Abendausgabe
fr. 312 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 153
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Pfennig
Sonnabend
4. Juli 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Ein Vorstoß der Zollwucherer.
Die Opposition soll abgewürgt werden.
Die wahren Abfichten der bürgerlichen Mehrheit im handelspolitischen Ausschuß wurden heute vormittag durch einen Borstoß der Bayerischen Volt spartei enthüllt. Wir haben nie darüber Zweifel gehabt, daß es den bürgerlichen Herren nicht auf eine sa chliche Durchberatung der gesamten und sehr verwickelten Materie ankommt, sondern nur daruf, möglichst sasch, wie Genosse Breitscheid feststellte, die Ernte in die Scheunen zu bringen."
Nachdem Genoffe Sollmann in ganz außerordentlich eindruds voller Weise auf die verhängnisvollen Folgen der Erhöhung der Zollfäße für unerläßliche Hilfsmitter beim Wohnungsbau hingewiesen hatte, erhob sich der Bayerische Volksparteiler Dr. Horlacher, der Typus des bayerischen Bauerndoftors, um Schluß der Debatte fiber das Kapitel Steine und Erden" zu beantragen und gleichzeitig den Antrag zu stellen,
tu der Spezialdebatte die Redezeit bei den einzelnen Pofifionen auf fünf Minuten zu beschränken.
Der Vorstoß Horlachers ließ die Opposition in große Erregung geraten. Allenthalben empfand man den Antrag als eine Pro potation. Es hagelte Zwischenrufe, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen und die in Verbindung mit den Erklärungen des Genossen Breitscheid und des Kommunisten Rosenberg den bürgerlichen Abgeordneten doch den Ernst der Situation zu Gemüte geführt haben dürften. Breitscheid ließ feinen 3weifel darüber, daß sich die Sozialdemokraten eine solche Behandlung nicht gefallen lassen werden. Er bezeichnete es als eine taum verständliche Kühnheit, daß die bürgerlichen Parteien nun schon bei der ersten Gelegenheit den Versuch unternehmen, die Aussprache.abzuwürgen. Für das Zentrum erklärte der Abg. Lammers, daß sich seine Fraktion vorerst gegen den Antrag der Bayerischen Volkspartei aus spreche, aber doch dringend um eine mögliche Konzentration in der Aussprache bitte. Der Vorsitzende machte dann bekannt, daß Hor lacher seinen Antrag zurüdgezogen habe.
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Stresemann gegen Schiele.
Borhaltungen und peinliche Fragen.
Die Angelegenheit des Schiele- Briefes vom 25. Mai war zunächst eine Angelegenheit Schiele. Kopfschüttelnd nahm die Deffentlichkeit von diesem Briefe Kenntnis. Dana murde fie durch die offizielle Erklärung der Deutschnationalen von gestern eine Angelegenheit Deutschnationale gegen Stresemann , heute ist sie zu einem Streitfall zwischen den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei gemorden. Die Deutsche Boltspartei veröffentlicht folgende Erklärung:
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In ciner Veröffentlichung ist aus deutschnationalen Kreisen darauf hingewiesen worden, daß sich der Reichsaußenminister in seinen verschiedenen ausführlichen Darlegungen über den Sicherheitspalt, z. B. in seinen Reden in den Sigungen vom 15., 18. und 24. März, an denen der Reichsminister Schiele teilgenommen hat, über wichtige Punkte des Memorandums, z. B. die Frage Der Entmilitarisierung des Rheinlandes, den Schiedsvertrag mit Frankreich und die Möglichkeit der Kombination mit einer oder aller in dem Memorandum gegebenen Anregungen, nicht ausdrüc lich ausgesprochen hätte, fodaß Herr Minister Schiele teine Veranlassung gehabt hätte, Bedenten gegen das Memorandum zu erheben, zu denen ihn nur die genaue Kenntnis des Wortlautes des Memorandums hätte veranlassen fönnen.
Demgegenüber darf darauf hingewiesen werden, daß in der durch WTB. gebrachten Veröffentlichung der Reden des Außenministers über den deutschen Sicherheitsvorschlag ausdrücklich betont wurde, daß Deutschland bereit sei, mit allen Ländern Schiedsverträge auf der Grundlage der bisher von ihm geschlossenen Verträge zu schließen, sodaß schon daraus anzu. nehmen ist, daß diese Frage auch in seinen übrigen Darlegungen, über die Stenogramme nicht bestehen, ebenso behandelt worden ist. Wenn der Außenminifter überhaupt die gegenüber dem großen Gedanken des gegenseitigen Sicherheitsabkommens minder wichtige Frage einer gegenseitigen Garantierung der Entmili. tarisierung in diesen Reden nicht erwähnt haben sollte ,.
so ist Herrn Minister Schiele sicherlich bekannt, daß auch diese Frage in einer Besprechung zwischen zehn Mitgliedern der deutschnationalen Reichstagsfraktion, dem Außenminister und dem Reichskanzler erörtert worden ist, fodaß die führenden Mitglieder feiner eigenen Frattion jedenfalls
auch hierüber unterrichtet waren.
