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Nr. 363 42. Jahrgang
Mitten im Sommer.
Dem Kalender nach sind wir nur ein wenig erst jenseits der Jahreshöhe, aber manchmal will es uns scheinen, als ginge es mit Riesenschritten bergab. Es ist etwas anderes, ob Bäume auf dem Lande oder in der Großstadt Drang und Kraft ihres Lebens entfalten, und ebenso geht es mit den Menschen. Mitten im Sommer läßt uns die Natur der freudlosen Zeit gedenken, die uns um ein Bielfaches länger als die Tage der Luft erscheinen. Natur und Mensch sind gleichermaßen mitten im Leben dem Tod verfallen. Was sich uns an Schönheit der Natur in der Großstadt bietet, ist uns ganz besonders lieb und vertraut. Es bleibt auch für viele, die feinen Urlaub, teine Erholung kennen, ja oft nicht einmal aus der Stadt hinauskommen, die einzige Offenbarung beglückender Zeiten
pechsels.
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Die Treue, mit der uns das Leben der Natur in unsere Steinwelt folgt, wird mit frühzeitigem Siechen bezahlt. Dazu kam die allzu fatte Glut wir werden in der Stadt sehr rasch den Herbst haben und dieser Herbst selbst wird wieder sehr lang sein. Ganz so, wie es im Leben der arbeitenden Großstadtmenschen geht, denen frühe Jugend nicht immer Frühling und der Herbst nur selten Ruhe und Ernte bedeutet. Und denen mitten im Sommer das helfte Licht harte und schwere Schatten hat. So soll es sein auf der Höhe der Jahreszeit wie im Reich des Lebens: Vorzeitiges Berblassen und Belfen will uns mahnen zur Vervielfältigung unserer Kräfte, zu mutigem Streben nach dem Befiz allzu schnell entgleitender Freude. Wie schnell und du möchtest gerne im Sommerland wandern, aber das Land ist ein anderes geworden, und so schön der Herbst ist, es fällt dich doch wie Reue an, daß du Frühling und Sommer un genugt vorüberließest. Noch merkst du nicht recht, daß die Tage fürzer werden, bis dich plötzlich eine Gewißheit mit Bangen erfüllt und das Erkennen flagt, wieviel föstliche Stunden des Lichtes mit all den jubelnden und beglückenden Lebensregungen unbeachtet an dir vorübergingen.
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Aber wie oft erneuert sich denn dem Menschen der Bechsel der Jahreszeiten? Geschieht es fünfzigmal, dann war es schon eine Be günstigung, an siebzig Malen ist es schon fast ein Wunder. Armer Großstadtmensch, laß dir die Mahnung zum Glück dienen, läßt dir schon dein hartes Berfleben so wenig Stunden zu Neigung und Luft- nüße die wenigen aus und werde glüdlich in ihnen! Hüte dich, daß du vom Herbst überrascht wirst oder daß dich gar der Winter überfällt!
Noch stehen mir mitten im Sommer, noch ist nichts verloren aber die Zeit steigt wieder von sonniger Höhe und du darfst nicht das Schicksal deiner Bäume in stidender Asphaltumschlingung teilen. Sei stark und tapfer, wie du es sonst bist, und mache dir jest jeden Tag, der doppelt foftbar ist, weil es dem Ende zugeht, zu befizwiffender Freude!
