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Nr. 32542. Jahrgang

Der lebendige Lassalle.

Zwei Bände Laffalle- Nachlaß.")

Bon Eduard Bernstein  .

3. Beilage des Vorwärts

Mit dem vor kurzem erschienenen fünften Band und dem nun vorliegenden sechsten Band hat die von Professor Gustav Mayer   besorgie Ausgabe der nachgelassenen Briefe und Schriften Ferdinand Lassalles ihren Abschluß erreicht. Es iſt ein Sammelwert, für dessen Herstellung und Herausgabe der Geschichtsschreiber mie der Kämpfer der sozialistischen   Be­wegung unserer Zeit dem Herausgeber nur in gleicher Weise dankbar sein können. Auch werden die Leser dieser Bände sich schwerlich Betrachtungen darüber versagen, welches Unrecht an Lassalle dadurch begangen wurde, daß dieser Nachlaß seinen Zeitgenossen so lange vorenthalten blieb, zugleich werden sie aber auch es als eine Gunst des Schicksals be­trachten, daß er nun wenigstens in die Hände eines so gewissen haften und fachkundigen Forschers wie Gustav Mayer   gefallen St. Bon feiner der Persönlichkeiten, an die Sophie von shazfeldt seinerzeit sich wegen der Herausgabe gewendet hat und wenden konnte, wäre eine Arbeit zu erwarten gewesen,

die sich mit dieser hätte messen können.

Mayer hat es sich unter anderem feine Mühe verdrießen lassen, den in Briefen von anderen bestehenden Nachlaß lassen, den in Briefen von anderen bestehenden Nachlaß Lassalles, wo dies möglich war, durch die Briefe Lassalles an jene zu ergänzen, da lediglich dadurch ein abgerundetes Bild des Briefwechsels gewonnen werden kann. Das hat sich nun freilich nur in einer Minderheit der Fälle machen lassen. Nur ausnahmsweise hat Lassalle von Briefen, die er an andere schrieb, Abschrift oder den Entwurf zurückbehalten, und nur cine Minderheit der Empfänger seiner Briefe hat diese voll­ständig aufbewahrt. Zudem waren von den meisten der ver­storbenen Korrespondenten Lassalles die Erben seiner Briefe nicht zu ermitteln. Das gilt namentlich von der Mehrzahl der Angehörigen der Arbeiterbewegung, mit denen Lassalle   in den Jahren seiner Arbeiteragitation forrespondiert hat. So erklärt es sich, daß von den 253 Briefen aus den Jahren dieser Agitation, die der vorliegende fünfte Band des Nachlasses dar­bietet, nur 23, also noch nicht der zehnte Teil, von Lassalle  selbst herrühren.

Indes enthält auch dieser Band vieles, was zur Vervoll­ständigung des geistigen Bildes von Lassalle   gehört. Ber­schiedene der an Lassalle   gerichteten Briefe find großenteils Antworten auf Ausführungen von ihm, bei anderen braucht es nicht der Bezugnahme auf Briefe von ihm, um erkennen zu lassen, daß sie Stüde   einer Auseinandersetzung über be­deutungsvolle politische oder wissenschaftliche Fragen sind. Außer um Briefe von so namhaften Mitgliedern der Joziali­stischen Bewegung wie Bernhard Becker  , Johann Philipp Becker  , Dr. Otto Dammer  , Moses Heß  , Gustav Lewy, J. B. von Schweizer  , Julius Vahlteich   und dessen Nachfolger als Sekretär des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins  , Eduard Willms, handelt es sich um Briefe von so interessanten, außerhalb der Bewegung stehenden Persönlichkeiten wie Hans von Bülow  , der gefeierte Musiker, Lothar Bucher  , Georg Herwegh  , Ludwig Loewe  , der Bewunderer Lassalles und spätere Großfabrikant, Wilhelm Rüstow  , der Garibaldianer, und Franz Biegler, der unentwegte Demofrat. Machen uns die Briefe der erstge nannten mit Einzelheiten der Lassalleschen Bewegung bekannt, die als Vervollständigung und hier und dort auch Berichtigung ihrer überlieferten Geschichte von Wert sind, so geben einige Briefe der letzteren uns anregende Bilder aus Lassalles geistigem Verkehr mit bürgerlich- radikalen Persönlichkeiten von Bedeutung. Bon besonderem allgemein literarischen Inter­esse ist da der Brief Laffalles aus dem Frühjahr 1862 an Hans v. Bülow über den Deutungswert und die dichterischen Schön­heiten von Richard Wagners   Nibelungen- Trilogie, die Laffalle nur erst als Dichtung fennengelernt hat und von der er sich unfagbar hingerissen erklärt. Wagner   ist ihm, schreibt er, eine der, absolut wenigen Naturen", die ihm trotz des umgebenden

