Einzelbild herunterladen
 

Nr. 37� 42. Jahrgang

1. Oeilage öes Vorwärts

donnerstag, 13. August 1H2S

Doppelgänger üer Giftpilze.

Die Zeit des Pilzsammslns beginnt und damit stellt sich auch die Gefahr der Pilzoergiflungen wieder ein. Es dürfte daher an- gebracht fein, auf die hauptsächlichsten und gefährlichsten Giftpilze hinzuweisen. Diese Gefahren des Pilzgcnusses halten leider noch immer sehr viele Menschen vom Genuß der Pilze ab. Da aber der frisch genossene Pilz durchaus nahrhaft ist, so kommt es lediglich darauf an, daß man bei einem vertrauenswürdigen Händler kauft, sich im übrigen aber die Kenntnis der wichtigsten Pilzarten an­eignet, um imstande zu sein, beim Kauf die guten von den schlechten zu scheiden und beim eigenen Sammeln die schlechten, d. h. giftigen überhaupt nicht zu nehmen. Beim Sammeln aber darf man niemals den Pilz mit der Wurzel ausreißen. Di: giftigen Knollenblätterschwämme. Der gefährlichste und häufigste Veranlasser von Pilzvergiftungen ist unstvoii g der grünliche knollenblälterschwamm| phalloidos), dem im vergangenen Jähre so viele Menschenleben zum j Opfer gefallen sind. Die Knollenblätterschwämme, deren wir 3 Arten unterscheiden, sind: 1. Der gelbliche Knollenblätter. schwamm(Arnanita mappa). Der Pilz kommt von Juli bis zum| Herbst namentlich in Kiefernwäldern vor und erscheint, wie fast alle Wulstlinge, zunächst als eiförmige Knolle und ist von einer weißen i Hüllhaut umschlossen. 2. Der grünliche knollenblätlerschwamm fAmanua plialloidcs), wie schon erwähnt, der gefährlich st e aller Giftpilze hat einen olivgrünen Hut, der aber auch ins Grau-, Gelb- oder Braungrüne übergeht. Die Hutoberhaut ist nur im Jugendzustande mit Flocken bedeckt, im Alter meist nackt. Der Hutrand ist mit dem Stiel durch einen Ring verbunden. Das Fleisch

Die Pilzkenner aus Gewohnheit.

