..sr-, Unterhaltung unö Wissen
die Auferstehung der Toten. von Roland Dörgens. (Zeichnungen von Georges Gautier.) Ker ,.?l«ana<b du Tomdattau der Soldaten, ialeuder der franzöäschcn Krieaeteilnedmerorganisationen, drinat in seinem ueuesten Heft, das unter anderem Abschnitt« au« ffrifc ». Untuds.�Opferaana" cntdirlt, folaend« Ekizite Dor?elds, der mit Barbusse vielleicht der eindrucksvollst««riegsschilderer de» modernen ssrankreich ist. Ei« deiat. dost die Erinnerunq an den ftcita auch ,u de» sran,östschen Isrvntsoldaten weiterlebt als«in Dämon, der von fteit»u?ieit ausbricht, um das Schrecklichste aufjutüftren, das sie erlebt haben alz Soldaten und als Menschen. Die Erde zittert über ihnen, ohne zu weichen; aber sie spannen ihre Muskeln, sie ziehen ihre Beine hoch und der Boden kracht über- all unter ihren©töszen. Die Schützengräben tun sich auf, befreit von ihrer schweren Last. Und sie stehen auf. Im Augenblick wimmelt das weite Feld von ihnen. Stolpernd, noch halb blind, richten ste sich auf und ein Strom von Sand rinnt von ihnen herab. .Die Toten!" schreit der Bauer wie besessen auf seinem Acker.
Eine ungeheure Panik erfüllt die Straßen. Alles rennt und flüchtet, kaum einige Kleidungsstücke am Leib. Wagen, Automobile jagen dahin. Einige Augenblicke schaut man den Ehemin des Dames, die Ruinen von Eraonne, die Gräberfelder von Ange-Cardien. Bon allen Höhen und Hängen strömen die Soldaten herzu, voll Erde und Schmutz, in Gruppen und Kompagnien, waffenlos, ganz so als ob die Glocke geläutet hätte zur Auferstehung, zum jüngsten Tag.
Ein Horchposten, der ganz mechanisch, wie immer, seinen Platz tn der Sappe eingenommen hat, springt plötzlich aus seinem Loch und schaut und staunt und wundert sich. Dann stößt er einen triumphierenden Schrei aus und schwingt sich über die Brustwehr. wie im Suff. .Der Krieg ist aus!" brüllen sie. Ihr Schreien stößt durch deu Graben wie ein Trompetenstoß, wie ein letztes Kommando:.Angetreten! Marsch!" E» hallt wider
in den Unterständen und in den verschütteten Sappen. Mit einem Ruck find sie hoch. Sie richten sich auf und schlagen die Hacken zu- sammen� Sie alle; die einen, von denen nur ein in die Erde ge- steckte« Seitengewehr anzeigt, wo man sie verscharrt hat, die anderen, die zerrissen und zerfetzt in ihrem Postenloch schliefen, die Denoun- dcten, die man hinter dem Sanitätsunterstand in die Erde gebuddelt hat. die Mineure, die lebendig in ihren Stellen begraben waren, bis der Erlöser kam. der Tod.— Alle, alle! Ueberall wachsen sie empor. Boll Erde und Schmutz, mit verstörten Augen springen sie au» ihrem Loch, Infanteristen in roten Hosen und Srahlhelmmänner; sie füllen das leere Feld mit ihren Haufen und— soweit man sehen kann, weit, weit über die rotbraunen Aecker— wälzt sich die Mass« querfeldein. Diese Massen voller erdiger Uniformen erheben sich in den Fetzen und Litzen und Borten der Regimenter, die man vor Iahren hierhergestellt hat—.an den Feind. Di« Auferstandenen betrachten sich von Kopf bis Fuß, ohne ein Wort, und suchen nach
ihren Kameraden unter all den Soldaten, die sie nie vorher gesehen hoben— umsonst. Woher sie wohl sind— denken sie— dies« Jäger iu Fuß. diese Kavalleristen, diese Zuaven in Khaki-Uniform?-- Aber sie oerstehen sich rasch. Macht das die Uniform, das Regiment, das Abzeichen am verfaulten Rock? jDer Krieg ist aus!" brüllen sie.
Rur einen Augenblick genießen sie die berauschend« Freud «, das belle Sonnenlicht zu trinken und den frischen Wind über ihr« hohlen Locken hinw?flsrreichen zu lasten. Dann packt sie plötzlich die Angst. „Was gibt es zu Hause, seitdem wir weg sind, seitdem wir tot find? Was?"
