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Nr. 31542. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Dienstag, 7. Juli 1925

Ferienwanderung durch Thüringen

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Sommertage lassen die Sehnsucht wachsen, hinauszumandern aus der Enge der Großstadt in die Weite der Landschaft. Reisen ist nicht mehr das alleinige Vorrecht weniger Besitzender. Die Ar beiterschaft schreitet langsam aber zäh vorwärts in ihrem Ringen um Teilnahme an den wahren Kulturgütern. Arbeiter wandern in den Ferientagen durch das Land. Eigene Herbergen gewähren ihnen gastliche Unterkunft. Einfach ist ihr Leben auf der Fahrt, mie im Autog. Aber reich an innerem Erleben fehren sie heim von ihren Wanderungen, auf denen sie sich die Schönheiten der Heimat

erorberten.

Jns Thüringer Land.

Ins deutsche   Mittelgebirge  , ins Thüringer Land  , führt uns die Eisenbahn. Am frühen Morgen läuft der Eilzug aus der ver­räucherten Halle des Anhalter Bahnhofes, furz nach 3 Uhr hält er im fagenumwobenen Eisenach  . Hier ist alles Vergangenheit: Die Wartburg   und der Hörfelberg, Frau Venus und Tannhäuser  , Se­ bastian Bach   und Luther  , Fritz Reuter   und Richard Wagner  . Und über allem ein Hauch neuzeitlichen Lebens, der den bestimmenden Einfluß von Geschichte und Sage mur noch fühlbarer macht. Zum hohen Wartburgturm grüßt Thüringer   Band wie einst, Rhön   und Hoher Meißner   ragen in der Ferne, dazwischen dumfelgrüner Tannenwald, hier und da Dächer von bescheidenen Dörfern, die im Sonnenglanz leuchten. Und über dieser herrlichen Landschaft ziehen die Wolfen  , heute wie in der Vergangenheit. Eisenach   ist eine Fremdenstadt, sie ist das Ziel zahlloser Befucher. In den Jugend­herbergen findet der Arbeitermanderer billige Unterkunft. Er muß jedoch Mitglied des Verbandes der Jugendherbergen sein( über 18 Jahre 3 Mart jährlicher Beitrag) oder einen Bleibenausweis haben, der für Jugendliche bis zu 18 Jahren, sowie für Schüler und Studenten 50 Pfennig fostet. Nähere Auskunft über diese Ange­legenheit erteilen die Hauptwanderausfumitstelle in der Poststr. 16 und die einzelnen Jugendämter. Nach einer Nacht im schönen Eisenach  durchwandern wir am nächsten Morgen das Marien- und Annatal, deffen schönster Teil die ewig tropfende Drachenschlucht ist. Diese 180 Meter lange Schlucht wird von einem munteren Bach durch­flossen, der mit Rundhölzern überdeckt wurde, so daß man mun die Schlucht fast trodenen Fußes durchschreiten fann. Pflanzen, die die uhtigkeit lieben, wie Flechten und Algen, Moose aller Arten und nicht zuletzt Farnkraut überwuchern die steil ragenden tröpfelnden Wände dieser Schlucht, die die einzige echte Klamm Mitteldeutschlands  fein soll. Durch schönen Wald führt ein Weg zur hohen Sonne, an deffen Ausgang ein Rückblick einen überraschenden Ausblid auf die Wartburg   bietet. In einer schmalen Schlucht von Bäumen ragt sie in der Ferne auf wie ein Kleinod. Herrliche Fernsichten schenkt dem Wanderer die Weinstraße, die auf den Höhen um Eisenach   herum­führt. Wandert er dann auf dem Rennsteig über den Gerber­stein in füdöstlicher Richtung, so schreitet er auf der uralten Heer­Straße, die den Thüringer Wald   von Hörschel a. d. Werra   bis Blankenstein   a. d. Saale   durchschneidet. Immer neue und wunder fame Ausblicke eröffnet diese Rennsteigwanderung, die wir diesem Tage in Brotterode   beenden. Dieses idyllisch gelegene Dorf, dessen Jugendherberge uns eine Ruhstatt für die Nacht gewährt, wurde im Juli 1895 ein Raub der Flammen. Aus der Asche ist es dann neu erstanden. Nördlich von Brotterode   lockt der Insels­

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Die Baumwollpflücker.

Roman von B. Traven  .

