Nr. 347 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 178
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
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Sonnabend, den 25. Juli 1925
Diese Demonstration war Aufruf und Auftakt zum Kampf, ein Kampfruf an alle, die es angeht, die von den Zoll- und Steuerplänen der Reichsregierung bedroht werden, eine Mahmung an die Mehrheitsparteien des Reichstages, die Unrecht auf Unrecht häufen wollen. Sie sind nicht unabhängig auf unrecht häufen wollen. Sie sind nicht unabhängig vom Willen des Boltes, und das Bolf wird über das Unrecht richten!
Am Brandenburger Tor , am einen Ende der Linden, tagt| Borteiles willen auferlegen wollen. Gegen jie der Reichstag . Er beriet gestern nicht die großen Wirtschafts- richtet sich die Empörung, der Prote ft, ihnen gilt der und Steuergesetze, zu deren Durchpeitschung er noch verfam- Kampf. melt ist. In aller Eile erledigte er das Personalabbaugesetz und begann die Beratung der Amnestievorlage. Die Parteien, die durch ihre Zoll- und Steuerpolitik dem werftätigen Volfe fchwere Laften auferlegen wollen, beschloffen gestern in aller Eile ein Ausnahmegefeß gegen die verheirateten Beamtinnen. Ein Pleines Unrecht- fo fönnte man sagen gegenüber dem gewaltigen Unrecht, das die Zollvorlage der Regierung und der Rechtsparteien gegen das ganze Bolt bedeutet. Aber Unrecht bleibt Unrecht, und die Parteien der Mehrheit des Reichs= tags häufen Unrecht auf Unrecht.
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Zur selben Stunde vollzog sich am anderen Ende der Linden, im Lustgarten, der Aufmarsch der Demon stranten gegen 3ollwucher und Lebensmit telteuerung. In allen Zugangsstraßen marschierten die Züge der Arbeiter, die dem Rufe der Berliner Arbeiterorga nisationen gefolgt waren. Rot und schwarzrotgold leuch teten die Fahnen in den Straßen und wogten im Luftgarten. Jm Lustgarten versammelten sich die Vertreter der Massen, die von den Zollplänen und Steuerplänen der Mehrheit des Reichstags bedroht werden, zum Protest. Zum Protest da gegen, daß diese Mehrarbeit über ihr Wohl und Behe hinweg fchreitet ohne Verständnis für die bange Sorge, die das werftätige Bolt quält, wenn es sich überlegt, wie es werden soll, wenn die Pläne der Zollparteien Gefez merden.
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Durch die Straßen marschierten nach Arbeitsschluß die Züge der Demonstranten. Die Kampflieder der Arbeiterschaft erflangen, die Fahnen leuchteten. Dieser Marsch zur Demon stration im Luftgarten war eine ernste Mahnung an die gesamte Bevölkerung, an alle, die sich in den Straßen und Straßenbahnen drängten, während die Demonstranten zum Lustgarten marschierten. Dieser Marsch zur Demonstration rief ihnen zu: um euch und um euer Geschid, um euer und eurer Kinder Wohl und Behe handelt es fich! Es gilt den Mehrheitsparteien des Reichstages zu zeigen, daß ihr euch nicht willenlos unterwerfen wollt, wenn sie Elend und Leiden über die Massen des merftätigen Voltes verhängen wollen. Wir demonstrieren, wir marschieren, nicht mir für uns, für euch. für euch und eure Kinder, für die wirtschaftliche Zukunft unseres Boltes! Bir marschieren- warum seid ihr nicht dabei? Warum marschiert ihr nicht mit uns, warum erhebt ihr nicht eure Stimme mit uns?
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Im Lustgarten strömten die Demonstranten zusammen, wohl an Hunderttausend. Trog der fürchterlich drückenden Hige tamen sie in stundenlangen Märschen. Berlin hat gewaltigere Demonstrationen gesehen, erregtere Maffen- und hoch war diese Demonstration, die viele Fahnen, viele an flagende Schilder und Blatote mitführte, eine eindrudsvolle Rundgebung, eine ernste pofitische Demonstration gegen das Schwere, das auf die Schultern der Massen gelegt werden soll. leber der Demonstration die roten Fahnen das Symbol der fämpfenden Arbeiterschaft, die sich nicht unterwirft, wenn fie niedergedrückt werden soll, die sich ihrer politischen Bedeu tung, ihrer Kraft und ihres Willens bewußt ist!