*) Gustav Mayer  , Laffalles Briefwechsel aus den Jahren seiner Arbeiteragitation 1862-1864, Ferdinand Lassalles nachgelassene Briefe und Schriften, 5. Band. Gustav Mayer  , Ferdinand Lassalle  . Die Schrif= ten des Nachlaffes und der Briefwechsel mit Rod bertus. Ferdinand Lassalles nachgelassene Briefe und Schriften, 6. Band. Deutsche Verlagsanstalt  , Stuttgart  - Berlin  , Berlagsbuch handlung Julius Springer  , Berlin  .

SFILES

Verfalls die Gewißheit geben und bestätigen, daß an den Germanen etwas ist". Ein Ausspruch, dem Mayer in einer Fußnote die merkwürdige Anerkennung gegenüberstellt, die Richard Wagner   zehn Tage nach Lassalles Tode, am 9. Sep­tember 1864, in einem Brief an Eliza Wille   diesem gezollt hat: Ich erblickte in ihm den Typus des bedeutenden Menschen unferer Zukunft, welche ich die germanisch- jüdische nennen muß".

Sonntag, 12. Juli 1925

bertus ihn geradezu beschwört, die Propagierung der sozialen Frage", welcher verschwommene Ausdrud bei ihm oft wieder­fehrt, nicht durch Verbindung mit dem politischen Kampf ihrer Anziehungskraft auf Gegner dieses zu berauben. Man begreift, daß, so zwischen Prophete rechts, Prophete links" gestellt, Lassalle das Weltkind in der Mitten blieb.

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Außer dem Briefwechsel mit Rodbertus, in dem uns Lassalle auf der Höhe seiner geistigen Entwicklung entgegen­tritt, enthält der sechste Band aber eine Reihe von Arbeiten aus seiner Feder, die uns ihn erneut in seinem geistigen Wer­den vor Augen führen, von Auffägen aus der Zeit seiner Vor­bereitung zur Reifeprüfung für den Besuch der Universität über allerhand Rundgebungen, Stizzen und Dispositionen zu größeren Arbeiten hinweg, darunter der Plan seines Werkes über die Philosophie des Geistes, durch das er die Hegelsche Philosophie in streng folgerichtiger Durchführung zu ihren letzten Konsequenzen zu entwickeln gedachte, bis zu den Ent­würfen zu Reden aus der Zeit seiner Arbeiteragitation. Bon dem vielen Interessanten, auf das der Leser da stößt, ist für den Sozialdemokraten das Interessanteste die Geschichte der sozialen Entwid I ung" überschriebene, sehr aus­nach 1848/49 eingetretenen Reaktion Düsseldorfer   Arbeitern gearbeitete Skizze der Vorträge, die Lassalle in der Zeit der in seinem Hause über die soziale Entwicklung in und feit der französischen   Revolution von 1789 gehalten hat. Sie legi Zeugnis ab von einem sehr eindringenden Studium der Lite­ratur der französischen   Revolution und läßt es zum mindesten als subjektiv nicht übertrieben erscheinen, wenn Lassalle   1863 in seiner Verteidigungsrede Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen" den Richtern erklärt, er kenne den inneren Zusammenhang der französischen   Revolutions geschichte ,, bis in seine inwendigste Fiber". Es scheint mir daher viel dafür zu sprechen, diese überaus inhaltreiche Ab­handlung dort, wo Lassalle   sich mit bloßen Andeutungen für den mündlichen Vortrag begnügt, fachgemäß auszufüllen und dann gesondert herauszugeben. Sie würde sicher vielen will­kommen sein, die sich die ganze Ausgabe nicht anschaffen fönnen. Unter anderem findet man in ihr sehr detailliertes Beweismaterial für Kautskys Aufstellungen in seiner 1889 verfaßten Broschüre Die Klaffentämpfe in der französischen  Revolution".

