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MttVoch 7. Juli 1925

Unterhaltung unö

Seilag« öes vorwärts

Das hexenbuch. Erst wenige Jahrhunderte trennen uns heute von jener furcht- baren Zeit, in der nicht nur in Deutschland , sondern in ganz Europa die Henkersknechte an der Arbeit waren, um mit Folter und Scheiterhaufen den Kampf gegen die.Hexen" zu führen. Nur mit Entsetzen vermag man zu lesen, wie z. B. im Jahre 1SSS in Quedlinburg an einem Tag» 133 Hexen.im Rauche gen Himmel geschickt wurden", wie eine zwanzigjährige Verfolgung im Bistum Straßburg im 17. Jahrhundert gegen 5000, eine etwa fünfjährige im Bistum Würzburg 900 Opfer verschlang, vom achtjährigen Kinde bis zur hochbetagten Greisin. Wir stehen heute vor jener Ver- irrung des Menschengeistes, die in drei Jahrhunderten von 1400 bis 1700 wie Krieg und Pest die deutschen Gau» entvölkert«, fast wie vor einem Rätsel. Seine letzten Wurzeln hat der Hexenglaub« In den religiösen Vorstellungen der Germanen. Wie all«. Naturvölker glaubten auch sie die Erde von unsichtbaren Wesen(Dämonen) belebt, welche gegen den Menschen Böses im Schild« führen. In christ- licher Zeit übertrugen sich derartige Vorstellungen auf die Gestalt des Teufels, dem die Phantasie des Volkes, aber auch die christ. liche Theologie ein ganzes Gefolge von Unholden andichtete. War der Teufelsglaube schon an sich etwas ganz und gar Volkstümliches, so erhielt er neue Nahrung durch den»Schwarzen Tod", jene furcht- bare Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts Europa entvölkerte und als ein Siegeszug des Teufels und seiner Trabanten erschien. Als endlich im 15. Lahrhundert die Ketzerverfolgungen immer mehr zu- nahmen, ergab sich ganz von selbst auch die Aufspürung der Hexen: ihr Bund mit dem Teufel hing ja eng mit der Ketzerei zusammen. Fortan galt der Glaube an Hexen als ein Teil der Kirchenlehre, und die berüchtigte päpstliche Bulle von 1484 bezeichnet den Anfang der Prozesse: sie spricht davon, daß in Oberdeutschland Personen sich mit dämonischen Wesen fleischlich vermischt hätten und durch zauberische Mittel mit Hilfe des Teufel» die Geburten der Weiber, die Jungen der Tiere, die Früchte der Erde, Weinberge, Obst und Getreide vernichtet und Männer, Frauen und Vieh mit grausamen Schmerzen und Plagen gepeinigt hätten. Zugleich erteilt die Bulle den Ketzermeistern und Professoren der Theologie Heinrich I n st i t o r, Jakob Sprenger und Johann G r e m p« r den Aus- trag, die Hexen auf alle mögliche Art auszurotten. So begann in Deutschland die grausige Arbeit der drei Fa- natiker, unter denen sich besonders der erster« auszeichnete. Um der Christenheit über das Treiben der Hexen eine genaue Be- lehrung zu geben und zugleich den anzuwendenden Prozeßgang zu regeln, verfaßte er 1487 jenes ebenso furchtbare wie interessante Buch, den»Hexenhammer "(dlalleue malekiearum. Ins Deutsche übersetzt von I. W. R. Schmidt). Nach diesem führt« man seitdem alle Hexenprozefle, und er wurde in der Tat ein ver- nichendes Instrument im Kampfe gegen die Tausend« und aber Tausende von Unglücklichen. Das Buch ist trotzalledem mit einer gewisien kindlichen NaivetSt geschrieben: muß man sich doch stet« vor Augen halten, daß jene Generation von Menschen von dem Wahne vollständig durchdrungen war und daß nicht Blutdurst, sondern innerste Ucberzeugung die Verfasser de».Hexenhammers" leitete. Luther und die Refor- matoren waren ja genau so im Teufelsglauben befangen; wir finden daher die Hexenprozesie die Institor übrigens mit geschickter Be- rechnung an die weltliche Gerichtsbartelt