Beilage zum„Vorwärts" Berliuer Volksblatt.Pr. 130.Freitag, de»?. Inni 18SS.12. Jahrg.Aas einer Katholischen Irren-Anstalt.Aus Aachen wird uns über den weiteren Verlauf desProzesses Mellage unter dem S. Juni berichtet:Dem gestrigen Bericht ist noch folgendes nachzutragen: DerZeuge Barbier Mewen bekundete: Es sei einmal im Alexianer-tloster die Frage gestellt worden: worin besteht der Unterschiedzirischen dem Himmel und dem Alexianerkloster. Der BruderLeonhard bemerkte darauf: In den Himmel ist schwerhinein-, aus dem Zllexianerkloster ist schwer heraus-zukommen.Gegen 9 Uhr vormittags eröffnet der Präsident, Land»gerichtsrath Dahmen wiederum die Sitzung.Nach knrzer Diskussion wird beschlossen, einige Briefe desBischofs von Aberdeen übersetzen und dann verlesen zu lassen.Diese Briefe sollen bekunden, daß der Bischof Fordes als geistes-krank bezeichnet habe, aus welchem Grimde die Alexianerbrüderim gute» Glauben an dem für irrsinnig gehaltenen Priester gehandelthätten. Es wird alsdann Bruder Paschalis, mit seinem bürgerlichenNamen Johann Theodor Gillifsen, vernommen. Dieser bekundetauf Befragen des Präsidenten: Er sei eines Tages vom BruderJrenSus aufgefordert worden, einen Kranken, namens Borchelt(Kaufmann Borchelt aus Ostpreußen), der sehr krank war,„füttern zu Helsen". Er sei dieser Aufforderung nachgekommen.Am Nachmittage sei der Mann todt gewesen.—Verth. Rechtsanwall Lenzmann: War der Kranke bei Vernunft?— Zeuge: Nein, der Mann war tobsüchtig.— Es wird alsdannBäcker Kaspar Kleinschmidt von hier als Zeuge vernommen.Dieser bekundet: Er sei eines Tages auf Veranlassung seinertrau, die ihn gern bei seite geschafft hätte, von der Polizei nachltariaberg gebracht worden. Gefehlt habe ihm hier garnichts, er sei damals ebenso gesund gewesen, als heule.Er sei 2 Monate in Mariaberg festgehalten worden. Alser Herrn Sanitätsrath Dr. Capellmann bat, ihn herauszulassen,habe dieser ihm geantwortet: Hier ist kein Gesängniß, sonder»eine Irrenanstalt. da kommen Sie nicht ohneweiteres heraus. Er habe Mißhandlungen in Mariabergnicht beobachtet. Das Essen sei allerdings miserabel gewesen.Es gab gewöhnlich des Mittags Gerstenfuppe. ein StückchenLeberwurst oder einen halben Hering. Er habe einmal einePrügelei zwischen zwei Kranken gesehen, 14 Tage später habe erden einen dieser Kranken, der infolge der Prügelei keine Ver-letzung davongetragen halte, mit furchtbar verletztem Gesichtgesehen. Wer dem Kranken diese Verletzung beigebracht, wisseer nicht.— Sanitätsrath Dr. Capellmann: Soweit mir erinnerlich, litt der detreffende verletzte Kranke an Fallsucht;derartige Leute bringen sich häusig selbst Verletzungen bei.—Verth. R.-A. Lenzmann: Ich frage Herrn Sanitätsrath Dr.Capellmann, ob es wahr ist, daß er dem Zeugen, auf seine Bitte,ihn freizulassen, geantwortet hat: Es ist hier lein Gesängniß,sondern eine Irrenanstalt, da können Sie nicht so ohne weiteresheraus?— Dr. Capellmann: Das kann ich selbstverständlich nichtgesagt haben.— Verth. R.-A. Lenzmann: Herr Sanitätsrath,was gab Ihnen Veranlassung, den Zeugen in die Irrenanstaltaufzunehmen?— Dr. Capellmann: Der Mann litt an Ver-folgungswahnsinn.