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Nr. 347 42. Jahrgang

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2. Beilage des Vorwärts

Sonnabend, 25. Juli 1925

Eine Anklage gegen die politische Justiz.

Reichstagsmehrheit gegen Frauenrechte.

Präsident be eröffnet die Sigung um 1,45 Uhr. Das 25 Haus ist sehr schwach bejezt. Eine ganze Reihe von Ab­geordeten suchen wieder Urlaub nach.

Auf der Tagesordnung steht die dritte Beratung des Gesetz­entwurfes zur Aenderung der Personalabbauperord­nung. Bei der zweiten Lesung war bekanntlich der Artikel 14, der gewisse Ausnahmebestimmungen gegen die verhei rateten meiblichen Beamten enthielt, mit einer Zufalls mehrheit von 180 gegen 179 Stimmen bei einer Enthaltung ge­strien worden. Gleich zu Beginn der heutigen allgemeinen Aussprache nahm Ministerialdirektor 2otholz das Wort und er. klärte, daß nach nochmaliger eingehender Prüfung die Reichsregie rung nach wie vor an der Aufrechterhaltung des Artitels 14 festhalten müsse. Die Gründe für diese Stellungnahme feien bereits eingehend dargelegt worden, es erübrige sich daher, fie in diesem Stadium der Beratung zu wiederholen. Einem Kompromiß antrage der Regierungsparteien, der die Wiederherstellung des Artikels 14 ausspricht, aber den verheirateten Beamtinnen in mehr­facher Richtung durch eine Milderung der Bestimmungen entgegen tommt, stimmt der Redner im Namen der Regierung zu. Die Frage, ob der Gesezentwurf etwa verfassungändernd sei, verneint der Redner.

Abg. Frau Pfülf( Soz.):