verwies, da das geistliche Gericht dem reuigen Sünder Gnade gewähren mußte, in pro­testantischen Landesteilen genau so wie in katholischen. Der.Hexenhammer " zerfällt in drei Teile: die erste» beiden handeln von der Hexerei im allgemeinen, von Ihren ver- schiedenen Arten und Wirkungen und von den Gegenmitteln: der letzte Teil regelt das Gerichtsverfahren. Zunächst wird ausführlich dargelegt, daß Hexerei als ein Werk des Teufels zugleich Abfall vom katholischen Glauben bedeute. E» werden verschiedene Sorten von Hexen unterschieden, denen allen aber gemeinsam ist, daß sie mit dem Teufel Unzucht treiben. Dann wird von dem Huldigunas- aft erzählt, den ihm die Hexen beim Hexensabat darbringen. Die Zeremonie wird von Institor eingehend geschildert mit der Ver- sicherung, daß die Beschreibung genau nach den Geständnissen der Heren gegeben sei. An die Huldigung schließen sich allgemeine Orgien an, an denen jede Hexe mit ihrem Buhlteufel teilnimmt, und beim Morgengrauen fahren sie auf Böcken oder Besen, wie

st« gekommen sind, wieder durch dt« Lust. Nach Aufnahm« in den Kreis der Hexen ist die-Betreffende fähig, Menschen und Tiere zu behexen, und zwar auf 18 Arten. Als ketzerisch wird die Meinung verworfen, daß die Hexenfahrten Erzeugnisse der Phantasie seien, und als Beweis werden dafür in erster Line die.Geständnisse" der unglücklichen Opfer angeführt. Di« Belohnung, die die Teufel den Hexen gewährt, ist der Liebesgenuß: doch stellt Institor aus den Geständnissen der Eingeäscherten fest, daß manche zur Begehung von Hexentaten nicht willig gewesen seien und daher vom Teufel Prügel bekommen hätten;»hatten sie doch sehr oft geschwollene, bläulich angelaufene Gesichter". Als Gegenmittel bezw. als Schutz vor Behexung empfiehlt das Buch das Zeichen des heiligen Kreuzes, geweihtes Wasser oder das Tragen von geweihten Gegenständen; auch solle man eine Hexe nicht berühren, und im Gerichtssaal solle

.Zum Donnerwetter, Kellner, wo bleibt denn mein Zollfrikassee!!"

sie den Richtern den Rücken zudrehen, um durch ihren dösen Blick niemand schaden zu können. Als Strafe kommt nur die Todes- straf« in Betracht. Die Einlettung eines Berfahren» wird schon dann verlangt, wenn nur das Gerücht geht, daß an einem Orte eine Frau der Hexerei verdächtig sei. Schon äußerliche Leidesgebrechen. Wunden oder Striemen am Körper, ein irnbesonnenes Wort, nächt­lich« Abwesenheit von Hause, ansteckend« Krankheiten, Viehseuchen , Feuers- oder Wassersnot, ungewöhnlich« Schönhett konnte in den Verdacht der Hexerei bringen Das Verfahren selbst zielte lediglich daraus hin, ans dem Mund« der Hexe ein»Geständnis der reinen Wahrheit" zu erhalle». Diesem Zwecke dient« die.peinliche Frage" oder Folter. Man begann diese mit den Daumenstöcken, wobei der Daumen durch langsames Zuschrauben zerquetscht wurde. Half das nicht, so nahm man die Beinschrauben oder spanischen Sttefel, welche das Lein platt preßten und die Knochen zu Spltttern machten. Der nächst« Grad war der.Zug": die Hände wurden auf dem Rücken gebunden und an ihnen ein Seil befestigt: dann wurde da» Opfer an einer aufgerichteten Leiter mehrmals in die Höhe gezogen, bis die Glieder ausgerenkt waren, und wieder hinabgeschnellt. Schließlich nahm man brennenden Schwefel oder Pech zu Hilfe, da» man auf den nackten Körper träufelte, oder man hielt brennend« Lichter unter die Arme und Fußsohlen. Unter Umständen wurden die Folterungen mehr- mal» wiederholt. Jedenfalls gall Leugnen und standhaftes Erttagen stet» als besonderer Schuldbeweis, da nach der allgemeinen An» ficht der Teufel die Kraft gibt, die Tortur auszuhallen. Als«in untrügliches Zeichen zur Erkennung der Schuld wird dem Richter empfohlen, darauf zu achten, ob die Beklagte weint. Denn die Hexen können angeblich keine Tränen vergießen. In den uns erhallenen Protokollen über Hexenprozesse finden sich daher bei der Niederschrift über die von den Beschuldigten gemachten Aussagen