Benn im übrigen eine Darstellung, die dem Berliner Lotal. Anzeiger" aus deutschnationalen Kreisen zuging, zutreffend ist, monach die Anregung zu der Ministerbesprechung vom 24. März von bem Reichsminister Schiele felbft ausgegangen ist, so entsteht die Frage, warum Herr Minister Schiele oder einer seiner deutsch nationalen Kollegen nicht in dieser Besprechung um die Ber Lesung oder Aushändigung des Memorandums ersucht hat, ein Ersuchen, dem doch selbstverständlich entsprochen worden wäre. Tatsächlich ist aber von feinem der deutschnationalen Minister an das Auswärtige Amt jemals das Ersuchen gerichtet morden, den Wortlaut des Memorandums fennenzulernen. Im übrigen ist politisch bebenfungopoll, daß Herrn Reichsminister Edhicle nach diefer Beröffentlichung aus deutjonctionalen Kreisen die übrigen Bunite des Memorandians, alfo insbesondere auch die datin enthaltene Anerkennung des Statusquo für die Weilgrenje, fcine Beranlajjung zu Bedenken gegeben habe.
Das war der erste Borstoß der Reattion. Die Eozialdemokratie wird sich jedoch dadurch nicht beirren lassen und immer wieder darauf drängen, daß mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen das Für und wider abgemogen wird, daß nicht das Volf als Opfer der fleinlichen Rafigier der wirt schaftlich Starken eine unerträgliche soziale Belastung erfährt. Nachzutragen ist noch, daß auch bei der heutigen Debatte die bürger lichen Parteien schwiegen. Hier blieb es dem Abg. Dr. Schneider( D. Bp.), der nach wie por in unerträglicher Ueberheblichkeit in die Geschäfte des Vorsitzenden hineinzureden versucht, vorbehalten, dem Abg. Raschig gegenüber zu bemerken,
da er gar keine Antwort bekommen werde.
Für die Herren ist von ihrem Standpunkt aus eben alles flat. Aus der sachlichen Aussprache ist noch zu unterstreichen die Begründung des Genossen Sollmann für den Antrag, daß der Arbeitsminister wegen der Einwirkungen der Zollerhöhungen auf den Baumarkt gehört werden soll. Er betonte dabei, daß die Er höhung der Preise durch die neuen Zölle die Bautätigkeit weiter hemmen müsse. Die Genossin Sender begründete den sozialdemofratischen Antrag, den Reichsbantpräsidenten Schacht gutachtlich über die Rückwirtung der Zollerhöhungen auf die Währung zu hören. Der Ausschuß trat dann in die 2bstimmung der Anträge zu den einzelnen Positionen ein. Dabei wurden die Anträge der Opposition gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Demokraten und Kommunisten von der geschloffenen Front der Bürgerlichen ab. gelehnt.
Beginn der Zollenquete.
Die auf Antrag der Sozialdemokraten eingesetzte Enquete tommission wird am Montag ihre Arbeit beginnen. Auf Beschluß des Handelspolitischen Ausschusses wurden zu gleichberechtig Prof. Rabethge. Zu Beisitzern wurden bestimmt die Herren ten Vorsitzenden berufen: Prof. Dr. August Müller und Barmbold, Sering, Aereboe und Sadawe. Die Kommiffion wird außerdem durch Vertreter der verschiedenen Fraktionen verstärkt.
Diese parteioffiziöse Erklärung der Deutschen Bolfspartei zerschlägt den deutschnationalen Bersuch, die Berantwortung für die Politik des Sicherheitspattes von den deutschnationalen Ministern abzuwälzen. Sie stellt fest, daß Herr Minister Schiele- um im deutschnationalen Jargon zu reden- bereit war, die schmachvollen Bedingungen des Bersailler Bertrags noch einmal zu unterzeichnen und Elfaß Lothringen noch einmal und auf ewig preiszugeben. Soweit ist die Briefangelegenheit ein Streitfall zwischen den beiden rechten Regierungsparteien. Sie ist zugleich ein persönlichen Streifall Schiele Stresemann. Der Brief Schieles und die Erklärung der Deutschnationalen dazu bezichtigen Stresemann der Eigenmächtig feit und hinterhältigkeit. Die Antwort Strese manns aber bezichtigt den Minister Schiele der Unwahrhaftigkeit. Oder soll man annehmen, daß die peinlichen Fragen und Borhaltungen dieser Antwort nur dazu dienen sollen, Herr Schiele als einen Minifter hinzustellen, dem nicht einmal feine eigenen Parteigenossen fagten, was los ist?