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Die Mehrheitsparteien des Reichstages mögen ihre Augen vor den demonstrierenden Maffen des werftätigen Bolles vers schließen, fie mögen auf ihre zahlenmäßige Mehrheit im Barlament poten die Massen des werttätigen Bo tes find da! Ihr Wille, ihre Empörung ist nicht minder ein politischer Faftor, wie der Wille der Intereffenorganfationen, des Reichslandbundes, des Reichsverbandes der deutschen Industrie, die der Regierung ihren Willen diftiert haben und durch die ihnen gefügigen Parteien ihren Willen im Parlament zum Gesetz erheben. Die Bertreter der Maffen des werftätigen Bolkes haben ihnen gestern im Lustgarten ihren Protest in die Ohren geschrien. Sie werden den Kampf gegen die Wucherpläne der Reichstagsmehrheit fortfehen. Er wird nicht zu Ende sein mit der Annahme der Zollgefeße und Steuergeseße im Reichstag -er wird fortgesetzt werden, mit dem Stimmzettel bei fommenden Entscheidungen nach den Borschriften ber demokratischen Berfaffung, in den großen Lohnfämpfen, die nach der Annahme folcher Geseze die Arbeiterschaft führen muß, wenn fie nicht zu Boden finfen will.
Die Fahnen der demonstrierenden Arbeiterschaft mehten geftern im Luftgarten. Zu ihnen Sprachen die Redner der Sozialdemokratie, die Massenpartei der Arbeiterschaft. Die Entschließung, die den Demonftranten von den Arbeiterorganisationen vorgelegt wurde, der sie einmütig zustimmten, ist flammender Broteft gegen kommende Teuerung und gegen Die Massen wissen, daß Teuerung und not nichts unabmenbbares find, das getragen merben muß Ste tennen die Interessen und Gruppen und Barteien, die sie ihnen des eigenen
tommende Not
Die Proteftentschließung der Demonftranten. Der Ortsausschuß Berlin des Allgemeinen deutschen Gewert. schaftsbundes, das Ortskartell Berlin der Afa, der Ortsausschuß Berlin des Allgemeinen deutschen Beamtenbundes und der Bezirks Derband Groß- Berlin der Sozialdemokratischen Partei schlugen den Demonstranten die Annahme folgender Entschließung vor:
„ Die am 24. Juli im Luftgarten versammelten Maffen des werttätigen Bolles von Berlin haben mit Empörung von den 3011plänen der Mehrheitsparteien des Reichstags Kenntnis genommen.
Der fogenannte ladenlose 3olltarif, der alle Einfuhr von Lebensmitteln nach Deutschland mit hohen Abgaben belegt, muß die jetzt schon vorhandene allgemeine Teuerung bis ins Unerträgliche fleigern. Breite Boltsmaffen, die jetzt schon nicht mehr imftande find, die Ausgaben für den notwendigsten Lebensunterhalt zu erfind, die Ausgaben für den notwendigsten Lebensunterhalt zu erschwingen, werden dadurch ins Elend gestoßen und der Verzweiflung überantwortet
Während Cohne und Gehälter in Deutschland niedriger find als in irgendeinem anderen Industrielande der Welt, sollen die Lebensmittelpreise fünstlich über den Welt marktpreis erhöht werden. Verteuerung der Produffion, Rüdgang des Exports, Berminderung der Arbeitsgelegenheit sind die unausbleiblichen Folgen.
Zugleich mit der Steigerung der Lebensmittelpreise soll durch die Gesetzgebung des Reichs eine Erhöhung der Wohnungsmieten bis zur Friedenshöhe und darüber hinaus herbeigeführt werden. Die tatastrophale Wirkung der geplanten gefeßlichen Maßnahmen wird dadurch ins unermeßliche gesteigert.
Die Versammelten erheben gegen diefe Pläne, die nur der Bereicherung einer Minderheit dienen, aber allen Gefehen einer verreicherung einer Minderheit dienen, aber allen Gesetzen einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und allen Geboten der Menschlichkeit sohn fprechen, schärfften Protest.
