Sonntag 5. Ml 1925
öeilage öes vorwärts
Erntezeit.
Der Morgen brach so blutigrvt Im Osten an, Im Kornfeld flüstert's leis vom Tod, Die Erntezeit begann. Die Halme neigen segenschwer Ihr Aehrenhaupt, Dann zieh'n die Tage lebensleer— Vorüber, die Zeit geraubt. Die Tage, da im Samenkorn Das Leben sprach, Als in der Erde Leib der Keim Die Schale brach. Und dann das große Aufersteh'n, Als über Feld und Wald Des neuen Frühlings heil'ges Weh'n Als Weckruf schallt. Die Zeit, da jede Aehr« reich Voll Blüten hing, Durch die der laue Sommerwind Als Liebesbote ging. Und dann die Werdezeit der Frucht Im lichten Sonnenschein, Und alles liegt so weit, so weit Und heut der Frllhrotschein. Vom Dengeln zieht ein leiser Klang Durchs Halmenmeer, Die Halme lauschen todesbana, Die Lehren sind so schwer, so schwer. Vom Dorf tönt klagend durch die Nacht Ein Wächterhorn, Und wenn der neue Tag erwacht, Dann geht der Tod durchs reife Korn. F r i ß M u ch e, Metallarbeiter.
Gib und Sab.
Don Ren6 Bizet. (Berechtigte llebertragung von Joh. Kunde.) Ich hatte Demonello im Zirkus Orlande» kennengelernt. Er war schon alt und doch eine seiner Attraktionen. Dos Publikum der ganzen Welt hatte diesem„ExcentrU' und seinen beiden Puppen— Bib und Bab— Beifall gespendet. Er pflegt sie aus zwei Stühle zu placieren und mit ihnen ein stummes Gespräch zu führen, dessen Inhalt man nur aus den Testen
des Artisten erraten konnte. Dem weiblichen Mannequin.Bab" machte er ungeschickt, schüchtere den Hof. während sein« Hände und Füsz« dem männlichen„Blb" unaufhörlich drohten: das endet« mit einem komischen, regelrechten Faustkampf, der Gelächter und Bravos weckte. Bib und Bab wirkten nicht abstoßend.
h wie Demonello selbst.
Sie waren ungefähr Der Holzkopf der Frau war mit überzogen. Augen und Mund etwas derb aufgemalt; sie trug eine struppige rot« Perücke, Kleider der Armut. Der Mann sah aus wie ein Saufer in abgenutzter trübseliger Karneoalstracht. Kurz, es waren zwei banale Marionetten, deren Rückseite einige Illusion erwecken konnte, die aber ohne Zweifel auf Jahrmärkten jedem Schießbudenbcsiger Ehre gemacht hätten. Wie ich Demonello zum erstenmal auf�rhalb seines Wirkung?- treises begegnete, versagte ich mir die Bemerkung nicht, daß er— ohne seinem Renommee zu schaden— diesen passiven Mitspielern vielleicht ein gefälligeres Aussehen verleihen könne. Er sah mich verächtlich an. Nopste auf sein rundes Bäuchlein, psiff stch eins, kehrte mir den Rücken und schnitt so das Gespräch ab. Ich weiß, wie� über-
empfindlich gewisse Artisten sind, und verzichtete auf weitere Bemer- kungen. Run ja, er hatte mit den häßlichen Popanzen Erfolg, warum sollt« er ihr Exterieur verändern? Diese zwei Hanswurste aus Holz und Kleie waren Demonello» ganze Familie, seine einzige Gesellschaft. Er hotte einst Enttäuschun- gen erlitten, und seit seinem dreißigsten Jahre lebte er mit Bib und Bab. Wenn ein Verehrer in seine Garderobe kam. so hörte er ihn laut sprechen, diskutieren, ernsthaft Fragen stellen,— er fürchtete zu stören, und entfernte sich. Kannte man ihn näher, trat man ohne zu klopfen ein, fand unseren Mann in einem Selbstgespräch. Das hinter ihm an der Mauer postierte Paar schien eher in einen und«- kannten Himmel hineinzuträumen, als auf seinen Herrn zu hören.