Der Regierungsvertreter hat sich lediglich auf zwei motive be schränkt, von denen er annimmt, daß fie draußen sehr populär sind. Man will jagen, daß all die Schwerkriegsbeschädigten und die un versorgten Beamten durch die Ablehnung des Artikels 14 aufs härteste betroffen würden. Es sind also nicht mehr wie früher die gesundheitlichen Berhältnisse der verheirateten Beamtin, die die Leistung ungünstig beeinträchtigen. Ich habe mir nach den neulichen Ausführungen des Regierungsvertreters noch einmal Statistiken angesehen und es nicht ganz uninteressant, zu sehen, wie solche Sta­tistiken überhaupt aufgemacht werden. Von einer wissenschaftlichen Methode fann dabei nicht mehr die Rede sein. Die 3weigstelle München des Reichspoftministeriums veranlaßte eine Statistit. Diese hat folgendes ergeben: Bom Jahre 1905 bis 1913 hat sich die Krankheitsziffer bei den weiblichen Post- und Telegraphen beamten um 45 Broz. vermehrt, bei den männlichen, im Post dienst beschäftigten Beamten ist sie gewiffenmaßen niedrig geblieben, aber bei den männlichen Beamten der Fernſprechabteilung ist sie um 50 Broz. höher als die allgemeine Krankheitsziffer.( hört, hört! b. b. Goz.) Ich wollte damit nachweisen, daß nicht die Berheiratung der weiblichen Beamten und nicht die geringere Leistungsfähigkeit der Beamtin überhaupt, sondern die anstrengende Arbeit im Fern [ prechamt es ist, die diese hohe Biffer der Berufserkrankungen dieser Frauen veranlaßt. Die Behörden haben in die Krankheitsziffer auch die Abwesenheitstage der Frau bei Schwangerschaft und Nieder­funft aufgenommen. Bo nimmt da noch der Staat das moralische Recht her, die Privatindustrie aufzufordern, der verheirateten Arbei­terin in der Zeit der Schwangerschaft und Niederkunft Erleichterun­gen zu verschaffen, wenn er selbst diese Fälle als Krankheitsfälle be handelt und in eine Statiſtik einreiht, die er gegen die weiblichen Beamten auszunügen sucht. Wenn Sie nun sagen, der Artifel 128 Abs. 2 der Reichsverfassung fei seiner Zeit aus be völkerungspolitischen Gründen fonzediert worden, es habe sich jetzt aber herausgestellt, daß die verheiratete Beamtin die Gebärmilligkeit gar nicht habe, so können Sie das ja ändern, wenn Sie der ver. heirateten Beamtin die Erleichterungen der Reichsrichtlinien geben. Bei den Leistungen erklärt die Regierung auf der einen Seite, die nicht verheiratete Beamtin leiste weniger, weil sie den Beruf als eine Durchgangsstation betrachte, auf der anderen Seite will sie der Frau die Möglichkeit nehmen, sich in diesem Beruf ein zuniften, indem sie ihr das Recht der Verheiratung im Beruf streicht. Eine Streichung des Artikels 128 Abs. 2 der Reichsverfassung bedeutet auch der Antrag der Regierungsparteien. Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, daß wir diesen Antrag für einen verfaffungändernden halten, der nur mit Zwei­drittelmehrheit angenommen werden tann. Der Staat sagt nun, er habe das volle Recht auf die hundertprozentige Leistungsfähigkeit eines Menschen. Dieses Recht hat der Staat ebenso wenig wie die Privatindustrie. Nicht nur die Frau, sondern alle männlichen und weiblichen Beamten müffen etwas für ihr persönliches Leben übrig behalten. Aber wenn ich mich schon einmal auf den Standpuntt der hundertprozentigen Leistungsfähigkeit stelle, so frage ich, wie tommen Sie dazu, daneben noch Nebendienstleistungen pflichtmäßig von den Beamten zu fordern. Das ist der ungeheuerlichste Raub­bau, den der Staat als Arbeitgeber vornimmt, der doch beispiel­gebend auf die Arbeitgeberschaft wirken soll. Bon Fürsorge für die Allgemeinheit, von voltswirtschaftlichen und sozialpolitischen Er­wägungen ist hier teine Spur zu finden. Sie sagen, es sei Aufgabe des Staates, den Frauen ihre Pflichten gegenüber der Gesamtheit zu erleichtern, aber was wird benn getan, um den Hausfrauen die Berpflichtungen gegenüber der Gesamtheit zu erleichtern? Warum schicken denn die bürgerlichen Parteien feine Frauen in den Zoll­ausschuß, damit sie dort für die Erleichterung des Lebens fämpfen. ( Sehr gut! b. d. Soz.) Ich weiß nicht, mer von Ihnen in der Heimarbeitsstellung gewesen ist und die Löhne gesehen hat, die an diese Heimarbeiterinnen gezahlt werden. Warum steht hier dieser Staat, dieser höchste Hüter des Familienrechtes, nicht auf und wehrt sich gegen dieses Verbrechen an der deutschen Familie und an der Frau?( Sehr richtig! b. d. Soz.).

Nun wird in der Deffentlichkeit erzählt, daß die verheirateten Beamtinnen ihre Familie ihrem Gewinnstreben opfern. Dieses Gewinnstreben einer Poſt- und Telegraphenbeamtin ist dieses: bel den minimalen Löhnen ihrer Männer dafür zu forgen, daß ihree Kinder bessere Bildungs- und Lebensmöglichkeiten haben. Der Staat sollte erst einmal dem Geminnstreben anderer Kreise sich mit etwas mehr Energie zuwenden.

Die Rednerin wendet sich dann den vorliegenden Anträgen zu, die die Regierungspartelen gestellt haben und die im wesentlichen Werschlechterungen bringen. Bei der zweiten Lesung haben wir den Artikel 14 gestrichen, um den verfassungsmäßigen Zustand wiederherzustellen. Eine wesentliche Belastung des Etats ist dadurch nicht eingetreten. Den heute vorliegenden Antrag der Regierungs­parteien werden wir aber als einen Verfaffungsbruch aufs fchärfffe bekämpfen. Wir erkennen den tapferen Rampf unserer weiblichen Rollegen hier im Reichstag an, der aber von ihren männlichen Rollegen leider nicht unterstützt worden ist. Jezt sind sie dem Cl bogenawang ihrer Fraktionen unterlegen. Die Organisationen der Beamten und Beamtinnen, ble fich für die Beseitigung des Art. 14 eingefeht haben, werden jetzt zu der Erkenntnis fommen, wo ihre Interessen gewahrt werden. Für uns aber wird es immer deut licher, wie notwendig das passive Wahlrecht der Frauen ist, wie notwendig es aber auch ist, daß viel mehr Frauen als bisher in den Reichstag gewählt werden.( Lebhafter Beifall b. d. Soz.) Abg. Frau Arendfee( Rom .) meint, in ben bürgerlichen Barteien feien die Frauen eigentlich nur noch geduldet. Auch diese Rednerin betont die Verfassungswidrigkeit des Artifels 14.