häufig dementsprechende Zusätze. So heißt es im Protokoll eines Hexenprozesses, der vor dem Leipziger Schöffenstuhl 1658 1660 geführt wurde, von der Betreffenden, nachdem ihr die Daumenstöcke angelegt worden waren:»Ob sie wohl getan, als wenn sie weinete, so hat sie doch keine Tränen vergossen." Ja der Ehemann der Gefolterten, die unter den Qualen verstarb, sagte aus,»es wäre ihm selbsten verdächtig vorkommen, daß sein Weib niemalen einige Tränen vergossen". Jahrhundette lang war der»Hexenhammer ' die furchtbarste Geißel in deutschen Landen. Noch bis ins 18. Jahrhundert erhielt sich der unselige Wahn lebendig, der das Familienglück zahlloser Menschen zerstött hatte. Die letzte Hexenverbrennung fand 1775 im Stifte Kempten statt. Mannhafte Gegner des ganzen Unwesens hatten vereinzelt schon im 16. Jahrhundert, wenn auch vergeblich, ihre Stimme erhoben. Der 1635 verstorbene Jesuit Friedrich Spee , der als Beichtvater viele Hexen zum Scheiterhaufen begleitet hotte, kämpfte dann in einem anonym erscheinenden Werke besonders gegen die scheußliche Art des gerichtlichen Verfahrens: ihm schlössen sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit größerem Erfolge der Nieder- länder Balthasar Becker und bald darauf der Hallenser Professor Cristian Thomosius an. Ihre Namen sollen unvergessen seinl _______ Dr. K. W. Die Geburt Suööhas. (Don rntscrm japanischen Korrespondenten.) Während die Geburl Christi in vielen Bildern dargestellt ist, sind Darstellungen der Geburt Buddhas sehr selten, selbst in Japan , wo der Buddhismus jetzt die größte Verbreitung hat. In einem all- indischen Heiligenbuch wird die Geburt Buddhas folgendermaßen geschildert: Buddha war der Sohn eines indischen Königs. Königin Maya, Buddhas Mutter, wollte eine» Tages im entfernten Hofgatten spa- zieren gehen und mit der Erlaubnis des Königs wurde sie mit ihrer Mutter in einem Palankin von Dienern nach dem Gatten getragen. Unzählige Beamte und Wätter begleiteten den Zug und die Hof- mustk spielle. Im Gatten waren viele Blumen, Früchte und Bäume. Die schönsten Bäume, Blumen und Früchte der irdischen und himm- tischen Welt waren hier vereint. Im Gatten sah die Mutter einmal noch dem Himmel und wollte mit ihrer rechten Hand den Zweig eines Baumes herunterziehen. Der Zweig beugte sich nieder und als die Königin Maya ihn mit ihrer rechten Hand greifen wollte, wurde ein Knabe aus ihrer rechten Achselhöhle geboren. Alle Anwesenden falttten unwillkürlich die Hände, um zu ihm zu beten. Bei der Geburt warf der Knabe Strahlen, die den ganzen Gatten beleuch- ttten. Vom Himmel aber siel ein Blumenregen. Himmel und Erde erbebten vor Freude. Dann fing ein duftiger Regen an zu falle», der die ganze Welt mit Wohlgerüchen erfüllt« und hundert- zromzig Tage anhielt. Um den großen Mann zu heillgen, wurde absichtlich erzählt, daß er nicht auf gewöhnlich« Weise geboren sei. In einem Bild im kassettichen Museum zu Kioto ist auch die Szene dargestellt, wie der Knabe aus der rechten Achselhöhle der Königin Maya entspringt. Ja einem heiligen Buch des Buddhismus heißt es:»Der Knabe konnte gleich nach der Gebutt ohne Unterstützung laufen. Er lief sieben Schritte nach jeder der vier Himmelsrichtungen. Jedesmal. wenn er den Fuß