Stürmische Sitzung im Reichstag. Personalabbau unb Beamtenrechte. — Ein Sieg der Frauen und der Linken.— Völkische Skandalhelden als Provokateure.
Die gestrige Reichstagssttzung endete mit ungeheurem Tumult. Die Herren von rechts haben wieder einmal ihr wahres Gesicht gezeigt. Nachdem schon der deutschnationale Graf Eulenburg durch freche Beleidigungen des Reichs- tags eine heißerregte Stimmung hervorgerufen hatte, er- griff der völkische Junker Jürgen v. R a m i n das Wort zu einer der unverschämtesten Provokations- reden, die je im Reichstag gehalten worden sind. Der Sache der alten Offizierskorps konnte kein schlechterer Dienst er- wiesen werden als durch diese Rede, die von dünkelhaftestem Kastenhochmut gebläht war und sich in schmutzigen Beschimpfungen der Republik entlud. Als dann der Redner dazu überging, eine Räubergeschichte zu erzählen, wie dreißig Offiziere„unter seinen Augen" von wort- brüchigen Revolutionären ermordet worden seien, gab es kein Halten mehr. Zahlreiche Sozialdemokraten, unter ihnen der sonst so ruhige Genosse S o l l m a n n, drängten gegen die Tribüne, um den Redner in immer wiederholten Zurufen der Lügenhaftigkeit zu zeihen Man hörte noch, wie der Junker den Genossen Sollmann unter idiotischen Schimpfereien zu einem Duell aufforderte. In anderer Stimmung wäre das Haus angesichts einer solchen Trottelhaftigkeit in Geläcbter ausgebrochen. Jetzt aber überwog der Zorn. Der Mann, der durch fein Treiben die Parlamentstribüne beschmutzt hatte, drang mit seiner Kommandostimme nicht mehr durch. Vizepräsident Bell unterbrach die Sitzung, die dann der Vertagung verfiel. Mit der Räubergeschichte des Junkers v. Ramin hat es folgende Bewandtnis: Bei dem Abzug der K a p p i st e n aus Berlin kam ein versprengter Trupp von ihnen in Schöneberg ins Gedränge. Mehrere Kappisten sollen damals von der empörten Volksmenge getötet worden sein. Eine amtliche Untersuchung dieses Vorfalls hat unseres Wissens niemals stattgefunden. Von einem Versprechen, das den Kappisten gegeben worden sein soll, kann keine Rede sein. Niemand konnte in dem Drüber und Drunter, das jene Verbrecher selbst hervorgerufen hatten, Versprechen solcher Art geben und für ihre Einhaltung Sorge tragen. Es ist der Gipfel der Frechheit, wenn sich diese Leute jetzt darüber beklagen, daß einige von ihnen in einem Bürgerkrieg, den sie selberentzündeten, zu Schaden gekommen sind. Verlangen die Herrschaften etwa eine Garantie dafür, daß ihnen, wenn sie noch einmal putschen, nichtszuleide getan werden wird? Diese Garantie wird ihnen nicht gegeben werden! Das sei ihnen heute schon gesagt, damit sie nicht wieder von„gebrochenen Versprechen" reden! » Der Reichstag hörte zunächst den mündlichen Bericht des Untersuchungsausschusses über die Ergebnisse der Untersuchung be> treffend die Ursachen des deutschen militärische« Zusammenbruches im Jahre lSlS. Das Haus beschlieht, von dem Bericht des Unter- suchungsausschusses lediglich Kenntnis zu nehmen. Ohne Debatte stimmt das Haus in allen drei Lesungen dem Gesetzentwurf über die Konsulargerichtsbarkeit in Aegypten und dem über die Aufhebung der Verordnung zur S i ch e r st e l l u n g d.e s Warenumlaufs zu. Es folgt die dritte Beratung des sozialdemokratischen Gesetz- entwurfes, betreffend Abänderung des Gesetzes über die Kinüerarbeit in gewerblichen Setcieben. Die Novelle will in der Ausschuhfassung vor allem verbieten, Kinder unter 3 Jahren bei Filmaufnahmen zu be- schäftigen, sofern es sich nicht um wissenschaftlich« Zwecke