Bräsident Cobe tellt mit, daß eine Entschließung eingegangen ft, bie Reichsregierung zu ersuchen, die Schmerkriegsbeschäbigten,

Genosse Rosenfeld über die Amnestie. Organisation Consul .

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Reichsanwaltschaft und

die auf Grund der Personalabbauverordnung abgebaut wurden, in Schweidniß und Lüneburg , bei denen gegen Reichs­wieder in den Dienst einzustellen. bannerleute mit einer Härte vorgegangen ist, die sonst nur aus Rommunistenprozessen befannt ist. Bei all diesen Prozessen hatte man immer volles Verständnis für die Jungdo-, Wifing- und Stahlhelmleute, aber eine harte Faust für die Arbeiterschaft.

Abg. Koch- Weser ( Dem.) legt gegen die Degradierung der Frau und Stellung unter ein Sonderrecht Einspruch ein. Die Be­ftimmungen, die hier erlassen werden sollen, seien verfassungs­widrig. Aber auch vom sozialen Standpunkt aus sei es turzsichtig, die Frage der Frauenarbeit in dieser Weise zu behandeln. Wir bekämpfen die Absichten der Regierung auf das schärfste. Damit schließt die allgemeine Aussprache.

In der Einzelberatung wird unter Ablehnung aller sonstigen Abänderungsanträge der Antrag der Regierungsparteien auf Wiederherstellung des in zweiter Lefung gestrichenen Art. 14 der Perfonalabbauverordnung, betr. die verheirateten weiblichen Be amten, mit der Aenderung, daß den Ausgeschiedenen eine Abfindungs­rente in Höhe( statt bis zur Höhe) des Ruhegehalts gewährt werden kann, in namentlicher Abstimmung mit 232 gegen 155 Stimmen angenommen. Auch die übrigen Anträge der Regierungs­parteien auf Abänderung der Beschlüsse zweiter Lesung gelangen zur Annahme.

Eine Erklärung der Sozialdemokraten. Bor der Schlußabstimmung gibt Abg. Steinhopf für die Sozial­demokratische Frattion folgende Erklärung ab: Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat trotz ihrer oppofitionellen Stellung zur gegenwärtigen Reichsre­gierung versucht, die Vorlage entsprechend den berechtigten Forde­rungen der betroffenen Bevölkerungskreise und den diesen gemachten Zufagen in fachlicher Mitarbeit in den Ausschüssen und im Plenum zu verbessern. Zusammen mit den anderen Opposi­tionsparteien und teilweise auch unterstützt von einer Anzahl Ab­geordneter der Regierungsparteien ist es ihr gelungen, im Verlaufe der Ausschußberatungen und der zweiten Lesung im Plenum ver­schiedene erhebliche Berbefferungen der Vorlage zu erreichen. Dies gilt ganz besonders von der Streichung des Artikels 14 der Personal­abbauverordnung, durch die der Art. 128 der Reichsverfaffung wieder voll in Kraft gefeht worden ist.

Lelder hat fich im Verlaufe der driften Lefung eine Mehrhelt der Regierungsparteien gefunden, die den Art. 14 der Per­fonalabbauverordnung in veränderter Fassung wiederhergestellt hat Bedauerlicherweise stimmten für diese Wiederherstellung auch jene Abgeordneten der Regierungs­porteien, die in der zweiten Lesung sich für unseren Antrag auf Streichung dieses Artikels entschieden hatten.

Nach unserer Auffaffung fann es gar feinem Zweifel unter­liegen, daß diese neue Faffung des Artikels 14 der Personalabbau­verordnung an fich

eine Verlegung des Art. 128 der Weimarer Berfassung darstellt.

Der neue Art. 14 der P2B. bedarf also, um Rechtskraft zu erlangen, der Zustimmung der im Art. 76 der Reichsverfassung für Ber­faffungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit des Reichstags. Da diese Mehrhelt bei der Abstimmung nicht erreicht wurde, ist der neue Artikel 14 der PAB. nicht verfassungsmäßig zu­ftande gekommen und mithin rechts ungültig, wie auch das ganze Gesetz.

