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nr. 333 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

die

Werder

Fohr

märkische Osbtkammer.

Benn werdersche Kirschen und Erdbeeren uns von den Wagen| der Straßenhändler entgegenleuchten, so ist es das Zeichen, daß die arbeitsreichste Zeit des Jahres in Werder   begonnen hat. Die Obst­ernte ist im vollen Gange. Auf dem Plantagenplatz in Werder, wo fich an den Blütentogen Bierzelte, Wurstbuden, Karussells, Würfel­buden dicht aneinander drängten, sieht man jetzt die von der Groß­stadt zugewanderten Kirschenpflücker" im Graje lagern, um auf den Abruf zur lohnenden Arbeit mit voller Beföstigung zu warten.

Arbeitsneuland.

Morgens um 4 Uhr ist in der Märkischen Obstfammer bereits alles auf den Beinen. Der Weinmeister fährt mit seinen Leuten in die Obstländereien. 3000 Settar umfaßt das gesamte Obstgelände, welches zwischen den Dörfern Alt- Geltom, Pezom, Glindom, Blessom und Remmit eingebettet liegt. Auf hohen Leitern in den Kirsch­bäumen stehend, oder gebückt die Erdbeerreihen durchziehend, wird nun von fleißigen Händen das reife Obst gepflückt. Es füllt sich Tiene um Tiene, Korb um Korb. Gegen Mittag wird das gepflüdte Obft fortiert, forgfältig in Spantörbe und Tienen gelegt und nun zur Dampferstation oder zum Bahnhof befördert. Wer in Werder an Den Hauptzugangsstraßen mohnt, muß sich eines gefunden festen Morgenschlafes erfreuen fönnen; denn um 4 Uhr früh rasseln die Fuhrwerte auf Kindstopfpflaster. unaufhörlich zur Stadt hinaus. Auch ein Viertelstündchen Nadymittagsschlaf gibt es nicht; denn da zählen die Wagen, die mit Obst schwer beladen über das Pflaster rollen, nach hunderten. Welchen Umfang der Obstbau nach und nach angenommen hat, läßt sich aus folgenden Zahlen ermessen. Durch das Dampsschiff werden jährlich durchschnittlich nach Berlin   befördert: 60 000 Zentner Obst, darumter 40 000 Zentner Kirschen und 5000 Bentner Himbeeren. Nach Hamburg   gehen jährlich gegen 10 000 Zentner. Der Versand aus Werder mit der Bahn ist auf 40 000 Zentner angegeben, so daß die Gesamtausfuhr an Obst sich über 100 000 Zentner beläuft. Diese Zahlen reden aber auch eine deutliche Sprache von dem Fleiß der Werderaner, und er bleibt nicht un­belohnt. Mit gefüllten Taschen fehren die Frauen der Obstzüchter, mande täglich, andere wöchentlich nur einmal auf wenige Stunden während der Erntezeit in ihr Heim zurüd, nachdem fie das ihnen täglich gesandte Obst in den Martthallen Berlins   verhandelt haben, um die erzielte Einnahme dem daheim schaffenden Mann zu über­bringen.

Die Anfänge der Obststadt.

Man sieht es dem jegt zirka 7000 Einwohner zählenden Städtchen nicht an, daß es schon ein ehrwürdiges Alter befizt. Zur Zeit Karls des Großen wohnten hauptsächlich in der sumpfigen Havelgegend die

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Sinnenspiel.

Aus einem Tagebuch. Mitgeteilt von Kurt Eisner  . 5....., 30. Juni 189. Uebermorgen werde ich also zum ersten Male in meiner acht jährigen Ehe auf längere Zeit verreisen, allein und zu meiner... Erholung. Der drohende Tod hat mich gefegnet: er machte aus einer alten verheimlichten Sehnsucht eine Pflicht. Ich muß reisen, um mich den Meinigen zu erhalten. Der Arzt, von dem sie sagen, daß er mir das Leben gerettet, hat es befohlen, und ich folge gern. Ich hungere nach Einsamkeit und nach dem Meere; denn natürlich gehe ich wieder in mein liebes Fischerdorf, in dem ich vor Zeiten Jahr für Jahr Ruhe für meine Unrast suchte und fand. Doch dies Ziel meiner Reise ist mein Geheimnis. Der gute Doftor hat mir einen berühmten Kurort angewiesen, mit einem großartigen Sana­torium, gigantischen Preisen und einem umfangreichen Kirchhof. Man läßt sich dort chemisch reinigen und wechselt täglich dreimal bie Garderobe, die Stimmung und das Leiden. Morgen vor der Abreise, wenn ich das Fait accompli( die vollendete Tatsache) des bestellten Rundreisebilletts in Händen habe, werde ich mich wegen des veränderten Reiseplanes meiner Frau anvertrauen.