Ein Heim der Arbeit an der Märkischen Ostsee". Eine der schönsten Gegenden in der Nähe der Reichshauptstadt ist, so schreibt man uns, unzweifelhaft das Gebiet des Shar: mügelfees. Der See selber ist der größte und schönste der Mart; er wird auch die märkische Ostsee " genannt. Eingebettet in liebliche Höhen, ist er eine Stätte edelster Freuden. Nur eine Beobachtung stört, nämlich, daß die der Erholung am meisten bedürftigen Volfsfreise ihn am wenigsten aufjuchen. Das hat den sehr naheliegenden Grund, daß der Arbeiter und fleine Mann die Dornehmen" Gaststätten nicht aufsuchen tann, weil er die Preise nicht zu zahlen vermag. Darin soll nicht ohne weiteres ein Bor murf gegen die Befizer liegen. Sie müssen den verwöhnten Ansprüchen von Berlin - Kurfürstendamm Rechnung tragen und haben infolgedeffen auch außerordentliche Laften. Vor der Induftricali fierung" des Seeusers, das fast ganz in privatem Befit ist, zu Zeiten des Löschebrands, war es anders. Damals tam das Großberliner Proletariat viel zahlreicher die nach Saarow , Piestow und den übrigen Seeorten Weltbadpreise waren eben noch nicht eingeführt. Nun heißt es eben: Der Scharmüßelsee muß sozusagen für die arbeitenden Klassen wiedererobert werden. Wie das zu machen ist? Man errichte am Ufer des Scharmüßelsees nach Silberberg zu, wo der Boltsfeuerbestattungsverein ein umfangreiches Gelände erworben hat, von welchem er sicher einen Teil abgibt, ein heim der Arbeit, eine einfache und doch geschmackvolle Gaststätte mit Uebernachtungszimmern, Jugendherberge, Bade- und Ruderbetrieb. Dann wird
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18. September. Ich übe mich im Bergessen. Es gelingt nicht. Ich tomme immer zu dem gleichen Ergebnis. Ich muß Gewißheit haben und dann die Folgen tragen. In niedriger Gemeinschaft weiter zu hausen, das wäre eine Schändung des reinen Glücks, das wir uns einst schufen. Wie sollten auch die Kinder in solch einem Berhältnis gedeihen! Klara schreibt wieder täglich, furz und inhaltlos. Doch scheint sie mir etwas gefaßter. Sie spricht bereits viel vom Wiedersehen, bisweilen aber huscht zwischen den Zeilen etwas Unheimliches, Angstpolies. Ich glaube, fie bemüht sich, auch zu vergessen und das Einmal hinwegzudenken.
24. September.
Die Tage schleichen. Ich bin längst der einzige Badegaft. Der Bademeister, der masserscheu ist, erstaunt alltäglich, wie es einem Menschen Bergnügen machen tönne, ins Wasser zu gehen, wenn die Temperatur unter zehn Grad gesunken. Aber gerade diese Minuten im Meer, wenn ich mit den Erschütterungen der Kälte ringe und dann, halb erfroren, zitternd und flappernd in das Badetuch mich hülle, das unter der Fauft des braven Hüters in bedrohlich starke Reibung mit meinem Körper gerät Das sind die einzigen Augenblicke, an denen ich nicht dente, nicht grüble, nichts fürchte.
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Heute abend saß ich auf der Bant vor dem Wirtshaus. Bald fegte sich an die andere Ede ein Pärchen, das mich in der Fin fternis nicht zu bemerken schien. Ich fannte es: eine Magd, ein schmuziges, dürres, häßliches und äußerst verliebtes Geschöpf, und der Haustnecht, ein strammer Bursch. Sie wurden sehr zärtlich und schienen ganz versunken in ihre Seligkeit. Sonst erheiterte ich mich an solchem Menschlichen. Heute war es mir widerlich. Ewig das Männchen und das Weibchen! Und die verlogene Aus. staffierung des gemeinen Dursies. Ich fühle, daß ich wieder in den Zustand jener Zeiten der Krankheit geraten bin, da mir jedes psychologische Bedürfnis und alle natürlichen Berrichtungen den tiefsten Abscheu einflößten, da ich wie ein Affet im befreiten Geiste schwärmte und das Leibliche haßte als ein Etelhaft- tierisches. Die in irgend beiden bemerkten mich schließlich doch und liefen davon einen johnmuzigen Winkel.
hier ein Zeitralpunkt für die gesamte moderne Arbeiterbewegung geschaffen, ein machtvolles Zeichen ihres Aufstiegs. Die Arbeiter wohlfahrt könnte wohl die Sache in die Hand nehmen; ihr blüht hier ein Zentralpunkt für die gesamte moderne Arbeiterbewegung Partei, Gemertschaften, Genossenschaften und Arbeitesportvereine werden das Unternehmen gern unterstützen. Gewiß bereitet die Rapitalbeschaffung Schwierigkeiten, aber sie sind zu überwinden. Wir müssen und werden Vertrauen zu uns selber haben.
