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Unterhaltung unö Wissen
Sonnabeaü ?S. Iuli1»2S
Wege. Runzeln der alten, oerwitterten Erde, Lausen die Wege von Morgen nach Abend. Endlos find sie, und auf ihnen flattern Ruhlose Herzen wie Blätter im Wind. Abseits träumen die Häuser im Grünen, Lächeln Madonnen, und singen die Kinder Abseits der Straßen wohnt fettes Behagen, Grunzen die Schweine verträumt man das Glück. Endlose Wege, weltweites Heimweh, Ruhlos sind sie, durch dämmernde Wälder Heimliche Wiesen und fruchtschwere Felder, Eilen sie hastend, zerfurcht und zerrissen Klettern sie hurtig auf einsame Höhen. Unten, tief unten wimmern Choräle, Winseln die Menschen: Gottvater hilfl Gib uns zu essen, zu trinken, zu lieben! Weltweit sind Wege, und auf ihnen lächelt, Lächett durch Tränen weltweites Heimweh. Adolf Lehnert  .
Ohne Kragen. Em wahres Gefchichlchen von Felix Fechenbach  . Glühende Sonnenhitze lastet über dem großem Platz. Nirgends eine schattiges Fleckchen. Nur dort an der Ecke aus der Kasseehous- terrasse ist's angenehm kühl. Das Martisendach hält die glostend« Sonne ab. An den Tischen sitzen Literaten, Journalisten und solche, die sich dafür halten. Ihren Beruf dukumentieren sie durch lange Haar« und leere Geldbeutel. Diese Gäste trifft man zu allen Zeiten hier. Besonder» aber des Mittags, wenn sie sich mit einer Tasse Kasse« ein Diner vortäuschen. Zuweilen geht's ihnen besser, dann sind sie in der Mittagsstund« hier nicht anzutreffen. Aber heute sind sie da. Es ist eine schlechte Zeit. Auf der anderen Seite des Platzes ist ein Neubau. Zwei Ar» beiter kommen von dort und streben der Terrasse des Kaffeehauses zu. Sie streichen über ihr« Kleider, den Staub der Arbeit wegzu- mischen und versuchen sich äußerlich irgendwie.kaffeehausfähig zu machen. Dann treten sie aus die Terrasse und nehmen schüchtern und unsicher an einem der kleinen Tischchen Platz. Sie wollen eine Erfrischung bestellen. Aber dazu tommts gar nicht. So etwas war dem Kellner in seiner langjährigen Praxis noch nicht passiert. Arbeiter in ver- staubten Kleidern, ohne Kragen und Krawatte am hellichten Tag auf der Kaffeehausterrasse! Wie entgeistert starrt er die ungewohnten Gäste an.»Da muß ich doch.... Und Holl den Geschäftsführer. Da» ist ein schneidiger Herr, der weiß, was sich für ein Kaffee» haus schickt. Seinen gewohnten Gästen gegenüber hat er stet»«inen verbindlichen, fast devoten Ton. Aber jetzt schnarrt seine Sttmm«, wie die eines Leutnants vorkriegsflutlicher Konvenienz. Ja, was denken Sie eigentlich? Ist das vielleicht ein« Kneipe, daß Sie sich ungeniert daher setzen? Schauen Sie. daß Sie wieder hinauskommen!" Die Arbeiter sagen kein Wort. Sie schauen sich gegensettig an. nicken mit dem Kops und schleichen sich davon, als wären sie auf ver» botener Tat ertappt. Di« Gäste an den übrigen Tischen finden sich nicht so ohne weiteres mit dem brutalen Eingreifen des schneidigen Geschäfts- führers ab. Es hagelt ausgeregte Rufe:.Unerhört!".Unver­schämt!".Unglaublich!" Die Gäste springen von ihren Plätzen auf. Im Nu ist der Ge- schäftssührer umringt und heftigster Protest dringt von allen Seiten auf ihn ein. Er hält es für ratsam, sich zurückzuziehen. Aus dem Ring der Gäste lösen sich zwei junge Leute, rennen den Arbeitern nach, holen sie ein und bringen sie. unterm Arm ge- faßt, auf die Terrasse zurück. Sie bestellen beim Kellner die ver- langte Erfrischung. Der Schworzbefrackte eilt ins Kaffee und statt seiner kommt der Geschäftsführer zurück. Seine Blicke schweifen suchend über den sonnigen Platz. Aber kein rettender Schupobeamter ist zu sehen. Er mutz es also