Wenn der Reichsaußenminister und der Reichsinnen minister mit so scharf pointierten Erklärungen in der Deffentlichkeit sich auseinandersehen, wird man wohl sagen dürfen, daß die Einigkeit" im Kabinett sehr problematisch ist.
Stresemann gegen Reventlow. Eine offiziöse Erklärung. Durch WTB. wird erklärt:
Der Berfaffer schildert die Eindrüde, die er mährend einer Reise durch China im Frühjahr d. I. erhalten hat. ( Red. d.„ Borwärts".) Wenn man den Jangtse hinauffährt, fieht man auf den Höhen, die den Fluß links und rechts begleiten, Kanonen stehen und neben den Kanonen Soldaten in Katiuniform und mit Schildmüßen, die auf die etwas schiefen Mongolenschädel nur miderwillig passen.
Wenn man durch Nanting oder Ranton fährt, sieht man in den Straßen fast mehr Soldaten als Zivilisten.
Das ganze Land ist militarisiert, und in der allgemeinen Spannung weiß niemand, an welcher Ecke der Kampf wieder losgehen wird,
Die Mandschurei wird von Tschangtfolin beherrscht. Er ist ganz offensichtlich ein gefügiges Werkzeug der Japaner, die ihn von Dalny und Port Arthur aus mit Kriegsmaterial unterstützen.
Kürzlich hat ein deutsches Schiff, der Stadtrat Fischer", ein Dampfer der Hamburger Reederei Schroeder, Hoelfen u. Fischer, Munition für Tschangtsolin nach Dalny gebracht; und zwar deutsche Reparationsmunition, die von Livorno aus mit Hilfe italienischer Großindustrieller verschoben wurde.
Das ist eine dunkle Affäre. Ich sah den Dampfer, einen richtigen schwimmenden Sarg, in Niederländisch Indien, in Sabang , das er als Nothafen angelaufen hatte.
Es ist ein trauriges Schauspiel, wenn man sieht, wie sich die Kapitalisten der Länder in die Hände arbeiten, wenn irgendwo Mord und Totschlag ist.
Seitdem Dr. Sunyatsen geftorben ist, macht die Demofratie, deren Führer er war, in China rasende Fortschritte.
Bei der Beurteilung dieses Prozesses fommt einem zum Bewußtsein, daß das politische Problem des Ostens und speziell Chinas zum großen Teil ein fulturelles Problem ist.
erfolgreich wehren will, muß es moderne technische Methoden Wenn China fich gegen die weißen Mächte und Japan annehmen, die feine uralte, auf den Konfuzianismus gegrünbete Kultur zu einer vollkommen veränderten Einstellung, menn nicht zur Auflösung bringen werden. Es muß fich genau so amerifanisieren, wie es Japan im letzten Viertel jahrhundert getan hat.
Nun fann der Chinese aber nicht so leicht ein Rompromiß schließen wie der Japaner, der eigentlich ein geborener ernsterer, gediegenerer Mensch, dem nichts an äußeren ErKompromißler ist. Der Chinese ist ein viel verinnerlichter, folgen liegt, wenn man ihn in Ruhe läßt.
Diese Ruhe wird man ihm aber nie laffen, denn der ja panische Imperialismus ist mit absoluter Not wendigkeit auf die Erschließung Chinas und seiner Rohstoffe angewiefen. Der direkte Feind Chinas ist Japan .
Die Rolle Englands ist komplizierter. Wenn England heute seine Konzeffionen in China verlöre, würde seine ganze Stellung im Osten aufs schwerste erschüttert sein. Sein Ber luft wäre zunächst ein Prestigeverlust( da der Schwerpunkt der öfonomischen Macht Englands im Often, in Indien , zu suchen ist), aber aus diesem Prestigeverluft fönnten fich die ungeheuerlichsten materiellen Katastrophen ergeben.
Demokratie in China ist zugleich extremer Natio nalismus. Sympathie mit den Formen westlicher Kultur gibt dem Chinesen das Gefühl der Stärke und der Widerftandsfähigkeit gegen seine Bedränger.