Im Hinblick auf diesen ohne jeden zwingenden Grund erfolgten Angriff auf die Weimarer Berfaffung, ferner im Hinblick darauf, daß die Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt bei weitem nicht die end­gültige Einstellung des Personalabbaues bringt, und weil die zu­gestandenen Berbesserungen trotz allem unzureichend find, bedauert die Frattion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die Bor­lage in der Schlußabffimmung ablehnen zu müffen.

Sie ist dabei der festen Ueberzeugung, daß die Beamten, Unge­stellten und Arbeiter des Reichs, der Länder und Gemeinden usw. für die Haltung der Fraktion vollstes Verständnis haben und sie in dem weiteren Kampf um die Beseitigung des ihnen angetanen Un­rechts tatkräftig unterstützen werden.( Lebhafter Beifall bei den Soz.). Abg. Schuldt( Dem.) schließt sich namens seiner Fraktion dieser Erklärung an. Abg. Rädel( Komm.) lehnt gleichfalls die Borlage ab. Abg. Guérard( 3.) erklärt, daß die Regierungsparteien nicht der Auffassung sind, daß das Gefeß eine Berfassungsänderung in polviere. volviere. Mit den beschlossenen Milderungen nähere man fich ja wieder der Berfaffung.

Gegen

Abg. Koch( Dem.) erwidert, man fönne Gesetze nicht nach dem mehr oder minder an Verfassungsmäßigkeit beurteilen. Recht und Staatspolitik werde hier ein schweres Unrecht gegen die verheirateten weiblichen Beamten begangen.

Präsident Löbe erklärt dazu, die Entscheidung darüber, ob eine Berfassungsänderung vorliege, stehe anderen Instanzen au. Um bas Stimmenverhältnis im Reichstage festzustellen, fei namentliche Abstimmung beantragt.

Hierauf wird das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit 236 gegen 156 Stimmen angenommen, also mit einfacher mehr heit. Es ist zwar eine Zweidrittelmehrheit als anwesend festzu ftellen, aber von dieser Mehrheit nicht wiederum eine 3 weibrittelmehrzeit für das Gefeß, wie vom Prä­fidenten ausdrücklich festgestellt wird.

Zur Annahme gelangt insbesondere noch die Entschließung der Regierungsparteien, wonach die Reichsregierung ersucht wird, die Ausführungsbestimmungen so zu fassen, daß beim Art. 14 der Be­griff nicht mehr gesicherte wirtschaftliche Versorgung" in weit­herziger, die foziale Stellung der Beamten berücksichtigender Weise festgelegt wird. Das Haus geht über zur ersten Beratung des

Amnestiegesetzes.

Abg. Dr. Rosenfeld( Soz.):

Weiter möchte ich die Frage aufwerfen, wie viele Frauen wandern wohl ins Gefängnis, weil sie in ihrer Not gegen den Ab­treibungsparagraphen verstoßen haben. Daß diese Frauen sich hauptsächlich aus dem ärmeren Kreisen rekrutieren, bedarf feiner näheren Begründung. Die Amnestie versagt, weil Kompetenzbedenten ein Hindernis sein sollen, eine durchgreifende Amnestie zu gewähren. Es soll Landessache sein, in diesen Fällen einzugreifen. Da appelliere ich an die frühere Regierung, die aus­drücklich erklärt hat, das Reich wäre auch für eine solche Amnestie an sich zuständig, auch hervorragende Juristen in den Parteien weiter rechts haben diese Auffassung vertreten. Wie sollen wir Ber trauen zu den Ländern haben, wenn wir erlebt haben, daß im Reichsrat gegen diese Amnestie gestimmt haben Bayern , Thüringen und Oldenburg ! Wenn dazu noch Sachsen sich der Reihe derjenigen anschließt, die sich der Abstimmung darüber enthalten haben, wie sollen wir abwarten, was uns die Länder bringen! mit den Ländern getroffen, um uns davor zu schüßen, daß wir Ich frage die Regierung: Welche Vereinbarungen find enttäuscht werden? Wenn Sie jetzt nicht eine umfassende Reichs­durch das Ergebnis der Verhandlungen in den einzelnen Ländern amnestie geben, sind Sie, Herr Justizminister, dafür verantwortlich, daß das einheitliche Rechtsband zerrissen wird. Wir fordern eine solche umfassende Amnestie und wir werden im Ausschuß unser folche umfassende Amnestie und wir werden im Ausschuß unser möglichstes tun, um diese Vervollständigung der Amnestie herbei­zuführen.