selbst nochmal oersuchen. Rasch hat er seinen gewöhnlichen, verbindlich- devoten Ton wieder gefunden: .Aber meine Herren, wie können Sie so etwas tun?" Und mit einem Blick, der Verständnis auf der anderen Seite erwartet: .Sie werden doch einsehen, daß solche Gäste schließlich nicht in unser Lokal gehören. Wenn die beiden wenigstens Kragen und Krawatten anhätten! Aber so!" Aber nun ereignet sich etwas ganz Unerwartetes. Die Gäste auf der Terrasse reißen sich ihre Kragen und Krawatten herunter und stecken sie in die Rocktaschen. Einige schlagen das Hemd zurück, daß die Brust frei wird, andere krempeln die Bermel auf bis zum Ellbogen. Die Arbeiter bekamen nun. was bestellt war. Der Geschäftsführer zieht sich verbittert zurück. Er fühlt sich machtlos gegenüber dieser Solidaritätskundgebung der hungrigen Literaten und Journalisten mit den Arbeitern. Hinten am Büffet steht der Geschäftsführer noch lange und murmelt immer wieder:.Wenn sie wenigstens Kragen und Kravatte anhätten..."__
Mein Gntel wirb von einem /lffen kuriert. Bon Hedayet Ahmad Khan. Am Fuße des gewaltigen Himalajogebirges, dessen ewig weiße Gipfel fast bis zum Himmel hinausragen, wohnte einst in einem kleinen Dorfe mein Onkel Abdul Karim  . Er war der reichste Mann in der ganzen Umgegend und besaß alle», was man sich wünschen konme. Aber trotz seines Reichtums war er nicht glücklich, denn ihn plagte eine Krankheit, die kein Arzt in der Gegend dort hellen konnte. Onkel Abdul Karims Freunde rieten ihm, nach der Hauptstadt Indiens Delhi, zu reisen, wo die berühmtesten Aerzte wohnten. dort würde er sicher Heilung finden. Damals gab es in Indien   noch keine Eisenbahnen, und das Reifen über weite Strecken war eine gor beschwerliche Sache. In der Regenzett kannte man gar nicht daran denken. Diese dauert im Sommer etwa drei Monate, es regnet dann ununterbrochen Tag und glle Landwege sind während dieser Zeit vom Wasser uberschwemmt. Selbst Buddha Naharaya mußte, als er auszog, das .urwana zu predigen, in dieser schlechten Jahreszeit seine Reise ein- 1-'!Vm   ,5" D®.n e,ncm Dorf in das nächste zu gelangen, muh man tieft-waffergfütjen durchwaten. Weite Strecken tonnte man also gar mcht zurücklegen. Die einzige Möglichkeit, weiterzukommen, bietet das Reisen aus Elefanten, was sich natürlich nur die wohlhabenden Leute leisten tonnen. <« Karim. der sich immer krank fühlte, tonnte die Reife Delhi   nicht länger aufschieben, wenn er sich am Leben erhallen wollte Da er reich war, entschloß er sich, unter allen Um- *nh£ Q4niutrt,*n- ließ einen feiner größten Elefanten anschirren und trat dann in Begleitung eines Freundes und zweier Diener die wcüe Reife nach Delhi   an, nachdem er sich von seiner
Familie herzlich verabschiedet hatte. Auf dem Elefanten legten sie täglich 30 bis 40 Meilen Wegs zurück. Nachdem sie schon einige Wochen gewandert waren, kamen sie zu dem Fluß Rohni, wo sie Rast machten. Inzwischen war die Regenzeit zu Ende, und die Sonne sandte wieder ihre glühenden Strahlen über das schöne Land. Untertags ist es dann in Indien  so heiß, daß Menschen und Tiere unter der Gluthitze unerträglich leiden. Man reist deshalb meist des Nachts, namentlich in schönen hellen Mondscheinnächten, wenn Mond und Sterne prächtig um die
Das ehrliche Geficht.
Es schmachtet sehr in Jtot die Landwirtschaft. Drum nah'a«vir euch mit liefbetrübteu Mienen. Trotz Leid und Qual gilt uns'« letzte Kraft, Dem heitzgeliebteu Vaterland zu dienen. Entsetzlich schwere Opfer heischt die Pflicht. Kaum können wir die Last der Sorgen tragen: Glaubt nn» auf unser ehrliches Gesicht! Der dicke Bauch hak wirklich nichts zu sagen.
