sammeln, wäre die Mitarbeit der republikanischen Frauen zur Vor« berenung der BerfassungSfeier ausgeschlossen. DaS Reichsbanner ist jedoch im Hinblick darauf, daß die Verfassungsfeier eine Volks- frier im wahrsten Sinne des Wortes sein soll, jetzt an die Fraueil- organisationen der republikanischen Parteien herangetreten und hat sie zur Mitarbeit aufgefordert.
Spart mit Sem Wasser! Täglicher verbrauch von l Million Sobikmeter Wasser Der Wasseroerbrauch in Berlin ist in den letzten Tagen wieder ganz e r h eb l i ch gestiegen. Täglich werden letzt in Verlin an- nähernd rund 1 Million Kubikmeter Wasser verbraucht, davon liefern die städtischen Wasserwerke mehr als die Hälfte, nämlich täglich rund MO 000 Kubikmeter und die Charlottenburger Wasser- werke 206 000 Kubikmeter, während der Rest auf die Großbetriebe, Eisenbahn und Selbstversorger ohne Anschluß an eine Wasserleitung entfällt. An vielen Stellen ist der Grundwasserbeftand gesunken. Zahlreiche Bäume, die infolge der anhaltenden großen Hifte mehr Wasser als sonst verbrauchen, sterben ab, verlieren die Blätter und vertrocknen. Man kann dies am Dönhoffplatz und in vielen Straßen beobachten. Angesichts dieser Kalamität und im Hinblick auf das Fallen der Wasserspiegel der Spree , Havel , Dahme sowie sämtlicher märkischer Seen wird darauf hingewiesen, daß es Pflicht der Bevölkerung ist, den Wasser- verbrauch einzuschränken, damit wir über diese Trockenverlode hinwegkommen. Bei weiter anhaltender Dürre und weiter steigen- dem Wasseroerbrauch ist es nicht ausgeschlossen, daß eine aber- malige empfindliche Wassernot eintritt, besonders wenn das Grundwasser weiter fällt und die Brunnen nur geringere Wassermengen liefern. Wie sehr der Wasserverbrauch in Berlin zugenommen hat, geht schon daraus hervor, daß die städtischen Wasserwerke heute rund SO 000 Kubikmeter Wasser täglich mehr fördern als 1922. Wer also eine unangenehme Störung in der Wasserbelieferung vermeiden will, der schränke seinen Wasserver- brauch etwas ein, bis die Trockenheit vorüber ist. Die EinlaSung zu einer Tasse Kassee. Wie weibliche Jugend verdorben wird. Ein übles Quartier wurde von der Kriminalpolizei in dem Hause Willibald-Alexis-Strahe 4 ausgehoben, dabei kam es zur Fest- stellung von geradezu haarsträubenden Einzelheiten. In dem ge- nannten Hause wohnte im hohen Erdgeschoß des Seitenflügels eine 5 0 Jahre alte Frau Franke, die vor 7 Jahren aus Staßfurt nach Berlin kam. Die jüngste Tochter dieser Frau, eine Ida Franke, die auf der Straße Männerbekanntschasten sucht und unter der Aufficht der Polizei steht, zog nun junge Burschen an sich und diese wieder holten lunge Mädchen heran. Zu dem Zwecke standen sie besonders im Biktoria-Park, lauerten dort Mädchen auf, sprachen sie an und luden sie ein, mit ihnen bei ihrer Tante in der Willibald-Alexis-Straße 4 eine Tasse Kaffee zu trinken. Die Mädchen, die ihnen ins Garn gingen, wurden in dein Quartier, zwei Stuben und Küche, die ebenso wie die dürftig« Einrichtung vor Schmutz starren, vergewaltigt. Mit anderen, an denen schon nicht mehr viel zu verderben war, feierten die jungen Burschen die wüstesten Orgien. Kriminalbeamte, denen solche Bur-' schen in den Anlagen auffielen, folgten ihnen heimlich, überraschten 4 in dem Quartier und nahmen sie fest. Andere werden noch gesucht. Es sollen 15 bis 16 Jungen beteiligt sein. Weil sie sich untereinander nur mit ihren Spitznamen riefen, so sind auch nur diese bekannt. Vergewaltigte Mädchen, die vielleicht aus Angst vor ihren Eltern die Vorkommnisse bisher verheimlicht haben, werden unter Zusicherung strengster Verschwiegenheit dringend ersucht, sich bei Kriminalkommissar Johanne» Müller im Polizeidienstgebäude in der Magazinstraße zu melden, ebenso ander« Leute, die da» unsaubere Treiben beobachtet haben. Frau Frank« wurde vorläufig in Gewahrsam genommen.