aufhob, wuchsen große Lotusblumen o« der Stelle. Noch bevor der Knabe die Augen öffnete, sprach er: In der ganzen Welt stehe ich am höchsten." In einem bekannten indischen Blld ist dargestellt, wie das Kind, da» aus der rechten Achselhöhle der Königin Maya geboren ist, selbständig läuft. Jedenfalls kann man aus verschiedenen Quellen annehmen» daß der Buddha ein kräfttger Knabe war. Trotz der großen Anstrengungen seiner Jugendzeit lebte er bis zum 88. Lebensjahr. Mit den Motten »Himmel und Erde erbebten" hat man vielleicht zum Ausdruck bringen wollen, wie alle Begleiter der Königin infolge der plötzlichen Gebutt hin und her rannten, um die Nachricht zu verbreiten und für die sofottige Rückkehr der Königin Vorbereitungen zu treffen. Der.Blumenregen" könnte sich darauf beziehen, daß die Leute, die von der Geburt des Knaben Kunde erhielten, vor Freude Blumen streuten. Der hundertzwanzigtägige Dufftegen aber ist vielleicht daraus zu erklären, daß Buddha am 8. April nach dein Mond - kalender, d. h. am Ende des Hochsommers in Indien , geboren wurde, wo in jedem Jahre eine lange Regenzeit einzusetzen pflegt.

tzast du schon gelebt! von Etnll Rath. Auf dem Flur schallten feste Schritte, die Tür wurde auf. gestoßen, die gestreifte Jacke eines Krankenwätters schob sich herein, rückwärts, hinterher eine Tragbahre, dahinter wieder eine gestreifte Jacke, dann das blütenweiße Ueberkleid einer Schwester. Legen Sie ihn in das erste freie Bett dott hinten!" sagte sie mit wohltönender Stimme, deren Klang alle Kranken begierig auf- sogen. Die Decken wurden beiseite geworfen. Elende« Menschenwrack. durch verschrumpfte Haut zusammengehalten, ward behutsam aus das Bett gelegt, und als die Wätter sich entfernt hatten, war es totenstill. Mit geübter Hand schneb die Schwester auf die schwarze Tafel zu Häupten des Kranken:»Heinrich Köhler. 33 Jahre." Von Bett zu Bett wurden bedeutsam« Blicke ausgetauscht. 33 Jahre? Trieb das Leben schlechten Scherz mit ihnen? War das nicht ein Irrtum? Jener Kranke, dessen Nase aschfahl und spitz in die bleierne Luft hineinragte, mußte mindestens fünfzig Jahre alt sein. Wogar noch mehr. Und alle Augen schauten auf die Fieber- tafel, auf der die schlanke Schwesternhand einen steilen Sprung machte: 39,8. Zögernd kamen wieder Flüstergespräche in Gang, aber immer wieder irtten die Blicke zu jener Ecke hinüber, wo unverrückt die spitze Nase zur Decke wies. Dann ward es Nacht. Kein Licht wachte. Aus achtzehn wunden Brüsten rang sich röchelnd, pfeifend, schnou- send oerbrauchte Lust. Der Kranke in der Ecke keuchte schwer. Gab das Fieber nach? Stieg die Temperatur? Der abgezehtte Körper richtete sich auf, in der schwachen Dämme- rung tastete sein Blick umher und erkannte, wo er war. Kamerad!" Er rief es mit derselben Stimme, mit der Der- «undete im Felde rufen. Erst zaghaft, gewiß, dann mit wachsender Angst und lauterem Ton. Der Nachbar ward wach, �überlegte. Wer rief da? Wieder die flehende Stimme:Zu trinken!" Der andere brümmelte in den Bari , kramte im Finsteren nach einem Lichtstumpf und zündete ihn an. Da sah er, daß der Kranke sich halb aufgerichtet hatte und mit leeren Augen umherstierte. Cr schenkte Ihm aus der Wasserflasche ein Glas ein. Das Wasser war lau, aber der Kranke goß es gierig hinab, seine magere Hand hielt das Glas hin:Mehr!" Als schlüge der Trunk Qual und Furcht mit einem Schlage nieder, ward des Kranken Blick freier, schaute dem anderen fragend Ins Gesicht:.Sag' einmal, hast du schon gelebt?"' Erstaunt reckte der Aeltere den Hals auf. Sonderbare Frage. »Gelebt? Ich lebe ja noch!"