Für den Sozialisten, den das sozialökonomische Denten der Zeit interessiert, in der Lahjalle den Arbeitern die Forde­rung des Staatskredits größten Umfangs für Arbeiter- Pro­duftingenossenschaften anempfahl, find ven nicht geringem Wert die Briefe, die Franz 3iegler Ende Februar 1863 zu diesem Gegenstand an Lassalle geschrieben hat. Sie ent­wickeln die Bedenken, die sich dem Praktiker der Verwaltung und erfahrenen Reformer mit Bezug auf diese Idee auf drängten. Man weiß und ersieht es in diesem Buch an ver­schiedenen Stellen aufs neue, welche hohe Meinung Ziegler von der Begabung, dem großen Wissen und dem sozialen Wollen Lassalles hatte und daß es ihm nicht an einem warmen Interesse für die Arbeiter als Klasse fehlte, er ihren Anspruch tannte. Und doch sehen wir ihn den Gedanken der Arbeiter auf Maßnahmen zur Besserung ihrer Lage durchaus an Produktivassoziationen mit einer Entschiedenheit ablehnen und die ungeeignetheit der Arbeiter als ununterschiedene Maſſe für die Besserung der Wirtschaftsverhältnisse durch diese Assozia­tionen mit einer Schärfe betonen, die der verbisfenste Bourgeois faum hätte überbieten können. Lassalle   scheint ihm auch daraufhin vorgehalten zu haben, er fennzeichne sich auf diese Weise als Bourgeois vom Scheitel bis zur Sohle". Aber Ziegler ließ sich lieber diesen Vorwurf gefallen, als daß er in der Sache nachgegeben hätte. Und man begreift das, wenn man feine Einwände näher nachprüft. Soweit es sich um Soweit es sich um Fragen der Theorie handelt, zeigen fie ihn freilich herzlich ungeübt, fie in ihrer vollen Tragweite zu erfassen und durch zudenken. Er selbst drückt das einmal so aus, daß er schreibt: Ich beherrsche unglücklicherweise hier auf jedem Gebiete die Praris, so daß mir das Ganze wie Kügelchen vom Berge läuft." Je mehr er aber Lassalle mit Tatsachen aus der Praxis komme, um so heftiger fuße diefer auf einem Begriff". Das war aller dings Laffalles Stärke als Dialektiker, wir wissen jedoch, melche Gefahren mit der Ableitung aus dem Begriff verbunden In seiner Einführung zu dieser Arbeit bemerkt Gustav find. Ueber die Tatsachen aus der Praxis, die Ziegler vor­Mayer, man merke ihr an einigen Stellen an, daß sie nur führt, hilft es nicht hinweg. Da dieser die Briefe, die Lassalle wenige Jahre später entstanden ist, nachdem Lassalle mit letzterer ihm hinsichtlich ihrer geantwortet hat. ihm geschrieben, vernichtet hat, wissen wir nicht, ob und was Marr in persönlichen Berkehr getreten war und Säge ent­einige von Zieglers Einwänden gar zu spießbürgerlich an- ließen erkennen, daß Lassalle sich die Marrsche Umstülpung letzterer ihm hinsichtlich ihrer geantwortet hat. Aber wenn hält, die wie Marrsche Aussprüche klingen. Andere Säße aber muten, so forderten andere zur ernsthaften Nachprüfung her- der Hegelschen Dialektif feineswegs angeeignet hatte" und spießbürgerlichen Vorurteilen durchaus frei und noch radikalere position der Hegelschen Identitätsphilosophie gekommen aus und erklären es, daß damals recht viele Leute, die von ihm damals ebensowenig wie später Zweifel an der Grund­Demokraten als Ziegler waren, gleichfalls den Plan der vom Staat zu finanzierenden Produktivgenossenschaften schroffindes ist dies nicht der Ort, die Frage polemisch zu behandeln. waren". In dieser Unbedingtheit scheint mir das übertrieben, Wenn aber Mayer weiterhin einen Say Lassalles als Beweis in einseitige Abhängigkeit von den Einrichtungen" zu setzen", dafür zitiert ,,, mie völlig fern es ihm liegt, den Gedanken" und damit den Eindruck erweckt, daß letzteres Marrsche Philo sophie sei, so glaube ich das entschieden zurückweisen zu müssen. Ueberhaupt stellt Mayer Karl Marx  , gegen den er offenbar bis zu direkter Parteifichkeit voreingenommen ist, des öfteren in falschem Lichte dar. Sonst verdienen seine Einführungen zu den Briefen und Abhandlungen Lassalles große Aner­fennung. Sie erhöhen deren Wert als geschichtliche Urfunden sowohl unter dem Gesichtspunkt der Geschichte der Ideen als auch unter dem der allgemeinen sozialen und politischen Ent­wicklung. Dem Andenken Lassalles selbst aber fonnte fein größerer Dienst geleistet werden, als es durch diese Ausgabe geschieht. Sie verbirgt nicht seine Fehler, aber sie läßt die Borzüge seiner geistigen Persönlichkeit, die große Kraft seines begrifflichen Denkens, den Ernst seines Strebens im Dienſte der Wissenschaft und die Festigkeit seines sozialpolitischen Wollens in hellster Anschaulichkeit erkennen. Das Wort ,, Briefe und Abhandlungen" sagt nicht genau, was der Leser hier findet. Das Streben nach Berkünden und Begründen des für mahr Erfannten war bei Laffalle so start, daß auch seine Teilt dieser Nachlaß in bezug auf die darin erörterten poli­Briefe nicht selten ganze wissenschaftliche Abhandlungen sind. tischen Vorgänge und persönlichen Angelegenheiten vielfach alte Geschichte mit, so ist er durch seinen reichen geistigen In­halt und seinen lebensvollen Stil doch noch lange davor ge­schüßt, dem Beimort ,, peraltet" zu verfallen.

