Nach den Erklärungen, die der Herr Vertreter des Reichswirtschafts- ministerimns im März im Reichvwirtschaftsministerium abgegeben hat, hat zwar das Wirtfchafts Ministerium sich mit allerstärfster Befürwertuno beim Ernährungsministerium dafür eingesetzt, daß diesem Wunsche des Reichswirtschaftsrats entsprochen wurde. Aber wie der Herr Vertreter des Wirtschaftsministeriums erklären mußte, war bis zum 10. März trotz wiederholter Erinnerung vom EriHährungsministerium keine Antwort beim Wirtschasts- mimstsrium eingegangen. Jedenfalls ist der Reichswirtschaftsrat erst vor einem Monat mit den Getreidezöllen befaßt worden. Weshalb ist nun die kleine Zolltarifvorlage erst jetzt an den Reichstag gebracht worden? Vell man meinte, unter dem Druck der Rotweadigkelt, zu einer sicheren verhandlungsgrundlaae mit den verhandlungs- gegnern kommen zu müssen, auch die Gekreidezolle bei dieser Vorlage mit durchdrücken zu können. Die Regierung hat um deswillen die Getreidezölle mit den Zöllen oerkoppelt, weil sie meinte, den Sonderwünschsn der Kreise Rechnung tragen zu müssen, die hinter ihr stehen, weil sie diesen Parteien die Getreidezölle bringen wollte. Sie mußte ja den Herren von rechts die Annahme auch ermöglichen: denn ahne die Getreidezölle würden sie ja die Zolltarifvorlage nicht annehmen. Die Getreidezölle find doch die Kompensation für Ihre Zustimmung (nach rechts) zu dieser Vorlag«.(Sehr wahr! links.) Freilich, wenn die Regierung diese Vertoppelung nicht vorgenommen hätte, wie würden dann wohl die Herren von rechts zu der A u ß e n p o l i t i k der Regierung so ruhig geblieben sein, wie sie es in diesem Jahre geblieben sind!(Stürmische Zustimmung links.) Diel« stillschweigende Zustimmung zu einer Politik, die nach Auffassung der Rechten das nationale Wohl gefährdet, die Zustimmung zum deutsch -spanischen Handelsabkommen, sie soll mit den Getreidezölle« bezahlt werden. Die Einkassierung dieses Kaufpreises beweist, daß es Kreise gibt, die das ualionale Wohl gar nicht kümmert, wen« nur Ihren Sonderinteressen Förderung zuteil wird. (Sehr wahr! links.— Unruhe rechts.) Der Verbindung der l.üetreidezöllc mit den Jndustriezöllen wegen hat«s denn der Herr Reichswirtz'chaftswinister ertragen, daß die Handels- rertragsoerhandlungen der letzten Monate durch das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage auf deutscher Seite gefährdet und erschwert worden sind(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.), daß unseren Unterhändlern ein llalienischer llnlerhändler erklären mußte. wir missen ja gar nicht, was unser Angebot wert ist: denn ihr selbst wißt ja noch nicht einmal, welchen Zollsatz euer Reichstag endgültig in den Tarif hineinschreibcn will. Und der Herr Reichswirtschastsminister hat es ertragen, daß unser« Unterhändler bei den� handelspolitischen Verhandlungen in der gänzllch unmög- lichcn Situation gewesen find, verhandeln zu müssen und nur oer- handeln zu können auf der Grundlage� eines Zolltarifs, der nicht Gesetz war, und zu verhandeln auf Grund von Unter- lagen, die mit den Interessenten vereinbart sind.