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Str. 295 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 25. Juni 1925

Krommar

Gefangenen- unio Entlagenen Fürsorge

Gefängnisse sollen die Gesellschaft vor Rechtsverlegern schüßen. Bis vor kurzem galten sie aber als Brutstätten neuer Verbrecher. Und heute? Der moderne Strafvollzug will den Menschen bessern. Lehrer, Gefängnisbeamte, Geistliche und selbst spezielle Fürsorger haben die Aufgabe, an der inneren Umwandlung des Gefangenen zu arbeiten. Die Einsamkeit der Zelle, das Gefühl der Berlaffen­heit, macht ihn bem Mitempfinden und dem verstehenden Worte zugänglich. Reue über ein verfehltes Leben, Hoffnung und Zuversicht, nach wiedergewonnener Freiheit ein neues zu beginnen, erfüllen ihn. Doch die besten Abfichten zerfließen oft in nichts, wenn, nach Jahren künstlicher Isolierung von den zermürbenden und stärkenden Einflüssen des Lebens, der eben noch Gefangene plötzlich wieder auf sich selbst gestellt wird und nun ben für ihn tausendfältig erschwerten Stampf ums Dafein wieder aufnehmen muß, zudem mit dem Matel der Strafe behaftet und von keiner Seite gestüßt. So entsteht für die Gesamtheit die Pflicht, dem Entlassenen zu Hilfe zu kommen, ihm den Weg der Einordnung ins bürgerliche Leben zu bahnen. Sie hat gewissermaßen das an ihm wieder gutzumachen, was fie nicht selten felbft an ihm verschuldet hat.

In England.

Diefe einfache Wahrheit hatte bereits vor eineinhalb Jahrhun­derten der Engländer Howard begriffen, als er der Entlaffenenfür forge als einem Zweige der allgemeinen Gefangenenfürsorge das Wort sprach. Elisabeth Fren, genannt der Engel der Gefangenen", bemühte fich praktisch um die Sträflinge", auch Lord Shaftesbury nahm regen Anteil an dieser Arbeit. Als dann im Jahre 1857 die Deportation der Verurteilten eingestellt wurde und die Strafen im Mutterland selbst verbüßt werden mußten, auch die bedingte Ent Taffung eingeführt war, da entstanden besondere Fürsorgevereine, die fich der entlaffenen Strafgefangenen annahmen. Der Staat gewährte ihnen Zuschüffe, die, laut parlamentsbeschluß, im Jahre 1878 auf 80 000 m. jährlich festgelegt wurden. Hingu famen noch Einnahmen Don Stiftungen, die bereits im Jahre 1896 40 000 m. betrugen. Die Zahl der Fürsorgevereine wuchs von Jahr zu Jahr. Es gab schließlich fein Gefängnis, bas nicht mit einem solchen in Verbindung gestanden hätte, in London rief man eine Zentralfomnission ins Leben, all­fährlich wurden Ronferenzen abgehalten. In jeder Gefängniszelle war die Adresse des Vereins zu lesen, feine Mitglieber durften die Gefangenen bereits vor der Entlassung besuchen, der Arbeitslohn wurde dem Berein birett überwiesen; er übernahm auch die Schuß­aufsicht im Jahre 1896 gab es bereits 39 907 bedingt Berurteilte. Im Oftober 1897 murbe eine Berordnung erlassen, die bie Tätigkeit der Fürsorgevereine regelte und ihnen zur Pflicht machte, in all den Fällen, mo gefehlich feine Schuhoufficht vorliegt, das Leben der Ent laffenen im Laufe von sechs Monaten fchügend und stüßend zu über­machen. Im Jahre 1911 wurde dann eine Zentralstelle der Für. forgevereine geschaffen.

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In Deutschland .

Eine ähnliche Entwicklung nahm, mehr oder weniger erfolgreich, die Gefangenenfürsorge auch in anderen Ländern. Schon im Jahre 1878 bezeichnete fie der Gefängnistongreß in Washington als unent­behrliche Ergänzung einer gedeihlichen Gefängnisreform. Der Kon­

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Die Baumwollpflücker.

Roman von B. Traven .

Copyright 1925 by B. Traven, Columbus, Tamaulipas , Mexico.

Die Sonne stand schon sehr tief, und es mußte ungefähr fünf Uhr sein.

