Abendausgabe
Nr. 308 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 151
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Sel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin
5 Pfennig
Donnerstag
2. Juli 1925
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
Bezlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2502
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der unschuldige Schiele.
Was ein Minister des Innern nicht zu wissen braucht.
Herr Stresemann fordert von den Deutschnationalen ein Vertrauensvotum. Er will sie zwingen, aus ihrer unflaren Haltung gegenüber der Verantwortlichkeit für die Außenpolitit herauszutreten. Die Nationalliberale Korrespondenz erklärt:
„ Die Parteien, die hinter der Regierung Luther stehen, werden vor allem die Gelegenheit ergreifen müssen, um zu sagen, ob sie die bisherige Politit meiter vertreten wollen oder nicht. Die Volfsvertretung selbst muß alles Interesse daran haben, in so entscheidenden Fragen ihr Wort zu erheben und darf sich durch feine geschäftliche Ueberlastung daran hindern lassen, dies zu tun. Für den Fall, daß in der nächsten Zeit eine internationale Konferenz stattfindet, müssen die deutschen Vertreter wissen, ob fie von dem Vertrauen der Mehrheit des Reichstages getragen find
oder nicht."
Der Inhalt der Vertrauensfrage ist damit gegeben. Die Deutschnationalen werden Herrn Stresemann das geforderte Bertrauensvotum geben. Die ,, Kreuzzeitung verfichert:
„ Ohne Zweifel erfordert das nationale Intereffe Deutschlands , daß gerade die Deutschnationalen bei der weiteren Entwicklung unseres Verhältnisses zum Feindbund( Bölkerbund, Sicherheitsfrage, Entwaffnung) ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Jegt eine Regierungstrije herbeizuführen, hieße Deutsch land entweder aktionsunfähig machen, oder es den pazifistischen Unterwerfungspolitikern auszu= liefern."
=
Wenn die Deutschnationalen in der Regierung bleiben wollen, müssen sie durch die pofitive Abstimmung beim Vertrauensvotum für Stresemann die Verantwortung für die bisherige Politik übernehmen. Gegenüber der Opposition in den eigenen Reihen verweisen fie auf den Schiele Brief vom 25. Mai. Schiele ist unschuldig, Schiele hat nichts gewußt. Schiele hat nichts gewußt? Er hätte es wissen müssen! Schließlich muß ein Minister des Innern über die wichtigsten politischen Vorgänge in der Regierung informiert sein. Aber hat er wirklich nichts gewußt, war er wirklich am 25. Mai über das Memorandum nicht unterrichtet", hat er am 25. Mai feinen Inhalt nicht gefannt? Die chronologischen Feststellungen sprechen dagegen..
1. Im März hat sich ein Ministerrat mit der Frage des Sicherheitspattes beschäftigt. Gegen die deutschnationalen Ableugnungsversuche erklärt die„ Nationalliberale Correfpon
denz":
Der Linksruck in Holland . Amsterdam , 2. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Bis Mitternacht waren 1,5 millionen Stimmen gezählt, bei insgesamt 3 Millionen Wahlberechtigten. Danach hat die Sozialdemokratische Partei ihre Stimmenzahl erheblich steigern fönnen; man rechnet im ganzen Lande mit einem 15 bis 20proz. Anwachsen der fozialiffischen Stimmen und einem Gesamtgewinn von rund 100 000 Stimmen, fodaß die Sozialdemokraten 3 Mandate mehr bekommen werden, während die Kommuniffen eines ihrer zwei Mandate verlieren. Die Demokraten gewinnen nach den bisher vorliegenden Ergebnissen 1 Mandat. Chriftliche und Zentrum verlieren wenigstens 5 Mandate.
Amsterdam , 2. Juli. ( WTB.) Die Wahlen brachten eine ziemlich starke Verschiebung nach links. Die Parteien der Regierungskoalition ( römisch- katholische Staatspartei, antirevolutionäre und christlich historische Partei) erhielten 236 853 Stimmen, die Lints= parteien 321 321 und die verschiedenen fleinen Parteien 65 270. Da diese Zahlen aber in der Hauptsache das Ergebnis aus den großen Städten darstellen, kann das Bild durch die Wahlstimmen der kleinen Bezirke noch erheblich geändert werden.