Der Schwindsüchttge sah an ihm vorbei:»Rein so meine ich es nicht. Nicht das Leben, das mit der Gebutt beginnt und das endet, wenn das Herz nicht mehr will oder die Lunge oder sonst etwas." Er schob die Bettdecke beiseite, als fiel« sie ihm lästig, und da kam statt des rechten Schenkels nur ein kurzer Stumpf zum Vor- schein, und der Aeltere sah, daß dem anderen an der rechten Hand drei Finger fehlten. Er schien kein Antwott auf seine Frage von vorhin zu ermatten und fuhr halblaut sott: »Ich habe nicht gelebt. Und ich hatte doch solchen Hunger nach dem Leben. Versteh mich recht, nicht solchen Hunger, bei dem einem der Magen knurrt, von dem man nachts erwacht. Gewiß, auch diesen Hab ich kennengelernt. Aber von dem spreche ich jetzt nicht. Ich war von metner Gebutt an tot Denn ich war da» elfte Kind. Kein Wunder, daß mein Vater mich noch scheeler ansah al» die anderen Geschwister. Es soll wohl Menschen geben, die«ine Jugend haben. Aber die find meist reich. Oder hoben gute Eltern." Der Atem wurde ihm etwas kurz, und der Nachbar vergaß seine Müdigkeit und nickte zustimmend. Bei dem flackernden Ker- zenlicht goß er noch einmal das Wasserglas voll. Dankbar griff der andere mit der Linken danach. Als ich fünf Jahre alt war, mußte ich schon beim Zeitung« austragen helfen, aufpassen, daß niemand die Tasche stahl, als ich zur Schule ging, vorher noch Zeitungen austragen. Müde kam ich in die Schule, schlief dort, wurde oft gezüchtigt wegen Faulheit. Ich war nicht faul. Ich war müde, und zu Hause hatte ich keine Zeit zu schlafen. Mit vierzehn Jahren kam ich in die Lehre m einem Schmied. Ja, schau mich an: diese dünnen Hände schwangen einst den Hammer, daß es schier eine Freude war. Aber der Meister war gar zu streng. Jeden Feiertag mußte ich in die Kirche laufen, und Geld gab es keins. Das trug er alles aus eine Sparkasse.»Zu deinem Guten!" sagte er allzeit, wenn er den kargen Lohn sott- brachte." Der Kranke netzte die trockenen Lippen mit einem Schluck Wasser, stellte es nachdenklich hin: .Die Lehrzeit war aus aber ich blieb bei dem Schmitt». Der Vater wollte, daß ich in der Nähe war, und da gab es keine Widerrede. Ich gab den ganzen Lohn bis auf den letzten Heller daheim ab. Denn der Schnaps war teuer, und Vater trank viel. Ich wollte, ich hätte auch getrunken vielleicht hätte ich alles besser überstanden. Doch dann kam die Befreiung: der Krieg. Befteiung auf wenige Tage. Leben voller Ekel, voller Elend. Berge von Toten, Verstümmelten doch du weißt ja selber, nicht wahr?" Der Zu- Hörer nickte. Und ich geriet in Gefangenschaft. Da oben war ich, in Si- birien. Gott , ich hatte es gerade nicht schlecht. Aber es war doch kein Leben, immer unter Zwang. Und ich wollt« doch frei fein. Ich entfloh. Aber ich verlor den Weg» tief kreuz und quer, bis Ich