— Verth.: Woraus entnehmen Sie das?—Dr. Capellmann: Aus den Mittheilungen seiner Frau.— Ver-theidiger: Die Angaben seiner Frau genügten Ihnen, um denMann in Ihrer Irrenanstalt zu internire»?— Dr. Capell-mann: Ich hatte auch ein Attest des KreisphysikusDr. Baum.— Vertheidiger: Ich bemerke Ihnen, daßDr. Baum, deffen Amtseigenschaft aus dem Attest nicht aus-gedrückl ist, es ist blos mit„Dr. Baum" unterzeichnet, in demAttest bemerkt: Er könne die Geisteskrankheit noch nicht fest-stellen. Haben Sie nun, wie es gesetzlich vorgeschrieben rst, vo»Herrn Dr. Baum wenigstens nachträglich ein niotivirtes Zeugnißverlangt?— Sanitätsrath Dr. Capellmann: Nein.— Ver-theidiger: Haben Sie sich serner um das Schicksal des Mannesbekümmert?— Zeuge: Nein.— Bertheidiger: Also die Angabender Frau des Mannes genügten Ihnen, um de» Mann sestzu-halten?— Dr. Capellmann: Die müssen mir vorläufig genügen.—Verth.: Herr Sanitätsrath, es wird schon seit Jahren in allenZeitungen darüber Klage geführt, daß Privat-Jrrenanstaltenbequeme Stätten sind, in die böse Frauen ihre ihnen nnbequemeMänner mit Leichtigkeit schaffen lassen können. Nun hat Ihnendoch der Zeuge gesagt: Seine Einlieserunz in die Irrenanstaltsei auf Betreiben feiner Frau von dem hiesigen PolizeikommissarZimmermann angeordnet worden, er(der Zeuge) hege den Ver-dacht, daß der Polizeikonimissar mit seiner Frau ein unerlaubtesVerhältniß unterhalte. Hat Ihnen diese Angabe des Mannesnicht Veranlassung gegeben, eine Untersuchung über dieWahrheit dieser Angaben anzustellen?— Dr. Capellmann:Nein, wie konnte ich das auch feststellen?(Bewegung im Zuhörerraum.) Der Präsident verliest eine vomJahre 1383 datirte, von den Ministern des Jnnern, der Justizund der Unterrichte- und Medizinal-Angelegenheiten erlassene Verfügung, wonach in Privat-Jrrenanstalten Geisteskranke nur auf-genommen werden dürfen, wenn ein eingehend niotivirtes Attestüber die Art der Geisteskrankheit». f. w. vorliegt.Medizinalrath Dr. Gerlach, Vorsteher der Provinzial-Landes-Irrenanstalt zu Münster i. W., und Sanitätsrath Dr. Ripping,Vo> sieher der Irrenanstalt zu Düren, bemerke» auf Befragendes Vertheidigers Rechtsanwalt Lenzmann, daß sie auf grunddes vorliegenden Zeugnisses des Dr. Baum den Mannnicht aufgenommen hätten. Zum mindesten hättedie Mittheilung des Mannes über den Grund seinerEinbringung dem Anstaltsarzt Veranlassung gebe» müssen,nähere Nachforschungen vorzunehmen. ES wird hieraufder Geschäslsreisende Joseph Junior in den Saal gerufen. Dieserwar früher Ausfeher in Mariaberg. Er bekundet auf Befragendes Präsidenten: Er habe gesehen, wie Bruder Heinrich einenKranken mit einem Schlüsselbund in heftiger Weise in die Seiteund mit einem Schuhabsatz auf den Kopf geschlagen. Der Zeugebekundet im weitern auf Befragen: Er habe einmal gesehen,wie Bruder Ezechiel einen Kranken furchtbar geohrseigt undmit dem Fuß zur Erde gestoßen habe. Bruder Gregor»nd Bruder Heinrich haben einmal einein Kranken dennWaschen, um letzteren zum besten zu haben, eiskaltesWasser in den Nacken gegossen. Bruder Casus habeeinmal in der schmutzigen Station einen Kranken von hintenmit aller Gewalt zu Boden gestoßen.