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Abendausgabe

fir. 352 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 173

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Rebaftion: SW. 68, Lindenstraße 3 Serufprecher: Dönhoff 292-295 Zel- Abreffe: Sozialdemotrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Pfennig

Dienstag

28. Juli 1925

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhof 2506-250%

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Haussuchungen bei Justizbeamten.

Strafbare Handlungen der Anklagebehörde im Barmat- Verfahren.- Zusammenarbeit zwischen Staatsanwälten und Deutschnationalen.

Wolffburean teilt mit: Die Berliner Kriminiafpolizei nahm| heute morgen verschiedene Durchsuchungen in einem poli­fischen Nachrichtenbureau, in der Lühowstr., vor, daß die Quelle zahlreicher auffehenerregender Beröffentlichungen in der Barmat- Kutister- Angelegenheit gebildet hat, ferner bei Angestellten dieses Bureaus, sowie bei 3 wei Juftig be­amten, die mit der Bearbeitung jener Sachen beschäftigt waren. Das friminalpolizeiliche Borgehen gründet fich auf den Berdacht verschiedener Straffaten, u. a. der unbefugten Ber­öffentlichung amtlicher Schriftftüde eines schwebenden Strafprozeffes.

Die von der Durchsuchung Betroffenen wurden bei der Krimi­nalpolizei bereits einer ersten Bernehmung unterzogen. Nach Abschluß der polizeilichen Bernehmungen werden die Borgänge der zuständigen Staatsanwaltschaft zur weiteren Berfolgung der Angelegenheit zugeleitet werden.

Wie wir hören, sind die Maßnahmen der Kriminalpolizei erfolgt auf Grund eines umfangreichen Materials, das den Behörden vor einiger Zeit zugeleitet wurde. Aus diesem Material, das vordem auch uns vorgelegen hat, teilen wir der Deffentlichkeit einige wesentliche Tatsachen mit.

Dieses Material erbringt den Nachweis, daß die ganze Barmat­Angelegenheit von Anfang an feine friminalistische, sondern eine politische, auch von der Staatsan maltschaft politif aufgezogene Angelegenheit war, die sich gegen die republikanischen Parteien, hauptsächlich gegen die Sozial demokratie und das Zentrum, aus Anlaß der damals Bevorstehenden Reichspräsidentschaftsmahlen richten sollte. Es mar noch eine Er. meiterung des Angriffs geplant, bei dem auch die De mofraten mit einbezogen werden sollten. Für diese Erweiterung mar ein umfangreiches, aus den Deutschen Werfen entwendetes Material, in Aussicht genommen worden, zu dessen Verwertung es jedoch aus Gründen, auf die wir noch ein mal zurüdtommen werden, nicht gekommen ist.

Auf jeden Fall steht das eine fest, daß in der ganzen Barmat­Angelegenheit die Staatsanwaltschaft,

namentlich die Herren Affeffor Caspari und Affeffor Kußmann fowie Oberffaatsanwalt Cinde in engffer Fühlung mit Stellen der Deutschnationalen Bolfspartei gearbeitet

und diesen das ihr amtlich befannt gemorbene material zur publizistischen Verwertung zugetragen hat, daß für diese Hilfeleistung einzelne der genannten Herren Gefällig. feiten und Versprechungen erhalten haben, die wohl das Kernstück der tommenden friminalistischen Untersuchung bilden müssen.

3m einzelnen mollen mir heute folgendes mitteilen:

Bei der Deutschnationalen Bolfspartei, Berlin M. 9, Bernburger Straße 24, II, war unter einem früheren Oberregierungsrat Goebel ein besonderes Bureau für die Bearbeitung und politische Ausschlachtung der Barmat- und mit ihr zusammen ge nannter Ungelegenheiten eingerichtet worden. Von diesem Bureau Tiefen die Fäden zu einem zweiten Bureau, das sich Berlin W. 35, Lüßomstraße 60 mit der Telefonnummer Nollen dorf 6662 in der Wohnung eines Herrn von Beaulieu befand. Eine Dame, die als Tochter des Herrn von Beaulieu bezeichnet wird, wirfte in dem Bureau als Sekretärin.