.Sicherlich hat man daheim seit Iahren dumme« Zeug gemacht; ftch«l!ch ist man zu Haus, noch immer krieaswütig und voller Haß!" Und so spring?!, st« plötzlich aus ihrem Acker und setzen sich in Marsch wie«in« rachedurstige Arme«. Einer, den man füsiliert hat— er trägt die Hände noch ge- festelt am Bauch— brüllt:.Ich bin unschuldig! Was ist mit dem zeschehen. der mich um die Ecke gebracht hat?" Ein Schuldner, der am Rand seines Feldes eingeschlafen ist. öfsncl plötzlich die Augen und sieht, bebend vor Angst und voll Schweiß den Soldaten vor sich stehen, der ihm die Hand ohne Finger unter die Rase reckt..Mein Ring! Gib mir meinen Ring!"
Und während die Familien im Sonntagsstaat truppweise spa- sterengehcn. durch die Stadt und über dos Land, nimmt der schau- pge Zug den Weg nnch Barls.
Die Neuigkeit hat schon ganz Frankreich durcheilt— schneller als die flüchtigen Toten und überall kennt man bereits das Wunder. überall zittert man— hier vor Freude und dort vor Schreck. Plötzlich erinnert sich jedermann, daß auch er einen Tote» hat, einen Toten, dem er Geld schuldig ist. einen Toten, besten schreck. lichen Blick er nicht mehr zu ertragen vermag, seit dieser plötzlich sein Erdloch verlassen kann und fragt: .Was hast du getan?" Alle die, die sie betrogen, bestohlen. verleumdet, verraten und beschmutzt haben, spüren eine Wolke voll Schweiß und Todesangst über sich— wie sie erfahren: Die Talen stehen auf! Die Angst macht sie feig; sie schmeißen sich gegenseitig ihre Sünden vor. Die ungetreue Frau schlagt sich mit ihrem Komplice», die Neureichen rennen zur Kirche oder zum Bahnhof, mit vollge- pfrvpster Brieftasche, die Schmuckstücke in der Hand oder in der Tasche und die Abgefeimtesten kleben Banderolen an die Häuser, die sie gestohlen haben: .Zu Ehren unserer teuren Toten!"
»Was habt ihr getan?" fragen die Auferstandenen ihre Käme- raden. die hinzugelaufen kommen,.habt ihr die Versprechungen ge- halten, die man uns da oben gemacht hat? Was habt ihr dazu getan, ihr, die ihr lebendig nach Hause kommen durstet?" Die anderen senken den Kopf, tief beschämt. Was hätten sie antworten sollen? Nein, sie haben ihr Wort nicht gehalten. Dielleicht haben st« zuviel Courage im Krieg ausgegeben; so ist ihnen nichts mehr übrig. geblieben für die Friedenszeit.
Man ist feige, man gibt sich zufrieden, man streckt demjenigen die Hand hin, den man zu ohrfeigen geschworen hat, man verzecht denjenigen, den man hassen soll, man sagt sich:.Wozu der Kran,, — wo» nützt mir das?" Und man vergißt. Diejenigen, die sich für Löwen gehallen haben, sind zahm« Tiere geworden und die Kriegsopfer betteln um Almosen, anstatt ihre Rechte zu fordern. .Wae habt ihr getan, daß meine Frau und meine Kinder nicht vor Hunger oerrecken?" schreit ein Landstürmer im grauen Haar. .Was sich gebührt für den Fall: 17 Sau für das Kind!" .Wieviel Kriegsgewinnler habt ihr im Zuchthaus? Wieviel habt ihr verurteilt wegen Veruntreuung im Amt?" Kann man ihnen sagen:.Kein einziger! Keinem einzigen hat man etwas getan?" .Und der General, der mich erschießen ließ?" fragt der Füsi- lierte mit den gefcstelten Händen am Bauch?—.Wo ist sein Grab, — wo ist er verreckt?" Kann man ihm sagen, daß er noch lebt, im Glanz seines Klempnerladens", hoch geachtet und geehrt? .Ah— wenn wir heimkommen!" schworen wir uns im Graben, wir Soldaten, voller Zorn.
