Sonnabend
4. Juli 1925
Unterhaltung und Wissen
Zoll- Legende.
Herr Jesus durch die Felder geht.
Der Sommerwind singt sein Gebet: ,, Gib uns unser täglich Brot."
Es reift das Korn auf goldnem Halm.
Das Werkvolk schanzt in Dunst und Qualm Und blasse Kinder leiden Not.
Bald mahlen Mühlen Tag und Nacht Und reichlich wird euch Brot gebracht, So sinnt der Heiland liebevoll.
Da flagt es in den Halmen schwer: ,, und gibst du mehr und immer mehr, Der Armut frißt's der Hungerzoll!"
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Soldaten und Tote.
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Bruno Schönlant.
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Beilage des Vorwärts
Tetuan, eine Fata Morgana.
Das Schiff, entfettet, stößt mit schrillem Jauchzen ab; Spanien , Europa entgleitet. Der Hafen von Algeciras, ein weißer Halbkreis freundlicher Häuser, zerfließt allmählich, vom tiefblauen Horizont aufgefogen. Unser Schiff, eine schwimmende Brüde, treibt uns in zwei Stunden von Europa nach Afrika hinüber, das bald in ge= spenstischen Umrissen auf der Schneide von Meer und Himmel erscheint. Europa aber, das wie eine kleine Insel hinter uns im Meere versinkt, wächst plötzlich zur großen Heimat, die wir verlassen. Denn auch unser Heimatgefühl, das sich in Spanien , von so vielem Fremdartigen bestürzt, immer nach Deutschland wandte, dehnt sich angesichts des neuen Erdteils und verschwimmt zum weiten europäi schen Bewußtsein. Selbst Gibraltar , das drüben aus dem Meer, ein zyklopischer rostgelber Felsenblod, hochragt, ist nicht allein England, das sich dort im Stachelnest seiner Festung birgt; dort liegt der letzte Stein Europas , der steinerne Riegel vor seiner Tür. Sind doch erst wenige Jahrhunderte vergangen, daß das Afrika der Mauren Europa überschwemmte und, Spanien mit seiner hohen Kultur überwuchernd, seine Moscheen und Blumenhöfe, seine Sitten und Gebräuche und nicht zuletzt das Blut seiner Rasse im Lande zurückließ. Heute dringt das bewaffnete, technisch raftlose Europa in Afrifa ein, um Maroffo rein äußerlichen wirtschaftlichen Interessen zu unterwerfen.
Unser Schiff, überfüllt von spanischen Soldaten und Offizieren, erweckt den Eindruck eines Kriegstransportes. Unter den lacschwarzen, landsknechthaft aufgeklappten Helmen bliden gutmütig und harmlos die Gesichter der Feldgendarmen hervor. Junge Soldaten liegen schlafend auf dem Deck, andere lehnen schwabend mit dem leisen phlegmatischen Lächeln des Spaniers am Geländer des Schiffs. Dies sind keineswegs die Gesichter freiwilliger Eroberer, und dieser spanisch- maroffanische Feldzug ist kein Volksfrieg, sondern die falte Ueberlegenheit eines Staatsmannes, die vor dem fanatischen Widerstand der arabischen Gebirgsstämme zurüdprallt.
Die füdliche Sonne schleudert ihre blizenden Meffer auf die Bellen; plötzlich entschält sie mit ihrem schneidenden Licht die afri fanische Küste, die mit ihren fahlen rötlichen Felsenzügen die Südtüste Spaniens zu wiederholen scheint.
In Ceuta , im marokkanischen Hafen, ist auch noch das afrikanische Antlig vom europäischen verdrängt. Ein Gewimmel von Soldaten transporten erfült ihn mit dem Lärm eines Heerlagers. Dicht vor dem Hafen hält der Zug nach Tetuan, an seinem Kopf wie am Ende Waggons mit Maschinengewehren, um die Fahrt vor Ueberfällen der Araber zu schützen. Wie Pfähle tauchen an der Bahnstrecke Militärposten auf, erstarrte Uniformen. Nachts, wenn sie zurückgezogen werden, schleicht sich der heimliche Mord von den offenen Kampfplägen das Gebirge herunter. Diese Schienen laufen erbarmungslos in den Krieg. Zu ihren Seiten dehnt sich Brachland, die buschige Steppe, jetzt im afrikanischen Frühling mit wildblühenden Büschen besät, die in glutroten, gelben und tiefblauen Farben aufflammen.