Seitdem der Entschluß bei mir feststeht, höre ich wieder un ablässig das Meer rauschen. Ich breite, wie ein Narr, ins Nichts die Arme aus, öffne den Mund, um die phantafierte Salzluft ein­zuatmen, und wenn ich in einem Schaufenster oder an einer An­schlagfäule ein Plakat mit einem Schiff sehe, verschmachte ich vor Begierde. Als ich, ein Knabe, das erstemal vom Meer in die Stadt zurückkehrte, lief ich wie gemütstrant umher. Jedes Bild, das ein bißchen Wasser zeigte, begann sich zu regen und zu loden. Ich habe niemals Marmorstatuen lebendig geträumt, aus Ehrfurcht nor der lauteren Kunst, aber die Wellenlinien eines Geestücs habe ich niemals schauen tönnen, ohne sie Natur werden zu laffen. In Beiten hochgradigen Meerfiebers stimmten mich fogar die totesten Schellfische sentimental, und die gelbe Butter, in der sie zu fdymim­men lieben, wenn sie ausgerungen haben, ward für mich zum Symbol leuchtender Unendlichkeit.

Und doch! Mit dem freien, losgebundenen Gefühl wie der einst, so recht, als ob ein funtelnagelneues Leben beginne, reise ich jetzt nicht. Ich schleppe die Stride nach mir, die mich an meine Familie, an meine Arbeit fesseln; die echte Freiheit werde ich nie­mals mehr fennen lernen. Wenn ich wenigstens meinen Jungen mitnehmen dürfte! Aber der Arzt verbot es; das wilde Knäblein

heidnischen Wenden, und die Insel Werder  , von Basser umgeben, bot denselben einen sicheren Zufluchtsort gegen die feindlichen Sachysen, die ihnen mit Gewalt das Christentum aufdrängen wollten. 936 überfiel der Sachfenherzog Heinrich I   die in Werder wohnenden Chodzyfchen Wenden, ihr König Chodzy flüchtete, und ohne An­

Beim Kirschenpflücken

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führer unterwarfen sich nun die Wenden und wurden Christen. Oft lehnten sich jedoch die Wenden gegen ihre Bezwinger auf und so hefamen sie das Rittergeschlecht Slotete als Aufseher, das Jahr­hunderte hindurch die starke Fauft führte, bis deren einer der Slotetes in großer Geldverlegenheit die Infel für 1500 Taler im Jahre 1317 an das Kloster Lehnin   verkaufte. In einer Urkunde vom 21. Oktober 1459 unterzeichnet vom Kurfürsten Friedrich II.  , dem Eisenzahn, wird Werder   zum erstenmal als Stadt erwähnt, es wird ihr als solche das Recht zugesprochen, zwei Jahrmärkte abzuhalten. Als

Freitag, 17. Juli 1925

unter Joachim II.   der Reformation in der Mark Eingang verschafft wurde, und der Glanz der Klöster auch Lehnins   Herrlichkeit damit erblaßte, traten die Werderaner der Lutherschen Lehre bei und damit hörte das Eigentumsrecht des Klosters Lehnin   auf. Somit mar Werder 1540 wieder frei. Die ersten Anfänge, daß Werder die märkische Obsttammer geworden ist, find in der Glanzzeit des Klosters Lehnin zu suchen. Auf den am linten Havelufer nach Südwesten fanft ansteigenden Anhöhen pflanzten die Mönche die ersten Wein­reben. Auch heute erinnern die Namen Weinmeister und Weinmeister­berg daran, daß die Weinrebe einst dominierend in Werder war. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts nimmt die Obstkultur in Werder einen gewaltigen Aufschwung; neben der Weinrebe gedeiht schon mehr und mehr der füße Kirschbaum und mit jedem neuen Jahr­zehnt verwandeln sich die eigentlichen Weinberge und Rebengärten immer häufiger in Obstplantagen, die vornehmlich Kern- und Stein­obst aufweisen. Heute ist der Weinbau gänzlich vergeffen; aber mit um so größerem Fleiße hat sich der Werderaner dem Anbau des Strauchobstes zugewandt, unter dem die Himbeere die erste Stelle einnimmt.

Das Fenster im dritten Stock.