Der eigentliche Leiter des Bureaus jedoch war ein ge­wisser Ernst& noll, wohnhaft, in Oberschöneweide , Luisenstraße 28. Knoll arbeitete aber nicht unter seinem richtigen Namen, sondern nannte sich meist Dr. Kluge, später aus einem gemissen Anlaß auch Klausing. Angestellt an diesem Bureau war ein Rauf mann Frig Kranz, Berlin- Friedenau, Lauterstraße 27, ferner der von der Ehrhardt- Brigade her bekannte Rapita nleutnant Kautter, Berlin- Schöneberg, Mogstraße 22. Es tamen dann faäter noch hinzu: der für die Rechtsparteien schriftstellerisch tätige Wolfgang Breithaupt , mohnhaft Schöneberg , Mohstr. 73, bei Fechner, jüngst bekannt geworden durch die Herausgabe eines Buches im Sinne der Dolchstoßlegende, und der Journalist Werner Mühlberg, Berlin W. 57, Potsdamer Straße 83.

Sehr intereffant ist ein Blid auf die Geldgeber, die dieses Bureau finanzierten. Die namhaften Beträge für den Erwerb von Material und die Gehälter der Angestellten Tiefen zunächst über Herrn Badmeiſfer. den Berliner Vertreter der Bergisch Märkischen 3eitung". Berlin SW. 11, Großbeerenstr. 5 II. ( Rollendorff 4067.) Später trat als Geldgeber auf der deutsch nationale Reichstagsabgeordnete Leopold, Direktionsmitglied des Mitteldeutschen Braunkohleninnbitats. Die von ihm ausgestellten Scherds liefen über das Banthaus Delbrüd, Echidler u. Co. in der Mauerstraße.

Das Bureau stand in engster Fühlung auf der einen Seite mit ter deutschnationalen Presse, auf der anderen Seite mit der Staats­anwaltschaft. Es fanden eine ganze Anzahl von Konferenzen flatt, an denen Herren des Bureaus, wie der genannten beiden Seiten teilnahmen, so im Restaurant Weinpfuhl", Königgräger Straße, in einer Biertneipe, Lukomftr. 74, in einer Biertneipe auf

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bem Südwestforso( Stammlotal des Herrn Assessor Kußmann), zuletzt erst vor furzer Seit in einem Berliner Hotel.

Die Beziehungen des Bureaus zur Rechtspresse maren außerordentlich enge, wofür eine sehr umfangreiche uns vorliegende Korrespondenz Seugnis ablegt. Es wurden nament lich Briefe gewechselt mit der Deutschen Zeifung und den mit diesem Blatt in Zusammenhang stehenden Herren Freiherr von Sodenstern, Oberfinanzrat Bang, Herr von Herz­berg usw., mit Herrn Dr. Oestreich von der Berliner Börsen­zeitung"( dem Gönner des Herrn Tannenzapf), mit Herrn Funf Dom gleichen Blatt, mit der inzwischen entschlafenen Nationalpost", mit der Bergisch- Märkischen Zeitung" u. a. m. Besonders inter­effant ist, daß diefes Bureau auch enge Beziehungen zu der Hugen­bergfchen Telegraphen- Union" unterhielt und zwar durch deren Rebatteur Herrn Cames. Das Zusammenspiel dieser Pressestellen war genau geregelt. Sollte z. B. der Berliner Ursprung einer Notiz verschleiert werden, so ging diefe an die Bergisch- Märkische 3eitung in Elberfeld und wurde erst aus dieser rüdüber. nommen. Zur Berbreitung der gleichen Sache an mehrere Blätter wurde die Telegraphen Union" benutzt und zwar in folgen­der Weise( es handelt sich wahrscheinlich um die Berbreifung des widerrechtlich veröffentlichten Kammergerichtsbeschluffes in Sachen Barmats):

Tel.

X

"

Berfin, den 25. Mai 1925.

Dr. Kluge, Berlin W. 35, Lützowstr. 60. Nollendorf 6662. bei v. Beaulieu. Herrn Chefredakteur Cames, Telegrafen- Union Berlin , S. 61, Blücherstraße 12 Sehr geehrter Herr Cames!