Aber das störte ihn gar nicht. Für sein Ohr waren sie nicht stumm, für sein Auge nicht bewegungslos— und wenn er im Begriff war auszutreten— den Mann und die Frau unter seinen Arm nahm—, sagte er zornig zu jenem:„Zum Teufel! Vorwärt», du Schafekopsl" — Und der Frau schmeichelte er:„Kindchen, beeilen Sie sich ein bißchen l" Er wahrte auch außerhalb der Szene die volle Illusion... Wenn er„gearbeitet" hatte, so war sein« erst« Sorge, noch eh« er den Schweiß von der Stirn trocknete oder sich abschminkt«—. die Kostüme seiner Partner in Ordnung zu bringen und sie mit einigen Koinplimenten zu belohnen. Hatte er Blumen, so schmückte eine Rol« Bobs Korsage, und unterhielten sich die Journalistcn mit ihm, dann zeigte er auf Bab und Bib :„Meine Kameraden und ich sind von dem Publikum sehr befriedigt." Aber es kam die Zeit, wo er den bunten Kulissen Lebewohl sagen mußte, auch Herrn Orlandes, dessen Aug- sich feuchtete, den Clowns, die heranwuchsen, dem
schönen«irius, der so groß war wie ein Ozeandampfer und den eine besondere Atmosphäre erfüllte. Demonello war zu alt geworden, um weiter den Naiven zu spielen und da» Publikum zu überzeugen, daß er noch an seine Farcen glaube. Darin liegt alle». Man muß Vertrauen zu sich haben....,. Er zog sich in ein kleines Landhaus zurück: dort besuchte ich ihn alle Jahre. Man traf ihn sicher an. Er dehnte sein« Promenaden niemals über sein Kärtchen au». Im Sommer saßen Bib und Bab auf einer Bant, während er umgrub und latete. Om Winter be- kamen sie im kleinen Salon den besten Platz: am Kamin. Den ganzen Tag hörten sie Demonellos nie versiegendes Geplauder, der ihnen alle seme Eindrücke erzählte.„Aber warum gehen«i« nicht rnts?* fragte ich ihn eine» Tages„Weil ich meine Kameraden nicht mitnehmen kann: man würde mich für närrisch halten. Ich brauche keinen Verkehr, sie genügen mir. Ei« haben wenigsten» ihr Kostüm au» guten Zeiten behalten können. Ich bin in Zivil, aber wenn ich sie ansehe, sind« ich mich selbst wieder. Sie sind Ursache, wenn ich seelisch nicht altere. Sie haben noch ihr glückliche» Lachen, ihr« erlumpte Tracht. Daß da, Ende uns bedroht, wissen sie nicht, und .ja ich nur sie sehe, weiß ich e» ebensowenig."— Der Kluge hatte recht. Nch war der einzige Zeuge, der merkte, daß es mit ihm bergab ging- IG erlaubte mir häusiger zu kommen, und jedesmal fand ich Demonello magerer und hinfälliger. Das blieb bis zu dem Tage, wo ich an dem niederen Gitter klingelt« und man nicht ant» «ortete... Der Besitzer hatte«inen zweiten Schlüssel, den tx mir Anvertraute. Ich betrat die Wohnung de»„Excentric", Stille
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verfolgte Unfthulü.
»Sie siitö beschulöigt öes Verrats sämtlicher völkischer velange öurch geheimes Einvernehmen mit öem 5einüe Stresemann. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung anzuführen N Mein Name ist Schiele. Ich weiß von nichts!"
herrschte dort. Zwei leere Stuben, ein Korridor, wo meine Schritte düster widerhallten, eine Treppe, die zum ersten Stock hinau>sührts: ich war in der Kammer. Ein schwaches Licht stahl sich durch die Läden bis zum Bett. Ihm zu Seiten zwei Personen. Aus dem Linnen jah man dos wachssarbene Gesicht meines Freundes. Zuerst
glaubte ich, daß von Ihm benachrichtigte Verwandte die letzten Liebesdienste an seiner Sterbestätte erwiesen. Aber dann erkannte ich die rote Perücke Babs, die zinnobersarbige Nase Bibs. Demonello hatte dieses letzte Tableau sinnig inszeniert. Bib und Bab saßen in ihren Fauteuils, ihre schlaffen Hände berührten die ihres alten Ge- fährten. Er hatte sich bis zur letzten Sekunde der Illusion hin- gegeben, daß das Paar über sein friedliches Hinüberschluinmcrn wachte: das war sein letztes Glück, das ein Lächeln aus sein Gesicht zauberte. Die bizarre Vision erschien so echt, daß ich mich bei der Frage an Bab überraschte:„Er hat nicht zu leiden gehabt?" Gewiß, sie antwortete nicht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber die beiden Puppen glichen in meinen Augen bereits zwei Engeln, die die Seele und den elenden Leib eines Clowns in ein lindltches Paradies trugen... in den wunderbaren Zirkus des Himmels...
Sabang.
