Nr. 343 ♦ 42. Jahrgang
1. Seilage öes Vommrts
voanerstag, 23. Juli 1425
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Herlin vor einer neuen Vajsertataftrophe. Dividenden, aber kein Wasser.
Gerade zur rechten Zeit lasten die Tharlottenburger Wasserwerke in den HandelZteilen der bürgerlichen Presie folgende Rotiz zirkulieren, die wir dem„Berliner Tageblatt" ent- nehmen: Die Geschäftslage bei der Gesellschaft hat sich, wie wir er- fahren, im abgelaufenen Geschäftsjahr recht günstig entwickelt. Die Gesellschaft hat in den letzten Wochen nennenswerte Erweite- rungen ihrer Werke durch Neuanlagen von Brunnen in Johannis- thal und Beelitzhof vorgenommen, die ihr eine vergrößerte Ab- gäbe von Master ermöglichten und auch dazu beitrugen, den An- forderungen, die besonders in den letzten Wochen an sie gestellt wurden, nach Möglichkeit gerecht zu werden. Unter diesen Um- ständen dürste für das am 30. September ablaufende Geschäftsjahr jedenfalls mit der Ausschüttung einer befriedigenden Dividende zu reckmen sein, ohne daß es allerdings bis jetzt schon möglich ist, Details über die vorausstchtliche Höhe der Ausschüttung anzugeben. Nach Ansicht unseres Gewährsmannes dürfte in absehbarer Zeit mit einem Uebergang der Charlotenburger Wasterwerke an die Stadt Berlin , so begehrenswert das Objekt auch für die Stadt sein dürste, kaum zu rechnen sein, da die Kaussumme angesichts der an- gespannten finanziellen Derhältniste der Stadt wohl nicht so leicht auszubringen sein dürft«. Es ist jedenfalls bezeichnend, daß die kommunalen Käuje, die man längere Zeit in den Aktien beobachten konnte, in letzter Zeit zum Stillstand gekommen sein sollen. Also die Dividende wird befriedigend sein. Die Lieferung von Wasser an die bei der tropischen Hitze verdurstende Bevölkerung ist freilich sehr viel weniger befriedigend und die salbungsvollen Er- Mahnungen, die die Charlottenburger Werke durch die ihr gefügige Preste an die Bevölkerung erteilen �sten, sind ein Hohn auf die Zustände, die sich in den von den privaten Werken belieferten Stadtteilen herausgebildet Hadem Es wird ganz offen zugegeben, daß die Char- lottenburger Wasterwerke, die immer noch ungefähr um das Doppelle teurer find, als die städtischen Werke, gar nicht daran denkem ihre Anlagen so zu erweitern, daß sie unter allen Umständen leistungsfähig find. Die Herr- schasten berufen sich darauf, daß für die Ortsteile Schöneberg und Steglitz ein vertraglofer Zustand eingetreten ist.— Für manche Ortsteile Groß-Berlins laufen die Vertrag« mit der privaten Gesellschaft bekanntlich bis zum Jahre ZOOO! I Die privaten Werke erklären, daß sie nur dann neue Mittel in die Erweiterung ihrer Anlagen hin- einstecken wollen, wenn der Vertrag für Schöncberg und Steglitz verlängert wird. Sie rechnen dabei auf die Unterstützung ihrer Er- Prestermethoden durch die bürgerlichen Parteien im Rathaus. Die sind bekanntlich allein daran schuld, daß heute in einem guten Drittel Groß-Berlins die furchtbare Wasternot herrscht. Die bürgerlichen Parteien sind es gewesen, die die Soziall- sterung der privaten Wossergesellschaft im Preußischen Landtag im Jahre ISIS behindert Hadem Sie hallen auch heute noch schützend ihren Schild vor die skandalöse Gewinnsucht der Privatgesellschaft. Als im städtischen Haushaltsausschuß die Sozialdemokraten zum ersten Male an der Hand unwiderleglicher zifsermnäßiger Unter- lagen das Gebahren der privaten Werk« brandmarkten und als in- folgedeffen peinlich« Verlegenhell auf den Rechtsbänken herrschte, war es der allzell unentwegte Kammergerichtsrat Dr. Caspari, der so etwas murmelle, wie: Man könnte doch den Werten ohne Aussicht auf Gewinn nicht ein« Erweiterung ihrer Anlagen zumutem Dann sollen die privaten Werke vertragsmäßig doch ihre Rohranlagen in Schöneberg und Steglitz der Stadt ver- kaufen, damll die Stadt die Wasterlir'cnrng übernehmen kann. Das will die privat« Gesellschaft aber nicht._ Und sie� rechnet, wie aus