Sie geloben, im Kampf gegen fie zusammenzustehen und ihre gewerkschaftlichen und politischen Abwehrorganisationen zu stärken. Nur durch Einigkeit kann das schaffende Bolt die Macht gewinnen. alle Anschläge auf sein Lebensrecht fiegreich zurückzuweisen. An die Mehrheitsparteien des Reichstags richten die verfammelten Maffen einen Ruf dringender Warnung. Durch ihr Berhalten treten sie die Intereffen von Millionen und aber millionen ihrer eigenen Wähler mit Füßen, beschwören sie die Gefahr wirtschaftlichen Ruins für Ungezählte und schärffter klaffentämpfe herauf. mögen fie fich deffen bewußt sein, daß das Bolt fie für ihre Hand tungen zur Berantwortung ziehen wird!"
Nach den furzen Ansprachen der Redner der freien Gemert. schaften und der Sozialdemokratie erhoben sich die Fäufte der ver. fammelten Maffen für diese Entschließung- ein fraftvoller Ausdruck des Protefts, ein Gelöbnis zum Rampf.
England für eine Ententekonferenz.
Um die Antwort au Deutschland zu beraten. London , 24. Juli .( Eigener Drahtbericht.) In guf unterrichteten Kreifen verlautet, daß die englische Regierung nicht einen schriftlichen, sondern einen mündlichen Gedankenaus. tausch innerhalb der Entente über den Inhalt der deutschen Note und die Beantwortung wünscht. Es soll sich vor allem um eine Auseinandersehung der juristischen Sachverständigen in den einzelnen Außenminifterien handeln, da sowohl die Note Briands als auch die deutsche Antwort starte juristische Bafis haben. Man spricht sogar davon, daß die Juristen u. a. auch einen vor läufigen Entwurf für den Pakt und für die Schiedsgerichts verträge aufstellen, der den Ausgangspunkt für später zu veranstaltende mündliche Unterhaltungen der Außenminister bilden könne.
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In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag entschlief im Alter von 78 Jahren still und friedlich Ottilie Baader . Damit endete ein arbeitsreiches Frauenleben, das sich im Dienste des Sozialismus und der Frauenbewegung erschöpft hatte.
Ottilie Baader wurde am 30. Mai 1847 zu Frankfurt a. d. D. geboren. Selbst erzählte sie uns, in wie dürftigen Verhältnissen sie aufgewachsen sei. Die letzten freundlichen Lichtblicke ihrer Kinderzeit datierte sie vor ihr fiebentes Lebensjahr zurück. Ihre Mutter starb früh. Von ihrem Vater; der eine beffere Schule hatte besuchen können, aber nicht Gelegenheit fand, seine Kentnisse für die Existenz seiner Familie zu verwerten, lernte fie lesen und schreiben. Nur 3 Jahre, von ihrem 10. bis 13. Jahre war es ihr vergönnt, die Volksschule in Frankfurt a. d. O. zu besuchen. Nach dem Tode der Mutter entbehrten die Geschwister, von denen sie die zweitälteste war, jeder weiblichen Fürsorge, da der sehr geringe Verdienst es dem Bater nicht gestattete, sich Hilfe ins Haus zu nehmen.