handelt. Frau Abg. Schräder(Eoz.) begründet einen Antrag, der sich gegen die gesetzliche Regelung wendet, daß Kinder unter 3 Iahren zu wissenschaftlichen Zwecken gefilmt werden können, und ein voll» kommenes Verbot des Filmens dieser Kinder wünscht. Ueber diesen Antrag soll namentlich abgestimmt werden. Die Abstimmung wird auf eine spätere Zeit ausgesetzt. Annahme findet ein K o m p r o m i h a n t r a g, der die untere Verwaltungsbehörde ermächtigt, bei Kindern über 3 Jahren in Ausnahmefällen die Genehmigung zum Filmen zu erteilen. wenn umfassende Schutzvorkehrungen für das Kind getroffen sind. Vor Erteilung der Erlaubnis soll auch dos Jugend- ä m t gehört werden und evtl. die Schulaufsichtsbehörde. Abg. Schwarzer-Oberbayern(B. 33p.) begründet einen Antrag, der für Kinder unter 3 Iahren bei umfassenden Sicherheitsvor- kchrungen das Filmen zulassen will, wenn es sich um Interessen der Kunst und Wissenschaft handelt. Die endgültigen Abstimmungen werden ausgesetzt. Dann beginm das Haus die Beratung über den Aenderungs- entwurf zur Perfonolabbau-Verorönttug. Abg. Dr. Frick(Volk.) bekennt sich zu dem alten Berufs- beaintentum. Abg. Schuldt-Steglitz (Dem.) wehrt die scharfen Angriffe des völkischen Redners auf das Beamtentum ab. Die ganze deutsche Beamtenschaft verabscheue es, mit solchen Verächtern der Staatsform auf«ine Stufe gestellt zu werden.(Beifall links.) Unter der Abbau- Verordnung habe man erlebt, doh besonders die Beamten au » Dienst und Amt vertrieben wurden, dl« sich ossea zur Republik bekannten. Das sei ein gefährliches Sorgehen für den Staat. Der Redner fordert die Negierung auf. in Zukunft in dieser Beziehung eine Haltung einzunehmen, die den Staats fördere, nicht gefährde. Unter der Abbauverordnung habe man kinderreiche Familien nicht geschont und sogar die aus dem besetzten Gebiet verdrängten Beamten entlassen.(Hört, links.) Als größter Rechtsbruch m der Ge- schichte des Beamtentums bezeichnet er, daß in der Vorlage ein Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Beamten insofern gemocht werde, als für weibliche Beamte Ausnahmebestim- mungen bestehen bleiben sollen. Das sei eine Verletzung der Der- fcssung.(Beifall links.) Damit schließt die Generaldebatte. In der Einzel- aussprache erklärt Abg. Frau Nemitz(Soz.): Seit Jahrzehnten führt die Sozialdemokratische Partei den Kampf für die Gesunderhaltung der Familie. Mit der Aufrechterhaltung de» Art. 14 zeigen Sie aber, daß Sie dafür nur schöne Worte übrig haben. Die Regierung beruft sich auf die an- geblich im allgemeinen ungünstigen dienstlichen Erfahrungen mit verheirateten weiblichen Beamte nund Lehrern. Man muh doch aber dabei gerecht fein. Während des Krieges haben die Frauen so schwer arbeiten müssen, daß sie noch heute unter den Nachwirkungen zu leiden haben. Man sagt, daß Frauen häufig wegen Unpäßlichkeit ihren Dienst nicht verrichten können. Wenn Sie aber die Verhältnisse bei den Männern prüfen, so werden Sie finden, daß auch viele Männer wegen Unpäßlichkeit nicht arbeiten können, nur sind sie nicht so offen wie die Frauen. Ein weiteres Argument weist auf die große Erwerbslosigkeit hin. die durch die Doppelexistenzen nicht noch vermehrt werden dürfen. Es wird auch darauf hingewiesen, daß verheiratet« Beamtinnen doch die Aussicht auf eine gesicherte Familie hätten. Täglich gehen uns