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Die Zeiten sind vorbei, da der Berliner   Vergnügen daran fand, vom Fenster aus das Straßenleben zu beobachten und aus den Mienen der zu bestimmten Stunden einherwandelnden Personen auf die augenblickliche Gemütsstimmung des allerhöchsten Herrn" zu schließen. Wenn heute ein Berliner   Mädchen das Näschen an die Fensterscheibe drückt, so überfliegt ihr Blick nur mechanisch das Gewimmel dort unten und ihre Gedanken sind mit anderen Problemen beschäftigt. Aber am Rande der Großstadt und in den Vororten, da finden sich noch Blicke Dom hoch­gelegenen Wohnfenster, malerisch" und reizvoll zu nennen sind. So sehr vom ästethischen Standpunkte das Ausführen solcher 3 bis 4 Stockwerke hoher Miethäuser in der noch vorwiegend ländlichen Umgegend zu verurteilen ist für den Glücklich- Unglücklichen, der sie bewohnt, bieten gerade die oberen Stockwerte einen Ausgleich für das Attentat auf seinen Schönheits­sinn. Zunächst ist zweifellos die Luft, die er atmet, die relativ reinste; er steht schon über den Straßenbäumen, die, wenn sie Linden sind, ihren aromatischen Duft zur Blütezeit ihm zu allererst senden. Und dann die Aussicht! Nicht immer, aber doch vielfach schweift der Blid von solcher Höhe über Gärten, Parts, Wälder, Wasserläufe und Wiesen hinweg bis zu der nächsten Ortschaft, die fich am Fuße des mäßig hohen Bergrückens seit alten Zeiten vor­findet. Der Kirchturm des Ortes tut oft Barometerdienst: ist er deutlich sichtbar, so ändert sich das Wetter.( Wenigstens sagen so die Leute!) Ihm machen aber die Masten der Funkstation eine mörderische Konkurrenz; fie schlagen seine Höhe um Pferdelängen. Aber der dazwischen liegende Weinberg" mit seinem runden, be­maldeten Buckel fümmert sich weder um Religion noch um Technik: er ist älter als alles Menschengedenken und öffnet seine schattigen Hallen Gläubigen und Ungläubigen. Strömt einmal der Regen nieder, so bekommt unsere Landschaft ein anderes Gesicht: alles sieht so frisch gewaschen aus. Und unsere Phantasie bevölkert dann Flur und Hain mit Schwänen und Elfenkindern, die sich im laven Sommerregen baden.

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Das schmuhige Tegel.

Zu unserem Bericht über Badeverhältniffe" in Tegel   in Nr. 312 des Borwärts" vom 4. d. M. find uns zwei Zuschriften zugegangen. Die erste weist darauf hin, daß nicht, wie es in dem erwähnten Bericht heißt, vier fleine öffentliche Badeanstalten, sondern nur 2 bis 3 öffentliche Badewannen in einem Parterreraum der Ge­meindeschule in der Trescomstraße für 25 000 Tegeler Einwohner zur Verfügung stehen.

Die zweite Zuschrift ist eine durch das Nachrichtenamt der Stadt Berlin   übermittelte Erwiderung des Hauptgesundheitsamtes der Stadt Berlin  , die wir im Wortlaut widergeben:

In der Protestversammlung des Arbeitersporttartells, die sich mit der Verunreinigung des Tegeler Sees   beschäftigte, murde aus der Versammlung heraus anerkannt, daß das Hauptgesundheitsamt der Angelegenheit die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt habe. Tatsächlich hat auf Grund der in der Deffenftlichkeit lautgewordenen Klagen das Hauptgesundheitsamt wiederholt Untersuchungen des Tegeler Sees   vorgenommen und hier Berunreinigungen, wenn auch

bedarf steter Aufsicht, und ich soll mir allein leben drei Mo- wenn ich es war, und mißfiel mir etwas an meinem Weibe, verriet nate hindurch...

Helfen wird mir die Reise schwerlich. Denn die Ursache meiner Krankheit vernichtet sie nicht. Ich soll mich überarbeitet haben, so sagen sie alle, und ich lasse sie in dem Glauben. Welche Tor­heit! Als ob nicht gerade die Arbeit das einzige gewesen, das mich aufrecht erhielt! Ich fiechte, weil ich nicht mehr leben mag, meil alle Freudigkeit erloschen ist, weil ich das Glüd so gründlich ver­loren habe, daß ich es nicht einmal mehr begehre.

Ich bin glücklos. Vergeblich habe ich mir das all die Tage vor mir selbst verleugnet. Die Tatsache wirfte trotzdem, langsam, unerbittlich, bis ich endlich zusammenbrach. Ich franke an der Ehe....

Ich liebe mein Weib, ich bete meine Kinder an, still, scheu und innig; denn sie sind schön, flug, gesund und gut. Und ich bin um glücklich!

