­Gemeindevertretungen nichts als fortgesetzte Räubereien. Aber mähler und Punchs"; sie hielten sich ein eigenes Theater, ließen gang, die in Marseille so dringend nöthigen sanitären Reform­wie sehr die Ordnungspresse gegen die sozialistischen Gemeinde- groß. Ausstattungsstücke aufführen und sich natürlich auch ein maßregeln haben mangels petuniärer Mittel eingestellt werden räthe auch zeterte, wie sehr sie sich auch anstrengte, alle ins Balletforps fommen. In weniger als vier Jahren hatten sie müssen, in allen städtischen Dependenzen haben sich die Ge gesammt als einen Ausbund von Schlechtigkeit hinzustellen, 600 000 Mark Schulden gemacht und die Stadt stand vor dem nossen eingenistet, es herrscht ein Nepotismus, der bei fonnte die Regierung, trotz allen guten Willens, ihr zu dienen, Bankrott. Echließlich war das Geld so knapp, daß am Monatsschluß der schreiendsten Unfähigkeit und Selbstfucht beide Augen ihnen doch nichts anhaben. Und so mußten sich die Herren schon nichts mehr da war, um die Beamten zu besolden und daß der Stadt- zudrückt, wvenit nur die sozialdemokratische Gesinnungs­auf die nächsten Wahlen vertrösten, bei denen die sozialistischen sekretär aus eigener Tasche die Freimarken für die städtischen tüchtigkeit vorhanden ist. Die anständigen Bevölkerungselemente Gemeinderäthe, so sehr sie sich auch an ihre Mandate flammern Briefschaften auslegen mußte. Mittlerweile gingen aber auch sind über das skandalöse Treiben aufs tiefste empört und be­mögen, sicherlich hinausgefegt werden würden. Nun traf es sich, den Steuerzahlern die Augen auf. Im Mai 1892 jagten sie die Stürmen die Regierung mit Bitten, dem unwürdigen Zustand in daß der sozialistische Gemeinderath von Marseille , an dessen sozialistische Gesellschaft aus dem Stadthause, wo diese zehn der ersten französischen Hafenstadt des Mittelmeeres ein Ende zu Jahre lang gehauft hatte, und ein republikanischer Stadtrath machen. Sie betonen, der Gemeinderath und die Stadtverwaltung *) Unliebsam verspätet. wurde mit großer Mehrheit gewählt. Beim Prüfen der von Marseille seien doch keine Versorgungsanstalt für sozialdemo­

Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.]

Berliner Märstage.

25

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den

Er hatte ein aus Bürstenabzügen zusammengefügtes Plüddemann mit hinschicken. Der hat ja woll Beziehungen kleines Heft hervorgezogen, auf dem die Aufschrift" Das da drüben an der Schloßfreiheit." kommunistische Manifest" zu lesen war. Florianj" Bravo ! Eine Adresse! Bravo! Bravo!" tönte es von Schnick und Bruno griffen sogleich nach demselben, während allen Seiten. Vom Stammtisch der Silbernen Ente" an | die übrigen ziemlich gleichgiltig und Dr. Wollstein sogar den König von Preußen." mit einem spöttischen Lächeln dreinschaute.