aber Zuschriften zu, die beweisen, wieviel Unrecht man diesen ab- gebauten Beamtinnen tut. Sie werden um ihre wohlerworbenen Rechte gebracht, man nimmt keine Notiz davon, was das Beamten - gcsetz ihnen gibt. Es ist charakteristisch für die männlichen Vertreter der bürger- lichen Parteien, die hier aufgetreten sind, daß ihre Einstellung zur politischen Gleichberechtigung der Frau sich seit der Vor- kriegszeit noch nicht geändert hat. Wir Frauen aller Par- teien haben den Antrag auf Streichung des Artikels 14 gestellt, nicht weil es sich um Geschlechtsgenofsinnen handelt, sondern weil wir nicht länger ein Unrecht dulden wollen. Aus dem Verhalten der männlichen Vertreter der bürgerlichen Parteien kann man aber schließen, daß sie den Artikel 128 der Verfassung beseitigen wollen, der die Fran als gleichberechtigt anerkennt. Sie haben nicht den Mut, das offen zu tun, sie wollen es auf U m- wegen erreichen, und wenn der Artikel 14 bestehen bleibt, dann haben sie das erreicht. Der Artikel soll zwar am 31. März 1929 außer Kraft treten, aber bis dahin wird kein einziger weiblicher Beamter mehr im Dienste sein. Die Rednerin begründet einen Antrag der Sozialdemokratie, wonach ein neuer Artikel 3» eingeschaltet werden soll. Wünscht ein verheirateter weiblicher Be- amter freiwillig aus dem Dienst auszuscheiden, so ist ihm nach Wahl entweder eine Abfindung zu gewähren oder ihm das im Zeit- punkt des Ausscheidens erdiente Ruhegehalt für den Fall der späteren Dienstunfähigkeit oder der Vollendung des KS. Lebensjahres zu- zusichern. Das Ruhsgehalt kann bereits vom Zeitpunkt des Aus- scheidens gewährt werden, solange die wirtschaftliche Versorgung nicht gesichert erscheint. Verheiratete weiblich« Beamte, die auf Grund des Artikels 14 der Abbauverordnung entlassen wurden, sind sinngemäß zu behandeln. Jetzt müssen sich die Parteien dar- über entscheiden, ob sie das Unrecht des Artikes 14 aufrechterhalten oder auch den weiblichen Beamten Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen.(Lebhafter Beifall bei den Soz.) Abg. Schmidt-Stettin(Dnat.) betont demgegenüber, daß auch er grundsätzlich gegen die Entrechtung der weiblichen Beamten fei, und daß entsprechend den Wünschen der Kompromißparteien den weiblichen Beamten das Wartegeld gesichert fei. Frau Abg. Arcndsee(Komm.) findet die Art, in der die weib- lichen Beamten in der Vorlage mit Ausnahmerechten bedacht werden, bezeichnend für die ganze Bewertung der Frau durch die bürger- lichen Parteien. Frau Slbg. Dr. Luders(Dem.) meint, es sei zwecklos, fetzt über die Schuld am Personalabbau zu sprechen. Zur Zeit des Inkraft- tretens der Personalabbauverordnung seien die Verhältnisse stärker gewesen als der Reichstag . Don Schuld könne man erst reden, wenn in einer wirtschaftlich besseren Zeit die Rechte der männlichen Beamten wiederhergestellt werden und die der weib- lichen nicht, wie dies in der Vorlage geschehen solle. Damit schließt die Aussprache. In der Abstimmung wird ein sozialdemokratischer Antrag, die Vorlage und ihre Derbesserungen auch den Beamten der Länder und Gemeinden zugute kommen zu lassen, mit 181 gegen 162 Stimmen abgelehnt. Ein anderer sozialdemokratischer Antrag, der die Abfindungssummen für Beamte, die nach Inkrafttreten der Novelle austreten, besonders, und zwar etwas höher festsetzen will, wird im Hammelsprung mit 192 gegen 147 Stimmen angenommen.(Bei- fall links.)— Mit großer Mehrheit wird ein Antrag der K o m- promißparteien angenommen, der verlangt, daß unter den Wartestandsbeamten vorzugsweise verdrängte Auslands-, Kolonial-, Grenzdeutsche und ehemalige Beamte des Reichslandes Elfaß-Lothringen berücksichtigt werden sollen. Ueber einen sozialdemokratischen und demokratischen Antrag aus Streichung der Ausnahmebestimmungen gegen verheiratete weibliche Beamte findet namentliche Abstimmung statt. Sie ergibt mit lS0 gegen 179 Stimmen die Annahme des Antrages. Das Zentrum stimmte geteilt. Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. Das Haus wendet sich dann den rückständigen Abstimmungen zu dem Abänderungsentwurf der Sozialdemo. k r a t e n für die Sinderarbeit in gewerblichen Betrieben zu. Ein Antrag der Abg. Frau Schröder(Soz.). der im Gesetze ver- bieten will, daß Kinder unter drei Jahren zu Filmaufnahmen ver- wendet werden, wird in namentlicher Mstimmung mit 191 gegen 171 Stimmen abgelehnt. Es bleibt bei der Vorlag«, die für Zwecke der Wissenschaft und Kunst eine Verwendung von Kindern unter 3 Iahren im Film zulassen will, wenn umfassende Sicherheit?- Vorkehrungen getroffen sind.— Das Haus stimmt der Vorlage auch in der Schlußabstimmung zu. Die zweite Lesung der Personalabbauverordnung wird fortgesetzt. lieber einen demokratischen Antrag betr. die Hinter- bliebenenrente muß nochmals Hammelsprung erfolgen. Der Antrag wird mit 179 gegen 159 Stimmen abgelehnt. Abg. Steintopf(Soz.) weist Angriffe yegen seine Partei zurück. Einen anderen Ausweg als das Ermächtigungsgesetz habe es da- mals nicht gegeben. Die Aufhebung des§ 14 sei eine un- um st öhliche Tatsache. Er wolle die Partei sehen, die tn der dritten Lesung diese Bestimmung wieder umstoße. Ministerialrat v. hagenow erklärt, daß die Regierung vor einer neuen Lage stehe. Weitergehende Beschlüsse könnten jetzt nicht ge- faßt werden. Die Anträge der Frau Teusch(Z.) über die Abfindung der weiblichen Beamten werden gegen die Linksparteien, sämtfiche weib- liche Abgeordnete und eine Minderheit des Zentrums mit Marx und Wirth abgelehnt. Die Vorlage wird in zweiter Lesung ange- nommen. Die dritte Lesung wird auf Wunsch der Regierung und ver- schiedener Parteien ausgesetzt. völkifthe Stanüalhelüeu. Darauf wird die vor einigen Tagen abgebrochene Beratung über den Geschentwurf über die Ausübung des Recht« zum Tragen einer Militäruniform fortgesetzt. Abg. Graf zu Eulenburg(Dnat.): Es blieb dem Redner der sozialdemokratischen Fraktion vorbehalten, die Beratung dazu au»- zunutzen, um das Hohenzollernhaus, den Herrn Reichspräsidenten . die alte Zlrmee und das gesamte Ossizlerskorps in einer selbst für das Niveau dieses Hauses(stürmische Unterbrechungen lints) ungewöhnlichen Weise zu beschimpfen. Wir haben daher für eine Gesinnung, wie sie in den Auslassungen des sozialdemokratischen Redners zum' Ausdruck kam, nur eine Empfindung: Grenzenlose Verachtung!(Großer Lärm links, Beifall rechts.) Abg. v. Ramin(Volk.): Das Kaisertum ist den Sozialdemo. kroten ein Symbol der Unfreiheit. In dem Freiheitsgeist von Weimar bei Schiller ist von einem Pazifismus keine Rede. Ihre Republik ist uns das Symbol einer hündischen Unterwürfigkeit gegenüber den früheren Fein- den.(Tosender Protest aus der Linken) Haben Sie, nicht die Revolution gemocht, angeblich um das Proletariat zu befreien? Das Ende ihrer Revolution ist der D a w c s- P a t t und dahinter standen nicht die Großagrarier, sondern die Großbankiers haben die Sache in London oerhandelt und das Geschäft finanzlert. Ver- hältnismäßig sind mehr Offiziere gefallen als Mannschaften. Es ist pesagt worden, durch die Ermordung Erzbergers und Rathenaus sei das Ossizierkorps entehrt worden. Die Leute, die diese Verbrechen begangen hoben, gehören nicht zu denen, die auf Grund dieser Bestimmungen das Recht zum Tragen der Uni- form haben. Ich verurteile gewiß solche Verbrechen, aber sie haben immer noch einen Herrn Adler unter sich(E n t r ü st u n g s-