— Bruder Overbeckbekundet: Dieser Zeuge sei ans Mariaberg entlassen worden,weil er verdächtig war, sich über die von den Brüder» be-gaugenen Mißhandlungen zu beschweren, der Zeuge habe aberselbst einmal einen Kranken gestoßen.— Zeuge Junior: TaS istnicht wahr.— Präs.: Herr Rektor Overbeck, ich kann es begreifen, daß Ihnen die Beschwerden des Zeuge» unbequemwaren, wir haben gestern so manche Ungehörigkeilen ge-hört, die bei Ihnen vorgekommen sind.— Zeuge schweigt.Verth. Rechtsanivalt Leuzmann: Zeuge Junior, Sie sind fünfJahre Wärter in Düren gewesen, wollen Sie uns über denUnterschied zwischen beiden Anstalten berichten?— Zeuge: DerUnterschied zwischen Düren und Mariaberg ist wie Tag undNacht.- Im weiteren Verlauf bemerkt Bruder Overbeck: Es/eien in Mariaberg zu wenig Wärter und Brüder gewesen.—Sauilälsrath Dr. Ripping und Medizsnalralh Dr. Gerlach be-gutachten, daß in einer Irrenanstalt gewöhnlich aus 19 Krankeein Wärter kommen müsse.— Präs.: Und wie war es in Maria-berg?— Zeuge: Da kam auf 20 Kranke ein Wärter.— Eswerden alsdann die Zwangsjacke, ein Fußrieme», ein Hand-riemen, ein paar lederne Zwangshandschuhe und eine dicke, kurzeeiserne Kette, die an zwei eisernen Armfessel» befestigt ist, vorgelegt.— Auf Befehl des Präsidenten zieht Bruder ProvinzialWelter dem Bruder Overbeck die Zwangsjacke an.— Auf Be-fragen des Verth. R.-A. Lenzmann bemerkt der Zeuge Nellessen:Die Zwangsjacke sei den Kranken in viel festerer Weise angelegtworden.— Geh. Medizinalrath Prof. Dr. Finkelnburg: Werhat wohl das Kranken-Journal über Fordes geführt?— Sanitäts-rath Dr. Capellmann: Das Journal hat Dr. Chantrainegeführt.— Professor Dr. Finkelnburg: Haben Sie in dasJournal die ärztliche Untersuchung über den Krankheitszustanddes Fordes aufgenommen?— Dr. Chantraine: Nein.—Dr. Finkelnburg: Existirt sonst irgendwo eine Niederschriftüber die ärztliche Untersuchung des Fordes?— Dr. Chantraine:Nein.— Dr. Finkelnburg: Dann konstatire ich, daß eine Nieder-schrist über die ärztliche Untersuchung des Fordes weder in demüber ihn gesührten Krankheits-Journal, noch sonstwie existirt.—Ter Zeuge Junior bekundet im weiteren ans Befragen: InMariaberg seien zwei Kranke, Namens Schwalbach(Vater undSohn) gewesen. Schwalbach(Vater) sei von Brüdern vielfachmißhandelt worden, so daß er einen Leistenbruch davon-getragen habe. Auf Befragen des Angeklagten Mellage bekundetder Zeuge noch: der alte Schwalbach habe ihm einmal einigeZähne gezeigt, die ihm von Brüdern ausgeschlagenwurden.— Auf Antrag des Staatsanwalts wird nun der WärterKrings vernommen. Dieser war früher Müller. Er sei vo» 1883bis 1391 und wiederum von 1893 Wärter in Mariaberg gewesenund bekleide diese Stellung noch jetzt. Er könne bekunden, daßSchwalbach bereits mit einem Leistenbruch in die Anstalt ge-kommen sei. Er(Zeuge) habe Mißhandlungen nie wahrgenommen.Nach einigen weniger bedeutungsvollen Vernehmungen, die ebenfalls die Brüder kompromittiren, bekundet R.