Inzwischen hat sich phantastisch das Bild im Zuge gewandelt. Hochgewachsene Araber mit Turbanen, den braunen buntgewirkten Mantel lose über die Schulter geworfen, schreiten durch die Gänge der Wagen. Schreiten! Denn selbst im Gedränge der Bahnhöfe fällt uns zuerst die Würde des gemessenen Ganges auf, die den Mauren eigen ist. In dieser Haltung prägt sich das ungeheure Selbstbewußtsein und zugleich die Selbstgenügsamkeit dieser Raffe aus, welche die Schäße ihrer Kultur vor Fremden fast verächtlich verschließt.
Am Fenster sitzt eine verschleierte Frau, ein weißes geheimnisvolles Stoffbündel. Denn nicht nur das Gesicht ist bis auf den Schlitz der Augen mit Tüchern dicht zugezogen; alle weiblichen Formen werden durch das weiche sadartige Gewand verhüllt, und selbst die Füße sind mit weißen dicken Binden ummwickelt, so daß sie nicht einmal die zarte Linie der Frauenglieder ahnen lassen. Tetuan, in das mir jegt einfahren, gleicht dieser Frau, ein weißes, undurchdringliches Geheimnis! Diese Stadt, die feit 500 Jahren unter europäischer Herrschaft steht, ist uneinnehmbar, unzerstörbar in ihrem eigentlichen Leben geblieben, eine verschlossene Festung alter arabischer Kultur. Die Spanier , die auf dem offenen Platz des europäischen Viertels in den hübschen Kaffeepavillons umherschlendern, wirken mehr als beobachtende Gäste, denn als Herren der Stadt, fremde Figuren, die aus einer anderen Dekoration von der Weltregie mitten in dieses rein orientalische Bühnenbild hineingeschoben wurden.
Von diesem Platz aus sieht man die eigentliche Araberstadt mit ihren Flachdächern wie ein hingeworfenes hellglizerndes Würfel spiel auf dem Hügel liegen. Hier glaubt man mit offenen Augen zu träumen. Bilder aus uralten Märchenbüchern nehmen leibhaftige Gestalt an, die großen Schatten der Bibel wandeln vor uns her. Ein Araber sprengt in rasendem Galopp auf seinem wilden Pferd die Gasse hinauf; die düstere heldische Schönheit seines Kopfes unter dem orangegelben Turban zudt wie ein Blitz vorüber. Aus dem Schatten eines Toreingangs treten zwei verschleierte Frauen. 1inter der Bermummung flüstert eine alte gebrechliche Stimme, und eine junge blühende Stimme antwortet. Mitten auf der Straße fouern mit untergeschlagenen Beinen weißbärtige Männer vor einem Schachbrett umher. Tief in das Spiel versunken strahlen diese ruhevollen prophetischen Gesichter eine unergründliche Weisheit aus. Tiefer verschlingt uns das Labyrinth der Stadt, aus der wir nicht mehr herausfinden können. 3mischen den nackten fensterlosen Mauern windet sich die Straße, eine fchmale, weiße Schlange, durch Hohlwege, unter Torbögen, in endlosen Krümmungen ohne Namen und Ziel. Nur die in die Mauer eingelassenen Holztüren verraten, daß sich dahinter die Wohnungen der arabischen Familien verbergen.
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Sondor
Berlin
Wann schließt ihr den wirklichen Friedenskontrakt, Wann schwindet der Wahnwih, der böse? Wann kommt uns der richtige Sicherheitspakt, Der die harrenden Völker erlöse?
Ein Portal mit prächtigen Meffingbeschlägen öffnet sich für uns durch besondere Gunst, so daß wir das Innere eines vornehmen arabischen Hauses betreten fönnen. Der viereckige Innenhof unter offenem Himmel mit der weißen bunten Kühle seiner Mosaiten und der Melodie seiner Springbrunnen ladet ein wie ein großer Festsaal. Eine Balustrade in arabischen Arabesten läuft heiter um sein oberes Stockwert. Von diesem Hof zweigen alle Räume des Hauses ab. In einem Zimmer wird uns das mit bunten Decken überladene Bett gezeigt, in dem die Braut die letzten Tage vor der Hochzeit ruhend verbringen muß. Leider sind die Teppiche dieses reichen Hauses nur unechte Nachahmungen; aber trotz alledem wirkt der Reiz dieser Räume mit den tiefen breiten Sizpolstern und den stroßenden Farben gegen die filberne glatte Kühle der Wände phantastisch.