Die Kopfbedeckung der Schutzpolizei . Unter der augenblicklich herrschenden großen Hitze leiden natur- gemäß besonders die Berkehrsbeamten der Schutzpolizei . Um ihnen ihren schweren Dienst zu erleichtern, sind verschiedene Arten der Kopfbedeckung ausprobiert worden. So hat man auch versucht, die Verkehrsbeamten ihren Dienst in der Mütze ver- richten zu lassen. Aber auch die Mütze bietet keine nennenswerten Erleichterungen gegenüber dem Tschako, da sie keine Bentilations- öffnungen hat. Man Ist dann dazu übergegangen, die schwarzen Tschakos der Berkehrsbeamten zunächst probeweise mit weißen Ueberzügen zu versehen, um die Konzentration der Sonnenstrahlen durch die schwarzen Tschakos nach Möglichkeit zu vermeiden. Augen- blicklich stellt Professor Hahn von der Hygienischen Abteilung der Universität Berlin Versuche an, um durch Messungen der durch die verschiedenen Kopfbedeckungen erzeugten Wäremgrade die zweck-
mäßigste und luftigste Kopfbedeckung für die Verkehrsbeamten zu bestimmen. Hoffentlich kommt man recht bald aus dem Stadium der Versuche heraus zu einem praktischen Ergebnis, von dem die geplagten Schutzpolizeibeamten auch noch etwas haben. Im Grunde genommen hätte man den Beamten schon längst diese Erleichterung schassen sollen. Die gesamte Uniform ierung mit ihren schweren, eng anliegenden dunklen Stoffen, die die Hitze geradezu ansaugen, muß übrigens als für den Sommer ganz un- praktisch bezeichnet werden. UnÜ wieder ins Zuchthaus. Das einzige Wittel. Der Schuhmacher Karl P. ist ohne Frage ein Mensch, der sich nie wieder auf den Weg eines rechtlichen Lebens zurückfinden wird. Er selbst bringt dazu nicht mehr die Kraft auf, die Behörden stecken ihn— nur immer i n s Z u ch t h a u sl In der Verhandlung vor dem Schöffengericht in Moabit , P. hat einen neuen Ein- bruch während einer Urlaubszeit au» dem Zuchthaus begangen, kommt sein ganzes Leben zur Sprache! Schon die Großmutter des Angeklagten starb im Irrenhaus, sein Vater war notorischer Säufer. P. selbst ist schwerer M o r p h i n i st und war zwei Jahre lang in der Irrenanstalt In
SeMMm! Miklismli!iiie»M! heute Mittwoch von 4 Uhr ab, morgen Donnerstag, den ganzen Tag, sehr wichtiges Flugblattmaterial abholen vom vezirbssebretariat, Lindenstr. 3. U-Hof. 2 Trp. Slle Betriebe, auch Uleinbetriebe und Bureaus, müssen mit Flugblättern belegt werden!
Landsberg . Der Alkohol und die Na r t o t i k a sind die ständigen Begleiter der Jugend dieses schwachsinnigen Menschen gewesen. Nun kann es natürlich nicht oerwundern, wenn der Angeklagte bald ständige Bekanntschaft mit den Zuchthäusern macht. Aber man kann ihn hier nicht dauernd halten, sein Gesundheitszustand ver- bietet es, er wird wiederholt wegen Krankheit beurlaubt! Während des letzten Urlaubes geht P. zuerst zum Armenvorsteher und erhält eine monatliche Unterstützung von 10 Mk., in Worten zehn Mark...! Als diese ausgegeben sind, be- geht er wieder einen B o d e n d i e b st a h l in der Rosenthaler Straße. Durch die Aufmerksamkeit der Portlerfrau wird der An- geklagte aus frischer Tat ertappt und oerhaftet. Nun nimmt sich dieses Menschen wieder der Staatsanwalt an! Ein kurzer Antrag:— sittenloser Mensch.— Morphinist, Sauser, Gewohnheit»- Verbrecher,... menschliche Gesellschaft muß davon befreit werden! — 3 Jahr- Zuchthaus, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von ebenfalls 3 Jahren! — Da» Gericht ist derselben Meinung, Berufsrichter und— die Laienrichter auch! Und P. geht nun wieder in» Zucht- Haus, wird sicher wieder trank, dann wieder beurlaubt... bis zu seinem erlösenden Ende._ Wetter für Bettln nab Umgegend Heiter, trocken, heiß.— 56t Oeotschland Im äußersten Westen strichweise Gewitter, sonst überall trocken und sehr warm.