Ein hartnäckiger Vater.
Weil er wieder heiraten will.
Bermandtschaft verpflichtet nicht immer! Oft find die Gegen lätze in der eigenen Familie härter und erbitterter wie zwischen fremden Leuten! Wenn sich vor dem Schöffengericht in Moabit ein Brautpaar, das furz vor der Eheschließung steht, wegen Dietftahls zu verantworten hat, tann man sich eines Mitleids mit den jungen Leuten nicht erwehren. Um so mehr wenn ihre Anfläger der ater des Bräutigams und die Schwester der Braut find.
Der Arbeiter Reinhold P. und seine Braut Emma R. find peinlichst bemüht, ihren Richtern immer und immer wieder zu erklären, daß sie nur wenige Wochen vor ihrer gesehlichen Ehe schließung stehen, also ein wirkliches Brautpaar find. Trotz der schweren wirtschaftlichen Zeit wollen sie gemeinsam leben, aber auch gemeinsam arbeiten! Run haben sie eine entseßliche Angst, daß einer von Beiden in das Gefängnis tommt, womöglich gleich heute festgehalten wird. Was sie taten, geschah in bitterster Not! Ein Rind wurde frühzeitig geboren, die Entbehrungen dadurch noch größere! Nun ging der Bräutigam zu seinem Vater, die Mutter ist gestorben, und verlangt sein Erbteil. Aber der hat andere Gedanken, er will wieder heiraten und verweigert dem Sohne alles. In dieser Lage läßt sich der Berzweifelte dazu verleiten, mit Gewalt einige Wertsachen an fich zu bringen. Unter anderem soll auch ein Anzug und eine Hoje darunter gemesen sein. Der Bater antwortet mit einer Antlage megen Diebstahls. Und so hat auch die Braut gefehlt. Ihrer Schwester nahm sie eine Uhr und andere Gegenstände. Wohl auf Beranlassung des zufünftigen Schwiegervaters war auch hier die Antwort die gleiche. Jetzt steht das junge Baar auf der Antlagebant, verängstigt und verschüchtert. Das hatten sie nicht vorausgesehen. Der hartherzige Bater bleibt starr und unbarmherzig bei seiner Anzeige. Er hätte sie zurüdnehmen fönnen! Er tut es nicht! Und auch die Schwester des jungen Mädchens zeigt menig mehr Mitleid. nur von dem Recht, ihre Aussage verweigern zu dürfen, macht sie der Schwester gegenüber Gebrauch!
Also mußten die Angeklagten verurteilt werden... 3 Mo nate Gefängnis sind der Erfolg, den der Vater dem Sohne, die Schwester der Schwester gegenüber verzeichnen durften. Das Brautpaar aber durfte selbstverständlich nach Hause gehen. Sie werden später ihrem Kinde von dem„ guten Großvater und der netten Tante" fehr viel zu erzählen haben!
Ein verschimmelter Keller als Wohnraum.
Bor ungefähr drei Wochen erhielt eine Familie mit einem dreizehn Monate alten Rind, die solange möbliert gewohnt hatte, endlich eine Wohnnug. Sie liegt in der Großen Frankfurter Straße. Das Haus fieht noch einigermaßen annehmbar aus, aber die Wohnug befindet sich im Hinterhaus, im Keller. Es ist taum glaublich, daß ein solches Gelaß als Wohnung bezeichnet wird. Diese Kellerräume erhalten nie Sonne, fie sind unendlich verraucht und verschmutzt und spotten jeder hygienischen Forderung. An den Bänden haben sich Schwammtolonien angefiedelt, an denen der Bakteriologe seine helle Freude erleben würde. Der Aufent halt in solchen Räumen muß unbedingt für die Bewohner eine Gesundheitsschädigung mit sich bringen. Sie werden aber einer Familie mit einem dreizehn Monate alten ind als Wohnung angeboten. Der Wirt mill sie nicht mehr vermieten, aber das Wohnungsamt besteht darauf, daß sie bezogen wird. Es wäre dringend notwendig, wenn das Gesundheitsamt dieje Räume einer eingehenden Prüfung unterziehen würde.