(Hört! hört! bei den Soz.) Es hat ganz den Eindruck, als wenn diese In- teressenten die Regierungsstellen so von ihrer Auffassung überzeugt haben, daß die Regierung jetzt ganz im Schlepptau der Znteressenlen segelt. Es hat den. Anschein, daß die Handelspolitik nicht von der Regierung, sondern von den Znt-ressenlen dirigiert wird. Meine Fraktion sieht in der Gestaltung der Handelspolitik eine der wichtigsten Entscheidungen, die für die zukünftig? Entwicklung der deutschen Wirtschaft getroffen werden kann, und die Handels- Politik erfordert eine streng sachliche, auch die Umänderungen und die Umwälzungen, die durch den Krieg eingetreten sind, be- rücksichtigende Behandlung, bei der aber vor allem die Interessen der breiten Schichten der Bevölkerung in erster Linie berücksichtigt werden müssen. Ein? sollte un» wundern, daß auch die Herren von der Deutschen A o l k s p a r t e i, die sich als Vertreter der Wirtschaft fühlen, sich so still unter dieses kaudinifche Joch der Verbindung mit den Deutsch - nationalen begeben haben. Sic, mein« Herren, die Sie wissen, was die Hinouszögerung des Handelsabkommens für die deutsche Wirt- schaft bedeutet/ lassen die Verkoppelung der kleinen Zolltarif- vorläge mit den durchaus nicht eiligen Getreidezöllen zu. Man mag vielleicht auch zu der Vermutung kommen, daß bei den Kreisen der Wirtschaft für dieses Stillschweigen in den letzten Monaten ein anderes Moment eine wesentlich? Rolle gespielt hat. Eni- sprach es etwa den Interessen der hinter Ihnen stehenden Kreise, die Veränderungen des deutschen Zolltarifs, die in der Inflationszeit durch ermächtigte und bevollmächtigte Gesetzgebung bewirkt worden sind, möglichst lange zu erhalten? Waren Ihnen oder den hinter Ihnen stehenden Kreisen die zahlreichen Zollerhöhungeu bis aufs Zehn- und Mehrfache der früheren Sätze etwa«in will» kommenes Geschenk, das die hinter Ihnen stehenden Kreis« so lange wie möglich sich zu erhalten suchten? Diese zahlreichen Zollerhöhungen durch ermächtigte und bevollmächtigt« Gesetz- gebung sind In der Oeffentlichkeit kaum beobachtet worden, und wir hoben Zölle erlebt, von denen man sagen muß, daß sie Vrohlbiilvzöllea gleichkommen. Hier liegt der Hauptgrund für die Tatsache, daß Deutschland heute sasi das teuerste Land in Mittel- und Westeuropa ist. Aber noch eine ander« Vermutung drängt sich geradezu zwin- gend auf. Nach den Londoner Vereinbarungen sollten die Der- Handlungen mit Belgien schon am 15. September vorigen Jahres, die mit Frankreich am 1. Oktober beginnen. Ich frage die Regierung: ist etwa der Umstand, daß diese Verein- barungen nicht zustandegekommen sind, nicht zustandegekommen sind infolge der fehlenden Grundlagen für feste Vereinbarungen auf deutscher Seite, dir«* oder indirekt schuld oder hat er dazu bei. getragen, daß die Lösung der Rävmoagsfrag« so erschwert worden ist? Wenn das der Fall wäre, dann würde mit den Interessen ein Spiel getrieben worden fein, wie es frevelhafter nicht würde ge- trieben werden können zugunsten einer kleinen Schicht. Herr Dr. S t r e s e m a n n hat im Mol auf der Tagung des Landesverbandes seiner Partei gemeint, in der Wirtschaftspolitik handle es sich darum, das Primat der Politik vor dem Veruss- tnteresse durchzusetzen. Das ist die Theorie, eine Theorie, so richtig. daß selbst die Vertreter einseitigster Lerufsinteressen sich mühen, diese Interessen als die der Allgemeinheit erscheinen zu lassen. Aber die Praxis sieht leider anders aus. Die Praxis sieht so aus wie dieser Zolltarif, der vom ein- seitigsten Verussinteresse nicht einseitiger hätte aufgestellt sein können.. Ein in