-A.ILehinkühler-Essen,der alsdann als Zeuge erscheint, in der Hauptsache: Fordes sei ihinkurz nach seiner Befreiung von Mellage vorgesiclll worden. Erhabe sich mit Fordes eine Zeit lang unterhalten und denselbenals sehr ruhigen und intelligenten Mann kennen gelernt. Fordeshabe ihm erzählt, wie schlecht es ihm in Mariaberg gegange»sei, er sei aber katholischer Geistlicher und verzeihe deshalb denBrüdern.— Zeuge Kaufmann Hildebrand-Jserlohn wird nochmals vorgerufen und bekundet aus Befragen zur nähereuErklärung seiner früheren Aussagen; Fordes habe beiseinem Bruder mehrfach Schnaps gekauft, nu ganzen seidies innerhalb 3 Monaten für etwa 29 M. gewesen.—Auf Befragen des R.-A. Oster bekundet der Zeuge weiter:Pfarrer Rheindorf habe ihm geschrieben, er habe Herrn Mellagekeinerlei Auftrag ertheilt, über seinen ungezwungenen Aufenthallin Mariaberg der Staatsanwaltschaft Anzeige zu machen.—Verth. R.-A. Dr. Niemeyer: Dann beantrage ich. den PfarrerRheindorf zu fragen, was ihn veranlaßt hat, einen solchen Brief,wie den bewußten zu schreiben. Ich bemerke, daß es dem PfarrerRheindors sehr unangenehm war, hier als Zeuge austreten zumüssen, da er befürchte, dafür büssen zu müssen.— PfarrerRheindorf: Ich habe geschrieben und bin aus blindem Ge-horsam nach Mariaberg gegangen, ich konnte infolge deffenselbstverständlich niemals von einem ungezwungenen Aufenthaltfprcchen, ich habe auch so etwas niemals geschrieben.—Vertreter der Nebenkläger, R.-A. Oster: Haben Sie demHerrn Generalvikar geschrieben, Sie gehen sehr gerne in Be-gleitung der Brüder aus.— Rheindorf: Ich schrieb an denGeneralvikar: ich erkläre mich auch bereit, in Begleitung derBrüder auszugehen, weil ich hoffte, dadurch öfters ausgehen zukönnen.— Kaufmann Joseph Jannes, der hierauf als Zeuge er-scheint, sagt aus: Fordes sei einmal in Begleitung eines Brudersin das Geschäft seiner Mutter gekonimen, um etwas zu kaufen.Er habe mit Fordes französisch gesprochen. Letzterer habe ihngefragt, was die Aufschrist eines Schildes im Laden„FestePreise" bedeute. Infolge seiner Antwort habe Fordes aus de»Ladentisch geschlagen und sei sehr erregt gewesen.— Fordes,der de» Zeugen wiedererkennt, befragt, erklärt durch Ver-Mittelung des Dolmetschers, er sei erregt gewesen, weil er indem Geschäft nur alte Sachen, jedenfalls nicht das gefundenhabe, was er suchte.— Geh. Medizinalrath Prof. Dr. Finkeln-bürg: Für die Sachverständigen wäre es doch sehr interessant,wenn der Herr Dolmetscher die vollständige Antwortdes Fordes übersetzte. Ich bin auch des Englische»mächtig und kann bekunden, Fordes sagte: er war hauptsächlicherregt, weil man ihn zwingen wollte, in einem Laden zukaufen, in dem die Brüder kaufen und er nichts für sichPassendes finde.— Präs.: Herr Dolmetscher, ist dasrichtig?— Dolmetscher: Jawohl, ich habe mit anderenWorten dasselbe gesagt.— Präs.: Weshalb übersetzenSie dann nicht wörtlich?— Dolmetscher: Ich wollte ab-kürzen.— Präs.: Herr Dolmetscher, Sie sind verpflichtet,>» ö g l i chstwortgetreu zu übersetze» und dürfen keinerleiAbkürzungen mache n.— Präs.: Zeuge Jannes. ist dasrichtig, was Fordes sagt, kaufe» bei Ihnen die Brüder?—Zeuge: Jawohl.— Frau Adele Jannes, die Mutter des Vor-zeugen und Inhaberin des Geschäftes, bestätigt dessen Be-kunoung.