Der Erbonkel aus Vera Cruz.
Der frühere Reiner Ernst Werner, den bereits sein Vater wegen feines leichtsinnigen Lebenswandels und wegen einer leicht finnigen Heirat enterbt hatte, verstand es, einen hiesigen Gastwirt zu betrügen, indem er ihm das Märchen von dem Ableben eines reichen Erbonkels in Bera Cruz mitteilte. Der Gastwirt lieb ibm gerne 3000 M., weil der unglüdliche Erbe in größter Berlegenheit glaubhaft machte, daß er zum Antritt der Erbschaft"
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25. September.
Ein Einfall tam mir heute. Barum sollte nun auch ich nicht Ernst machen. Gehe ich nicht so zugrunde? Ich dachte an Mien chen, an das Mädchen aus der Beibertonditorei. Die bloße Vor stellung flößte mir Efel ein. D, dieses stumpfsinnige, gemeine, blöde Handwert der Begierde! Reinheit ist nur in der unbelebten Natur, in dem Lichtertanz der toten Materie. Die Menschheit ist eine Horde von Bestien, die nicht einmal den ehrlichen Mut haben, es find verihre Biehheit zu bekennen, und lieber heucheln- logene Bestien.
Heute fügt Klara einem Brief das flüchtige Poststript hinzu: Das Rind" ist vor ein paar Tagen abgereift. Er will diesmal ins Ausland. Gottlob." 28. September.
Wenn ich nur einmal recht schlafen fönnte... Ist es nicht grausam, daß ich gerade jezt ein Drittel mehr leben muß, meil es feinen Schlaf für mich gibt. Das ganze Leben ist eine schlaflose, fie endigt erst, menn Don qualvollen Gebanten zerriffene Nacht man einschläft.
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Dienstag, 4. August 1925
wegen einer testamentarischen Bestimmung des Erblassers den Nach weis geschäftlicher Selbständigkeit erbringen müsse. Da Werner dem gutgläubigen Gastwirt sowohl eine gefälschte Testamentsabschrift als auch ein gefälschtes Telegramm aus Amerika vorlegte, ließ diefer sich noch einmal zur Hergabe von 1000 m. überreden, wofür er auf spätere Entschädigung rechnete. Er erstattete erst Anzeige, als er merkte, einem Schwindler in die Hände gefallen zu sein, und daß alle Angaben Werners über den Ankauf eines Geschäftes auf unwahrheit beruhten. Das Schwindlerehepaar auch die Frau hatte sich sehr erfolgreich baran beteiligt erhielt nunmehr je ein Jahr Gefängnis, aber der Gastwirt hat von seinem Gelde nichts wieder gesehen.
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Die Verfassungsfeier.
Berkaufsstellen von schwarzrotgoldenen Fahnen! Um der republikanischen Bevölkerung den Kauf der Fahnen zu erleichtern, hat der Warenvertrieb des Reichsbanners noch folgende Bertaufsstellen eingerichtet: Rahtmann Schöneberg, Belziger Straße 27 Bor Hamburger, Stegliz , Schloßstr. 113 märtsausgabe, Berlin , Immanueltirchstr. 24 Bor= warisausgabe, Charlottenburg , Seesenheimer Str. 2 Israel , Berlin NW, Bachstr. 4 Borwärtsausgabe, neutölln, Redarstr. 2- Reßler, Treptow , Grägstr. 50 Baul, Oberschöneweide , Wilhelminenhofstr. 449 Köpenid, Freiheit 7.
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Abzeichen zum Berfaffungstag.