Wette leuchten. Am Tage schützt man stch vor der sengenden Sonnen- glut und ruht im Schatten mächtiger Bäume aus. Eines Tages ruhten sie wieder einmal unter einem breiten Mangobaum. In der Nähe hatte ein Gaukler sein Zelt auf- geschlagen. Diese herumziehenden Leute verdienen ihr Geld auf mannigfache Art. Meist führen sie dressierte Assen und andere Tiere mit sich und geben dann in jedem Dorfe Borstellungen, an denen sich die Kinder dort sehr erfreuen. Der Gaukler, der in der Nähe Abdul Karims lagerte, hatte auch ein Assenpaar und eine Ziege, wie die meisten dieser Gaukler. Die Vorstellungen bestehen darin, daß Szenen aus der Hochzeits- seier, wie sie in Indien   üblich ist, dargestellt werden. Das sieht natürlich sehr lustig aus. Es ist in Indien   Sitte, daß der Bräutigam kurz vor der Hochzeit auf einem Pferde geschmückt umherzieht. Die Gaukler sühren mit ihren dressierten Tieren derartige Szenen vor. Die Ziege ist als Reitpferd gesattelt und ausgezäumt. Der Affe trägt eine griinseidene Hose, dazu einen roten Rock und einen gelben Turban. Er reitet aus der Ziege und begrüßt die Leute und Kinder mit einer Verbeugung, ein Taschentuch in der Hand. In einer anderen Szene spielt der Asse den jungen Ehemann. Cr geht mit einem Stock in der chand aufgerichtet herum, dann begegnet er seiner Frau, einer Bessin, die ein seines Brautkleid trägt und mit allerlei Schmuck ausgeputzt ist. Die Frau Aesfin wendet ihr Gesicht ab und spricht nicht. Hieraus fängt der Herr Asse an zu schmeicheln und zu küssen, und beide versöhnen sich wieder.(Dies soll einen Zank und die darauffolgende Bersöhnung zwischen Eheleuten vorstellen.) Der Gaukler war gerade im Begriff, sein Mittagessen zu be» reiten. Er machte sich unter einem kleinen Baume ein kleines Feuer an, stellte einen Topf darauf, in dem er Reis und junge grüne Erbsen kochte. Onkel Abdul Karim   konnte alles mit ansehen. Plötz­lich merkte der Gaukler, daß er kein Salz mehr hatte. Er schickte sich deshalb an, in das nächste Dorf zu gehen, um Salz zu holen. Er dachte, daß er ja bald wieder zurück sei, bevor das Essen kalt ge­worden. Rasch band er Ziege und Assen mit einer Kette an den Baum an und machte sich auf den Weg. Der Affe war ganz artig und rührte sich nicht. Kaum war aber der Gaukler hinter dem nahe- gelegenen Gebüsch verschwunden, da wurde der Asse unruhig und sing an, sich freizumachen. Mit großer Geschicklichkeit streifte er die Kette vom Hals, sprang zu dem Kochtopf und fraß alle» auf, bis auf eine Handvoll Erbsen. Dann ging er zu der Ziege und strich ihr alles über dos Maul und den langen Bart, so daß es aussah, als ob die Ziege ihren Kopf in den Topf gesteckt und olles aufgesressen hätte. Dann riß er der armen Ziege das Halsband ab und ließ sie frei herumlaufen. Er selbst ging wieder an seinen Platz zurück, legte sich die Kette schnell wieder um den Hals und tat so, als ob nichts geschehen wäre. Bald darauf kam der Gaukler zurück und sah mit Entsetzen den leeren Kochtopf, während die freche Ziege mit den letzten Spuren seines ersehnten Mittagsmahles an Maul und Bart frei herum- spazierte. Die Sache war für ihn ganz klar, eines besseren Bs- weises bedurfte er nicht. Er war sehr ausgebracht, nahm schnell eine Peitsche zur Hand und ließ sie auf den Rücken der Ziege nieder- sausen. Der Hunger fachte seine Wut noch mehr an.