Wir vermissen in dem Amnestiegefeßentwurf u. a. auch eine Be­handlung der Disziplinarfachen. Der Reichstag hat durch seinen Haushaltausschuß bei der Beratung des Reichsministeriums des Innern einstimmig beschlossen, die Reichsregierung zu ersuchen, ge­legentlich der Vorlegung eines Gesezentwurfes über eine allgemeine Amnestie auch eine solche über die Amnestierung von Disziplinar vergehen der Reichsbeamten einzubringen. Wie rechtfertigt es der Herr Reichsjustizminister, daß er gegenüber einer Refolutign, deren einstimmige Annahme im Blenum zu erwarten ist, völlig schweigt?

Die Reichsamnestie soll sich nach den Vorschlägen der Regierung nur auf solche Urteile beziehen, die von einem durch das Reich ein­gefeßen Gericht gefällt worden sind, oder für Verfahren, die nech schweben beim Reichsgericht oder bei der Reichsanwaltschaft. Dane ist von vornherein die Amnestie eingeengt auf rein politische Delikte, und auch diese sind noch im allerengsten Rahmen gehalten.

Was mir besonders auffällt, ist, daß man nicht einmal daran denkt, den bayerischen politischen Gefangenen aus dem Jahre 1919 die Freiheit zu bringen.( Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Die Amnestie ist aber weiter beschränkt auf bestimmte Delitte: ochverrat, Geheimbündelei, Bergehen gegen das Republitschuhgefeh und damit im Zusammenhang stehende Straftaten. Eine kleine Erweiterung in bezug auf Landesverrats­verfahren ist vollzogen. Straferlaß will die Amnestie gewähren, wenn die Strafe oder der Strafrest in Geldstrafe oder Haft oder Ge­fängnis bis zu einem Jahr oder Festungshaft bis zu einem Jahr besteht. Das ist eine ganz unzureichende Festsetzung der Grenze. Ich will Ihnen einen bayerischen Fall und einen Fall vom Staatsgerichts­hof vortragen. Der erste ist der Fall des Karl Gsell, eines jungen Mannes, der in der Revolutionszeit in München eintraf und fand. Er hat geschrieben, was man ihm diftierte, und er hat auch dort eine Stelle als Schreiber beim damaligen Revolutionsgericht eines Tages die Namen der Leute geschrieben, die später erschossen worden sind. Das ist alles, was er getan hat, und dafür ist er zu noch verbüßt. Das eine wird man mir ohne Attentenntnis zugeben, 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, die er heute daß nach dem immer noch geltenden Dynamitgesetz aus dem Jahre 1884 schon der Besitz von Dynamit unter gewissen Umständen mit Buchthaus bis zu 10 Jahren bedroht ist. Das ist ja das Gefeß, das den Staatsgerichtshof zwingt, so scharfe Urteile auszusprechen. Das Gesek gilt, und deshalb muß die Amnestie auch die Zuchthausurteile umfassen, damit dieses Gesez von 1884 nicht noch weiter wirkt. Ich möchte fragen: Wo ist in Deutschland ein einziger Rechtsradikaler verurteilt worden, meil er Dynamit angewandt hat? Ich glaube, dieser Fall ist nicht

festzustellen.( Buruf aus der Mitte: Sie sind nicht gefaßt worden.) Ich werde Ihnen nachher gleich sagen, wie man es gemacht hat, damit man sie nicht faßt.