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Breuer,
Jeder Republifaner muß am Berfassungstag seine Gesinnung auch offen bekennen. Zu diesem Zwed hat das Reichsbanner ein geschmackvolles Berfassungstagabzeichen geschaffen, das zum Preise von 1 M.im Gaubureau des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold, Berlin S 14, Sebastianstr. 37/38 sowie bei allen Gewerkschaften, bei F. H. B. Diez Nachf., Lindenstr. 2, bei der Geschäftsstelle des Vorwärts", Lindenstr. 3, Hauptgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei, Bernburger Str. 18, Deutsche Demokratische Partei, Zinimerstr. 7/8, Geschäftsstelle der Germania " Stralauer Str. 25, sowie an den Theaterfaffen der Warenhäuser Hermann Tiez zu haben ist. Das Ab zeichen berechtigt gleichzeitig zur Teilnahme an sämtlichen Ver anstaltungen des Sonnabend und Sonntag ohne jede weitere Nachzahlung.
Republikanische Wassersportier.
Am Lage der Berfassungsfeier, den 9. August, ist auch den Bassersportlern Gelegenheit gegeben, für die republitanische Staatsform zu demonstrieren. Während der Vormittagsfeiern veranstalter die republikanischen Wassersportler auf dem Landwehrkanal eine Rorsofahrt mit Musik quer durch Berlin . Treffpunkt und Einschleusen vormittags pünktlich 8% 11hr an der Treptow . Im Anschluß daran nehmen die Wassersportler dann in Oberschleuse, gegenüber dem Osthafen. Rückkehr nachmittags 1 1hr nach Sportkleidung an dem Aufmarsch und dem großen Festakt auf der Spielweise in Treptom teil. Dem Feste entsprechend werden die teilnehmenden Kanu, Ruder und Motorboots befizer gebeten, die Farben der Republit zu fezen. Unfosten durch Einschleusen entstehen den Teilnehmern nicht. Wasser sportler, die noch an der Demonstration teilnehmen wollen, merden um fofortige Anmeldung beim Gau des Reichsbanners, Berlin 1. Sebastianstr. 37/38, gebeten.
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In der Mitteilung unserer Sonntagsausgabe„ Die Berfassungsfeier am nächsten Sonntag", ist im zweiten Abschnitt der Tag verwechselt worden. Es hieß dort irrtümlich: Am Sonnabend selbst ist ganz Berlin zur Beteiligung an der Berjaijungsfeier aufgerufen. Nicht am Sonnabend", sondern am Sonntag sind die Volksfeste. Auch die republikanischen Kundgebungen in den Vormittagsstunden in allen Stadtteilen Berlins finden nicht am „ Sonnabend", sondern am Sonntag" statt.
Das verregnete Kümmelblättchen.
Nicht Bind und Wetter fönnen die eifrigen Spieler abhalten, on den entlegenen Stellen des Grunewaides ihre Bank" aufzu Tegen und die Leichtgläubigen zit prellen. Der Sonntagpormitag hatte, wie immer, viele Berliner in den Grunewald gelockt. Als gegen 4 1hr das Gewitter einseite, suchten die Ueberraschten unter den Bahnübergängen der Avus und an anderen geschüßten Stellen Zuflucht. Sofort waren an diesen Pläßen auch die Spielhalter zur Stelle, und geschickt wußten sie die Langeweile der Wartenden auszunuzen. Aber auch die Polizei wußte, wo sie aufzufspüren waren. So gelang es einer Streife der Kriminalund Schußpolizei, eine Partie" in der Nähe von Schlachtenjee zu überraschen. Troß aufgestellter Spanner fonnten die Beamten
geht wieder an sein Graben. Wir liegen fast den ganzen Tag am Strande und bauen die großartigsten Bewässerungsanlagen. Erst schaufeln wir im Trodenen ein Geflecht von Gräben und Teichen; der Hauptkanal, der zum Meer führt, wird zunächst vorn durch einen Damm verschlossen. Dann, wenn alles fertig ist, wird der Damm Durchstochen. Belcher Jubel, menn dann auf einmal all Das glückliche Kind hat noch die Tiefen sich mit Wasser füllen. feinen Begriff von der Zeit. Jeder Tag ist ihm bis zum Rande erfüllt von froher Lebenstätigkeit. Er vergeht ihm nur allzu schnell, und er ist sich nicht bewußt, wie viele vorübergehen. So wartet er geduldig und ohne Sehnsucht, bis die Mutter wiedertommt. Und bald wird er auch die Frage vergessen.