seinem Sinn oft nicht zu erfassendes Aufeinandertürmen. eine Addition und eine Multiplikation der Zoll- fätze bis zum Doppelten, Dreifachen. Fünffachen, Zehnfachen, Zwanzigfachen, Dreißigfachen bis hinauf über das vierzigfache der bisherigen Zollsähe. Wenn Sie, meine Herren, eine derartige Erhöhung, für die in der Vorkriegszeit und in normalen Zeiten bei einer neuen ein- gehenden Prüfung kein Mensch zu haben wäre, verteidigen wollen. dann ist es geradezu unverständlich. Von den§24 Einzel- Positionen in den 448 Tarkfpositionen werden 746 geändert ocn der doppelten bis zur über vierzigfachen Höhe hinaus. 37 werden ermäßigt oder befreit. 74 neu mit Zollsätzen b«. lastet. Aus dieser Vorlage tritt uns eine ganz unverhüllte Tendenz bewußter Schutzzollpolitik entgegen. Schade, daß man der deutschen Regierung ein solches Verfahren, das Primat des Staates durchzusetzen, nicht patentieren kann. Und patentieren müßte man der Regierung auch den von ihr beschritten«» sicheren Weg, die deutsche Industrie dauernd konkurrenzunsähig zu machen. Sind schon die Zollsätze der vereinfachten und ermächtigten Gesetz- gebung jett der Stabilisierung zu einem Mittel geworden,
manchem Zweige der Mrkschast geradezu ein Lokler- und ein Faulbett zu bereiten. auf dem sie technischen Fortschritt und organisatorische Verbesserungen unbeachtet lassen konnte, so werden diese Zollsätze es in noch viel, viel höherem Matze sein. Niemals hat der deutschen Wirtschaft der frische Luftzug der Weltkonkurrenz so uot getan wie heute. Selbst ein S t! n n c s hat vor eineinhalb Jahren als Mitglied Ihrer Partei in öffentlicher Erklärung das noch verkündet. Statt diesen Luftzug der deutschen Wirtschaft zu verschaffen, schließt man sie sorgfältig von ihm ab. Der Herr Minister Stresemann hat im Ueberseeklub Hamburg im April dieses Jahres gemeint, das Abschließen des deutschen Marktes durch Hochschutzzoll- Politik sei unmöglich. Ich bin gespannt auf seine Dialektik, mit der er den Nachweis führen wird, daß diese Auffassung mit diesem Zolltarif in Einklang steht.(Zurufe links: Der kann alles!) Wir jedenfalls maihen keine Polikik, die den technischen Fort- schritt hemmt und eine Bequemlichkeitsprämie darstellt. Wir lohnen es auch ab, auf die Argumentation hereinzufallen, daß die Ar- b e i t e r s ch a f t als Produzenten an hohen Industrie- zollen Interesse hätte, weil sie dann höhere Löhne bekäme. Wir lassen uns auch nicht durch die Warnung vor etwa kommender Arbeitslosigkeit auf«ine Hochschutzzöllnerische Bahn drängen. Sie (nach rechts) wollen den Staat für Ihre Interessenein- scannen, und das nennen Sie dann Freiheit der Per- sönlichkeit(sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.— Zurufe rechts), und für Herrn Stresemann ist es dann die Durchsetzung des Primats des Staates gegenüber den Berufsinteressen. Wir gehen auch nicht die Wege mit, die Produktionskosten der Industrie noch durch Agrarzöll« zu erhöhen und ihr damit die Möglichkeit zu nehmen oder zu erschweren, im Ausland Absatz für ihre Erzeugnisse zu finden. Heute, meine Damen und Herren (nach rechts), ist Ihrer Weisheit A und O: Getreidezölle und noch einmal Getreidezölle. Die fast einmütige Meinung der Wissenschaft wird in Ihren Kreisen verhöhnt als das Gerede von Kurpfuschern. Maine Herren, wo ist das landwirtschaftliche Hilfe- werk geblieben, das noch vor zwei, drei Iahren die land- wirtschaftliche Produktion steigern wollte? Das ist versunken und vergessen, weil Sie heute glauben, die durch die Aufwertungsver- sprechungen vorübergehend erlang!