Sie sind beimgetommen und sie haben nichts getan. Deswegen sind die Toten des Krieges aufgestanden! In der Kammer ist man seit Tagesgrauen an der Arbeit in einer stürmischen Sitzung. Es gibt allen Deputierten ein gewisses Gefühl der Sicherheit, samt und sonders versammelt zu sein zum Empfang der Toten. Die Sitzung wird immer toller. Ohne Ueberlegung. ohne rech« nerischen Ueberschlag beschließt man Gesetze, wirst Millionen weg. Auf der Tribüne drohen die Fäuste der Berstümmelten, ihre Frauen und Kinder. Die Abgeordneten schlagen sich um den Platz auf der Tribüne. Jeder will etwas tun, noch mehr bewilligen wie sein Kolleg«, um eine noch gründlichere Schutzwehr mitaufzurichten zum Zweck der Beschwichtigung der.Auferstandenen", die sich auf dem Marsch be- finden zum Parlament. Alles, was im Laufe der Jahre diesen Gesetzesmachern gut schien, erscheint ihnen plötzlich ungerecht und falsch. .Die Gaskranken verrecken ohne Hilfe und Pflege!" .Die Walsen haben kaum zehn Sau im Tag!" .Die Nation läßt ihre Verstümmelten krepieren!" .Ihr Schweinehunde!" hallt es aus allen Ecken wider. Doch die alten Soldaten kommen direkt aus ihren.schaurigen Aushebungsbezuten" mit Handgranaten und Stinkbomben und stellen sich bereit zur Schlacht. Angst und Furcht liegt über den Partelen. Um die Wut der.Auferstandenen" zu besänitiaen. wirft man ihnen das ganz« Budget hin, man verzehnfacht dt« Penstonen der Witwen und ffirnsen. der Bresthaften und Berstümmelten. .Fünf Millionen!" .Zehn Millionen!" brüllt es durch den Saal. .Alle Helden ins Pantheon I" schreien wie rasend die Depu- tierten. „Eine Vi» eaera, ein Heldenweg! Nur Grabdenkmäler in Marmor, prima Qualität!" schreit ein Parlamentsgreis, sein Höhr- rohr in der Hand. ..Keine Steuern mehr für die alten Soldaten!" .Kein Gefängnis mehr, kein Zuchthaus!"
Trotz des Tumults hört man, wie der Lärm anwächst auf der Straße. „Die Toten, die Toten!" schreit die Menge und applaudiert. Die Auferstandenen stehen vor der Tür des Parlaments. Man schlägt und stößt sich an der Türe und auf der Treppe. — .Wenn der Staat kein Geld hat, geben wir das unsere!" stöhnt es im Saal. „Ja, ja."--- Der Lärm brandet empor. Man hört den Gleichschritt einer dumpf vorwärts stoßenden Masse, Detonationen und wildes Geschrei. .Die Minister vor das Staatsgericht I" .Die Generale!"
ci .Alle zusammen gehört Ihr auf's Schafott!"--- Gcfechtslärm stößt durch die Gänge. Die Türen springen aus. Und die Toten stehen In grausiger Anklage— vor der Nation. Der Pesthauch der Soldatengräber sällt über die Masten und in ihre Gesichter preßt sich der Schrecken dieser vierjährigen Schlacht. Di« Fetzen der verfaulten Uniformen hängen von ihnen wie ein Sammelsurium au» der Trödeltammer oller Böller und so reihen sie sich auf mit ihren Knochen und Lumpen zu einer schaurigen Front. Die Füsilierten, die Erstochenen, die Zerschmetterten und die im Stollen Erstickten schließen mit altgewohntem Ruck auf zu einer unermähllchen Kompagnie und die Helme und Seitengewehre schlagen und stoßen sich an den Knochen ihrer Träger mit einem hellen Knall. So wurzeln sie im Boden wie Schatten und aus ihren ge- schändeten Leibern flammt die stumme und doch so beredte Klage — vom Menschen im Krieg. Und dann erlöschen sie in der Nacht, aus der sie gekommen. (Uebertragen von Hermann Schutzinger.)