ihrer Pressenotiz hervorgeht, ganz offen damll. daß die Stadt finan- ziell nicht in der Lage ist. chren Crprestermethoden«in Ende zu machem Die Herrschasten werden sich dabei aber schwer schneidem Bor den Rathausferien haben die bürgerlichen Parteien es ver- standen, die öffentliche Besprechung des sozialdemokratischen Antrags zu verhindern, der in der letzten Sitzung der Stadwerordnetenver- sommlung«ingesetzte Ausschuß ist bi» letzt noch nicht zusammen- getretem Inzwischen pseift die private Gesell» schast auf all« Aufforderungen der Behörden mib setzt sich aufs hohe Pferd. Dabei zieht sie allein aus dem Ortsteil Schöneberg und Steglitz , bei einer Lieferung von jährlich mindestens 12 Millionen Kubikmetern, im Vergleich zu den Preisen der städtischen Werke, einen Extragewinn von mindestens 730 000 Mt. Mit welchen Gewinnen die Herrschaften auf Kosten der Bevölkerung arbeitem zeigt die Tatsache, daß sie ihr Friedenskapllal von 40 Millionen Mark schlankweg auf 60 Millionen Mark
heraufgesetzt Hadem well sie in der Inflationszeit durch Losgabe junger Aktien einen Kapitalzuwachs von rund 200 000 M. gehabt haben! Auf das so um die Hälfte hinausgesetzte Kapital geben sie 10 Proz. Dividende, d. h. die Friedensaktionäre bekommen 16 Proz. Dividende auf ihr voll erhalten gebliebenes Kapital. Und dann ver- langt man von der Stadt Berlin , unter höhnischem Hinweis auf die eigene finanzielle Ueberlegenheit, schlankweg die Verlängerung von Verträgen, die eine solch skandalöse Ausbeutung mit sich bringt. Diese Borgänge werden jedenfalls bei den Stadt- verordnetenwahlen eine wesentliche Rolle spielen. Jahrelang haben die bürgerlichen Parteien für die Entkommunali- sierung der städtischen Werke gekämpft und jetzt versuchen sie noch mit allerhand Schiebungen und Begünstigungen das Privileg der privaten Charlottenburger Gesellschaft aufrecht zu erhallen. Die sozialdemokratische Rathausfraktion wird jedenfalls alles tun, um die Bemühungen der städtischen Wasterwerksgesellfchaft auf Erweite- mng ihres Lieferungsbereichs zu unterstützen Für die Bevölkerung bedeutet das: Sicherstellung der Wasterlieserung, auch bei ungewöhnlich heißer Witterung und vor allen Dingen Wasterlieserung zu beinahe den halben Preisen. Insbesondere für die Kleingärtner, auf die die starke Steigerung des Wasterverbrauches zurückzuführen ist, bedingt das ganz wesentliche Ersparniste. Bei den kommenden Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung muß deshalb die bürgerliche Mehrheit, die in diesen Fragen vollständig versagt hat, unter allen Umständen beselligt werden._ Die Hitze greift in die Räöer... Der Arbeitskarren steht nicht still— es gibt keine Schonung für die Menschen der Arbeit, aber er geht langsam und gerät ins Taumeln, denn die Hitze greift in die Räder. Nichts Ist in unserer Stadt, mühseligen, fleißigen Erwerbsrtngens, was nicht erfaßt wird von der Last de? Hitzewelle. Ueberall, in Fabriken und Wohnstättem in Schreibstuben und Lagerräumen treibt sie ihr grausames Spiel, das uns besonders mißfällt, weil es uns so gut und liebendswürdig gemeint erscheinen soll, während wir am liebsten darüber in laute Verwünschungen ausbrechen möchtem Reim nicht nur in die Räder greift Herrscherlaune der Natur, sie maßt sich da» Recht an, alles unterzuordnen und umzustellen. Schauen wir doch die Straße an: macht sie nicht am Werktag den Eindruck des Festtäglichver- kümmerten? Wo bleiben doch nur all die schweren Lastfuhrwerke? Es scheint fast, als möchte man»die armen Pferde" schonen(bei den Menschen gibt es bekanntlich so etwas nicht). Und wie wenig Würde wahrt man