Das Kunäkunkproxramm. Mittwoch, den 22. Joli. AnCar dem Üblichen Tageeprogremm: B— 6.30 Uhr naehm.: Viertes Kinderfest der PnnV- Stunde. 7 Uhr abends: Dr. P. Vageier:«Das moderne Abossinien". 7.30 bis 8.16 Uhr abends: Hans-Bredow-Schnle(Bildungshurae). 7.30 Uhr abends: Abteilung Philosophie. Dr. med. Alfred Beyer, Oberregierungsrat im PreuSischen Ministerium für Volkswohlfahrt: «Psychologie für das tägliche Leben". 7. Vortrag, Praktische Auswertung", II. Teil. 7.55 Uhr abends: Abteilung Heilkunde. Dr. Paul Borinski: rDie Milch in ihrer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bedeutung". 6. Vortrag:„Die gewerbliche Verwertung der Milch*. 8.30 Uhr abends; Das deutsche Lied. Eine Vortragsreihe von Dr. Felix Günther, unter gesanglicher Mitwirkung von Karin Lindholm, Alfred Wilde, Maria Basca, Wilhelm Guttmann, Nora Pisling-Boas, Kammersänger Cornelia Bronsgeest 3. Abend. Schubert . Maria Basca singt ru dem Vortrage: 1. a) An die Musik(Schober), b) Erlofsee(Meyerhofer). e) Seligkeit(Hölty). 2. Lieder nach Goetheschen Gedichten: a) HeiQ mich nicht reden, b) G retchen am Spinnrad, c) der Musensohn, d) Liebhaber in allen Gestalten. Am Flügel: Dr. Felix Günther. 10 Uhr abends; Bekanntgabe der neuesten Tagesnachrichten. Zeitansage, Wetterdienst, Sportnachrichten. Theater und Filmdienst.
Der Tob im Wasser. Am Dienstag vormittag wurde die Leiche des am 10. Juli um 5 Uhr nachmittags ertrunkenen Schülers Alfred Panter. der bei seinen Eltern im Hause Schandauer Straße 76 in Neukölln wohnte, nahe der Grenzallee-Brücke aus dem Neuköllner Stichkanal geborgen und nach dem Schauhause gebracht.— Nahe dem M ü g g« l- s ch l ö ß ch e n zog man morgens um 7� Uhr die Leiche eines etwa 17 bis 19 Jahre allen Mannes aus dem Müggelsee. Auffallend sind sein langes blondes Haar und eine Overationsnarbe am Unterleib. Man schaffte die Leiche nach dem Friedhof in der Rudower Straße. Der junge Mann soll am Sonntag beim Baden ertrunken sein.— Aus dem Landwehrtanal landete man um dieselbe Zeit nahe der Unteren Freiarchenbrücke die Leiche eines etwa 30 Jahre alten Mannes, die schon längere Zeit im Wasser gelegen haben mußte. Anscheinend liegt ein S e l b st m o r d vor.— An der Herkules- Brücke zog man um Uhr früh die Leiche eines etwa 30 Jahre alten Mannes aus dem Landwehrkanal, die bereits mehrere Tage im Wasser gelegen hatte. Auch hier scheint es sich um einen Selbstmord zu handeln._ Noch einmal die Z?leischpreise. Unsere Ausführungen über die Fleischpreise haben begreiflicher- weise die Aufmerksamkeit der Interessenten erregt. Wenn die Fleischer-Berbands-Zeitung der Ansicht ist, daß wir trotz der Feststellungen, an der augenblicklich herrschenden Fleischteuerung seien die Ladenschlächter am wenigsten schuld, glaubt, daß wir be- sondere Freunde der Ladenschlüchter sind, so irrt sie. Der Verfasser dieser Aeuherung hat den Porwärts-Artikel nicht gelesen, dort steht ausdrücklich, die Ladenschlächter sind keine Engel. Sie nehmen nur deswegen von Preiserhöhungen in demselben Verhältnis in dem die Erhöhung der Biehpreise erfolgt Abstand, weil es augenblicklich nicht in ihrem Interesse liegt. Es kann aber auch einmal anders kommen, daß nämlich die Lodenschlächter die Treibenden bei den Preiserhöhungen sind. Daß die Engrosschlächter fich gegen die gegen sie gerichteten Angriffe wehren, ist begreiflich. Aber das Argument, daß auch Ladenschlächter reich geworden sind. Ist für uns noch kein Argument zugunsten der Engrosschlächter. Wenn jetzt noch durch das Kompromiß in der Zolltarifvorlage Vieh- und Fleischzölle eingeführt werden sollen, dann werden Fleisch und Wurst für die großen Massen bald etwa» werden, von dem man den Bericht wie die Märchen beginnen kann: E» war einmal!