Neuer Lire- Sturz. Stabilisierung durch Rizinus? Genf , 2. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die Genfer Börse notierte am Mittwoch 100 italienische Lire mit 17,60 Schweizer Franken. Die Lausanner „ Revue" meldet aus Florenz , daß die Faschisten dort„ Strafegpeditionen" gegen Bantiers und Makler vorbereiten, die sie für das Sinken der Lira verant. wortlich machen.
Rom , 2. Juli. ( WTB.) Die Cira hat heute neuerlich einen scharfen Rückgang erlitten. Der französische Franken gestern 128, stieg auf 130,5, das Pfund von 137 auf 143, der Dollar von 28,3 auf 29,37. Die italienischen Konsols begannen mit 84, fanten auf 82,9 und erholten sich wieder auf 83,3. Die Blätter erörtern die Frage, ob diese Aktion vom Auslande ausgehe, oder durch Balutatäufe im Inlande oder durch politische Gründe verurfacht oder durch alle drei Ursachen zusammen zu erklären sei. Sie verzeichnen die Meldung, daß im morgigen Ministerrat der Finanzminister de Stefani zurücktreten und Mussolini interimistisch die Finanzverwaltung übernehmen werde.
Der neueste Lirasturz dürfte einfach die Folge des ame rikanischen Druds sein, der verlangt, daß Italien anfange, feine Kriegsschulden zu zalien. Den Vertretern Italiens hat man in Washington deutlich gesagt, daß die bisher geübte Nichtbeantwortung der amerikanischen Forderung nicht weiter geduldet, sondern klar und einfach Geld verlangt wird.
"
„ Es ist immer besser, seinen Anhängern in voller Ehrlichfeitund Offenheit zu sagen, wie die Dinge liegen, als sie durch diplomatische Wendungen beruhigen zu wollen. Dazu gehört z. B. ein Versuch der Deutschnationalen Korrespondenz" ( Nr. 147), in der gesagt wird, das Kabinett habe zum erstenmal in seiner Gesamtheit zur Frage des Sicherheitspakts Stellung genommen. Wir müssen diese Behauptung aus genauer Kenntnis der Dinge als vollkommen falsch bezeichnen."
2. Am 15. März hat Herr Stresemann im Reichs rat ausführlich über den Sicherheitsvorschlag berichtet. Herr Schiele führte den Vorsiz im Reichsrat. 3. am 18. Ma i erklärte Herr Stresemann in offener Plenarsizung des Reichstags: Deutschland zu gehen bereit war, ergeben sich aus den Darlegungen Die Grundgedanken und die Grenzen, bis zu denen unserer Botschafter, die in einem Memorandum niedergelegt schuß mitgeteilt habe." worden sind und dessen wesentlichen Inhalt ich im Auswärtigen Aus
Der Beschluß der Untersuchungskommiffion des Senats, megen der gegen den einstigen Generaldirektor der Polizei De Bono erhobenen Anklagen das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, fommt niemand überraschend. War er doch durch Farinacci schon vor Wochen bekannt gegeben worden und hatte den Minister des Innern bestimmt, dem Urheber der Anzeige, Dr. Donati, die Reise ins Ausland anzuraten. Wem dieser Freispruch ein Sieg des Faschismus ist, dann möchten wir wohl wissen, wie eine Niederlage beschaffen wäre. De Bono ist durch das Urteil moralisch zer schmettert, geradezu platt gequetscht. Wir geben, als lehrreiche Dokumente zur Gefchichte des Regimes, die Anflagen wieder, wie sie die Untersuchungskommission selbst formuliert hat, und dann, unter Weglassung der umfangreichen daß von den 7 Kommissären 3, unter diesen der Präsident Urteilsbegründung, das Urteil selbst, wobei wir hinzufügen, 3uppelli, gegen den Beschluß gestimmt haben sollen.
Vor dem Obersten Gerichtshof sind gegen Emilio De Bono , Mitglied des Senats, die nachstehenden Anklagen er hoben worden:
1. Giner unter dem Namen Tscheka bekannten verbrecherischen Bereinigung angehört zu haben, der zahlreiche Ver brechen gegen die persönliche Sicherheit und das Leben zur Last gelegt werden.
enspersonen( donne faccendiere) im Palast Viminale und in 2. Es geduldet zu haben, daß übelbeleumdete Frau= den Bureaus der obersten Bolizeidirektion aus- und eingingen, um sich mit Geschäften zu befassen, an denen der General De Bono nicht unbeteiligt war.