Sonderberichk für den.vorwärts" von Richard Huekfenbeck. Sumatra , im Frühjahr. Tagelang Himmel und Wasicr. Keine Wolke, das Meer ist qlatl und flach wie ein Tischtuch. Man läßt sich einlullen von dem Rhythmus der ungeheuren Weite. Man sitzt aus der Back des Schisfes und beobachtet die fliegenden Fische, die aus dem Wasser schnellen und wieder versinken. Nacht» brennt der Hinimel von Millionen Blinkfeuern. Die Lust ist weich wie die Hand der geliebten Frau. Dann kommen kleine Inseln. Sie sind von dichtem Urwald bewachsen. Auf der Insel Wey an der Spitze Sumatras liegt Sabang . Man fühlt sich neugeboren, wenn man nach wochenlangem Marsch um das schmale Laufdeck den Fuß zum erstenmal wieder ans Land setzt. Eine schmale Straße von chinesischen Händlerbuden. Die Männer feilschen und schnattern hinter rohgebauten Ladentische». Die Frauen in bunten 5)osen verschwinden scheu im Hintergrund. Die Malaien sind ernster und würdiger. Großgewachsene und schöne Mensche». Sie sind fast unbekleidet. Manche tragen einen gewaltigen Strohhut. Die hollandischen Herren haben hier«ine spärliche Zivilisation »Ingeführt. Bis vor kurzem muhten sie mit den Attjes, den Ur. einwohnern des Landes, einen bösen Kampf führen, und noch heute ist es nicht ratsam, sich allein allzuweit von dem bewohnten Ort zu entfernen. Die Attjes tragen ein gebogenes Mesier als Masse und Hand- werkszeug. Wenn man die muskulösen Gestalten ansieht, kann man begreifen, daß sie mit diesem sichelartigen Instrument sehr gewandt umgehen können. Die Füll« der Vegetation ist verwirrend. Die Palm« kann jede Form annehmen. Sie läßt riesige fächer- artige Blätter direkt aus dem Boden kommen und blldet undurch-
dringliche endlose Dschungel. An anderen Stellen, besonders in der Nähe des Meeres, sind ihre Stämme 15 Meter hoch und nur von einer kleinen Laubkrane bedeckt, unter der man die mächtigen Früchte fleht. Das sind die Palmenhaine. Dann wieder sindet man allein- tehende Exemplare, die die ganze Großartigkeit ihrer Art in sich vereinigt zu haben scheinen. Im dichten Gewirr des Urwaldes sieht man goldrotc Mandarine» reifen. Die Bananen wachse» in meterhohen Trauben. Das Laub der Brotbäums ist weit und hoch wie das Dach eines großen Hauses. Ein kleiner See liegt zwischen den bewaldeten Bergen. Auf einein zerbrechlichen Kahn rudern wir unter greller Sonne bis in die Mitte des Wassers, Man hört keine» Laut. Dann Schreie aus dem Wald: die Affen. Im Wasser eine Fülle seltsamen Lebens. Fingerlange Gold- fische huschen kaum einige Handbreit unter dem Wasser dahin. Leguane, eine Art großer Eidechsen heben ihre Rücken aus dem Wasserspiegel heraus. Die Häuser der Eingeborenen find ans hohen Psählen gebaut. Zum Schutz gegen Schlangen. Die Wände sind Lastmatten, die man nach Belieben entsernen sann. In einem größeren Haus wohnt ein 5)äuptllng. Er hat, seitdem die Fremden hier sind, nichts mehr zu sagen, aber die szolländer haben ihm aus Klugheit eine Art unverbindlicher Gerichtsbarkeit über seine alten Untertanen gelassen. Nun sitzt er da im Kreise seiner Weiber und läßt sich die Sonne auf den Rücken brennen. Die Holländer sind schlaue Kolonisatoren. Sie haben nur den einen Wunsch, möglichst viel Geld aus Ihren Kolonien zu ziehen. Wenn sich die Eingeborenen dem nicht widersetzen, geschieht ihnen nichts. Man läßt ihre Gewohnheiten möglichst unangetastet. Der Holländer ist hierin weniger prüde als der Engländer. Während des Krieges flüchteten sich eine Anzahl von deutschen Schiffen nach Sabang . Die Holländer sind den Deutschen nicht sehr rosig gesonnen, aber die Besagungen dieser Schisse hatten hier immerhin ein erträgliches Leben. Aus dieser Zeit stammt der Deutsche Klub von Sabang . Heute sind nur noch fünf Deutsche hier und diese sind bis auf einen in ganz untergeordneten Stellungen. Im holländischen Klub trifft sich die gute Gesellschast von Sabang . Man sitzt a ufeiner Terrasse mit dem unvergleichlichen Blick auf die bewaldete Bucht. Man trinkt eisgekühlte Limonaden unld plaudert unter dem sternenhellen Himmel. Unvergeßlich sind die Nächte von Sumatra .
Neue Berechnungen über das Alter der Erde. In den letzten Iahren ist zur Berechnung des mutmaßlichen Alters der Erde die Radioaktivität bestimmter Erdschichten herangezogen worden. Nach einer von Prol. Eitel in Königsberg herausgegebenen Tabelle, die auf eingehenden und exakten Forschungen beruht, ist da? Alter der präkambrischen Gesteine, bekanntlich der ältesten Gestdnsmassen, aus etwa 1100 bis 1200 Millionen Jahre zu schätzen. Für devonische Mineralien fand sich ein Alter von rund 400 Millionen Iahren. Die Zahlen schwanken allerdings sehr, so haben z. B. auch gewiss« prä- kambrische Gesteine, die vielleicht erst durch spätere gewaltige Ausbrüche an die Erdobersläche geworfen sind, nur em Alter von etwa 200 Millionen Iahren.