Billig« Fischlage. Der Verein der Fischhändler von Groß-Berlin veranstaltet am Mittwoch, den 22. bis Freitag, den 24. Juli billige Fischtage und es kommen zum Verkauf frischer Kabliau und frischer Goldbars. Der Abgabepreis beträgt �ro Pfund 0,30 M.(Im Anschnitt etwas teurer.) Ferner wird frisches Krabbenfleisch abgegeben: der Preis hierfür beträgt für% Pfund 0,35 M. Die Fische werde» in ganz besonderer Qualität geliefert und sind in den Verkaufsstellen gut gekühlt vorhanden. Di« Verkaufsstellen sind durch Plakate kennt- lich gemacht, und befinden sich in den Lodengeschästen, Markthallen und auf den Wochenmärkten. Feriensahrlen veranstallet die.Stern'-Ges. jetzt täglich. Don Potsdam fahren die Dampfer Montag, Dienstag, Mittwoch, Freitag nach Paretz , Donnerstag vormittag nach Brandenburg . Von Berlin und Tegel die Dampfer nach Nedlitz und Potsdam , von Plötzensee (Bahnhof Beusselstraße), Mittwochs nach Oranienburg . Ebenso finden die Extrafahrten nach Teupitz außer Sonntag und Montag und nach Grünheide täglich statt. Neu aufgenommen sind billig« Fahrten nach Neu-Helgoland, die täglich zweimal morgen» um 10 Uhr und nach- mittag» um 3 Uh' ausgeführt werden. Auf der Linie Spandau - Pfaueninsel findet ab Sonntag ein zweistündlicher Berkehr statt. Verlegung von Straßenbahnlinien. Wegen Bauarbeiten verkehrt die Linie 54 vom 23. d. M. ab voraussichtlich bis Sonnabend, den 25. Juli, anstatt über Französische Straße— Schloßplatz— Breite Straße durch den Lindentunnel bis zum Kupfergraben. 7lew gorker Sänger in Berlin . Dienstag nachmittag trafen die auf einer Deulschlandreise befindlichen Mitglieder deS New Dörfer Beethoven-Ehors, 80 Herren und 70 Damen, von Hamburg kommend, auf dem Lehrter Bahnhof «in, wo sie festlich empfangen wurden. Zum Sroßdeutschen Tag und zur verfofsangsfeier find Fahnen, Banner sowie Girlanden uiw. preiswert im ReidiSbanner-Waren- Vertrieb, Sebastianstr. 37/88(geöffnet von 9—6 Uhr), zu haben.
Die Hitzewelle in Bayern . Die Hitzewelle, die über ganz Europa hereingebrochen ist, hat auch in Bayern «in starke« An- steigen der Temperaturen zur Folge gehabt. Die böckste betrug gestern mittag 27,3 im Schatten. Die Isar , die sich infolge ihrer starken Strömung nur sehr schwer erwärmt, erreichte gestern eine Temperatur von 21 Grad. Urteil im Affenprozeß. Nach einer Meldung au» Dayton ist Professor Seope» gestern vom Schwurgericht für schuldig erklärt und zu einer Geldstrafe von 100 Dollar verurteilt worden.