Unter Bezugnahme auf unfer heutiges Telefongespräch übersende ich Ihnen beifolgend 4 Abschriften eines Do. fuments, an deffen schnellster und breitester Beröffentlichung größtes Intereffe geboten ist. Der Inhalt des Schriftstüdes bürfte nach dieser Richtung für sich selber sprechen. Es wird Ihnen wohl fchon befannt sein, daß auf Eingreifen des Justizminifteriums die weitere Bearbeitung der Antlage der Staatsanwaltschaft I als der gesetzlich vorgeschriebenen Dienststelle entzogen und der General- Staatsanwaltschaft am Kammergericht überwiesen ist. Es muß daher schleunigst dafür gesorgt werden, daß diefem offen­fundigen und parteipolitisch beeinflußten Rechtsbruch der höchften preußischen Juftizinffanz mit aller Energie entgegengetreten wird. Entsprechenden Begleittegt überlaffe ich Ihnen bzw. den betr. Mit deutschem Gruß Ihr sehr ergebener

Zeitungen.

4 Anlagen. gez. Kluge. Wie sonst das Zusammenspiel funktionierte, dafür aus vielem Borliegenden nur eine Probe:

Abschrift

Berlin , den 5. Mai 1925.

Dr. Kluge. Berlin M. 35, Lüzowftr. 60. Tel. Nollendorf 6662. An die Schriftleitung der Deutschen Zeitung". Berlin SW. 11, Hedemannstr. 12.

In der Anlage sende ich Ihnen beifolgend Abschrift eines Artifels der Bergisch Märtifchen 3eitung, die ihrer­feits Bezug nimmt auf die Berliner Börsenzeitung" Dom Sonnabendnachmittag Nr. 204. Die Börsenzeitung " wird morgen früh ihrerseits wieder auf die Bergisch- Märkische Zeitung" reagieren und wäre es zur Erreichung des in Rede stehenden 3medes sehr erwünscht, wenn auch Sie dann, und zwar in Ihrer nächstfolgenden Nummer die Angelegenheit entsprechend aufgreifen und tommentieren.

Ich bitte Sie, mir von der betreffenden Ausgabe einige Beleg exemplare zu übermitteln, da ich dieselben dringend benötige, und zwar an die Adresse von Beaulieu, Lützowstr. 60.

Anlage.

Mit deutschem Gruß

gez. Kluge.

Es tauchen sonst noch im Zusammenhang mit diesem Bureau auf: Der Brunnen- Berlag( Karl Windler), in dem die berüchtigte Barmat- Broschüre des deutschnationalen Abgeordneten Raufhold erschien, Herr Mahraun( Caffel), der bekannte Grün­der des Jung deutschen Ordens, sowie eine Anzahl deutsch­nationaler Reichstags- und Landtagsabgeordneter. Vor allem natürlich Herr Leopold, der Geldgeber vom Mitteldeutschen Braunkohlensyndikat.

Woher flammte nun das Material, mit dem bas Bureau diese Stellen versorgte? Es waren zum Teil geffohlene Aften aller Art, zum großen Teil aber flammte es direff non der Staats­anwaltschaft, die dem Bureau willig nicht nur Einblick in die Barmat usw. Aften gewährte, sondern ihm fogar leihweise einzelne Originaldokumente aus den Affen zur Vorlage an deutschnationale Journalisten und Abgeordnete, sowie von der Staatsanwaltschaft gefertigte Abschriften wichtiger Dokumente überließ.

In dem berühmten Zimmer 670 bezm. 671 Moabit , wo die Sachen Barmat und Rutister bearbeitet wurden, gingen die Angestellten des Bureaus täglich ein und aus. Herr Dr. Kluge Knoll war mit Herrn Affeffor Rußmann, sowie mit Herrn Assessor Ca­

fpary, eng befreundet, mit Kußmann duzte er sich sogar und ging oft mit ihm zu Kneipereien, bei denen meist Kluge= Rnoll die erhebliche Zeche bezahlte. Auch Herr Don Beaulieu, der Inhaber des Bureaus, war mit Ruhmann bekannt. Er begleitete ihn noch im Juli auf der Ferientour mit

Keine Vertagung des Reichstags.