jetzt im Straßentreibenl Di« vernünftige Art, keinen Hut zu tragen, Ist allgemeine Mode geworden, sehr viele Leute, die sonst peinlichst auf Kleidung halten, ziehen die Bequem- lichkeit der Vornehmheit vor— und die Zahl der Stehkragen- Proletarier verringert sich bedenklich. Der eine und ander« hält Weste und Rock für überflüssig, während verhältnismäßig wenig Leute auf die Zweckmäßigkeit des Barfußgehens in Sandalen ver- fallen. Die Hitze greift in die Räder, die Straßen sind leer und die Geschäftsleute haben ziemlich zu klagen— wenn es nicht Wirte, Obst- und Eishändler sind. In manchen Wirtschaften ist es schwer, «ine Selter zu bekommen— so überfragt ist dieser harmlose Artikel des täglichen Bedarfs. Welch« Freud « bei den kleinen Eishändlern der Straße! Sie haben nur ganz kurz.Saison"— aber jetzt ist sie da, und zwar recht ausgiebig. MancherArbeitslose, der die Gelegen- heit benützt, schafft sich durch den Handel bessere Tag«— leider nur vorübergehend, denn die ersten Regentag« bringen wieder gründ- liche Aenderung. So sehen wir den Menschen der Arbeit immer w Abhängigkeit von der Natur, unterworfen ihrem Spiel, in dem doch so tiefer Sinn steckt. Aber auch hier gibt es Abstufungen— wer seine geordnete Arbeitstätigkeit hat. dem muß man wohl nachsehen, wenn er nicht so viel leistet wie sonst, aber freie Arbeitstätigkeit oder Akkordarbeit sehen sich zu wahrer Höllenqual verdammt. So stark greift die böse Hitze in die Räder, daß die armen Dichter, be- rufen zu ihrem Lob, vor Wut über sie— schwitzen(was gar nicht schwer fällt). Wie soll man die Natur besingen— wenn einem nichts einfallen kann? Aber trösten wir uns— der erste Regen wird auch wieder mehr Gedichte bringen, wa« sicherlich dringend notwendig ist.., denn die Dichter brauchen auch den schnöden Mammon.
Sei 40 SraS im Schatten. Gefährliche Symptome. Diese Temperatur birgt etwas Gefährliches in sich. Wenn das mit der Temperawrkurve so weiter geht, wird sich dt« Milch der frommen menschlichen Denkart bald fürchterlich in gärend Drachen- gift verwandeln. Bei 40 Grad im Schatten! Es ist um die Mittagszeit. Tropen- glut lastet über dem Potsdamer Platz Unheimlich glast da« slammengeladene Auge des so gar nicht loyalen Himmels über dem Tohuwabohu der Autobuffe, Kraftwagen, Straßenbahnen und Fuhrwerke. Ein dicker Mann mit gutmütiger Physiognomie sucht dem polizeilichen Verordnungsapparat gemäß den Strich zu über- queren. Er ist schwer beladen mit Päckchen und Paketen. Ein anderer, dünngliedrtger kommt ihm eilends entgegen. Rempelt ihn an. Versehentlich natürlich. Die Last segelt zu Boden. Der Atten- täter lüftet leicht den Strohhut. Da aber explodiert der Gutmütige. rasend vor Zorn, mit blauem, wutverzerrtem Gesicht: Elender Lümmel, Sie. Nehmen Sie sich in acht, Sie verdammter Zdiotew- b enget. Rieskier' ja keine Lippe, du... Der also Apostrophiert« kommt erregt protestierend zurück. Auflauf. Schweißtropfend« Dispute. Das übrige Donnerrollen verschlingt der Lärm. Der Dicke ist sicherlich sonst der verträglichste Mensch unter der Sonne. Aber die Hitze.... Da geht halt alles aus den Fugen. — In der Norckstraße ist in den späten Nachmittagsstunden ein großer Auflaus um einen Straßenbahnwagen. Was war geschehen? Wagen und Trittbretter sind überfüllt. Jemand schwingt sich noch im Fahren hinaus, klemmt dicht am Wagensteg. Der Schaffner: „Steigen Sie ab!" Der andere repliziert:.Ich denke gar nicht daran!".Machen Sie, daß Sie runter kommen, zum Himmel- donnerwetter!".Komm nur her, verdammter Lmiseknochen." Der Schaffner, bebend an allen Gliedern, vor Zorn kaum noch seiner Sinne mächtig, zieht schrill die Lein«. Der Wagen steht. Furchtbares Geschrei. Erhoben«, geballte Hände. Zwei Echutzpolizksten kommen im Laufschritt heran.. J Hitze.... Hitze...!