Seilage öes Vorwärts
Das alles spielte sich in einem Augenblick ab. Onkel Abdul Karim  , der den ganzen Vorgang beobachtet hatte, wollte dem Gaukler die Wahrheit sagen und ihn hindern, die unschuldige Ziege zu be- strafen, aber er bekam einen derartigen Lachkramps, daß er sich wie besessen auf der Erde herumwälzte. Bei diesen heftigen Bewegungen fühlte er mit einem Male Blut und Eiter aus seinem Munde strömen. Anscheinend hatte er lange Zeit ein Geschwür in der Brust mit her- umgeschleppt, das ihn so heftig quälte, und das die Aerzte bis dahin nicht feststellen konnten. Durch das übermäßige Lachen brach es auf, und der giftige Inhalt entleerte sich durch den Mund. Dieser seltsame Heryang wirkte wie eine gut gelungene Operation und brachte ihm überraschend schnell die langersehnte Heilung. Von dem Augenblick an fühlte er sich wieder wohl und brauchte nicht nach Delhi   weiterzureisen. Sobald sich Abdul Karim   wieder gefaßt hatte, ging er zu dem Gaukler und erzählte ihm, wie schlau der Affe alles ongestelll hatte. Aus Dankbarkeit schenkte er ihm süns Goldstücke. Außerdem taufte er dem armen Gaukler den Assen ab, dem er auf so wunderbare und einfache Weise seine Rettung zu verdanken hatte. Abdul Karim   trat daraus glücklich die Heimreise an und kehrte gesund und wahlbehallen zu seiner Familie zurück, die über die eigen- artige Heilung nicht wenig erstaunt war. Der Asse wurde von da ab in dem Hause des Onkels gehegt und gepflegt und durfte täglich Reis und Erbsen essen, soviel er Lust hatte. Aber lange Zeit schien der Affe doch ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben, denn wenn er eine Ziege sah, ging er immer in großem Bogen ihr au» dem Wege.
Wanderer im kreise. Zwei Sätze aus einem kürzlich imBerliner Tageblatt" er- fchienenen Feuilleton(H. Hemmer:Hunger im Paradies"):Der Verdurstend« geht in einer Spirale bis zu deren Mittelpunkt und gräbt stch da in die Erde: das ist alltägliche australische Erfahrung. Der Verhungernde beschreibt einen Kreis, aus dem er nicht wieder herauskommt: das ist neuseeländische Erfahrung." Daß der Ver- durstende stch schließlich in die Erde zu graben sucht, beruht auf instinktivem Suchen nach Grundwasser. Das Wandern im Kreise oder in der Spirale hat seinen Grund in der ungleichmäßigen Aus» bildung beider Körperhälften. Durchschnittlich ist die linke Gehirn- Hälfte stärker als die rechte entwickelt, was vermutlich mit der Linkslage des Herzens zusammenhängt. Da die Hauvtnerven» stränge sich überkreuzen, so sind dagegen Gliedmaßen und Rumpf der rechten Hälfte der linken überlegen, woraus die normale Rechtshändigkeit des Menschen zurückgeht. So lange der Wanderer sein Ziel kennt oder sich wenigstens nach Sonne, Sterne oder anderen Anzeichen richten kann, wird die Ungleichmäßigkeit beider Körper- und Gehirnhälften durch Ueberlegung und Gebrauch der Sinne kompensiert. Das hört auf, sobald der Wanderer die Rich- hing völlig verloren hat, auch wenn ihn finstere Nacht oder dichter Nebel umföngt. Er ist nicht mehr imstande, eine bestimmte Rich- hing einzuhalten, die ungleiche Entwicklung beider Körperhälften tritt automatisch in Wirkung: er wandert im Kreisel Auch Plötz- licher Schreck kann die gleiche Wirkung ausüben. Man beobachtet dies besonders häufig an Tieren. Ein vom Jäger aufgestörter Fuchs, dem der Schreck die Ueberlegung raubt, läuft im Kreise. Aber diese Erscheinung hat merkwürdigweise auch eine wichtige biologische, arterhaltende Bedeutuno. Junge Tiere, die sich vor- zeitig aus dem Neste verlaufen haben, beginnen ratlos im Kreise zu wandern und finden das Nest wieder oder werden von den Eltern dadurch wiedergefunden. Und durch irgendeinen Umstand, z. B. durch den Einbruch eines Raubtteres, zersprengte Herden von Tieren, die in Gesellschaften leben, finden sich schließlich auf dem gleichen Wege wieder zusammen. Die aufrechte Haltung hat übrigens dem Menschen doch