Ich habe mich nur schwer entschlossen, von der Arbeit wegzugehen. Aber der Arzt bestand darauf, daß ich ausspanne, und er hat recht. Ich habe Bflichten. Ich habe Pflichten. Ich muß mich erhalfen- obwohl ich nirgends ein ruhiges Raften finde. Fast ein ganzes Jahr ist es her, daß ich dieses Heft nicht berührte. Ich magte es nicht. Ich wollte nicht mit mir selbst 3miesprache halten. Nicht wie sonst des Abends, menn alle zu Bett
Ich bin niemals mehr wach, ich bin immer nur schlaflos, auch gegangen, mochte ich ausbleiben und mir von mir beichtend und am Tage.
29. September.
Morgen reise ich ab. Ich will gefaßt sein, würdig und freund lich. Ein Mensch, der Menschliches begreift, nicht zürnt und tobt, ohne zu schwanken. sondern still und ernst hut, was er hun muß Milde und fest. Ich weiß faft auswendig, was ich sagen werde. Ich habe ja tein Recht, den Stein auf sie zu werfen... Binsensee, den 14. Auguft 189.
Seit at Tagen bin ich num wieder hier, in dem alten Wirts haus, in dem alten Zimmer. Es hat sich nichts verändert. Nur bin ich diesmal nicht allein. Im Bettchen dort drüben schläft mein er hat es lange Bube, rosig und ruhig. Heute fragte er mich wieder, wann denn die Mama zurückommt. nicht getan ,, Noch nicht", sage ich.
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,, Aber sie bleibt furchtbar lange", meint das Kind. Ja, fie ift auch sehr weit verreift."
„ Ja."
Als Afrita?"
Ja."
Dann muß es jebe weit jein," jagt der Junge erstaunt ins
urteilend erzählen. Ich bin die Zeit über, wenn mein Tagewerk vollendet, so schnell wie möglich selbst ins Bett geschlüpft. Es war mir wie ein Ainl. Ich bin schon jetzt in dem Zustande der alt und mürb gewordenen Menschen, die fich Sonntags nachmittags zu Bett legen, weil sie nicht wissen, was sie anfangen sollen, wenn fie die Maschine des täglichen Erwerbslebens freigegeben hat. Auch mir ist das Bett zum Freunde, zum Sorgenlöscher geworden. Man dämmert so dahin, denft nichts recht flar und scharf, Sorge und Sehnsucht ermatten in dem lauen Bade und schlafen schliez lich wohl ganz ein.
Aber hier ist mir in den acht Tagen wieder ein menig der Sinn erfrischt. Es erwacht wieder in mir die Lust, mein bißchen Leben zu buchen. Bisher fürchtete ich mich danor; denn ich hätte bei solcher Einfehr immer nur den einen Gedanken aufgeweckt, den ich doch bannen muß: Brich dein Wort! rufe sie zurüf. Lebe mit ihr, so schimpflich und niedrig das Dasein sein mag alles ist besser, als diese tödliche Einsamkeit. Wohl ein dugendmal habe ich den Brief geschrieben, der fie rief, mit heißen inständigen Worten, immer noch fand ich die Kraft, ihn zu verbrennen. Ich wußte ja, daß, wenn meine Sehnsucht erfüllt, dann jenes widerliche Spiel zwischen Neigung und Hader entstehen würde, in dem die Ehen und die Menschen faft immer verwahrlofen und zugrunde gehen. ( Fortseßung folgt)