— Es werde» alsdann die heute morgen erwähntenBriese der geistlichen Behörden von Aberdcc» an den General-Oberen Bank verlesen und alsdann gegen 1 Uhr mittags einelängere Pause gemacht.In der um 4 Uhr eröffneten Nachmiitagssitzung beginnt dieVernehmung der Sachverständigen, welche ihr Urthcilüber den Geisteszustand Fordes' abzugeben haben. Auf Antragdes Staatsnnwalts werden noch der Sanitätsrath KreisphysikusDr. Kribben aus Aachen und Dr. Rose, Menden, als Sach-verständige hinzugezogen. Dr. Kribben wiederholt im wesent-lichen seine bereits als Zeuge gemachten Beobachtungen. Fordesleide auch heute noch an chronischem AlkoholiSmus und es er-scheine sehr zweifelhaft, ob er, zumal er erblich belastet sein soll,jemals von dieser Krankheit werde wieder geheilt werden können.Seine Willenskraft sei keine normale, er sei nicht im stände, deinAlkoholgenuß zu widerstehen. Sei» Gedächtniß sei zweifellos ge-schwächt, den» er habe ihn, den Zeugen, nachdem er ihn vordrei Jahren drei Monaten gesehen, nichtwieder erkannt.(Lautes Gelächter im Zuhörerraum.)—Präsident: Ich muß das Publikum dringend auffordern,sich jeder Beifalls- und Mißfallsbezeugung zu enthalten.—Verth. Rechtsanwalt Lenzmann: Ich war willens, an de» HerrnSachverständigen, der hier ja bereits in ausführlichster Weiseals Zeuge vernommen worden ist, keine weiteren Frage» zustellen. Wenn ich nun trotzdem dazu gcnöthigt bin, dann bitteich den hohen Gerichtshof um Entschuldigung. Ich bin dazugenöthigt, da es sich hier um die Zukunft des Herrn Fordeshandelt. Der Herr Sachverständige sagte: Fordes leidet aneinem sittlichen Defekt; stützt der Herr Sachverständige dies sei»Urtheil darauf, daß Fordes im Jahre 1874, also vor 21 Jahren,einen Konflikt mit einem Offizier gehabt hat? Ich betone aus-drücklich, daß Fordes von dem Osfizier gereizt worden ist, weildieser aus den Papst und die katholische Kirche schinipfte. Istlediglich dieses 21 Jahre zurückliegende Borkommniß für denHerrn Sachverständigen maßgebend und ist der Herr Sach-verständige der Meinung, daß eine sittliche Sanirung seit diesen21 Jahren ausgeschlossen ist?— Sachverständiger: Mein Urtheilbezüglich des ethischen Defekts stützt sich auch aus das Verhaltendes Fordes als katholischer Geistlicher der katholischen Kirchegegenüber.— Verth.: Wollen Sie das gefälligst näher erklären?— Sachverständiger; Fordes hat doch das Ziel, das er erstrebte,erreicht und hat als katholischer Geistlicher Bestrebungenunterstützt, die katholische Einrichtungen diskreditiren.—Vertheidiger: Einmal bemerke ich Ihnen, daß Fordes keineBestrebungen unterstützt hat, die katholische Einrichtungendiskreditiren konnten. Fordes hat in keiner Weise dazu bei-getragen, daß dieser Prozeß eingeleitet wurde. Der Angeklagteist lediglich hier als Zeuge geladen worden. Nun bitte ich, mirzu sagen: Halten Sie es für eine» sittlichen Defekt des Fordes,daß dieser hier im Interesse der katholischen Kirche nicht meineidigwird, sondern nachdem er Gott als Zeugen der Wahrheit unda l s Rächer der Unwahrheit angerufen, bei der Wahrheit bleibt?