stürm der Sozialdemokraten, die vor der Rednertribüne zusammenströmen und heftig aus den Redner einreden). Ihr« Stellung zum politischen Mord ist nicht immer so gewesen, in Berlin sind 30 Offiziere seinerzeit umgebracht worden, nachdem ihnen vorher gesagt worden ist. es würde ihnen nichts geschehen. (Die Soz. drängen unter heftigen Rufen immer näher an die Rednertribüne heran und rufen: Wo ist das geschehen?— Ruf von rechts: In Schöneberg !— Rufe der Soz. Lügner. Lügner!) Ich habe dabei gestanden!(Reue Ruf « von links: Lügoer, Lügner!) Durch den Lärm hört man unbestimmt die folgenden Worte des Redners nicht vollständig. Ohne parlamentarischen Schuh morgen» früh mit der Waffe in der Hand! Hier erhebt sich ein unbeschreiblicher Lärm aus den Scharen der Abgeordneten, die dicht vor der Rednertribüne sich zusammen- geballt haben. Der Vizepräsident Dr. Bell bittet, mehrere Male, wiederholt vergeblich die Abgeordneten zurückzutreten und ihre Plätze einzunehmen. Die gedrängte Menge bleibt aber vor der Rednertribüne stehen, unter heftigen Gestikulationen lassen sie durch fortgesetzte laute und erregte Zwischenrufe den Redner nicht weitersprechen. Vizepräsident Dr. Bell outerbricht die Sitzung ans fünf Minuten. Um 7 Uhr 2K Minuten eröffnet Vizepräsident Dr. Bell die neue S itz u n g. Abg. Müller- Jranken(Soz.) zur Geschäftsordnung: Die best« LSfimg des Zwischenfalles wäre Feststellung der Ausführungen des Redners nach dem Stenogramm und dann Befragung der Re- gierung, ob ihr von dem Vorgang etwas bekannt ist. Vizepräsident Dr. Bell: Das wird einige Zeit erfordern; ich werde mir das Stenogramm kommen lassen. Inzwischen schlag« ich vor, daß Abg. v. Ramin seine Ausführungen beendet.(Stürmischer Widerspruch links und Zuruse: Rein! Rein!) Abg. Rönneburg(Dem.) beantragt, Abbruch der Sitzung, damit das Haus die Verhapdlungen in würdiger Form forffetzen könne. Abg. Henning(Völk.) protestiert dagegen. Abg. Schultz-Vromberg(Dnat.) schließt sich ihm an. Bei der Abstimmung stellt Vizepräsident Dr. Bell fest, daß die Mehrheit für Vertagung ist.(Stürmischer Wider- spruch rechts, andauernder ungeheurer Lärm.) Das Haus o e r t a g t sich nach längerer, zum Teil äußerst erregter Geschäftsordnungsdebatte, und unter Ablehnung eines An- träges v. G r a e f e(Völk.) auf Abhaltung einer Sitzung am Sonn- abend, aus Dienstag 2Z4 Uhr: Zweit« und dritte Beratung des Reichsversorgungsgesetzes, Gesetz betr. Ausübung des Rechts zum Tragen einer Militärunijorm, Ergänzungen zu den Reichshaus. Haltsplänen für 1924 und 1925. Schluß gegen 8 Uhr. * Die in dem großen Lärm zum Teil verloren gegangenen Worte des Abg. v. Ramin richteten sich gegen den Abg. Soll- mann(Soz.), der dem Redner wiederholt zugerufen hatte.Sie lügen!" und lauteten:.Wenn Sie, Jammerlappen, mir ohne parla- mentarischen Schutz morgens früh mit der Waffe gegenüberstehen würden, dann würden Sie das Maul halten."