Ich will jetzt eingehen auf eine zweite Gruppe von Fällen, wo das Berfahren noch schwebt, das eingestellt werden soll ohne weiteres dann, wenn die Handlung vor dem 1. Oktober 1923 begangen ist, bei späteren Handlungen nur dann, wenn vor­aussichtlich auf teine höhere Strafe als Geldstrafe oder Haft oder auf ein Jahr Festung oder Gefängnis erkannt werden würde. Da ent­steht die Frage: 3ft es gerechtfertigt, ausgerechnet am 1. Oftober 1923 ben entscheidenden Einschnitt zu machen? Ich verstehe voll­kommen, daß man die Zeit von 1923 besonders behandelt zu sehen wünscht und daß man alles, was mit der Inflation zusammenhängt, milbernd zu beurteilen versucht hat. Aber bann können Sie doch nicht den 1. Oktober als das entscheidende Datum ansehen, wo die Inflation noch gar nicht auf der Höhe war, wo sich die Wirkung der Inflation noch gar nicht in besonders hohem Maße geltend gemacht hat. Das geht nicht. Oder Sie sagen: Chitwit wird nicht bestraft und die Sozialisten und Kommunisten werden bestraft. Die Wirkung wäre, daß alle kappisten frei sind und frei bleiben und daß die Prozetfe gegen die Kommunisten fortgeführt werden. Dabei ist doch noch ein großer Unterschied zu konstatieren. Lüttmiz hat och verrat begangen, mie niemand bestreiten wird. Kommunisten haben ihn doch höchstens vorbereitet. Nicht nur die Kappisten follen amnestiert werden, auch die so wenig schwer verurteilten Mit­glieder der Organisation Conful und die wegen Beleidigung des früheren Reichspräsidenten Berurteilten oder noch Angeklagten. Heute bin ich zum erstenmal in der Lage, einen dokumenta­vischen Beweis dafür zu liefern, daß sich die ganze Schärfe der Justiz nady links und die ganze Milde nach rechts richtet. Ich kann heute sozusagen einen Urkundenprozeß führen, nämlich durch den Hinweis auf die Anklagefchrift der Oberreichsanwaltschaft gegen 26 Mitglieder der Organisation Conful. Wenn man diese Schrift

Die lang angekündigte Amnestie ist endlich an das Haus ge­tommen und aus den Zuchthäusern und Gefängnissen richten sich bie Augen der Gefangenen hierher voll Erwartung, welche Be schlüsse der Reichstag faffen wird. Aber ich fürchte, daß sehr bald eine Enttäuschung eintreten wird. Dieser Gesetzentwurf ist zu Ehren Hindenburgs von der Regierung vorgelegt worden. Ueber die politischen Gefangenen werden die politischen Parteien je nach ihrer politischen Ginstellung verschieden denten, aber alle fozial Empfindenden sollten doch auf die Blattform verlieft, dann meint man eine Berteidigungsschrift und nicht einigt merben:

Amnestie für alle, die aus Hunger und Not, in der Ber­zweiflung über das Elend, in das sie geraten find, gegen ein Strafgeseh verstoßen, fich an fremdem Eigentum vergriffen haben, um ihr notdürftiges Leben fristen zu können. ( Sehr wahr! bei den Soz.) Regierung und Regierungsparteien fließen so oft über von Bedauern über die harten Zeiten, in denen das deutsche Bolt lebt, aber das find nur Worte. Die Regierung versagt und der Retter" Hindenburg rettet mit hiefer Amnestie tein Opfer der traurigen wirtschaft lichen Verhältnisse.( hört! hört! bei den So3.) Die Amme­stie geht an der wirtschaftlichen und politischen Not vorüber, Pro­zeffe, die durch Ausschreitungen bei Lebensmittelunruhen, bel politi fchen Rundgebungen entstanden sind, sollen nach dem Wunsche der Reichsregierung weitergeführt werden. Ich erinnere an die Prozesse

eine Anllageschrift zu lesen.( Härt! Hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich habe als Berteidiger manche Anklage in der Hand gehabt, aber noch niemals fand ich die Wege der Berteidigung so gewiesen und geebnet wie in diesem Dokument. Der Berfasser der Anklageschrift schämt sich offenbar, daß so viel herausgekommen war. Er vermeist auf den ihm offensichtlich viel zu eifrigen Staatsanwalt in Offen burg, der bei der Berfolgung der Mörder Erzbergers auf die Organi fation& stieß und energisch zugriff

Banz deutlich flingt aus der Anklage ein Ton des Bedauerns beras darüber. daß diefer Staatsanwalt aus Baden in seiner Un­renninis der patriotischen Motive der Organisation so tüdsichts­os oorging.( Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Direkt zur Klage über die Hilfsorgane wachsen sich die Aus­führungen der Anklagefchrift über die in Thüringen angestellten Ermittlungen aus. In Thüringen gab es damals einen energischen