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Copyright 1925 by B. Traven, Columbus, Tamaulipas  , Mexico. An jeder Seite des Hauses war eine Tür, um Licht und Bind hineinzulassen. Beim Verlassen des Hauses hatten meine damaligen Arbeitskollegen die Türen geschlossen, wie üblich mit einem drehbaren Stückchen Holz. Damals war immer Leben im Hause und vor dem Hause, Streit um das Feuer, Zant wegen einer Prise Salz, die jemand genommen hatte, ohne den Besitzer zu fragen, lange und fruchtlose Dis­fuffionen darüber, wer das Holz heute zu holen habe. An Diese lebhaften Bilder zurückdenkend, erschien jetzt das Haus geisterhaft einsam und still. Jedesmal, wenn ich Waffer holte, quälte es mich, doch mal einen Blick hineinzuwerfen, ob jemand etwas zurückgelassen habe. Aber dann wieder gefiel mir diese gespensterhafte Stille, die über dem Hause lagerte. Sie fügte fich zu der Einsamkeit der Umgebung nicht weniger als zu der Einsamkeit und Abgeschiedenheit, in der ich augenblicklich lebte. So unterdrückte ich jedesmal, wenn ich an das Haus fam, den Wunsch, eine Tür aufzumachen und hineinzulugen. Ich wußte genau, die Hütte war leer, vollkommen leer; nie­mand hatte etwas, sei es auch nur der Feßen eines alten Hemdes, zurückgelassen, denn bei uns hatte alles seinen Wert. Die Ungewißheit, die mysteriöse Stimmung, die um das Haus lagerte, mollte ich mir nicht zerstören. So, mie es mirfte, mochte ich träumen, daß vielleicht der Geist eines der alten aztetischen Briefter, der wegen der Tausende von Menschen, die er auf dem Altar feines Gottes geschlachtet und ihnen das Herz aus dem lebendigen Leibe gerissen hatte, um es seinem unerfättlichen Gotte vor die goldenen Füße zu merfen, nun feine Ruhe finden konnte und deshalb aus dem Busch in das gefeite Haus eines Christen gefüchtet sei, um menigstens ein paar Wochen von seinem raftlofen Herumirren auszuruhen.

12.

Eines Tages, als ich wieder Wasser holte, sah ich eine fchwarzblaue Spinne mit glänzend grünem Kopf, die an der Wand des Hauses nach Beute jagte. Sie lief blitzschnell ein paar Zoll weit, faß dann still, lauerte eine Weile und lief Dann wieder ein ganz furzes Stredchen, um wieder zu lauern. So überholte sie einen Meter eines Brettes im Zickzackurs,

berg, südlich das wildromantische Trusental mit seinem künstlich on­gelegten Wasserfall. Der folgende Tag sieht uns wieder auf dem Rennsteig. Vorüber an blühenden Berghängen und schattigen die hohe Leite und den Bielstein nach dem Doppeldorf Tambach­Tälern streben wir zum Heuberghaus und dann wandern wir über sammelt die Wasser der Gebirgsbäche und versorgt die Ortschaften Dietharz  . Hier statten wir der Talsperre einen Besuch ab. Sie mit dem fühlen Naß. Wir beschließen diesen Wandertag in der Jugendherberge von Tambach  . Wer aber gut zu Fuß ist, mag weiter wandern zum Heim der Naturfreunde, dem Finsterbacher Pirschhaus oder bis zur Jugendherberge des füdlich gelegenen Oberschönau  .

Im Herzen Thüringens  .

Am dritten Tage nun burchwandern wir von Oberschönau   aus ben Kanzlergrund, der in nordöstlicher Richtung wieder auf den Rennsteig stößt, dem wir dann folgen. Durch herrlichen Hochwald gelangen wir vorbei an den Groß- Beerbergen zur Schmüde, die füdlich von dem burmgeschmüdten Schneekopf, dem höchsten Berge Thüringens  , liegt. Hier offenbart sich dem Wanderer eine Land­schaft, die an die Alpen   gemahnt. Auf Matten, die zwischen den Bergwaldungen eingestreut sind, weiden Herden. Und so weit das Auge blidt, hebt sich Berg an Berg empor. Nun steigen wir hinab,

Die Elgersburg   bei Ilmenau.  wandern über Schmiedefeld   nach Beffar und erreichen von hier aus nach kurzem Aufstieg Stutenhaus, das Heim der Naturfreunde, das uns bei rechtzeitiger Voranmeldung auch für mehrere Tage beher­bergen fann. bergen kann. So gewinnen wir die Möglichkeit, im Herzen des Thüringer Waldes   Ausflüge zu machen, die immer neue Eigenheiten dieser Landschaft offenbaren. Da sind die Industrieorte Suhl  , 3ella­

fein Fleckchen auslassend, dabei oft, nicht immer, einen ganz feinen Faden zurücklaffend, um Insekten, die an dem Brette hinaufflettern würden, nicht gerade festzuhalten und zu ver­stricken, sondern deren Lauf nur zu verlangsamen, daß, wenn die Spinne inzwischen das Nachbarbrett abgesucht hatte und hier wieder zurückkam, ihre Beute mit einem mächtigen Satz anspringen fonnte. Diese Spinne nimmt ihre Beute nur im Sprunge, wobei sie das Insett von hinten anfpringt und sofort im Nacken pact, so daß dieses Insekt von seinen Waffen, sei es nun ein Stachel oder Zangen oder Scheren, gar feinen Gebrauch machen kann. Das einzige Tier, das sich gegen diese Springspinne erfolgreich wehren könnte und dann den Spieß umkehren würde, ist der Skorpion. Aber diese beiden großen Jäger in den Tropen begegnen sich nie, meil jeder von ihnen eine andere Jagdzeit hat. Diese Spinne am Tage, in der glühenden Sonne, der Storpion in der Dunkelheit.