Wir fahen uns deshalb nach einem Lagerplah um. Bald fanden wir eine Stelle, wo seitlich in dem Busch hinein hohes Gras ftand. Wir riffen soviel von dem Gras aus, wie wir Platz zum Lagern brauchten. Dann zündeten wir ein Feuer an und brannten den Rest des Grases nieder, wodurch wir uns Ruhe vor Insekten und friechendem Getier für die Nacht verfchafften. Eine frisch gebrannte Grasfläche ist der beste Schuh, den man haben tann, wenn man nicht mit den Ausrüstungsstüden eines Tropenreisenden wandert. Ein Kampfeuer hatten wir, aber es gab nichts zum Rochen, denn wir hatten fein Wasser.

Da tam der Chink mit einer Literflasche noll taltem Kaffee hervor. Wir wußten nichts davon, daß er einen so wertvollen Stoff mit sich führte. Er machte den Kaffee heiß, und bereitwillig bot er uns allen zu trinken an. Aber was ist ein Liter Kaffee für sechs Mann, die ohne einen Schluck Wasser zu haben einen halben Tag in der Tropensonne ge­wandert sind, vor morgen früh um sieben oder acht Uhr ganz bestimmt auch nichts Trintbares haben werden und vielleicht die nächsten 36 Stunden genau so wenig Wasser finden werden, wie sie heute nachmittag gefunden haben! Der Busch ist das ganze Jahr hindurch grün, aber Wasser findet man dort nur in der Regenzeit an günftigen Stellen, wo sich Zümpel bilden können.

Nur mer selbst im tropischen Busch gewandert ist, weiß, was für ein Opfer es war, das der Chint uns bot. Aber feiner fagte ,, Danke!"; jeder betrachtete es als selbstverständ­lich, daß der Kaffee in Teile ging. Wahrscheinlich hätten wir es genau so selbstverständlich gefunden, wenn der Chint den Kaffee allein getrunken hätte. Nach einem halben Tag Wan­derung in wafferlofem Landstrich raubt man noch nicht für einen Becher Kaffee; aber am dritten Tage beginnt man ernst­haft Mord zu finnen im Busch für eine fleine rostige Ron­fervenbüchse voll stinkender Flüssigkeit, die man Wasser nennt, obgleich fie teine andere Aehnlichkeit mit Wasser hat, als daß fie eben Flüssigkeit ist.

Antonio und ich hatten etwas hartes Brot zu tnabbern. Gonzalo hatte vier Mangos und der große Nigger einige

| greß stellte die Forderung auf, baß die Gefangenen und Entlaffenen| fürsorge erweitert, nach wie vor privat aufgezogen und mit staatlichen Mitteln versehen werden solle. In Deutschland hatte die Engländerin Fren Anhänger gefunden: im Jahre 1826 wurde in Düsseldorf die anderen wichtigen Gefängnisreformen auch die Entfaffenenfürsorge Rheinisch- Westfälische Gefangenengesellschaft gegründet, die neben befürwortete. In den verschiedensten Städten entstanden Fürsorge­vereine, die größtenteils eines fonfessionellen Charakters nicht ent­

Polizei

Wache

Z

frommar

Entlassen

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was nun?

behrten. Die einzelnen Staaten begünstigten diefe Entwidlung. So regulierte ein preußischer Erlaß im Jahre 1895 die Berwendung von Slaatsgeldern und machte den uforgevereinen zur Pflicht, Hand in Hand mit den Strafvollzugs- und Polizeiorganen zu arbeiten, menn nötig auch Nachforschungen über die Familienverhältnisse der

Bananen. Der fleine Nigger irgendwas ganz verstohlen. Was es war, weiß ich nicht.

Der Chink hatte ein Stüd Zelttuch, daß er über seinen Schlafpelz spannte. Dann widelte er sich in ein großes Hand­tuch ein, auch den Kopf, und begann zu schlafen.

Gonzalo hatte seine schöne Dede, in die er sich einrollte, so daß er wie ein Baumstamm aussah.

Ich wickelte mir den Kopf in einen zerlumpten Lappen ein, den ich stolz ,, mein Handtuch" nannte, und schlief los. Wie sich die übrigen einrichteten, weiß ich nicht, weil die noch lange um das Feuer herumfaßen und rauchten und Schwazten.

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Bor Sonnenaufgang waren wir schon wieder auf dem Marsche. Abzukochen gab es nichts, und waschen brauchte man sich auch nicht. Denn womit hätte man es tun follen?