Deshalb wird Sunnatsen heute als der größte Führer seines Landes, als der chinesische Bismard" gefeiert.
Die Gegensätze zwischen Wupeifu und Feng( dem christlichen General) und selbst Tschangtfolin find unwefentlich gegenüber der Frage, ob China in absehbarer Zeit fähig fein wird, seine technischen Methoden so zu stärken, daß es den Mächten ein Baroli bieten kann.
Der Abgeordnete Graf Reventlow tommt in Nr. 305 der Bis dahin ist allerdings noch ein weiter Weg. Deutschen Zeitung" vom Freitag den 3. Juli auf die Frage der Ruhrräumung zurück und vertritt ebenso wie in seinem die es infolge des Mangels an Zeitungen und der BildungsDazu gehört vor allen Dingen eine öffentliche Meimmg, früheren am Sonntag den 2. Juni in der Deutschen Zeitung" verlosigkeit der breiten masse nicht gibt. Maffe öffentlichten Aufsatz die These, daß Frankreich nicht ver pflichtet wäre, bis zum 16. August die Ruhr zu räumen, da in dem Notenwechsel zwischen der deutschen und der französischen Regierung im vergangenen Sommer während der Londoner Konferenz für den Spätesttermin, den 16. August d. Js. lediglich versprochen worden wäre, zur Räumung des Ruhrgebiets zu schreiten. Falsche Uebersehungen änderten daran nichts.
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Die Behauptung, daß der Brief des französischen und belgischen Ministerpräsidenten an den Reichskanzler Marg vom 16. Auguft 1924 falsch übersetzt worden sei, muß auf das entschiedenste zuDer Ausdrud, ils procederont a rüdgewiesen werden. l'evacuation militaire du territoire de la Ruhr dans le delai maximum d'un an à partir de ce jour, ist vollkommen zutreffend dahin übersetzt worden, daß die französische und belgische Regierung innerhalb einer Höchftfrist von einem Jahre, vom 16. August 1921 ab gerechnet, die militärische Räumung des Ruhrgebiets vornehmen merden. Die These des Grafen Reventlow findet weber in dem Wortlaut der auf der Londoner Konferenz gewechselten Briefe noch in den Tatsachen eine Stüge und wird zudem durch die Auslegung, die französischerfeits diesen Briefen gegeben wird, miderlegt. Eine Rennzeichnung dieses Borgehens des Grafen Reventlom, das fich lediglich aus dem Bestreben erklärt, der deutschen Regierung um jeden Breis Schwierigkeiten zu bereiten, erübrigt sich.
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Die offiziöfe Erklärung vergißt hinzuzufügen, daß die Deutsche Seitung" nidjt nur vom Grafen Reventlom, sondern auch von her porragenden Mitgliedern der deutschnationalen Regierungspartei als Sprachrohr benutzt wird. Red, d.„ B"
Die Studenten, die protestierend den Bund" in Schang hai hinunterziehen, haben in Berlin und Paris ftudiert und find nur ein verschwindend fleiner Teil diefes an Masse gewaltigen Volkes. Man darf sie als Revolutionäre nicht allzu tragisch nehmen. Es ist zum Beispiel interessant, zu wissen, daß es in der zivilisatorischen Epoche des flassischen China schon einmal eine Art Ruo- Min- Tang", eine revolutionäre Bartei gegeben hat. Der Marr der damaligen Zeit hieß Mohti.
Wenn man bedenkt, welcher Abstand zwischen der Realität des chinesischen Lebens und der Theorie von Lenin besteht, erscheint es taum glaubhaft, daß die augenblicklichen Konflikte mit einer Bolschemisierung endigen werden. Herr Rarachan glaubt vielleicht die Fäden der chinesischen Erhebung in der Hand zu haben, aber er verwechselt den Bauer Rußlands mit dem Bauer Chinas . Dieser ist politisch niemals bedrückt gewesen und lebt heute noch, wenn es gerade feine Hungersnot gibt, glücklich und zufrieden dahin. Er ist fogar der ausgesprochen antipolitische Mensch der ganzen Erde. Es gibt nichts Neutraleres, Desinteressierteres als den chinesischen Bauer.
Alles andere ist Romantit. Hier fehlt jede Grundlage für das Begreifen marristischer, also westlicher, alfo europäischer Ideen. Was schert es den Chinesen des Nordens oder des tiefen Inneren, menn in Bonfong ein englisches Kanonenboot anfert?