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Ein allgemeiner Jubel brach aus und die Gläser wurden " Diese Schrift," fuhr Hans Hartung zu Dr. Wollstein aufs neue gefüllt. Ein Hoch auf die Freiheit des deutschen Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. gewandt fort, hat das Tischtuch zwischen dem freiheit Volkes, das Dr. Wollstein ausbrachte, stellte jenen äußer­ Sie irren, mein Herr," warf Bruno Volkmuth, der lechzenden Bolte Ihrer Phantasie und dem nach Brot lichen Einklang in der Gesellschaft wieder her, der so häufig während der Unterhaltung zumeist den schweigsamen Be- schreienden Volke der Wirklichkeit für immer zerschnitten. durch Vermittelung des edlen Menschenfreundes Alkohol dort obachter gespielt hatte, bestimmt und scharf dazwischen. Der Sie ist die Absage des ausgebeuteten Proletariats an seine zu stande kommt, wo eine innerliche Uebereinstimmung nicht Kommunismus hat in den rheinischen und süddeutschen Ausbeuter, zu denen das satte Bürgerthum ebenso gut ge- zu erzielen ist. Industriestäoten eine große Verbreitung gefunden, und er hört wie die finsteren Gewalten des Absolutismus und Plötzlich, mitten in der ausgelassenen Stimmung der wird dereinst auch hier in Berlin das politische Bekenntniß Feudalismus , die Sie befehden. Im Kampfe gegen Stammgesellschaft, als Dr. Wollstein eben eine Sigung des der Massen bilden." diese Reste des Mittelalters werden wir allerdings noch eine französischen Konvents parodirte und sich selbst die Rolle Das sagen Sie, der Sohn des Demokraten Beit lang zusammenstehen. Dann aber wird der Gegensatz des Marat , seinem Vetter Fisch diejenige Robespierre's Bolkmuth?" bemerkte Dr. Wollstein nicht ohne Verwunde- zwischen Bourgeoisie und Proletariat um so schärfer zu und Frize Grams die des Danton zugetheilt hatte, öffnete tage treten. In einer tapferen, ehrlichen Bürger- Revolution fich langsam die Thür des Zimmers, und eine abenteuer­ Das sage ich, der Sohn des Kommunist en Volk- werden Sie, wie Ihnen dieses unscheinbare Büchlein hier liche Gestalt erschien in der Deffnung. muth, der ich selbst Kommunist bin", entgegnete Bruno dem bestätigen wird, auch die Kommunisten an Ihrer Seite Die Konventleute vom Stammtisch der Silbernen Ente" verdugten Demokraten. finden." fuhren zusammen und ließen ihre erschrockenen Blicke starr " Sie irren auch in Ihrer Auffassung vom Wesen des Bravo! Das lob' ich mir!" rief Frizze Grams, den auf dem Eindringling haften. Kommunismus", sagte Haus Hartung zu Dr. Wollstein die theoretischen Auseinandersetzungen bereits zu langweilen gewandt. Der Kommunismus ist aus den Kinderschuhen begannen." Praktisch und nüchtern woll'n wer sein, wat heraus, er ist im Begriff, sich zu einer wissenschaftlich be- Baule?" sagte er scherzend zu dem Schornsteinfegermeister, gründeten, alle bisherigen Vorstellungen vom Wesen des indem er ihn mit seiner breiten Hand auf die Schulter Staates und der Gesellschaft aus den Angeln hebenden schlug.

rung.

" Im Namen des Gesetzes," begann dieser in sonderbar harten Tönen- Bürger Danton , Bürger Robespierre und Bürger Marat: erkläre ich Sie als Gefangene! Bin ich Fouché , Polizeiminister Napoleon des ersten!"

VIII.

Weltanschauung herauszubilden. Sehen Sie diese kleine," Immer falt Blut und warm anjezogen", versetzte der Eine Lachsalve folgte den Worten des unerwartet auf­unscheinbare Broschüre, die vor kurzem die Presse verlassen Schornsteinfegermeister unter dem Lachen der Tafelrunde getauchten Gastes. Man sah, daß man es mit einem Spaß­hat; sie bedeutet den Anfang einer Umwälzung in dem und leerte sein Glas mit einem Zuge. vogel zu thun hatte, daß von diesem auffallend heraus­geistigen Leben der modernen Völker, wie sie bisher die Und weil wir gerade so hübsch beisammen sind und gepußten, mit einem dunklen Schnürrock, hohen Falten­Geschichte noch nicht erlebt hat. Und das deutsche Volt, so viel Gelehrte unter uns haben," meinte Friße Grams, stiefeln und einer viereckigen Müze angethanen Herrn der gemeine deutsche Wann", den sie eben für so nüchtern der den ganzen praktischen, auf das Greifbare gerichteten nichts zu befürchten war. Nur Dr. Wollstein, der kühne und praktisch erklärten, wird praktisch und nüchtern genug Sinn des Berliners besaß, so wollen wir doch gleich' mal Führer" der Berliner Bewegung konnte sein Gemüth nicht sein, sich zum Träger Loieser Umwälzung zu machen.' ne Adresse an Majestät auffeßen und morgen früh unseren sogleich beruhigen.

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