Für das herangewachsene Mädchen begann eine Zeit schwerster Sorgen und Mühen bei geringem Berdienst. Sie erlebte in ihrem Existenzkampf die Einführung der Nähmaschine, lernte den Einfluß dieser technischen Errungenschaft auf das Wirtschaftsleben und ganz besonders auf die Existenz der Frauen tennen und erlebte nach den Erfahrungen, die sie bei der Fabritarbeit machte, auch das bittere Los der Heimarbeit als wäschenäherin. Anschaulich plauderte sie oft von den ganz spontanen Lohntämpfen während des Krieges. 1870/71 und den wirtschaftlichen und politischen Erfahrungen der damaligen Zeit. Sie gehörte dann nach dem Krieg eine Zeitlang dem Arbeiterinnenverein von Lina morgenstern an und sagte selbst von sich, daß sie damals noch nichts vom Sozialismus wußte. Einen sehr starken Einbrud hatte aber auf Otilie Baader Bebels Buch„ Die Frau und der Sozialismus" gemacht, das sie neben anderen Schriften mit ihrem Vater gemeinsam gelesen hat. Die damals lebenden Vorfämpferinnen der Arbeiterinnenbewegung zwangen ihr volle Achtung und Bewunderung ab. Der Bater Ottilie Baaders fah es als selbstverständlich an, stets gemeinsam mit seiner Tochter die Versammlungen der Arbeiter zu besuchen. Neben der väterlichen Güte war das auch der Egoismus des Aelteren, und wurde von Ottilie so empfunden. Wenn er nicht das Bedürfnis empfand, in die Berfamlung zu gehen, so glaubte er auch das Interesse bei seiner Tochter nicht vorhanden. Je mehr sich aber Ottilie eine eigene Meinung bildete, empfand sie die väterliche Bevormundung als einen Drud. Von diesem Bewußtsein bis zur inneren persönlichen Freiheit war nur noch ein Schritt. Die erste Versammlung, in die sie allein ging, war von den Schäftearbeitern einberufen. Ein Bertreter der HirschDunderschen Gewerkvereine trat als Redner auf. Er fand aber durchaus nicht den Beifall der anwesenden Frauen und einer raschen Eingebung folgend trat ihm Ottilie Baader entgegen. Sie erntete von der Borsigenden der Versammlung den Ausspruch: Die Frau, die jetzt gesprochen hat, hat bas einzig Vernünftige vorgebracht, was zu dieser Sache zu fagen ist.
In der Folge wird Ottilie Baader an allen Bersammlungseinberufungen der Frauen beteiligt, die damals wäh rend des Sozialistengefeges und nachher notwendig waren, wenn die Frauen der Arbeiterfreise überhaupt die Möglichkeit haben wollten, sich mit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage und mit dem Sozialismus zu beschäftigen. Damit stand sie mitten in der Frauenbewegung und im persönlichen Berkehr mit Frauen wie Emma Jhrer, Agnes Babnih, Pauline Staegemann u. a., war beteiligt an dem erbitterten Kampf, den die Frauen in der damaligen 3eit auszufechten hatten. Daß sie sich leidenschaftlich für die Biele der Sozialdemokratischen Partei intereffierte, war bei Ottilie Baader selbstverständlich. Ihre jederzeit klare und fach liche Einstellung, ihre einfache menschliche Art erwarben ihr das Vertrauen weiter Frauenkreise und so war es fein Wunder, daß sie im Jahre 1899 Bertrauensperson der Genofsinnen Deutschlands murde.
Mittlerweile hatten sich die politisch interessierten Frauen in Frauenagitationstommiffionen, Frauen- und Mädchenbildungsvereinen, in Arbeiterinnenvereinen, verschiedenster Art organisiert. Sie fämpften zähe gegen polizeiliche Auflösung und Schikane. Nur gegen das System der einzelnen Bertrauenspersonen war die Polizei machtios.
Ottilie Baader ist bis 1908, bis zum Inkrafttreten des Auch eine Einheitsfront! Ein merkwürdiges Wahlbündnis ift Reichsvereinsgefeßes, auf diesem Bosten als Zentralverfür die Nachmahlen in den Kantonen Straßburg - Oft, Straßtrauensperson der Genoffinnen geblieben. Man muß ihre burg- eft und Schiltigheim , wo überall der sozialistische Kandidat Lebenserinnerungen lesen und die alten Bände der Schiltigheim unteren nämlich bic nationalistischen Gleichheit" nachschlagen, um zu erkennen, wie stark diese an der Spize steht, zustande gekommen. In Straßburg - Dit und die leritalen die Rommunisten, in Straßburg - Best die bescheidene und zurückhaltende Frau auf ihrem Bosten für die kommunisten die kleritalen. Für beide Gruppen kommt Frauen gewirkt hat. Die soziale Lage der Arbeiterin, wie fie es nur darauf an, den sozialistischen Abgeordneten Weill zu Fall hervorgeht aus der Berufsarbeit in Verbindung mit der zu bringen. Mutterschaft, die farge Entlohnung der Frau, ihre Rechtlofig