Da
Die junge Frau des Hauses begrüßt mich unverschleiert. sie nur arabisch spricht, fönnen wir uns leider nur durch Gebärden verständigen. Ihre sanften schwarzen Augen, in denen eine feine Klugheit glimmt, fragen mich verwundert und fast mißbilligend nach dem Leben der europäischen Frauen. Ein spanisches Wort spricht sie stammelnd aus. Nino? Kind? Sie fragt mich, ob ich Kinder habe. Als Mütter lächeln wir uns plötzlich an, ohne einer Sprache zu bedürfen.
Ich erfuhr dann später, daß gerade hier das Leben der orientalischen Frau, vielleicht aus Schutz gegen den fremden Einfluß, mit besonderer Strenge umgittert wird, und sie selbst, ohne vom Luftzug der neuen Zeit berührt zu werden, willig alle Vorschriften befolgt. Die wohlhabende Araberin ist müßig in ihrem Hause; aber die arme Orientalin ist ein Lafttier, das dem Manne dient. Hier wird die Straßenreinigung nur von arabischen Frauen besorgt, die in glühender Sonne, über der weißen Maske des Gewandes den gelben riesigen Strohhut, die schwere Arbeit verrichten.
Berhüllt der Araber sein Familienleben, to spielt sich das alles andere, Geschäft und Vergnügen, auf der Straße ab. Das Labyrinth der Gassen öffnet sich plötzlich zu einem Lichtkreis, dem Labyrinth der Gassen öffnet sich plötzlich zu einem Lichtkreis, dem cffenen Basar, einem Platz farbigsten Gewimmels. Flach auf der Straße liegen auf Tüchern ausgebreitet die frisch gebackenen Brote zum Bertauf, daneben Früchte, Gemüse, alles auf dem holprigen Tisch der Straße. In den Verkaufsständen, bewimpelt von grellen Stoffen, tauern oder liegen die Verkäufer wie in halboffenen Stoffen, tauern oder liegen die Verkäufer wie in halboffenen Sänften und schauen fast regungslos auf den Platz. Ohne mit der leifesten Beste Käufer heranzulocken oder etwa zurückzuhalten, tragen die Araber beim Geschäft dieselbe gelassene Würde zur Schau, die ihnen jene unvergleichliche Haltung verleiht. Man hört keinen Streit, fein Geschrei, fein Schimpfwort, wie wir es auf füdländischen Märften mit dem Gefreisch vogelähnlicher Stimmen so oft verMärkten mit dem Gefreisch vogelähnlicher Stimmen so oft vernommen hatten. Trotz des schallenden Lärms der Farben und der Ueberschwemmung von Licht ist der heiße wilde Glanz dieses Lebens doch irgenwie gebannt in einer großen Ruhe. Wir sind in Afrika
an der Schwelle des Drients.
In vielen Verkaufszelten sehen wir die Handwerker bei der Arbeit. Aus der unendlichen Geduld der arabischen Hände wachsen die kunstvollen Ornamente, Blättchen um Blättchen in Leder gestochen oder in Stahl gerigt. Ein neunjähriger Knabe figt den ganzen Tag über einer Ledertasche gebückt. Seine dunklen schönen Augen lachen uns an, während er mit der Gelassenheit des Orientalen unverändert in seiner Lage bleibt.
Ueber dem Plaz aber schallt unaufhörlich wie mit dumpfen Hämmern die Musik aus dem Kaffeehaus, das einer schwankenden Holzfulisse ähnlich sieht. Die Treppe ist so schmal und steil, daß wir uns an einem Seil daran hochziehen müssen. In einer Ecke auf dem Boden fauern die Musiker, die zu dem Wirbel von Zug- und Schlaginstrumenten mit seltsamen Kehllauten ihr Lied anstimmen. Der abgehadte eintönige Rhythmus des Liedes, wie ein Wüsten
und die Stimme der Toten ruft laut aus dem Grab: , Genug jetzt der graufigen Trümmer! Legt endlich die blutige Rüstung ab!" Doch die Truppen marschieren noch immer...
| gefang in endloser Wiederholung aufheulend, hat eine aufreizende und betäubende Gewalt, und während wir an dem hellgrünen süßen Pfefferminztee nippen, fallen die Töne, praffelnde Schläge auf unseren Kopf. Benommen lassen wir uns an dem Seil herab, wie von einem gefährlichen einstürzenden Turm.