« Macht zu Ihrem vorteil aus- nutzen zu können.(Sehr wahr! links.) Niemand von uns wird bestreiten, daß es wünschenswert sei, auf eigenem Boden die Bs- völkerung zu ernähren. Aber dieses Ziel ist doch erst in weiter Sicht zu erreichen. Ich will Ihnen nur ein paar Zahlen vorlesen. In der Vorkriegszeit haben Sie es mit Ihrem Zollschutz nicht verhindern können, daß von Jahr zu Jahr eine immer größere Zahl von deutschen Einwohnern mit fremdem Getreide ernährt werden mußte. Dieses Verhältnis, das im Jahre 1912, abgesehen von allen anderen Nahrungsmitteln, fünf Millionen Deutscher von fremdem Getreide ernähren ließ, ist im letzten Jahre auf über zwölf Millionen angewachsen. Nicht die künstliche Förde» r u n g des gegenwärtigen Getreidebaus ist die beste Zukunftsstche- lung, sondern die bei einem Fehlen des Zollschutzes für Getreide sich unfehlbar einstellende Vermehrung der Viehhaltung, die rückwirkend auch wieder eine Steigerung des Getreidebaus zur Folge haben wird. Di« Steigerung'des Feldfutter- bans, die dann«intreten würde, diese intensive Grünlandwirtschast. vor allem die Einfuhr von Futtergetreide unh anderen Kraftfutter- Mitteln wollen Sie nicht, obwohl Sie gerade dem kleinere« und mittleren Besitz in der Landwirtschaft helfen und ihn vorwärt« treiben wollen. Aber gerade deren Interessen werden von der Re- giernng preisgegeben. Nur in einem einzigen Satz, bei 317 D, wird der phosphorsaure Kolk, der bei der Viehzucht so dringend benötigt« Fullerkalk, der heute frei ist. mit einem Zollsatz belegt, der den Preis um 50 Proz. in die Höhe bringt. Wenn es notwendig ist, dann scheuen auch wir uns nicht, den Konsumenten Opfer aufzuerlegen. und ich möchte gewissermaßen grundsätzlich von dieser Stelle aus sagen: müßte die Landwirtschaft ohne Schutzzoll zusammenbrechen oder würde eine erhebliche Extensioierung eintreten, dann mühte eine Belastung des Konsums, dann müßten Sonderoorteile für die landwirtschaftlichen Produzenten in den Kauf genommen werden. Aber so liegt es eben nicht. Wie falsch, wie grundlegend falsch sind die Behauptungen der Begründung gewesen. Das Verhältnis der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und landwirtschaftliche Bedarfsartikel sollte der Beweis einer ge- fährlichen, ständig sich verschärfenden Krise sein. Damals bekam man für 100 nur 75 der landwirtschaftlichen Bedarfsartikel. Warum hat die Regierung heute nicht wieder eine solche Rechnung aufge- macht? Hätte sie es getan, dann wäre nämlich der Beweis er- bracht worden, daß diese Behauptung von damals falsch bis in die letzte Einzelheit jedes Faktors dieser Rechnung gewesen ist. Die Regierung hat damals auf Jahr« hinaus mit einem Ueber- angebot an Weizen gerechnet. 