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Anfangs glaubte ich, es sei die alte, elle Erfahrung: die schnelle Ueberfättigung nach der stürmischen Seligkeit junger Lei denschaft, auf der kein Flecken unreiner Erinnerung an Vergan­genes ruht. Die Liebe ist eine Dienstmagd, die sich zum mindesten quartaliter verändern muß. Ich prüfte mich. Ich schaute mir an­dere Mädchen und Frauen an. Keine reizte mich, nicht einmal das Parfüm des Unbekannten war start genug, um die Einsicht abzuschwächen, wie viel geringer fie alle feien als mein Weib. Wir lieben uns, wie am ersten Tage, treu und vertrauend, voll Hin­aber wir sind wie zwei Instrumente, gabe und Begehrlichkeit die um den winzigen Bruchteil eines Tones in der Stimmung aus­einandergehen. Das Ohr wird in der Ehe fein, es hört die kleinste Differenz, aber mir vermögen es nicht, mit unseren plumpen Grif­fen die rechte Stimmung herzustellen. Je mehr mir es versuchen, desto falscher Mingt es. Liegt es daran, daß unsere Interessen nicht übereinstimmen? Fast möchte ich es glauben. In der Kunst sind wir eines Gelftes, und es sind unsere besten Augenblice, wenn wir im angeregten Austausch der Meinungen aus dem Theater, dem Konzertsaal oder der Gemäldeausstellung heimfehrten. Aber von der Politif mag sie nichts wissen, von der dürren Wissenschaft ebensowenig, und gerade hier schlägt das Herz meines Daseins. Wohl bin ich selbst schuld daran, daß unser Verhältnis so un­erquicklich wird, trotz aller Liebe. Auch in der Ehe muß man Päda­goge fein. Wie man Kinder liebkost, auch wenn der Augenblick uns eine eisige Laune zugeweht hat, so sollte man auch zwischen Mann und Weib die zärtlichen Formen der Liebe bewahren. Mir schien es stets wie eine Entweihung des echten Gefühls, seine Geste zu zeigen, auch wenn der Inhalt fehlt. Ich zeigte mich frostig,

es jeder meiner Worte, jede Gebärde. Ich flüchtete fast vor ihren Lippen, die sich leidenschaftlich darboten, wenn ich, in wissenschaft; lichen Grübeleien, versunken, allem Jrdischen entrückt war; ich be= rührte flüchtig die tastende Hand, wenn ich trübfelig war, und wie oft sah ich ihre stumme, zärtliche Werbung und tat doch so, als ob ich nichts bemerkte, nur weil mir selbst in dem Augenblick das volle drängende Gefühl fehlte. Ich wartete immer auf die großen Momente, ich mochte nicht die Boefie unserer Liebe tommandieren. Ich trieb einen eifersüchtigen Kultus der Vergangenheit, wo mir aus einer starten, reinen, ewig flutenden Leidenschaft dahingingen... So wartete ich immer von Tag zu Tag, wenn wieder Einheit ent­stünde zwischen der liebevollen Handlung und dem inneren Drängen, bis mit den äußeren Beweisen der Liebe die Liebe selbst ver­ging. Ich nannte Lüge, was tiefe Weisheit ist, und mit der sinn­lofen Ehrlichkeit habe ich unseren Bund zugrunde gerichtet. Ich bin ein schlechter Erzieher gewesen, weil ich allzusehr auf meine inneren Regungen lauschte, anstatt mit dem schönen Gleichmaß inniger, formedler Geselligkeit auch den Verkehr zwischen Mann und Weib zu schmücken und zu erhalten...

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Heute, an diesem hellen Sommermorgen, da ich den mora­lischen Rechnungsabschluß vor unferer ersten langen Trennung ziehe, übersehe ich das alles fo tlar. Ich tinne meine Schuld und weiß das Mittel der Sühne. 2ber wenn wir uns wieder be­gegnen, erlischt meine Einsicht und wider meinen Willen und meinen Verstand beginnt sofort der stille Krieg, der uns verwüstet. Bielleicht, daß in der Trennung die Möglichkeit eines neuen Lebens erblüht.

5..... 1 Juli 189

Wohin willst du?" Die Lampe anzünden, Schatz!" Laß doch! Es ist so schön in der Dämmerung." Du weißt, ich hasse die Dämmerung, weil sie zur Untätigkeit verdammt. Ich muß noch die Zeitung lesen."

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Früher dachtest du anders über die Dämmerung." Früher das Lieblingsmort Klaras trifft mich stets wie die Berührung eines bloßliegenden Neros. Auch gestern, als mir in unserem Balfonzimmer vor der geöffneten Bür miteinander bie Kinder waren zu Bett gebracht faßen ward ich unmutig. Aber ich begnüge mich möglichst sanft die Trivialität zu äußern: " Früher ja. Heute datieren wir: jetzt. Man muß sich in die Zeit schicken." Klara feufzte: Ach ja, die Liebe! Sie ist geschwind- im Rückzug." ( Fortsetzung folgt.)