. Einkommensteuer. Die Besteuerung uach dem Verbrauch. Der Steuerausschuß des Reichstags führte am Frei- tag die Beratung der' Einto mmiAsteü«? zu Ende, mll Aus- nahm« des Tarifs und der Lahnsteuer, die am Sonnabend erledigt weichen sollen. Im allgemeinen bleibt es bei den Beschlüssen der ersten Lesung. Ein demokratischer Antrag will, daß die Eni- schädigungen aus S 87 des Betriebsrätegefeges steuerfrei sind. Die Abgg. Schneider(Dem.) und Dr. Hertz(Soz.) befürworteten den Antrag, weil diese Entschädigungen, wenn sie auch Arbeftseinkommen seien, einen Ausgleich für eine unbillige Härte bei der Entlassung und der folgenden Arbeitslosigkeit darstellen. Noch anfänglichem Wider- spruch der Reichsreaierung, die befürchtete, daß damft Eingriffe in das System der Einkommenbesteuerung hervorgerufen würden. wurde dieser Antrag einstimmig angenommen. Eine längere Debatte riefen die Bestimungen über die Be- steuerung nach dem Verbrauch hervor. Von den Rechtsparteien und den Demokraten lagen Anträge auf Abfchwächung vor. Von den Kommunisten und Sozialdemokraten wurde die Rückkehr zu der ur- sprünglichen Regierungsvorlage verlangt, nach der bei einem Miß- verhäftnis zwischen Einkommen und Verbrauch der tatsächliche Aus- wand, der 8999 M. übersteigt, zugrunde gelegt wird. Von der Re- gierung wurden die Abschwächungsanttäqe der Rechten als undurch- führbar bezeichnet. Auch der Abg. veusch(Ztr.) wandte sich scharf gegen die Aushöhlung dieser Vorschriften. Nach Zurückziehung de» demokratischen Antrages wurden alle übrigen Anträge abgelehnt. Es bleibt also bei den Beschlüssen erster Lesung. fibö el Krims Offensive in vollem Gange. Auster ordentlich ernste Lage. Paris . 17. Juli. (Eigener Drahlberichl.) Räch privat- Meldungen der Blälker ist die Offen sine Abb el Srlms gegen Sea und Taza in vollem Gange. Die Berichte melden von schweren kämpfen in der Gegend nördlich der beiden Städte. Die Blätter bezeichnen die Lage alsaußerordentllchernst und die Gefahr als im höchsten Grade beunruhigend. Aus dem amtlichen Heeresbericht vom Donnerstag gehl n. a. hervor, datz das franzö sische hanplqnartier gezwungen worden ist, eine neue Front gegen den mittleren Atta», d. h. im Süden der gegenwärtigen Sampszone und im Rücken der französischen Streitkräfte zu errichten. Danach scheinen die Bemühungen Abd el Selms, die nicht unterworfenen Geblrgsstämme des mittleren Atlas für seine Sache zu gewinne«, nicht ohne Erfolg geblieben zu sein. Das verspätete Zsriedeusangebot. pari», 17. Juli. (Eigener Drahtbericht.) ScharfeKritik an der Marotkopolitit der französischen Regierung übt am Freitag abend der»Paris Soir", der erklärt, daß der von Frankreich nach langem Zögern unternommene Schritt, mft Abd el Krim zu Verhandlungen zu gelangen, um zwei Monat« zu spät gekommen sei. Mitte Mai sei dieser wahrscheinlich noch zu einem Friedensschluß aus der ihm angebotenen Grundlage bereft gewesen, heute seien dafür kaum mehr Aussichten vorhanden. Die Geschichte der französischen Marottopolttik sei die Geschichte der verpaßten Gelegenheiten und der widerspruchsvollsten Entschlüsse. Man scheine an den zuständigen Stellen nicht zu wissen, was man wolle, sondern über. Haupt keinen Willen zu haben. Gleich zu Beginn der Schwierig. keften hätte die Regierung zwischen Krieg und Frieden entscheiden müssen. Ihre erste Maßnahme hätte die Abberufung des Marschalls Lyautey sein müssen. Obwohl das heute von allen Stellen zugegeben werde, habe man noch immer nicht den Mut dazu gefunden. Auch die Geschichte der Ernennung des Gene- rals Naulin zum Oberkommandierenden in Marokko werde immer geheimnisvoller. Dieser habe 14 Tag« nach der Ernennung den übertragenen Posten noch nicht angetreten und nach der Entsendung des Marschalls PStain auf den Kriegsschauplatz müsse mau sich fragen, was General Nauiin dort überhaupt solle. Di« Regierung habe die Pflicht, dem Lande endlich zu sagen, was in Marokko vor sich gehe.