Das venveste Christusdilö. von Franz Sageblel. Durch die Straßen der Stadt bewegte sich eine Gestalt. Oft schon hätte man sie beobachten können, des Morgens, des Mittags, des Abends, viel« Tage. Die Türen öfsneten sich widerwillig der häßlichen Bettlerin, widerwillig wurden ihr die Pfennige zugeworfen. Sie deutete auf ein Bündel in ihrem Arm, aus dem apathisch und willenlos ein kahler gelbweißlicher Kinderkopf ragte. Dann sah sie Achselzucken, und hörte die Haustüren in ihre Schlösser schlagen: und draußen wartete von neuem der kalte Winter auf sie. Die Menschenstrudel wogten durch die Straßen, sinnverwirrend und laut, zu fiebern schien es in ihnen, zu phantasieren, zu schreien, über denen dennoch so leidenschaftslos und still die Sonne stand. Und die Frau spürte die Sonne und drängte unwillkürlich aus dem Schatten zu ihr hin, bis sie merkte, daß die ihr doch keine Wärme zu geben vermochte, denn schneidend und eisig war der Wind. Allmählich gelangte sie mit dem vaterlosen, halboerhungertcn Kind in die Vorstadt hinein. Sie trat in ein großes Haus, wo Frauen mit weißen Hauben geschäftig durch lange Treppengäng« liefen. Man wies sie ab.„Wir nehmen nur Vollwaisen aus. O, glücklich Ihr Kind, das noch eine Mutter hat!" Da begann siu zu bitten. Die Frauen jedoch waren zu geschätig, als daß sie sie noch hätten anhören können. Und sie ging weiter, nnd kam vor der Stadt in da» erste Dorf. Ins Pfarrhaus ging sie.„Vertraut auf den Herrn," sagte der Pfarrer,„und euch wird Hilfe kommen. Von ihm, der Hungrige satt macht und Tote auferweckt!' und er ließ ihr in der Küche eine Suppe geben. Der Knabe vermochte keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen. In dieser Nacht, die sie in einer Scheune verbrachte, starb der Knabe. Ganz still, ohne daß ste etwas davon merkte. Am Morgen fand sie ihn bereits steif und kalt. Sie betrachtete ihn in einer entsetzlichen starren Gefühllosigkeit, dam, begann sie ihn langsam aus dem schweren Tuch zu wickeln. Sie hauchte ihn an, betastete seinen Körper— aber plötzlich, wie in erschreckter Hast hüllte ste ihn wieder ein, als sie sah, er war wirktlich tot. Langsam kroch das Morgenrot in die Winkel der Scheune. Da nahm sie den toten Knaben auf den Arm, gerade so wie wenn er noch der lebende sei. Dann trat sie aus der Tür. Sie ging durch das ganze Dorf. Am Pfarrhaus kam sie vorüber, wo die Läden noch fest geschlossen waren; sie dachte an den, der dort drinnen jetzt im Bette lag, wo» der ihr gestern gesagt.„O Gott.. flüsterte sie, und der Zug eines traurigen Hohns kam in ihr Gesicht. Dieser Zug ging erst vorüber, als sie am letzten Haus des Dorfes stand und auf die Felder blickte, über denen noch schwer und dunstig der Morgennebel hing. Lange stand sie und sah auf die schwebenden Nebelmasten, in denen taumelnd und verweht, wie von langer Nacht ermattet, vereinzelte Krähen lagen. Als sie sich dann zmn Hause wandte, war es nur mehr Trauer, was in ihr war.— Dies letzte Haus war das Gemeindeamt. Sie trat in die Stube und legte ihr Bündel auf den Tisch. Ein alter Bauer kam herein, sein Blick wurde böse, als er die Zerlumpte sah. „Mein Kind ist diese Nacht gestorben." sagte sie. Er oerlangte ihr die Papier « ab und sagte dann, daß er chr nicht helfen könne. Sie käme von der Stadt, sie müsse wieder zur Stadt zurück. Da lachte sie auf: seltsam war ihr Lachen, daß der Bauer erschrak. Und sie ging mit dem toten Kind durch da» Dorf; von neuem suchte sie die Scheune auf, und lag dort mit stumpfen Blick vor sich niederstarrend, den halben Tag; dicht neben ihr lag, in das Tuch gehüllt, das Kind. Einmal war's ihr, als habe er sich wieder ge- rührt— aber sie sah, daß nur eine große Ratte, von der Bewegung erschreckt, blitzschnell neben ihr wieder unter ein Heubündel fuhr. Gegen Mittag kam ein Knecht in die Scheune.„Wae schafft ihr hier?" fragte er.„Mein Kind ist tot," sagte ste nur. Er musterte sie genau.„Freu dich doch," sagte er dann. Neugierig sah er auf da» klein« Windel. Jtauu ich'» mal sehen?" fragte er. aber ste