ablehnten.

Karl Robbertus einen nicht minder entschiedenen Bon einer anderen Seite her fand er, wie wir wissen, in Gegner. Welche Gründe diesen ökonomisch geschulten Denker dabei bewogen, hat er zum Teil in Briefen und Auffähen be fanntgegeben, die längst schon anderweits veröffentlicht sind. Mit seinen Briefen an Laffalle über ihn macht uns aber zum erstenmal der abschließende sechste Band dieser Sammlung bekannt. Er erbringt, mit Ausnahme einiger nicht mehr auf zufindender Briefe, den ganzen Briefwechsel Laffalles mit Robbertus, eine Gabe, die jeder Forscher auf dem Gebiet der politischen Dekonomie und der Geschichte des Sozialismus mit Freude begrüßen wird. Werden doch in ihm noch andere Fragen aus der Theorie und Geschichte dieser Wissenszweige erörtert als die von Lassalle   aufgenommene Idee, über den Weg der Arbeiter- Produktivgenossenschaften zur Berwirklichung des Sozialismus zu gelangen. Und die Einwände von Rodbertus gegen diese werden hier eingehender durchgesprochen als in den schon befannt gewordenen Briefen und Niederschriften, die von ihr handeln. Im Unterschied von Ziegler bekämpft Rodbertus   fie mit Argumenten der Theorie, wobei von fonftigen Streitfragen dieser Art auch die Frage der Grund­esse hat. Ein anderer, humoristisch anmutender Unterschied rente herangezogen wird, die heute noch ein praktisches Inter: zwischen Ziegler und Robbertus ist der, daß, während Ziegler Lassalle warnt, die Zusammenfassung der mit ihm politisch übereinstimmenden Elemente nicht durch Hineinziehung des Poftulats der Produktivgenossenschaften zu gefährden, Rod­

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