— Staatsanwalt: Ich halte es für nicht zulässig, daß der HerrVertheidiger hier direkte Fragen an den Herrn Sachverständigenstellt. Ich beantrage daher, daß der Herr Vertheidiger seineFragen dein Herrn Präsidenten vorlegt und dieser den Sachver-ständigen fragt.— Verth.: Gesetzlich hat der Präsident die Ver-Handlungen zu leite» und nicht der Staatsanwalt. Laut Straf-Prozeß-Ordnung steht mir das Recht zu, direkte Fragen anZeugen und Sachverständige zu stellen, so lange mir dies derHerr Präsident gestattet. Die Erlaubniß des Herrn Präsidentenist mir bedeutend maßgebender als der Einspruch des HerrnStaatsanwalts.(Lautes Bravo im Zuhörerraum.)— Präs.:Ich muß wiederholt dringend um Ruhe bitten, die Sacheist hier sehr ernst. Nur bemerke ich, Herr Vertheidiger,ich will Ihnen die Fragestellung nicht beschränken,ich ersuche Sie aber, sich etwas kurz zu fassen.—Verth.: Nun, ich will dies Thema verlassen und eine ander«Frage stellen. Sie sagten: Fordes leidet an Gedächtnißschwäche,da er Sie, nachdem er Sie vor drei Jahren drei Monaten einmaleinige Minuten gesehen und Ihrem Zeugnisse nach obendreinbetrunken war, nicht wieder erkannt hat. Ich frage Sie nun,haben Sie außer diesem Momente»och andere anzuführen,worauf Sie Ihr Urtheil stützen, daß Fordes an Gedächtniß-schwäche leidet?— Sachverständiger: Fordes wußte sichzunächst überhaupt nicht auf den Ternn» zu erinnern.Später war er der Meinung, daß auch Dr. Chantrainedem Termine beigewohnt habe.— Verth.: Haben Sienoch weitere Moniente anzuführen, die die Gedächtniß-schwäche des Fordes begründen?— Sachverständiger: Nein.—Der Vertheidiger sucht ferner gegenüber dem Urtheil des Sach-verständigen, daß Fordes heute noch Alkoholiker sei, zu kon-statiren, daß kein Zeuge bekunden könne, Fordes sei seit der Zeitseines Aufenthalts in Iserlohn jemals betrunken gewesen.—Sachverst. Kreiswundarzl Dr. Rose(Menden) giebt sein Urtheildahin ab, daß Fordes an„moralischem Irrsinn" leide;Medizinalrath Dr. G e r l a ch(Münster i. W.) ist entfernt davonzu erklären, Fordes sei ein gemeingefährlicher Geisteskranker,doch sei er durch de» Alkoholgenuß geschwächt. Einen„moralischen Irrsinn" kennt die psychiatrische Wissenschaft nachAnsicht dieses Sachverständige» nicht. Entgegen dem Protest derVertheidiger gestattet der Gerichtshof dem Staatsanwalt, dem Sach-verständigen die Frage vorzulegen, ob die Aerzte und dieAlexianerbrüder der Ueberzeugung sein mußten: Fordes befindetsich in einem Zustande, der seine Jnternirung in der Anstalt er-forderlich machte, oder ist Fordes in Mariaberg wider besseresWissen festgehalten worden?— Medizinalrath Dr. Gerlach be-merkt nun: Die Brüder waren jedenfalls nicht befähigt, denGeisteszustand des Fordes zu bcurtheilen, eine Entscheidunghierüber können lediglich Aerzte treffen. Daß den Brüderndie Entscheidung über die Jnternirung der Krankenanheimgegeben war, ist ein arger Mißstand. Man kannhier das Dichterivort anwenden:„Es erben sich Gesetz undSiechte, wie eine ewige Krankheit fort". Die Brüder haben sichaus alter Gewohnheit für besähigt erachtet, den Gcsundheits-zustand der Insassen der Anstalt zu beurtheilen und überdie Nothweudigkeit der Jnternirung zu entscheiden, obwohlihnen jedes Verständniß dafür fehlte. Wen» der Prozeßeinen guten Zweck haben wird, so wird es der sein, daßdieser Mißstand hier aufgedeckt worden ist, und daß der Mangel-hasten ärztliche» Pflege in Mariaberg abgeholfen werden wird.