Sinnenspiel. Kl Aus einem Tagebuch. Mitgeteilt von Kurt Eisirer. Das war es nicht. Aus dem Geschwätz meiner Wirtin lernt« «ch bald die Ursache kennen. Es wurde mir klar, was mir längst ausgefallen, wie unheimlich still es im Dorf« war. Früher er- schienen Abend für Abend die vielen wohlhäbigen alten Schiffs- kopitäne, sonntäglich gekleidet, im Saale des Gasthauses, spielten Karten, tranken in bescheidener Andacht und ergötzten sich an einem munteren Geplauder, an dem Austausch reicher und bunter Lebenserfahrungen, bis sie zu gebührender Stund« ordentlich zu Weib und Kind heimwandelten. Arzt, Apotheker, der Poftsekre- tär und die paar Fremden mischten sich, nebst etlichen jungen Volk, unter die Gesellschaft der in behaglichem Ruhestand leben- den alten Schiffer— und der ganze Saal war erfüllt von leb« hastem Treiben. Jetzt erscheint nur am Sonnabend etn« einzige Stammgesellschaft als letzter Rest vergangener Herrlichkeit, nimmt an zwei Tischen im kleinen Nebenzimmer Platz, und versucht, ohne sonderliches Gelingen, die heiteren Gepflogercheiten früherer Zeiten aufrecht zu erhatten. Im Saal« gähnten derweil die paar Pen- sionäre und stöberten in uralten Zeitschriften und in der neuesten Nummer des Wochenblattes der Kreisstadt. Nach einer Weile verlassen auch die den Schauplatz.— Das Dorf ist zugrunde gegangen an den Dampffchiffen. Früher fuhren sie auf den stolzen väterlichen Dreimastern erst als Matrosen und Steuerleute, dann als Kapitäne auf dem eigenen Besitz. Hatten sie dann etliche Jahre so die Welt durchsegelt, so setzten sie sich zur Ruhe und lebten friedsam van dem Erwor. benen; die Söhne fuhren an Stelle der Alten. Und wenn das junge Volk der Schiffer eine langwierige Fahrt beendet, dann kehrten sie getreulich in die Heimat zurück und blieben dort so- lang-, bis der letzt« Pfennig verflossen. Ehlert erwies sich als das Asyl für die unruhigen Taler und ihre Inhaber. ver Niedergang der Segelschiffahrt hatte die Wohlhabenheit de, Dorfes zerstört. Die reichen Rentner sterben allmählich aus. ver Nachwuchs bleibt in ewiger Abhängigkeit, meist als Angestellte der Dampffchisfe. Mit den langen Ferien zwischen zwei Fahrten ist es aus. Sie fahren etwa jahraus jahrein zwischen New Jork und Honolulu , ohne eine Pause der Heimfahrt zu gewinnen oder mühen sich sonst in ununterurochener Arbeit. So fehlt jetzt die männliche Jugend und ihr Geld. Daran ist Ehlert verblutet wie das ganze Dorf. Di« paar Wochen„Saison" ersetzen nicht jenen Ausfall. Was für Badegäste ein« groß« Ausgabe, ist für die Einheimischen
nur eine winzig« Einnahm«, wenn sie den Ertrag für dos ganz« Jahr bilden soll. Dazu muh man für die verwöhnten und unansäs- sigen Herrschasten Aufwendungen machen: das Schiffsvolk war zu- frieden, wenn es frisches Bier und lustige Mädel gab. Man hat's dann mit der Fischerei versucht. Di« Boote nahmen stetig in Zahl ab: die Hochseefischerei lähmt auch diesen Erwerb. So ist ein breiter, frohsinniger Wohlstand lautlos zugrunde gegangen. Sie sind kaum recht zum Bewußtsein gelangt, was den Verfall eigent- lich verschuldet. Sie haben nicht geschrien, sondern sich in die schlimme Lage ruhig geschickt. Nur still fft das Dorf darüber ge- worden. Man tanzt nicht mehr, ich glaube: man liebt auch nicht mehr, sondern heiratet bloß. Wenn ich vordem am Sonntag mich ans Klavier in Ehlerts Saal setzte und leise einen Walzer begann, slugs merkt« ich, wie sich Schatten auf dem Hofe regten und etwas durch die Fenster spähte. Bald wagten sich zwei oder drei Mädchen, hell gekleidet, schüchtem in den Saal, die Arme ineinander geflochten. Andere Mädchen folgten, spazierten umher oder setzten sich bereits in ver- legener, lächelnder Keckheit auf die Bänke, die sich— mit rotem Kattun bezogen— längs der Wände hinzogen. Und ich weiß nicht, woher sie kamen, plötzlich war auch die junge Männlichkeit scharen- weise da. Man schwatzte und scherzte. Vater Ehlert schmunzelte. Die Tisch« wurden beiseite geräumt, und nun wurde getanzt. Dann mußte