Troßdem schreibt Herr Schiele am 25. Mai, er tenne " auch heute noch nicht den Inhalt des Memorandums". 4. In derselben Plenarsizung. vom 18. Mai trug Herr Stresemann die Grundgedanken des Memorandums vor. Auch das sollte Herr Schiele nicht bemerkt haben? Aber Herr Schiele fannte am 25. Mai den Inhalt des Memorandums noch nicht. Herr Schiele ist Reichs innenminister Glaubt man den Inhalt seines Briefes vom 25. Mai nicht, so ist das Beleidigung. Glaubt man aber, daß er den Brief vom 25. Mai im vollen Bewußtsein subjektiver Wahrhaftigkeit geschrieben hat, so schließt auch diese Annahme eine Beleidigung in sich. Was ist das für ein Reichsminister, der nicht auffaßt, was in Kabinettsfihungen, im Reichsrat, im Reichstag geschieht! Was würde man von einem Abgeordneten sagen, der am 25. Mai fich gegen über dem Memorandum noch im Stadium unberührter Un schuld befunden hätte! Und was ist das für ein Reichsminister, dem rechtmäßigen Wege der öffentlichen Bersteigerung verkauft der sich nicht bemüht, Kenntnis von dem Inhalt eines Memorandums zu erlangen, das alle Welt fannte, das stür- wurde, zu dem zweck, dieses Material durch seinen Bertreter auf mische Auseinandersetzungen in seiner eigenen Partei hervor gerufen hat?
in eigenartiger Geistesverfassung abgefaßt haben. Für so Herr Schiele muß den politischen Brief vom 25. Mai spezielle politische Briefe gibt es feine Vorlagen und keine Briefsteller, keine Vorgänger, die die eigenen Gedanken schon im vornherein nachempfunden haben. Das erklärt schon einiges, aber noch nicht alles. Herr Schiele wird einen Kommentar zu seinem Briefe schreiben müssen.
-
-
Darauf erklärte freilich der italienische Chefdelegierte soweit reichten seine Instruktionen nicht, er müsse sich erst neue von Rom holen. Infolgedessen unterbrach man die Verhand= lungen bis Ende August aber die Entwertung der Lira ist darum nicht unterbrochen. Kriegerglorie, besonders wenn jie in Siegen über die eigenen wehrlosen Landsleute erworben. ist, bedeutet noch lange nicht Werte schaffende Währungsstärkung!
Verfolgung des„ Corriere della Sera ".
Mailand , 2. Juli. ( EP.) Der verantwortliche Direktor des ,, Corriere della Sera " Alberio Albertini, ein Bruder des Senators Albertini, ist vom Präfeften von Mailand in aller Form verwarnt worden wegen der in der letzten Zeit veröffentlichten scharfen Kritiken des faschistischen Regimes, die zur Beschlagnahme der betreffenden Nummer geführt hatten. In der Begründung wird angeführt, diese Artikel müßten das Ansehen der Regierung in Mißkredit bringen, und enthielten in verscheierter Form Anspielungen auf die Krone. Sie seien besonders schwerwiegend infolge der großen Berbreitung des„ Corriere della Sera " im Auslande. Nach dem Bressegesez fann ein verantwortlicher Redakteur nach zweimaliger Berwarnung in einem Jahr mit Entziehung der staatlichen Anerkennung bestraft werden, so daß die 3eitung ihr Erscheinen einstellen muß. Eine nochmalige Verwarnung des Corriere della Sera " könnte dies zur Folge haben.
Das neue Luftfahrtdiktat. Was Profeffor Junkers davon meint. Der weltberühmte deutsche Flugzeugkonstrukteur, Professor Junkers in Dessau , übermittelt der Telegraphen- Union" seine Stellungnahme zu der Luftfahrtnote der Botschafterkonferenz. Er sagt dazu: Diese Note ist ein neues trauriges Dokument, wie weit die Belt noch entfernt ist von dem Wege, der allein zu dem allgemein ersehnten Wiederaufbau führen kann, da durch 3wang und Gewalt etwas erreicht werden soll, was, wie die Geschichte und insbesondere die Folgen des letzten verheerenden Krieges selbst lehren, mit solchen Mitteln nicht erreicht werden fann. Warten wir ab und lassen die Tatsachen arbeiten, bis sich die Ansicht derjenigen durchsetzt, die erkennen, daß solche Bestimungen zu ihrem eigenen Schaden ausschlagen. Dieser Schaden wird schließlich die Erkenntnis bringen. Hoffentlich bringt er sie bald!