— Präs.: Waren die Anstaltsärzte, die Herren SanitätsrathDr. Capellmann und Dr. Chantraine, befähigt, den Zustand desFordes zu erkennen und mußten diese die Ueberzeugung haben,daß seine Jnternirung nothwendig war?— Sachverständiger:Ich kenne die Herren zu wenig.— Präs.: Sie könne» dieBeantwortung dieser Frage ablehnen.— Sachverständiger:Ich lehne die Beantwortung ab.— Vertheidiger RechtsanwaltDr. Niemeyer: Herr Sachverständiger, nachdem Mellage er»fahren hatte, daß Fordes lediglich von den Anstaltsbrüdernfestgehalten worden sei und die Aerzte sich um Fordes überhauptnicht gekümmert haben, mußte da nicht Mellage zu derUeberzeugung gelangen, daß Fordes in der Anstalt wider-rechtlich festgehalten worden sei?— Sachverständiger: Jawohl.— Geh. Medizinalrath Prof. Dr. Finkelnburg(Bonn) saßtsein Urlheil dahin zusammen, daß Fordes kein Epileptiker, sonderndurch seine alkoholischen Excesse geistig geschwächt ist.Aus Befragen der Vertheidiger bemerkt der Sachverständige:Der Zustand des Fordes erheischte vielleicht eine provisorischeJnternirung zum Zwecke ärztlicher Beobachtung. Danach wirddie Sitzung gegen 8 Uhr abends auf morgen(Donnerstag) vor»mittags 9 Uhr vertagt.Lokales.Zur Loknlliste. In Beelitzhof steht das Restaurant Hensel(Inhaber Carl Ulrich) der Arbeiterschaft zur Verfügung.Der Kartoffelbau durch Arme, den die Armenverivaltungalljährlich auf zu diescnr Zwecke gepachteten Ländereien an dernördlichen, nordöstlichen und östlichen Weichbildgrenze Berlinsveranstaltet, hat nach dein in der letzten Armenkommissions-Vorsteher- Versammlung erstatteten Bericht 1894 einmal ein ver-hältnißmäßig günstiges Ergebnis gehabt. Es wurde das rundneunfache der Aussaat, also eine gute Miltelerute erzielt. Ge-erntet wurden 1 761 149 Kilogramm Zkartoffeln, die, wen» manden amtlichen Berliner Martini- Marktpreis von 5 Marl pro199 Kilogramm zu gründe legt, 88 957 Mark werth waren.Zieht man 18S32 Mark Beiträge der Theilnehmer ab, so fälltaus letztere ein Gewinn von 69 525 Mark oder durchschnittlich27,98 M. pro Parzelle. Zieht man dagegen die gcsnmmtc»Kosten des Unternehmens, von denen die Hälfte von der Stadtaufgebracht wird, mit 36 5941/2 M. ab. so giebt das eineneigentlichen Reingewinn von 51 4621/2 M. Das ist nicht viel.wenn man bedenkt, daß er durch die Arbeit von 2492 Parteienerzielt worden ist, die sich aus 15 542 Personen(nämlich 2217Ehemännern. 2217 Ehefrauen.; 275 Wittwen, 1849 Kindern über14 Jahr und 6993 Kindern unter 14 Jahr) zusammensetzte».Wie viele davon miigearbeitet haben, wird natürlich nichtamtlich ermittelt, aber meist murksen wohl ziemlichalle Familieugliedcr in ihren kurze» Mußestunden aufdem rhnen zugewiesenen Acker umher. Der Armenverwaltungist es freilich mehr um de»„moralischen" Gewinn zu tbu», derfür arme Leute darin liegen fall,»venu sie ans diese Weise durch