ist zart und weiß, unter der Huthaut, welche abziehbar ist, grau- gelblich. Die Lamellen sind stets weiß. Der weiße, biegsame Stiel ist meist mit blaßgrünen Flecken oder flockigen Schuppchen versehen. Der Pilz erscheint im August, verschwindet aber meist schon Ende September und kommt hauptsächlich in Laubwäldern vor. Der Genuß des grünen Knollenblätlerschwammes übt furchtbar zerstörende Wirkungen(ähnlich denen der Phosphorvergiftung) auf unseren Körper aus. Es stellt sich 6 bis IS Stunden nach Genuß von Knollenblätterschwämmen zunächst ein plötzlicher, heftiger Schmerz ein, dann folgt Erbrechen, quälender Durst, choleraartiger Durchfall, völlige Entkrästung und Teilnahmlosigkeit. Erst nach 3 bis 6 qual- i vollen Tagen tritt Bewußtlosigkeit und infolge Zerstörung der roten Blutkörperchen und fettigen Entartung von Leber, Nieren und Herz bald darauf der Tod ein. Eine Rettung ist meist nur dann möglich, wenn nur kleine Mengen ge- nassen wurden und schnelle Entleerung des M.:gens erfolgen konnte. 3. Der sehr giftige weihe knollenblätlerschwamm oder Frühlingsknollenblätterschwamm(Amanita verna) unterscheidet sich vom gelblichen Knollenblätlerschwamm nur durch seine weiße Farbe. Der Hut ist bei feuchtem Wetter klebrig, weiß ohne Hüllreste. Er kommt von Juni bis Oktober zuweilen schon im Mai in Humus- reichen Wäldern Norddeutschlands, auch in der Umgegend von Berlin vor, hier aber selten. Er riecht ziemlich stark, unan- genehm, fast rettigartig. Der Fliegenpilz (Amanita muscana.) Dieser Pilz ist wohl jeder- mann bekannt, so daß eine nähere Beschreibung stch erübrigen dürfte. Unter den Blätterzülzen wäre dann noch der Speitäubling(Kussula emetica) zu erwähnen. Die Hutfarbe ist sehr verschieden: blut-, purpur-, hellrot oder rosa. Das weiße Fleisch ist locker, sehr leicht zerbrechlich. Die Lamellen sind weiß oder grauweiß. Der Geruch in frischem Zustande unangenehm widerlich, brechencrregend, der Geschmack sehr scharf brennend. Er kommt von Juli bis November vor. Bezüglich der Täublinge(dieselben haben weder Ring noch Knolle) merke man, daß alle roh mild oder wenig scharf schmeckenden eßbar sind, es gibt unter den Täub­lingen 35 Arten gute Speisepilze. Fast alle mit geblichen oder gelben Blättern sind mild, also eßbar. Wichtige Unterjcheiöungsmerkmale. Unter den Röhrenpilzen, d. h. denjenigen Pilzen, welche anstatt der Blätter Röhren unter dem Hut haben, wie z. B. der Stein- p i l z, gibt es nur einen einzigen Gütpilz, das ist der Satanspilz (Boletus satanas). Die Beschreibung didses Pilzes ist unten bei der Gegenüberstellung der Doppelgänger unter den Speisepilzen näher angegeben. Da also jeder Giftpilz unter den guten Speisepilzen einen oder mehrere Doppelgänger hat, so sollen nun die unterscheiden- den Merkmale derselben näher angegeben werden. Die Knollen- blätterschwämme werden meist mit dem F e l d- C h a m- p i g n o n(psalliota campestris) und dem Schaf-Champignon (Psalliota arvensis) verwechselt. Die unterscheidenden Merkmale

Bon den Blätterpilzen sind alle eßbar, welche rosa oder fleischfarbene Blätter haben, dagegen meide man alle Blätter- pilze mit gelbbraunen, graubraunen, lehmfarbenen, zimtbraunen oder schokoladenfarbenen Blättern, dieselben sind ungenießbar. Der Satanspilz hat einen Doppel- gänger, den Hexenpilz(Boletus luridus).

sind: knollenblätterschwämme. Hut: Gelblich bis grünlich weiß oder gelbgrün. Hutrand mit »inem Ring verbunden. Oberhaut: Sehr dünn, leicht abziehbar, mit Hautfetzen und Warzen mehr oder weniger bedeckt. Fleisch: Dünn, grünlich 'der gelblich weiß, unveränder- [ich. Blätter: Stets weiß bis gelblich weiß. Stiel: Schlank, biegsam am Grund mit dicken, berandeter Knolle, die ziemlich tief im Boden sitzt. Ring: Sehr dünnhäutig und vergänglich. Geruch: Unangenehm nach Kartoffeltrieben.

Champignons. Hut: Reinweiß, seiden- artig glänzend, durch Druck gelb­lich. Oberhaut: Ziemlich derb. glatt, nicht abziehbar..

Fleisch: Ziemlich dick, rein weiß, zuweilen völlig anlaufend. Blätter: Zuerst weißlich. später granrötlich oder rosa, zu- legt schwarzbraun. Stiel: Gleichmäßig dick, wenig biegsam, nach unten etwas keulenförmig. Ring: Breit, dickhäutig, im Stiel festgewachsen. Geruch: Angenehm, man- del- oder anisartig.

Satanspilz. Hut: Hell ledcrfarben oder braungrau. Oberhaut: Kahl, glatt, bei feuchtem Wetter et- was klebrig. Fleisch: Weiß oder weißlich, beim Durchschneiden zuerst rötlich, dann violett und schließlich dunkelbraun. Röhren: Dunkelblut- rot, durch Druck blauwerdend.