Diese Spinne nun, die zu beobachten ich Tage und Wochen in den häufigen Perioden von Arbeitslosigkeit verwandt hatte, war es, die sofort wieder meine Aufmerksamkeit fesselte. Ich wollte ihr Gesichtsfeld prüfen und lernen, wie sie sich ver­hält, wenn sie selbst angegriffen und verfolgt wird. Ich stellte meine Konservenbüchse mit Wasser auf den Boden und ver­gaß, daß ich mir doch meinen Reis fochen wollte.

Ich bewegte meine Hand in ziemlicher Entfernung über der Spinne hin und her und sofort reagierte sie darauf. Sie murde unruhig; ihre Zickzackläufe wurden unregelmäßig und fie suchte diesem großen Etmas, das ein Bogel sein mochte, zu entwischen. Aber die glatte Wand bot keinen Schlupfwinkel. Sie wartete eine Weile, duckte fich ganz langsam und behutsam und machte plöglich, ganz unerwartet, einen Sprung in halber Armeslänge auf eines der benachbarten Bretter, aber natürlich an senkrechter Wand. Und so sicher war der Sprung, als märe er auf ebener Erde vollführt. Dieses Brett nun hatte eine Leiste, die gespalten war und sich auch ein wenig ver­zogen hatte, so daß sie einen Unterschlupf bieten konnte.

Jedoch ich ließ der Spinne feine Zeit, sich den besten Blaz auszusuchen. Ich nahm einen dünnen Zweig auf, der gerade zu meinen Füßen lag und berührte damit die Spinne leicht, fie so zwingend, einen anderen Weg zu wählen. Sie lief nun in rafender Schnelligkeit davon, aber wohin sie auch fliehen mochte. immer fand sie den angreifenden Zweig, ent­weder ihren Kopf berührend oder ihren Rüden. So lief sie freuz und quer, immer verfolgt von dem Zweig, ihr feine Gelegenheit laffend, zu einem Sprunge anzujezen. Plößlich

St. Blasi und Mehlis und das mit der Eisenbahn zu erreichende Goethe- Stäbchen Ilmenau  , das heute ein Hauptort der Glasmacher­funst ist und ein Technikum befißt, dessen Schüler so gern Studenten und endlich hat dieses freundliche Städtchen seinen Ruf als Kurort alten Schlages fein wollen und fich daher kleinstädtisch wichtig geben. Vor allem die geschäftige Fremdenindustrie sorgt dafür, daß diefes ständig erweitert. Ilmenau   lebt noch heute im Gedenken an Goethe. Andenten lebendig bleibt. Von Jimenau führen herrliche Wege durch das Schortefal zum Gabelbach und Kidelhahn, dem eigentlichen Goethe- Berg, oder auch nach Elgersburg  , deffen hochgelegenes Schlos eines der ältesten in Thüringen   ist.

Durch das Schwarzatal.

Wir nehmen Abschied vom Stufenhaus. Jetzt wollen wir das Schwarzatal erobern. Wir wandern entweder über Schmiede­ feld  , Allzunah und Neustadt nach Groß- Breitenbach, wo wir Raft machen, um am nächsten Tage die Krone Thüringens  , den Tripp­flein, mit dem Blick vom Borkenhäuschen auf Schwarzburg   zu er­reichen, oder aber wir wandern nach Unter- Neubrunn und dringen von hier aus über das Schwalbenhaupt, Masserberg   und Goldestal in das obere Schwarzatal. Nun folgen wir dem Laufe der spru­delnden Schwarza   über Blumenau, Mellenbach   und Blechhammer nach Schwarzburg  . Hier ist wieder eine Jugendherbenge, die uns nach langer Fahrt freundlich Unterkunft gewährt. Dem Wanderer, der den Trippstein in der Morgenstunde ersteigt, erschließt sich ein einzigartiges Landschaftsbild. Die Sonne tämpft mit dem Nebel, der in immer neuen Schwaden aus dem Schwarzatale wallt, ferzen­grade emporsteigt, verschwindet und wiederkehrt. Und endlich liegt Schwarzburg   mit seinem alten Schloffe im Sonnenglanze, ein An­blick, dessen Schönheit unvergessen bleibt. Bom Trippstein steigen wir hinab ins Schwarzatal. Am Schweizerhäuschen verlassen wir die wohlgepflegte Chaussee, überschreiten die steinerne Brüde und wandern auf blumigem Pfade zwischen hohen Bergen, die immer neue und fesselnde Ansichten schenken, nach Blantenburg. Wer jetzt noch über Zeit verfügt, möge über Unterwirrbach und Bentwi nach der Ruine Greifenstein   wandern, die auf einem Muschelfalf felfen steht. Von hier blicken wir zurück auf den Schneetopf, auf den Kickelhahn im Westen, im Osten ragt die Altenburg   bei Pößned auf. Und dann wandern wir weiter nach Saalfeld  , das durch seine Feengrotten weltberühmt wurde. Weit draußen vor der Stadt liegen sie in einem alten Bergwerke, dessen Inneres elektrisch er­hellt wird und das dann die wechselvollsten Farbenspiegelungen zeigt. So hat dieses alte, feit langer Zeit vergessene Bergwerk dem Namen des fleinen Städtchens an der Saale   einen ganz besonderen Klang gegeben.