Der Führer des Burdenaufflandes hingerichtet. Scheich Said , der Führer der aufständischen Kurden, ist in Anwesenheit einer ungeheuren Boltsmenge gehen! t worden.
3. Die Regulierung des Hazardspieles seinen Interessen untergeordnet zu haben.
veräußerung von Kriegsmaterialien empfangen zu haben.
4. Die Summe von 480 000 Lire als Gewinnanteil für die
5. Es verhindert zu haben, daß weiteres Kriegsmaterial auf
Grund eines privaten Bertrages aufzukaufen.
6. Sich durch den Verkauf von Waffen und Muni tion des Kriegsministeriums an die litauische Regierung bereichert
7. Durch eine Mittelsperson die Hoteis von Baliombrosa angekauft zu haben, um dort ein großes Spielfasino zu er
richten.
8. Durch die von ihm gegründete und geleitete Cooperative unter Offizieren zur Disposition Geschäfte gemacht zu haben, die mit seiner Stellung unvereinbar waren.
9. Den Ueberfall gegen den Abg. Amendola organisiert und geleitet und dessen Ausführer der gesehlichen Ahndung entzogen zu
haben.
tung entzogen und sich an der gesezwidrigen Beschlagnahine 10. Die Angreifer des Abg. Forni der VerhafDon Dokumenten beteiligt zu haben, die der Rechtsanwalt Carlo Cattaneo in Turin von Berufswegen in Verwahrung hatte.
11. Von der Entsendung einer Schaar faschistischer Milizleute noch Ferrara , die den Auftrag hatten, die dortigen Diffidenten zu bestrafen, gewußt zu haben, ohne die Unternehmung zu verhindern.
12. Die Anzeigen der angedrohten und vollendeten Ver= brechen gegen den Abg. Benni und den Erzpriester von Argenta unbeachtet gelassen zu haben.
zu sein, weil er die Vorbereitung des Verbrechens gekannt hat, 13. Einer der für die Ermordung Matteottis Berantwortlichen ohne es zu verhindern.
14. Den an demselben Verbrechen Schuldigen beigeftanden zu haben, indem er ihre Flucht zu erleichtern und die für die Juffiz wichtigen Spuren der Tat zu verstecken und zu vernichten suchte. 15. Bersucht zu haben, den hauptsächlichen Ang reifer des Abg. Misuri der Justaz vorzuenthalten.
16. Amerigo Dumini einen Paß unter dem falschen Namen Gino Bianchi und unter falfchem Datum geliefert zu haben. Das Urteil lautet:
In Gemäßheit der Baragraphen 37 der Verfassung, 17, 18 und 56 des Gerichtsreglements des Senats beschließt die permanente Boruntersuchungsfommission des obersten Gerichtshofes, das Hauptverfahren gegen den Senator Emilio De Bono nicht zu eröffnen: 1. Weil die unter Nr. 1, 3, 5, 6 und 7 zur Last gelegten Um stände nicht vorliegen.
2. Weil er an den unter 11 und 13 angezeigten Handlungen 3. Weil die unter 2, 4, 8 und 12 angezeigten Handlungen nicht strafbar sind. 4. Weil in der unter Nr. 10 angezeigten Handlung die zuständige Gerichtsbehörde die Einstellung des Hauptverfahrens verfügt hat. 5. Weil die unter Nr. 9, 14, 15 und 16 angezeigten Handlungen nicht hinreichend bewiesen sind."
Es folgen die Verfügung der Wiederzustellung der Prozeßaften, die zur Einsicht angefordert worden waren, an die Justizbehörde, die Normen der Bekanntmachung des Urteils und die Unterschriften.
So sieht also das Urteil aus, das einem der höchsten Würdenträger des Faschismus seine Würde als Bürger und Beamten wiedergeben soll! Mon hat ihm nicht genügend beweisen können, daß er den Ueberfall auf den Abgeordneten und früheren Minister Amendola organi