Inzwischen ist der Basar leer geworden, der Abend hereingebrochen. Die weiße Schlange der Gassen hat sich im Dunkel zusammengerollt. Nur einzelne schwache Wachslichter zeigen den Weg. Da erdröhnt wieder das dumpe Getöse ferner Musik, das durch den Hohlweg heraufschwillt. Das Raffeln von Trommeln, das schrille Zirpen der Gitarren, das Fauchen der Trompeten, ein wildes Geröll heller und dunkler Töne, die durcheinander geschüttelt werden! Dies ist kein Gesang, ein Festmarsch bläst durch die Stadt. Kinder stürzen voran, ein arabischer Hochzeitszug folgt ihnen. Mannshohe flackernde Kerzen werden vorangetragen, ihr Licht rinnt die Gasse entlang. Männer in weißwogenden festlichen Mänteln führen die prächtig geschirrten Maulejel. Auf den gestickten feuerroten Sättein der Tiere schaukeln die schweren Truhen, man bringt die Hochzeitsgaben in das Haus der Braut. Keine Frau, nur Männer bewegen sich in stolzer Anmut im Zuge. Wo aber ist die Braut selber? Sie wartet geschmückt im Frauenhause, bis der Bräutigam sie mit seinem Gepränge holt. Welcher Psalm von Hochzeitsjubel der Cimbeln und Paufen durchschallt diese verzauberte Stadt!?
Als der Zug vorüber ist, starren wir ihm nach wie einer geisterhaften Erscheinung. So bleibt Tetuan in unserer Erinnerung eine Fata Morgana. Wer diese Stadt, eine Augenblendung, einmal auftauchen sah, der wird sie am Horizont des grauen europäischen Himmels immer mit sehnsüchtigen Blicken suchen.
Das Glück im Koffer. Wie eine Lustspielidee mutet es an, wenn man liest, daß ein Mensch, der reiche Schäze besitzt, sich selber größte Beschränkung auferlegt, nur um fich von feinem Goldſtudy thirheit Stein trennen zu müssen. Daß sich indessen solche Fälle in Wahrheit zutragen, zeigt folgendes Ereignis: Jüngst verunglückte ein hollän disches Dienstmädchen in der Schelde tödlich; man untersuchte ihre Sachen und fand einen Juwelenschatz von großem Wert. Natürlich erregte es Erstaunen und Aufsehen, daß eine einfache Dienstmagd" im Besitz solcher Reichtümer sei. Schon wollte man an gestohlenes But glauben, da entdeckte man in ihren Papieren, daß es sich gar nicht um ein einfaches Landmädchen, sondern um die Baronin Salis handelte, eine Dame aus dem österreichischen Hochadel, die durch die Inflation ihr ganzes Vermögen verloren hatte und nur mehr ihren allerdings unermeßlich wertvollen Schmuck besaß. Obwohl die Hälfte des Schmucks selbst für verwöhnte Zwecke genügt und der Verkauf der anderen Hälfte ihr ein sorgenfreies Leben gesichert hätte, konnte sie es nichts übers Herz bringen, sich auch nur von einem einzigen Stück zu trennen. So packte sie den ganzen Schmuck in ihren Koffer, fuhr nach Holland und verdingte sich dort unter falschem Namen als Dienstmädchen. Als solches fonnte sie zwar niemals den wundervollen Schmuck tragen, der lag im Koffer, aber sie besaß ihn, und das war ihr ein Leben als Dienstmagd wert! Jeder lebt nach seinem Geschmad.
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Rosenrekorde. Der älteste Rosenstrauch, den es wohl auf Erden gibt, ist die hochberühmte Pflanze, die jedem Besucher des Hildes heimer Domes an der Wand des idyllisch gelegenen Hofes gezeigi wird. Der Hildesheimer Rosenstrauch läßt sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Zu den größten Rosenbäumen, die es gibt, gehört der Strauch am Schlosse von Chillon am Genfer See , und ein nicht minder stattliches Exemplar ist der Rosenbaum in den öffentlichen Anlagen von Toulon , der sich über einen Raum von 80 Fuß Länge zu 15 Fuß Breite erstreckt und der schon bis zu 5000 Blüten zur selben Zeit getragen hat. Der größte Rofenbaum, den es gibt, soll aber nach einer Zusammenstellung in einem englischen Fachblatt die Pflanze des Wehrlegartens in Friesburg ſein; es ist eine wilde Rose, auf die vor 40 Jahren eine Teerose gepfropft wurde. Dieser Riesenrosenbusch ist 120 Fuß hoch.