ein« groß« lleberlegenheit verschafft. Er kann auch mit seitwärts ge­wandtem Kopf geradeaus gehen. Das Tier kann das nicht. Der Freiburger Physiologe E. v. Skramlit hat sehr bemerkenswerte Versuche in dieser Richtung angestellt. Wenn man Hunden durch ein« Zwangsoorrichtung den Kopf nach der Seite dreht und ihn in dieser Lage befestigt, so bleiben sie meistens entweder teilnahm»- los stehen oder sie geraten geradezu in Wutausbrüche. Jüngere, lebhaftere Tiere gingen, wenn ihnen die Augen verbunden wurden, im Kreise in der Richtung des eingespannten Kopfes. Sie taten es aber auch dann, als die Binde entfernt wurde. Sie wäre« auch sehenden Auges stch anders zu bewegen nicht imstande. Man kann den Versuch am selben Tiere oft wiederholen, da der Hund einige Male im Kreise läuft und schließlich umfällt, worauf er na- türlich befreit wird. Der ursprünglich waffenlose Mensch, der rechts und links nach Feinden auszuspähen hatte, hat wohl sehr frühzeitig die für seine Selbsterhaltung wichtige Fähigkeit erworben, auch mit seitwärts gewandtem Kopfe geradeaus gehen zu können. L. L-
Mergläubische Verbrecher. Es gibt wohl keine Menschenklasse, die abergläubischer Ist als die Verbrecher. Da sie in ewigen Gefahren und Abenteuern schwe- den, so müssen sie besonders darauf bedacht sein, das Glück an sich zu fesseln, und so nehmen sie ihre Zuflucht zu den uralten Mitteln, deren sich die geängstigte Menschhest immer bedient hat, um die Fügungen des Schicksals nach ihrem Willen zu lenken. In naivster Form wird da, besonders in Italien  , die Religion zu Hilfe gerufen. In St. Peter zu Rom   kann man, besonders wenn die Dämme- rung die Niesenräume mit ihrem Dunkel füllt, häusig unheimliche und malerische Gestalten sehen, die eifrig beten, um sich die nötige geistliche Stärkung" für die schwarzen Pläne zu holen, die sie in der Nacht ausführen wollen. Auch in Notre Dame   in Paris   be- grgnet man solchen fragwürdigen Erscheinungen, und in den romani- schen Ländern ist es überhaupt nichts Seltenes, daß der Uebeltäter sich vor der Ausführung seiner Untat die Verzeihung oder die Duldung durch die Religion zu sichern sucht. Bei uns dürfen aber wohl nur selten Berbrecher in den Kirchen zu finden sein. Ein überaus abergläubisches Volk sind die Apachen von Paris  . So gilt es für besonders glückbringend, wenn man den Buckel eines Buck- ligen berührt. Eine Pariser Vertirecherbande führte als ihrm Talis- man immer den Kopf einer toten Ratte mit sich, und al» diese Reliquie verloren wurde, da bekamen die Verbrecher die größte Angst, daß sie nun Pech haben würden. Die Verbrechelsekten des Orients kennen die settsamsien Bräuche. So wird z. B. von den Thugs vor jedem Verbrechen, das sie ausfübren, Ziegenmilch als Opfer für die Gottheit auf den Boden vergossen. Der Indier be- trachtet es als glückbringend, wenn er vor der Ausführung einer Uebellat nießt. Aus der englischen Derbrecherwelt erzählt ein Fach- mann, daßschwere Jungen" häufig einen Einbruch aufgeben, wenn das Haus einer Kirche gegenüber oder ihr benachbart liegt. Da- gegen gilt es als ein glückverheißendes Zeichen, wenn man in einen Laden oder in ein Haus einbricht, das in der Nähe eines Polizei. bureaus liegt. Ueberhaupt siedeln sich merkwürdigerweise Verbrecher häufig in der Nähe der Polizeistationen an, weil sie da» für glück- dringend halten. Ein abergläubischer Zug der Verbrecher ist es auch, daß sie Straßenbettlern stets Almosen geben und überhaupt wohl- tätig sind. Manche Taschendiebe tragen Kohlen- oder Kalkstückchen bei sich, weil sie glauben, daß sie dann Fortuna   an sich gefesselt haben. Ein erfahrener Hoteldieb wird sich niemals dazu bewegen lassen, in ein Zimmer einzudringen, das die Zahl 13 hat. In Eng- land, dem Lande der strengsten Sonntagsheiligung, feiert auch der Verbrecher am Tage des Herrn, well die Ausführung seiner Tat am Sonntag nach seinem Aberglauben unter ungünstigen Vorzeichen steht.