Der Weg durch den Busch war weite Streden hindurch schon wieder zugewachsen. Der Nachwuchs der jungen Bäume reichte uns oft bis über die Schultern, und der Grund war mit Rattusstauden so dicht bewachsen, daß diese stach ligen Pflanzen zuweilen beinahe die ganze Breite des Weges einnahmen. Meine nackten Unterschentel waren bald fo zer schnitten, als wenn sie durch eine Hackmaschine gezogen wor den wären.

Gegen mittag tamen wir an eine Stelle, wo sich rechts des Weges ein Stacheldrahtzaun hinzog, der uns die Gewiß heit gab, daß hier eine Farm liegen müffe.

Als wir etwa zwei Stunden lang, immer den Stachel drahtzaun zur rechten Hand, gewandert waren, famen wir an eine meite offene Stelle im Busch, die mit hohem Gras bewachsen war. Als wir den Blah absuchten, fanden wir auch eine Bisterne. Aber sie war leer. Einige morsche Pfähle, alte Konservenbüchsen, verrostetes Wellblech und ähnliche lleberbleibfel einer menschlichen Behausung zeigten uns eine verlassene Farm.

Ueber eine solche Enttäuschung muß man rasch hinweg­fommen. Farmen werden hier gegründet, zehn, auch zwanzig Jahre lang bewirtschaftet und dann aus irgendeinem Grunde plößlich aufgegeben. Fünf Jahre später, oft schon früher, ift fein 3eichen mehr davon vorhanden, daß hier jemals Menschen gelebt und gearbeitet haben. Es erweckt den An­schein, als seien es hundert Jahre her, seit jemand hier gelebt hat. Der tropische Busch begräbt rascher, als Menschen bauen fönnen; er fennt feine Erinnerung, er fennt nur Gegen wart und Leben.

Aber um vier Uhr tamen wir doch an eine lebende Farm. Hier wohnte eine amerikanische Familie.

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Gefangenen anzustellen. Ein weiterer Erlaß aus dem Jahre 1900 ertlärte es als zulässig, die Polizeiaufficht durch Schußaufsicht des Bereins zu ersetzen und die Ausweisung bei erfolgter Schutzaufsicht zurückzustellen. Auch wurde den Vereinen ein Zuschuß in Höhe von 1902, 1905, 1909 war das Problem der Entlaffenenfürsorge Gegen­34 000. genehmigt. 3u wiederholten Malen, so in den Jahren stand der Landtagsdebatten; felbft die Schaffung eines speziellen Staatstommiffariats ist gefordert worden Staatstommiffariats ist gefordert worden das letztemal im Jahre 1913. Solch eine Zentralstelle bestand seit 1909 in Bayern unter dem Namen Hauptstelle für Gefangenenobjorge". Der Weltkrieg und die Inflationszeit haben selbstverständlich auch auf dieses Gebiet der Wohlfahrt verhängnisvoll eingewirft.- In Berlin geht die Ge­fangenen- und Entlassenenfürsorge auf das Ende der 40er und den Anfang der 50er Jahre zurück. Den Anstoß gaben die verschiedenen Frauenvereine, die ihren geistlichen Zuspruch in den Gefängnissen selbst auf die Betreuung entlaffener weiblicher Strafgefangener aus­behnten.( Diese Tätigkeit blieb in den Anfängen stecken.) Die Für­forge für männliche Strafgefangene hatte die Stadtmission über­nonunen, fie wurde dann in den nächsten Jahren vom Verein zur Befferung der Strafgefangenen ausgebaut. Er hatte feinen Sitz in ber Grunerstraße, gewährte ben Entlassenen mannigfaltige Unter­ftügung, fuchte und fand Verbindung mit den Arbeiterkolonien, tonnte aber im großen und ganzen den Anforderungen, die an ihn gestellt wurden, nur in geringem Maße gerecht werben. In den legten Monaten des vorigen Jahres trat die Zentrale Arbeitsgemein­fchaft für freie und öffentliche Wohlfahrt- so heißt die Vereinigung aller Berliner Wohlfahrtsvereine and der frühere Verein zur Befferung der Strafgefangenen zu einer Arbeitsgemeinschaft zujam­men und eröffneten in den alten Räumen, Grunerstraße 1, eine Stelle für Gefangenenfürsorge. In Wirklichkeit treibt sie Entlassenen­fürsorge.