6 bis 7 Millionen Tonnen sollten zu viel sein. heule haben wir eine Verknappung an Getreide, wie wir st« niemals für möglich gehalten haben. Die abnorme Preisbildung auf dein Getreidemarkt, deren ständige Verschärfung in Aussicht gestellt wurde, ist beseitigt Alles ist anders gekommen als es im vorigen Jahre von der Regie» rung behauptet wurde. Ale die Vorlag« im vorigen Jahre einge- bracht wurde, da kostete die Tonne Weizen 165 M. und der Roggen 136 M. Damals hatte die Regierung einen Zoll von 5 5 u n d 3 0 M. in Aussicht genominen. Wenn dieser Zoll sich in voller Höh« aus- gewirkt hätte— und das bezeichnete die Regierung damals als nicht einmal erwünscht—, dann würden die Getreidepreise 220 M. für Weizen und 186 M. für Roggen gewesen sein. heute kostet ohne Zoll der Weizen 265 2JL und der Roggen 211 M. Da» heißt: ohne Zoll heute 45 bzw. 25 M. mehr, als ihn die Regierung im vorigen Zahre als unerwünscht bezeichnet hattet Diese grundlegend anders gewordenen Verhältnisse werden heute von der Negierung unbeachtet gelassen. Die Regierung begründet die Zollvorloge mit der Bekämpfung der passiven Handels- bilanz. Minister R e u h a u s hat auf der Düsseldorfer Tagung des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen Rheinlands und Westfalen « festgestellt, daß die Pasflvitöt der hondesbllanz nur das Korrelat der Versorgung Deutschlands mit aueläadischen Krediten noch Annahme des Dawes-Gutachlens sei. Ich würde als Minister meine Unterschrift unter eine Vorlage, die meiner wissenschasilichon Ueberzeugung widerstreitet, nicht geben. Der Herr Minister Dr. Neuhaus denkt anders oder er hat diesen Passus der Begründung nicht gelesen. Die Regierung kuriert an Symptomen. aber si« geht nicht aus die Ursachen unserer Nöte zurück, wenn si« meint, die Passivität der Handelebilanz durch Zollerhöhun- gen bekämvfen zu können. Zur Begründung führt sie auch an. die Zölle würden eine Stärkung des Inlandmarktes bewirten. Zölle bedeuten doch zunächst immer«ine Verteuerung: sie haben sicher keine wirtschaftlichere Produktion zur Folge. Wenn man uns nachweisen könnte, daß Industrie- oder Agrarzölle zu einer verbillig. ten oder vermehrten Produktion führen"würden, dann würden wir allerdings zustimmen. Vorläufig aber haben die Erfahrungen seit 1840, als List sich für die Erzieyungezöll? einsetzte, also die Ersah- rungen mehrerer Menschenalter, bewiesen, daß Zollschutz nur einzelnen privakkapilallslischen Znleressen der Industrie und Landwirtschast dient, denen aus Kosten der Allgemeinheit eine vor- zugsrenle gesichsrl wird. Eine solche Politik, eine Handel». Politik, die mit Zöllen unsere deutsche Wirtschast auf die Beine bringen will, lehnen wir ab, weil sie das Gegenteil von dem erreicht, was zu erreichen ihr Ziel sein müßte. Nicht Belastung des inneren Konsums, sondern Mindernag der Lasten durch Befreiung von den Zöllen, das muß die Aus- gab« sein.
Die Wiedererstarkung der inneren deutschen Kaufkraft würde auch den Beschäftigungsgrad erhöhen und stärken und so eine Berbilligung der industriellen Produktion ermög- lichen, die ihrerseits wieder zu einer Steigerung der deutschen Aus- fuhr führen würde, die ja jetzt unter zu hohen inländischen Produk- tionskosten zu leiden haben soll. Was geschehen kann, um auch die AufnahmefähtgteitderLandwlrtschaft�ür industrielle Erzeugnisse zu steigern, da« hat zu geschehen. Aber wir werden uns auch jedem Weg und jedem Versuch widersetzen, diese Aufnahmefähig- keit auf dem Wege landwirtschaftlicher Zölle zu erreichen. Denn eine Steigerung der Ausnahmefähigkeit der Landwirtschast durch Zölle bedeutet eine noch viel größere S ch w ä ch u n g d e r S ch i ch t e n, die der Landwirtschaft nicht angehören, eine«chwächung, die größer ist als die Stelgerung auf der anderen Seite. Was die