Rekordbilanz der tödliche« Badeuufälle. Am Dienstag haben sich wiederum ein« größer« Anzahl v» glücksfälle beim Baden ereignet. Der 20jährige Robert Zähl»« darf aus der Wilsnacker Str. 26 und der 48jährig« Robert Krüger aus der Stephanftr. 36 gerieten beim Baden im Freibad Plötzensee in einen Wasserstrudel und ertranken, ehe ihnen Hilf« gebracht werden tonnte. Di« Leichen konnten noch nicht geborgen werden. Beim Baden in der Spree ertranken der Expedient Ma- titschte aus der Rathenower Str. 33 und der in Lichtenberg wohnhaste 60jährige Wilhelm Grosse, Tasdorfer Str. 16. Dem Reichswasserschutz gelang es, die Leichen der Ertrunkenen zu bergen. Im Freibad Wilhelmstrand bei Köpenick ging der 22iährtg« Otto Abraham , Edijonstr. 26, von einem Herzschlag betroffen, unter. Trotzdem sofort angestellter Rettungsversuche gelang e» nicht, den Unglücklichen zu retten. Drei junge Leute im Alter von 20 bis 22 Iahren ertranken bei Jörsfeld« in der Hovel. Hier konnten die Leichen geborgen werden. Auch hei Potsdam find zwei junge Leute ertrunken, die sich au gefährlicher Stelle in» Wasser gewagt hotten.« Besorgt Fahne« zar Berfass«agSf«ier! Das ganze republikanische Berlin rüstet mit Eifer zu der die«- jährigen Berfa ssungSfeier.«u« Anlaß des BerfosiungS- tage« und der Ankunft unserer deutschösterreichische» Brüder wird die republikanische Bevölkerung Berlin « gebeten, am S. und V. August die schwarzrotgoldenen Fahnen der Republik zu zeigen. Kein Hau« in Broß-Berli» darf a« diesen Tagen ohne Flaggenschmuck sein. Daher ist eS angebracht baß die Republikaner schon jetzt Borsorge treffen, daß sie am Verfassungstag über die notwendigen Flaggen verfügen. Soweit nicht alt« Flaggen umzuändern find oder Flaggen von dey Ort«» vereinen bergestellt werden, empfieblt«S sich schon jetzt, die Flagge» in den in Frage kommenden Geschäften und Kaufhäusern zu besorge» oder zu bestellen, da erfahrungsgemäß kurz vor einem solche« großen Festtage die Fahnen allgemein ausverkauft find. Soweit Fahnen nicht in den einschlägigen Geschäften Vorhand«» sind, find sie im Warenvertrieb de« Reichsbanners Schwarz-Rot- Gold, Berlin E. 14', Sebastianstraße 87— S8, zu kaufen. Selbfhnorb eines Charakterkomiker». Einer der originellste» Berliner Schauspieler. Max Kronert . hat sich in letzter Nacht, � in der Badewanne fitzend, erschossen. Hinter der anscheinend immer' guten Laune Kronert« barg sich eine schwere Melancholie, die z» seinem Selbstmord geführt hat.