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Das Tätigkeitsfeld der Entlassenenfürsorge. Fünf Monate Entlaffenenfürsorge am 1. Januar hat sie ihre Tätigkeit aufgenommen ist eine zu turze Spanne Zeit, um ingend­welche bestimmte Schlüffe zu ziehen. Soviel steht jedoch fest: die Arbeitsgemeinschaft befindet sich im großen und ganzen auf dem richtigen Wege- bas empfinden auch ihre Schüßlinge. Sie wird aber den ungeheuren Anforderungen, welche die volle Entfaltung ihrer Tätigkeit an sie stellen muß, mur durch zielbewußten und ton­sequenten Ausbau der allgemeinen Hilfsarbeit und der Schußaufsicht gerecht werben tönnen. Diese wird im Augenblick in der Hauptfache Don zwei Fürsorgern und einem Leiter bewältigt. Zur Aushilfe stellen die Freien Wohlfahrtsvereinigungen jeden Tag zwei freiwillige Helfer, in der Regel Frauen, die die verschiedensten Auf­träge der Stelle erledigen. Schon im Monat Februar hatte sie 585 Befuche zu verzeichnen. Die Zahl ist für März ungefähr die gleiche geblieben. Eta/ von ben Besuchten find ehemalige Strafgefan­gene, ein Fünftel bitben Untersuchungsgefangene, alles fast ausschließ­fich Männer. Alle Gefängnisse wurden angewiefen, die Gefangenen bei der Entlassung auf ihre Tätigkeit aufmertfam zu machen. Eine Fühlungnahme des Fürsorgers mit dem Gefangenen vor seiner Ent­laffung geschieht in der Regel nicht. Ift der Gefangene außerhalb Berlins anfäffig, jo tommt die Gefängnisverwaltung für die Bahn­tarte auf. In gleicher Weise hat sie für seine Einkleidung zu sorgen. Erklärt der Gefangene, daß er nach der Entlaffung die Gefangenen­

Ich wurde im Hause gut bewirtet und fand auch ein Lager innerhalb des Hauses. Die übrigen als Nichtweiße, wurden auf der Beranda beföftigt und durften in einem Schuppen übernachten. Sie betamen alle reichlich zu effen, aber ich war der eigentliche Gast. Mir wurde aufgetischt, wie eben nur in einem so menschenarmen Lande einem Weißen Don weißen Gastgebern aufgetischt werden kann. Drei ver­schiedene Fleischgänge, fünf verschiedene Beigerichte, Kaffee, Schokolade und abends heißen Kuchen.

Am nächsten Morgen befamen wir alle ein reichliches Frühstüc; ich am Tische des Farmers.

Der Farmer hatte genügend leere Flaschen, und so be­tamen wir jeder einzelne eine Literflasche talten Tee mit auf den Weg.

Er fannte Mr. Shine und sagte uns, daß wir noch etwa sechzig Kilometer zu marschieren hätten. Kein Waffer am ganzen Weg; die Straße an verschiedenen Stellen faum noch erkennbar, weil sie seit drei Jahren nicht mehr benutzt wor­den sei.

Um 9 Uhr hatte der fleine Nigger Abraham seinen Tee schon ausgetrunken und die Flasche fortgeworfen. Es war ihm zu läftig, fie zu tragen. Wir erklärten ihm, daß er unter diesen Umständen von uns nichts.zu erwarten habe, und wenn er versuchen sollte, auch nur einen Schluck zu stehlen, würden wir ihn braun und blau schlagen.

An diesem Abend im Lager war es, wo Abraham zwar feinen Tee ftahl, aber jenen Streifen getrocknetes Rindfleisch, das Antonio gehörte. Da sich unsere Drohung nur auf Tee bezog, ließen wir ihn laufen mit der Warnung, daß von nun an jeder Raub in unsere Drohung einbegriffen sei. Den folgenden Tag gegen Mittag tamen wir bei Mr. Shine an.

5.

Mr. Shine empfing uns mit einer gewissen Freude, weil er nicht genügend Leute zum Baumwolle pflüden hatte. Mich nahm er persönlich ins Gebet. Er rief mich ins Haus und sagte mir:" Was! Sie wollen auch Baumwolle pflücken?"

Ja," sagte ich ,,, ich muß, ich bin vollständig ,, broke", bas sehen Sie ja, ich habe mur Fezen am Leibe. Arbeit ist in den Städten feine zu haben. Alles ist überschwemmt mit Arbeits­losen aus den States, wo die Verhältnisse augenblicklich auch nicht rofig zu sein scheinen. Und wo man wirklich Arbeiter braucht, nimmt man lieber Eingeborene, weil man denen Löhne zahlt, die man einem Weißen nicht anzubieten wagt." ( Fortsetzung folgt.)