Landwirt- schaft an billigen technischen Produktionsmitteln gebraucht, das soll ihr werden. Dazu werden wir mit sorgen. Auch was dient, die- Mechanisierung der Landwirtschast zu erreichen, werden wir unter- stützen. Deshalb meinen wir, daß Zölle auf landwirtschaftliche Maschinen nicht gerechtfertigt sind. Seitdem die Zollvorlage angekündigt ist, erleben wir schon eine Preis st eigerung. wie man sie niemals für möglich gehalten hat. Es ist sicher, daß wir, wenn diese Vorlage Gesetz wird, den schwersten Zeiten im Innern entgegengehen. Soziale kämpfe. Lohukämpse der schwersten Art müßten entbrennen. Wie die gesundheitliche Gefährdung sein wird, hat Ihnen am vorigen Sonnabend mein Parteifreund Moses auseinandergesetzt. Unserer Ueberzeugung nach steht fest, daß die Vorlag« zum Fluche für das deulfche Volk werden wird. Und jene, die es mitbewirkt lKiben, das ein solcher Fluch das deutsche Volk treffen kann, weil sie auf Ihre Versprechungen bezüglich der Aufwertungen herein- gefallen sind, werden Ihnen das freilich niemals vergessen. Da heißt es nicht: versunken und vergessen, da heißt es: daran denken und immer daran erinnern. Glauben Sie es wirklich, daß Sie es einem der kleinen Sparer plausibel machen können, die Ihren Versprechungen ge- glaubt haben, daß er eine jährliche Belastung ollein bei Brot- getreide von 40 bis 4 5 Mark zu tragen haben wird? Glauben Sie. es einem K riegsbeschädigten verständlich machen zu können, der in der Sonderklasse O 100 Prozent er- werbsbeschränkt, eine monatliche Rente von 40,40 Mark bekommt? Glauben Sie es einer der Heimarbeiterinnen im Osten, Nordosten oder im Süden Berlins plausibel machen zu können, daß diese Brotverteuerung zwingendes Erfordernis ist? Das glauben Sie selbst im Ernst nicht. Ich habe selten eine Vorlage der Regierung an den Reichs- tag gesehen, deren Begründung so schwach war wie dies«. Schema?, und damit ist alles erschöpft! Nirgend- ein neuer Gedanke, nirgends eine neue Idee, Unvermögen oder, wenn ich höflicher sein will, Unwille, der gegen früher so wesentlich geänderten geographischen und internationalen wirtschaftspolttisthen Situation gerecht werden wollen! Weil im Ausland hohe Zoll- nmuern aufgetürmt wurden, weil ein Protektionismus sonder- gleichen dort Einzug gehalten hat, deshalb das gleich« auch bei uns! Die Regierung sieht nicht, daß diese Politik sich nicht halten kann, daß die' Bedingungen dafür gar nicht gegeben sind. Sie sieht nicht. daß die Länder, die uns umgeben, heute anders geworden sind, als sie früher waren. In diesen Ländern, die, wie z. B. Polen und die Tschechoslowakei , soweit Eisen in Frage kommt, haben eine zehnmal so große Produktionskapazität, kann sich dieser Protektiv- nismue nicht halten. Auch ein Deutschland , in dem für jeden Dritten die Frage der Ausfuhr eine Frage von Leben und Tod ist. kann die Grenzen seiner Wirtschast nicht über die Grenzen seines verstümmelten Gebiete« hinaus ausdehnen, wenn es sich mit selbst- errichteten Zollmauern umgibt. Damit verteuert es seine Lebenshaltung, erschwert e« seine Lage, verhindert es feine eigene produktlon. Ist es schon«in Wahnsinn, das kleine Gebiet Europa « in 2B oder nach mehr getrennte Territorien zu zerlegen, die gegenüber der geschlossenen Einheit in Nordamerika zur volligen Konkurrenz- unfShigtett verdammt sind, dann ist es, wenn es so etwas gehen