ich für da» üppige Honorar von einer Flasche Selter mit Himbeer die halb« Nacht durchspielen, nur biswellen abgelöst von dem Schulmeister, der dreizehn lebendige Kinder, ein« noch leben- digere Frau hatte, und seine hundert Schüler wacker für landwirt- schaftliche Hilfeleistungen heranbildete. Außerdem war dieser Schul- meister Vergnügungskommissar des Zukunftsbades, uird hatte ein großes Vergnügen daran, ältere Fräuleins zu nächllichen Mond- Icheinpartien am Strande zu geleiten-- eine Hauptnummer auf seinem Programm geselliger Unterhaltungen... Und wie sie tanzten! Als wenn die Leidenschaft selbst den Takt angab. Droht« die Morgendämmerung, dann» urde wohl noch ein gemeinsamer Erfrischungsspaziergang verabredet. Paarweise wanderten sie durch die Nacht, nur ich allem, froh über die Frohen, in den anderen genießend. Das Meor war das Ziel. Hier verloren sie sich in den Dünen. Ich lagert« mich in den Sand und lauschte. Mählich erstarrt das Flüstern und Kichern, und das Meer rauscht die Mär von der immerdar sich wieder«rzeugenden Ewigkeit der Kraft... Kam ich übers Lahr wieder, dann fand ich gar manchen der Burschen als braven Ehegatten und Familienvater wieder. »So plötzlich?" fragte ich. „Ja", meinte der Gefragte und lächelte verschmitzt treuherzig. »Ich mußte". Der Tanz, die Freiheit, die Jugeied und das Meer
mochte schuld sein an dem stattlichen Menschenschlag dieses Dorfes, das Hochzeit und Tauf« nicht allzu weit zu trennen gewohnt war. Die Liebesinsel nannte ich gern dieses abgelegene Dorf. Heute ist das vorbei. Man tanzt nur noch Sedan und Kaisers "Geburtstag, dann aber mit großem Apparat und der benachbarten Kreisstadtkapell«. Vor allen Dingen tanzt man nicht mehr ohne behördlich« Erlaubnis, und Ehlerts Nachfolger würde schwerlich jene vergnügten Improvisationen dulden. Es scheint mir, sie über- treiben ein wenig ihren Elfer, den Niedergang auch äußerlich zur Schau zu tragen. Früher traf man nicht selten Frauen, die bereits den dritten Mann hatten und doch in reizendster Jugendfrffche erstrahlten(der dritte war auch gerade zur See und schickte sich möglicherweise an, dem vierten Platz zu machen). Jetzt sind sie schon welk und haben noch nicht einmal den ersten. Ach, ich werde diesmal kein« Gelegenheit haben, m den Ge- schicken der anderen zu leben. Ich werde mir selbst ein Geschick schaffen müssen, aber wie da» anfallen?. « Binsensee, 10. Juni. Ich muß mich verlieben! Immer kehrt der Gedanke wieder... Aber warum ihn abweisen? Ist e» nicht ein Wink der Natur, die mir den Weg der Heilung zeigen will. Gewiß, der Gedanke ist durchaus nicht so ruchlos albern, wie er mir anfangs schien. Er fft sehr venünftig, weil er sehr kurgemäß fft. Ich würde eine mich ganz erfüllende Beschäftigung haben, etwas, an dem ich mich erfrischen und erheitern könnte. Und das schönste wird sein, daß dies Unternehmen für niemand Folgen haben wird. Ich werde mich theoretisch verlieben, mewen Sommerroman ganz allein anspinnen und durchleben, und mit dem Tage beendigen, an dem ich den Ort oerlaffe. Fehlt nur noch der Gegenstand meiner Kurliebe. der natürlich niemals erfahren wird, daß ich chn als Junglwunnen benutze. Ich werde einen Zyklus von LIebeslicdern in bloßen Gefühl-n und Phantasien dichten, ich werde einen Liebesroman erleben, der nur«in künstlich arrangierter Traum fft. Ich werde ein verheiratetr Don Quichot« sein, der seine Dulzinea sucht, findet und— ohne em Wort mit ihr zu sprechen— verläßt. Ich werde mich verlieben! Denn im Grunde glaub« ich, daß ich bereits Sehnsucht nach den Meinigen Hab«. Ich halte e, einfach die drei Monate nicht aus. wenn Ich mir keine Ablenkung schaffe. O, da suche ich Elender bereits Enffchuldigungsgründe für meine geplant« platonische Treulosigkeit: d. h. sie soll platonischer sein als Plato es gemeint hat. Aber schändlich bleibt's trotzdem. Was tut's! Ich bin zeitlebens tugendhaft gewesen, ich will wenigstens einmal nachempfinden, wie süß es ist, schändlich zu sein. (Fortsetzung folgt.)