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Auf dieser Fahrt wurde eine der schönsten Gegenden des deut fayen Mittelgebirges durchstreift. Für den Arbeiter spielen die Kosten eine wichtige Rolle. Man farm fie für eine achttägige Wanderung auf 70 bis 75 Mark schätzen. Bei Wanderungen in größerer Schar läßt sich der Preis durch Inanspruchnahme mannigfacher Ber­günstigungen ermäßigen. Falls solche Wanderung mit einer größe­ren Zahl Jugendlicher ausgeführt wird, werden die Jugendämter der Berliner   Bezirke dem Leiter mit Rat und Tat zur Seite stehen.

| aber, als ich sie gerade im Rücken berührte, machte sie blitz­schnell fehrt und in rasender Wut und mit unvergleichlicher Tapferkeit griff sie den sie belästigenden Zweig an, der gegen­über ihren bescheidenen Ausmaßen für sie gigantische Formen und übernatürliche Kräfte haben mußte. Und immer, menn ich den Zweig zurüdzog, so daß sie glauben mußte, sie habe den Feind abgeschlagen oder wenigstens eingeschüchtert, lief sie auf die schüßende Leiste zu. Schließlich besiegte sie mich doch und fand dort Unterschlupf, aber nicht genügend, um sich ganz zu verbergen, denn sie konnte fich nur zur Hälfte darin verkriechen.

Nun schlug ich mit der flachen Hand an die Wand. Die Spinne fam fofort wieder hervor, lief eilends weiter nach oben, wo sie eine günstigere Höhle fand, in der sie sofort verschwand, ohne daß man noch viel von ihr sehen konnte.

Um sie nun auch dort wieder hinauszujagen und zu sehen, was sie zu guter Lezt tun würde, schlug ich mit voller Gemalt mit der flachen Hand so fest gegen die Wand, daß das ganze Haus, das ja auf Pfählen ruhte, erzitterte.

Die Spinne fam nicht hervor. Ich wartete einige Se­tunden. Und als ich gerade zum zweiten Male kräftig gegen die Wand schlagen will, fällt innerhalb des Hauses etwas um. Was fonnte das sein? Ich kannte das Innere des Hauses. Es war nichts, absolut gar nichts darin, was mit so einem merkwürdigen Geräusch umfallen konnte. Eine Stange, ein Stück Holz, das einzige, was es vielleicht hätte sein fönnen, mar es nicht, nach dem Geräusch zu urteilen. Es war schon eher wie ein mit Mais gefüllter Sack. Aber wenn ich mir das Geräusch genauer vergegenwärtigte, so mar etwas sonderbar Hartes dabei. Es fonnte also fein Sad mit Mais jein.

Es wäre nun doch so einfach gewesen, sofort die paar Sprossen der Leiter hinaufzuflettern, die Tür aufzustoßen und hineinzusehen. Aber irgendein unerflärbores Empfinden hielt mich davon ab. Es mar mie Furcht, als könnte ich drinnen etwas unfagbar Grauenhaftes sehen.

Ich nahm das Wasser auf und ging zu meinem Unter­stand. Ich redete mir ein, daß es nicht Furcht vor dem An­blick von etwas ganz Gräßlichem sei, was mich veranlaßte, das Haus nicht zu betreten, sondern ich sagte mir: du haft ja in dem Hause durchaus nichts zu suchen, du haft überhaupt gar fein Recht, es zu betreten, und vor allen Dingen, es geht dich gar nichts an, was da drin ist. So entschuldigte ich mein Ge baren.

( Fortsetzung folgt.) 1