tonnt«, geradezu kumulierter Wahnsinn, wenn diese Gebiet« sich nun noch selbst oom Auslände abschließen wollen. Wenn je die Zeit zu einer großen Idee gekommen ist, dann heute. Di« Idee ist da, nur müßte die Regierung sich zum Träger dieser Idee machen. Sagen Sie«» den Völkern, daß keine wirtschaftlichen Interessengegensätze der europäi- schen Völker vorhanden zu sein brauchen, daß der Er- folg jedes einzelnen Landes allein von der Tüchtigkeit und oom Wert seiner Leistung abhängt, daß die Auflösung der wirtschaftlich geschlossenen Einheften die Interessen der Völker Europas aus das mannigfachste gegenseittg verknüpft und damit die stärkst« Sicher- Heft gegen eine Wiederholung des Wettkrieges gibt! Wenn Sie so sprechen, werden Sie gewiß in den Massen zündenden Widerhall finden. Wo aber ist in dieser Zollvorlage auch nur die Spur von solchem Geist zu finden? wa» anderen Staaten zum Vorwurf gemacht wird, trabt Deutschland in verdoppeltem Maße. Statt den Versuch zu machen, die Zollmauer abzubauen, sst das A'und O auch der Regierungsweisheit: höher türmen, aufbauen! Wollen Sie wirklich etwas tun, was der deutschen Wirtschaft und dem ganzen deutschen Volk zum Nutzen gereicht, dann stützen Sie sich auf die Grundlagen, die Deutschland seinerzeit für die Frieden»- Verhandlungen gelten lassen sollte, auf den dritten der vierzehn Punkte Wilsons(Lachen rechts): Beseitigung aller«irkschastlichen Schranken, soweit si« möglich ist und Herstellung gleicher Handelsbeziehungen unter allen Völker»! Proklamieren Sie diese« Ziel, und es wird auf die Dauer durchzusetzen sein! Wir glauben absolut keine Illusionspolitik zu treiben, sondern Realpolitik nüchternster Wirklichkeit. Diesen Weg werden wir gehen, und wenn das Beschreiten dieses Weges am Verhallen der anderen scheitert, dann werden wir auch zu tun wissen, was dann im Interesse Deutschlands zu tun notwendig ist. Wenn sich die Regierung nicht aufrafft, diese Gedanken zu proklamieren, hoffen!- lich ist es dann der Reichstag , der dazu beiträgt, daß es anfängt zu tagen in den Köpfen derer, in die allerdings schwer das Licht ein- dringen tonn, weil ihre Köpfe durch die Eigeninteressen verkleistert und verklebt sind.(Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten und auf den Tribünen.)
Späte Sühne. Drei Jahre nach der Ermordung Wallsr Rothenaus, am 26. Juni, beginnt vor dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Re- publik der zweite Rathenou-Prozeß. Er richtet sich gegen den Ober- leutnant zur See a. D. Günther Brandt aus Kiel und den Fabrikbesitzer Johannes Küchen meist er aus Freiburg a. d. Saale . Brandt hat vor der Mordtat entsprechend einem Auftrag des Mörders Kern gemeinsam mft dem MordgehUfen Techow von Küchenmeister das Mordauto besorgt. Die von dem Staaleanwalischastsrat Rückert vertretene Anklage lautet auf Vsr- brechen und Bergehen gegen die ZK 211, 49, 74 StGB, und gegen die Verordnung über den Waffenbesitz vom 13. Januar 1919, da bei Küchenmeister auch ein geheimes Waffen- und Munitionslager ent- deckt wurde. Unter den 13 Zeugen befinden sich auch 5 Angeklagte aus dem ersten Rathenou-Prozeß, und zwar Ernst Werner Techow , Tillessen , Plaß, Solomon. Steinbeck und Korvetten- kapitän A b e n d r o t h. Da Küchenmeister angeblich unter Dämmer- zuständen zu leiden hat, sind 3 Psychiater als Sachverständige ge- laden.