Sinnenspiel. sss vu» einem Tagebuch. Mitgeteilt von Kurt Eisner . Die nächsten Tag« sollen bereits von meinen Abenteuern be- richten. Ich werde mich unbarmherzig in ein weibliches Wesen ver- lieben. Mitgift braucht e« nicht zu besitzen. Auch ein armes Fräulein also kann zuweilen noch sein Glück machen, wenigstens in den Ge- danken eine» Mädchensonntagsjäger». Uebrigens: Frauen und Wjtwen ausgeschlossen. E» muß etwas Junges, Freudiges, Reines, Aufschauendes sein. Und zum nächsten Geburtstag schenke ich meiner Frau die lockeren Tagebuchblätter als Dokument bübischer Narretei.... Was stört mich dieser Einsall gleich am Anfang meiner Abenteuer! Ich fürchte, ich bin unverbesserlich: Ich bleib« selbst in Gedanken tugendhaft. Trotzdem: Ich wag'sl Binsensee. 11. Juli 189. Als ich vor zehn Sahren hier war. kannten wir uns alle. Es waren immer die gleichen Fremden, die Jahr aus, Jahr ein kamen und ein fröhlich vertrautes Wiedersehen feierten. Ja, so fremd wir uns waren, so wenig intim wir wurden, wir erwarteten mit einer Art Sehnsucht unser Wiederkommen, und trauerten, wenn einer der gewohnten Tafelrunde in dem einzigen bescheidenen Gast- haus fehlte. Seitdem hat sich auch dies geändert. Nicht nur kein bekanntes Gesicht, das hätte ich vergessen können, auch kein Name, der Erinnerungen weckt. Ja, doch einer: der Assyriologe bringt immer noch hier seine zwei Sommermonate zu. Bor zehn Jahren freute ich mich über ihn. wenn ich ihn im Bade sah. Er war tnaben- hast schlank, weiß, gewandt und von einer rührenden Unbewußt. heit und Reinheit— so deutete ich es wenigstens. Er war damals nnveiche, ratet. Heute hatte er ein« statllichs Frau und ein« Schar hübscher Kinder, die den ganzen Tag nackideinig im Sande spielten. Wer er selbst ist dick geworden, schwammig, graugelblich angelaufen, b* rote Badehof« steht ihm nicht mehr. Berühmt ist er schon vor zehn Jahren gewesen. Ich weiß nicht, ob sich sein Ruf verweile vermehrt hat. Aesthetisch hat er jedenfalls verloren. Ob ich mich nichr auch ähnlich verändert Hab«? Eines beruhigt mich: dick bin ich sicherlich nicht geworden; dos ist keine subjektive Mutmaßung, sondern eme obsektw« Tatsache. Aber ob nicht mein Geistiges grau- Odm an*fanf« PZj
Binsensee. 12, Juki. Ich versuche nach Kräften, als Epezialtunnlttel«in bißchen mich abenteuernd zu reizen, theoretisch über die Sträng« zu schlagen. Es gelingt mir nicht. Es sind keine.Gegenstände" da. Das einheimische Weibsvolt scheint ausgestorben. Nur Hexen und unreifes Fleisch, ein« Art ungebovener Kälber sind übrig geblieben, beides ungenießbar. Und früher blühten doch diese feinfarbigen, hochgewachsenen, frischen Mädchen reichlich wie die Butterblumen! Sind sie zusammen mit dem Geld und Gut verschwunden, oder sind mein« Sinne instinktiver und mein« Augen anspruchsvoller ge- worden? Unter den Badegästinnen vollends sprießt nichts Lockendes. Sie sind all« so seldstverständfich, so genau ausgerechnet. Uebrigens scheint es mir auch, als wenn man mich weniger prote- giert als früher. Ob deshalb, weil ich den Trauring trage, oder bin ich sonst unliebenswürdiger geworden? Ein« Zeitlang war es mir, als ob es möglich wäre, das hormlose Sinnenspiel. das ich aus Kurzwecken für notwendig halt«, an dem rosigen Fräulein zu entfesseln, das jeden Morgen zu gleicher Zeit mit mir zum Baden wandelte. Auf der schmalen Holzbrück«, die über den Strom führt, stoßen wir fast zusammen, wie zwei schlecht rangiert« Eisenbahnzüge: dann auf dem kleinen Dünengrasrundell scheiden sich unsere Weg«, die zum Damen- und