Durchpeitschungsabsichten der Regierungsparteien.

und

Der Aeltestenausschuß des Reichstages trat am Dienstag, mittags% 12 Uhr zu einer Beratung zusammen, in der zunächst der Reichstagspräsident Cobe fragte, ob von irgendeiner Partei, wie das die Zeitungen behaupteten, der Antrag vorläge, die Ber­handlungen des Reichstags am Sonnabend abzubrechen. Die Parteiführer erklärten, von solchen Abfichten nichts zu wissen. Von deutschnationaler Seite wurde verlangt, daß die Beratung für die Steuergefehe auf beffimmie Tage fontingentiert werden folle. Dem widersprachen Sozialdemokraten, Demokraten Kommunisten, die damit einverstanden waren, daß zu Beginn der Beratung eines jeden Gesetzes eine Redezeit von einer Stunde bezm. einer halben Stunde gewährt werden müsse. Außerdem müßten bei wichtigen Rapiteln wie z. B. Lohnsteuer und 2ugus steuer Redezeiten von einer halben Stunde gewährt werben. Auch hierüber tam eine Einigung nicht zustande. Es wurde zunächst der Präsident gebeten, zusammen mit je einem Steuer­fachmann aus jeder Fraktion zu versuchen, einen Plan für bie Zusammenfaffung von Baragraphen zu entwerfen, die fachlich mit einander in Berbindung stehen. Das solle zunächst für die Ein­tommensteuer und dann auch für die anderen Geseze versucht werden. Bon deutschnationaler Seite murde erflärt, daß die Fraktionsmitglieder zur Anwesenheit im Reichstag verpflichtet seien. Es sei anzuerkennen, daß die Kompromißparteien, für die Präsenz des Hauses zu sorgen hätten. Bezeichnend war, daß Herr Don Graefe als Vertreter der Bölfifchen fich angesichts der Ge­schäftslage des Hauses für die Durchpeitschung der vor­liegenden Borlagen aussprach.

Jm Zollausschuß wie immer. Die Zöllner schweigen in allen Sprachen. Im Zollausschuß mar heute morgen von der Nervosität, die sich sonst überall und namentlich im Plenum bemerkbar macht, nicht das Geringste zu merfen. Der Borsitzende leitete ruhig mie immer die

Sigung und die Rechte schwieg dazu in allen Sprachen. Tur zmei Bertreter der fleinen und mittleren Landwirtschaft beteiligten sich an der Debatte. Im übrigen war es den Sozialdemokraten allein überlassen, die Interessen der großen Masse der Konsumenten bei den wichtigen Artikeln Bieh, Fleisch, Gefügel, Eier und Fette aller Art zu vertreten. Eingeleitet wurde die Aussprache durch den Abg. Gerauer( Bayer. Bpt.), der mit Entschiedenheit und Nachdrud Zölle auf Bieh und Fleisch verlangte. Dem Bauernver­treter antwortete Genossin Wurm, die sich durchaus damit einver­ftonden erklärte, der Landwirtschaft, insbesondere den einen Be­fizern, helfen zu wollen. Diese Hilfe sei jedoch unmöglich zu bringen durch den lückenlosen 3olltarif, der vor allen Dingen die Möglichkeit vereitelt, bie Betriebe der fleinen Landwirtschaft in wünschenswerter Weise rentabel zu gestalten.

Genoffin Nemih betonte, daß mir uns mit aller Entschiedent­

beit gegen die Pläne der Regierung der Zollparteien wenden müßten, nicht aus agitatorischen, sondern aus voltswirtschaftlichen und volksgesundheitlichen Gründen, die bei ben maßgebenden Fattoren zugunsten einer fleinen Clique vollständig außer Acht ge­blieben seien. Der schleswig- Holsteinische Besizer Hanken, ein Wirt­fchaftsparteiler agitierte vornehmlich gegen die Einfuhr von argen tinischem Gefrierfleisch. Genoffe Hilferding wendete sich kurz gegen den Wirtschaftsparteiler unter Hinweis auf die früher gepflogenen Distuffionen, in dem er noch einmal darauf hinwies, daß wir unter allen Umständen das Rohproduft zollfrei behalten wollten, um dadurch der Beredelungswirtschaft billigere Produktionsmöglich feiten zu schaffen. Dann verlangte er eine Auskunft darüber, wie fich die Regierung die Durchführung der in dem Antrag der Rom­promißparteien vorgesehenen Berteilung von Gefrierfleisch an Minderbemittelte denke, ohne daß die Gefahr nicht geringer Schitanen damit verbunden sei. Die Regierung schwieg fich vorläufig aus.

( Die Berhandlungen gehen bei Schluß ber Redaktion weiter