vor Erschöpfung umsank. Halb erftoren fand man mich, rnd im Lazarett wurde mir der Schenkel und später auch die drei Finger abgenommen. Dazu kam eine schwere Lungenentzündung. Vsszl blieb ja nicht mehr von mir übrig", setzte er mit sachftchem Blick auf seinen mageren Körper hinzu. Starr schaute er das ruhige Gesicht des Nachbarn an.»fjade ich nicht recht? Habe ich jemals gelebt? Ich bin tot geboren." Der ander« schüttelte abweisend den Kopf. »Was? Glaubst es nicht?" Die Stimme wurde schärfer, im Dunkel zeigten sich doch Fieberflecken aus den grauen Wangen. »Hast du denn gelebt? Für wen denn? Für die anderen, die jetzt in Automobilen fahren? Für die anderen, die jetzt von ihren fetten Pensionen leben? War das ein Leben, als ich endlich zurücktehtt�r Ucberall saßen schon die Satten, die nie hungrig waren, und die vettrösteten und lächelten, mal höhnisch, mal freundlich. Sie konnten lächeln, sie lebten ja. Aber hast du Tote gesehen, die lächeln? Sie grinsen höchstens. Und ich habe seitdem oft gegrinst, glaub mir." Unvermittelt ftagte er:»Od mich der Arzt wohl noch kurieren wird? Meinst du?" Eifrig nickte der andere:Gewiß. Die meisten von uns werden gesund." Triumphierend rief der Schwindsüchtige mit erhobener Stimme: Gesund? Du lügst, großattig, sag ich dir! Als man mich über den Hof trug, sagte einer, es kann ein Wätter, kann auch«in anderer Kranker gewesen sein: Der kommt nach der Totenstation!" Und so ist es. Ihr seid alle Tote. Ihr habt nicht gelebt! Lügt, so- viel ihr wollt. Keiner glaubt es euch!" Er schrie fast, die Kranken erwachten.Ruhig!" mahnte einer. Ruhig?" äffte der Schwindsüchtige nach,.ruhig?" Das ist es ja. Ruhig immer ruhig. Nur nicht das Maul aufreißen, sonst könntet ihr es schlechter haben." Er glitt auf den Bettrand, traurig baumelte der Stumpf an der Kante herab, drohend hob er die verstümmelte Hand auf: »Ihr seid Tote! Ihr und ich. Ihr wäret schon immer tot. Ihr hattet keine Jugend: sie war tot. Ihr lebtet jahrelangen Krieg und wäret tot. Was war euer Leben danach? Langsames Siech- tum, ewiger Tod. Gafft doch nicht so!" Einer drehte das elektrische Licht an, man rief nach dem Arzt der Ronde. Wie ihr Angst habt vor dem Dunkel! Laßt euch doch elektrisch Licht in euer Grab legen, Feiglinge!" Blutstropfen pertten auf seine farblosen Lippen Der Arzt kam, wollte ihn sanft auf das Kissen zurückdrücken, aber wie ein Rasender schlug der Schwind- süchtige um sich: .Braucht mich jetzt noch nicht holen. Habe ich denn schon je- mals gelebt? Ich will leben. Mein Leben fängt ja erst an..." E:n Blutstrom unterbrach ihn, erschöpft sank er zurück. Die Nachtschwester trat unhörbar ein, und leise sagte ihr der Arzt ins Ohr:»Noch eine Stunde,,