Männerstrvnd führ«n. Die blaßrot gefütterte Helgoländerfchut« wirst«inen lieblichen Schein auf ihre Wangen, die Augen sind ein wenig zu hell, ober dos Ganze hat etwas Kühne». Lautere» und Gesundes, Dingsames und Starkes, und ihre Finger sind lang und schlank. Da hörte ich sie neulich singen, mit schwacher Stimme und blutarmer Stimmung, vernahm, daß sie eine Konzertsöngerin sei und bemerkte, wie sie inn ein paar.hohe" Persönlichkeiten flattert«, deren Protektion sie für die Veranstaltung eines Konzerts in chrer Stadt zu er- schmeicheln wünschte. Ach, also eine von den Armen, Talenilosen, Kunstgewerblichen, die ihr ganze» Leben lang nichts ander» tun. wie von dem Wohlwollen hochmögender Leute Gelegenheit zu musikalischen Exekutionen und Einnahmen zu ertist«. Dos Frau- lein war mir nun auch zu ausgerechnet! Ich schloß mich dann an die beiden ledigen Töchter des Land- gerichtsrats an. Beide sehr differenziert« Geschöpfe jener Gattung, die uralt auf die Welt kommen und dann nicht mehr älter werden. Doch eigentlich hatten sie überhaupt kein Alter. Sie waren zeit- lich indifferent wie aus der Paarung von zwei Strafprozeß. Paragraphen entstanden: aber jede» von verschiedenen Pom.
graphen. Brav«, nicht»nrtCuge«nd ummterrichtet« Mädchen. Ich plauderte mit ihnen von meinen Kindern, die nach allgemeinem Urteil schön sein sollen, erweckte damll sichtlich in den Aermsten «in fast sehnsüchtig«, Interesse, und am nächsten Tage brachten sie ihre gesammelten Bernsteinfchätze, dämlt ich sie meinem Buben und den Mädchen von der Reise mitbrächte. Ich gebe mir Mühe, zu finden, daß die noch nicht einmal häßlichen, well neutrale» Mädchen, die niemand reizen, menschlich die besten seien. Ich schätze auch diese tüchtigen Exemplare der Menschheit und plaudere gern mit ihnen. Aber abenteuerliche Gefühle erwecken sie leider nicht, und gerade die habe ich mir doch verordnet, um mich von der Erschlaffung zu hellen, die mich all die Jahr« hinabzog, dl, ich zusammenbrach. Rur ein Spiel soll es sein, nur«in Spiel aus der Ferne, da» ich ganz allein gcheinmisvoll in meinen Träume» schaff«, ohne daß die Fe« je etwa» davon ahnt, die ich für die Komödie meiner Sinne als Heldin brauche. 16. Juli. Heute abend lag ich in dem warmen Dünensand und dämmerte mit meinen kurzsichtigen Augen, an denen die halb« Well für mich stirbt, in die lautlose See. Ich erinnere mich jene» Mittag»- zaubers, den ich als Jüngling an derselben Stelle erlebt. Ich hatte mich w der Glut der Zenits mm« in die Düne gestreckt vnft plötzlich war ich wie gebannt. Ich schlief nicht, ttäumt« nicht, aber ich vermochte kew Glied zu rühren, nichts zu denken, nichts in die Erinnerung zu rufen. Decke! hört« ich deutlich das Stimmengewirr der Strandgöst« wie«in fiefes unterirdisches Tosen, da» über wich Wehrlos-Wachen strömte. Ich war abgestorben, außer für das Ohr und für qualvoll grausende Furcht: wenn diese Starre nun niemals mehr von mir wiche! Irgendeine winzige Hemmung t» der Blutzirkulation und wir haben aufgehört Mensch zu sei». Jude» der Mittagszauber hatte aufgehört, als der treffliche Schlossermeister au» Berlin dicht an mir vorbeffchrill and mich brüllend anrief, die Kegelpartie nicht zu versäumen, die wi? täglich vor der Tadle dTiote vorzunehmen pflegten. Dann war das Gespenst für immer verschwunden, bis«» bei Beginn jener letzten Krankheit den Zuafnmrenbruch ankündigte. Heute schreckte es mich nicht. Ich fühlte mich frei und leicht genesen in Salzlust rmd Einsarnkeit. w der t» mir selbst gehöre. (Fortsetzung folgt) j