Stiel: Unten dunkel- rot, nach oben allmählich in Gelb übergehend, meist netz- adrig

iriig.

Geruch: Angenehm. D es chm a ck: Mild,

obst-

Hexenpllz. Hut: Dunkelolivcn- braun bis schwarzbraun. Oberhaut: Anfangs famtigfeinfilzig, grün- lichfchimmernd, später glatt und glanzlos. Fleisch: Lebhast z i t r o- n e n g e l b, beim Durchschneiden sofort dunkelblau, nach wenigen Sekunden grünblau. Röhren: Am Stiel ange- wachsen, Mündungen k a r m i n- mennig- oder g e l b r o t, innen gelb oder gelbgrünlich. Stiel: Kugelig oder bau­chig, später keulenförmig, nach oben dunkclmennigrot, nach unten heller ins Grün- liche übergehend, umgekehrt wie beim Satanspilz. Geruch: Angenehm. Geschmack: Mild, miß- artig.

Obgleich der Hexenpilz ein sehr guter Speisepilz ist. so ist An- fängern doch anzuraten, ihn zu meiden, wie überhaupt alle Röhren- pilze mit roten, leuchtenden«stielen und Röhren. Außer den gc-

Die gelehrten Pilzkenner.

6J

Das unbegreifliche Ich.

eschichte einer Jugend. Roman von Tom Kristensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. E. Bogel .) Man wird selber zum Chinesen hier draußen," sagte er. Man verliert alle die sogenanntenseelischen Werte" von denen man daheim in Europa beinahe zerplatzte. Originalität, was ist das? Das ist nur solch ein Ehrgeiz des weißen Mannes, und deswegen sprengt er alles in die Luft, was seine Vor- fahren aufgebaut haben. Was, zum Teufel, sollen wir mit all' diesen[leinen, eingebildeten Ichmenschen anfangen?" Waldemar lehnte nach vorn und starrte auf die breite, schmeißige Stirn. Sie wirkte wie ein Stück Natur, so wie ein nasser Stein. Die Chinesen haben schon vor mehreren hundert Jahren das gemalt und gebaut und gesagt, was wert war, gemalt, gebaut und gesagt zu werden. Sie haben Berge und Seen und Bäume gemalt, sie haben Mauern und Türen und Brücken gebaut, sie haben vom Leben und vom Tode gesungen, von Liebe und Kirieg, Weisheit und Wein, und all' das bleibt doch stets das Gleiche. Nur die Mode und der Jargon rer- ändern sich" Er trank hastig. Hier draußen verliert das glles zusammen seine Bedeu- itung, all' dieser individuelle Quatsch!" murmelte er. Bald darauf fuhr Waldemar nach Hause. Das Rufen und Schreien um ihn wirkte ermunternd: aber als er vor der Hotel- türe den Rickshawkuli ausgezankt hatte und auf sein Zimmer gekommen war, wurde er plötzlich von einer Melancholie nie- dergezwungcn, die auf ihn gelauert zu haben schien. Es muß- ten irgendwelche Werte sein er wußte nicht, was für welche die er voller Kummer in sich welken spürte. Er ging unruhig im Zimmer auf und ab, er rauchte heftig an seiner Pfeife, und es dauerte lange, bis er feine Ruhe wiederfand. Kräfte habe ich nie gehabt. Ich war schwächlich und aste wußten, daß sie mich unterkriegen konnten. Nun kam hinzu, daß Edith zu allen behauptete, ich wäre heimtückisch, und sie glaubten ihr. Keiner wollte mit mir spielen: aber ich hatte mein eigenes Krivatoergnügen. Ich ging herum und war damit beschäftigt

heimtückisch zu sein. Ich wußte wohl, was das war. Es war das aufreibende Gefühl, das ich gehabt hatte, damals, als ich die Schleife an Ediths Schürze aufzog. Und ich fühlte alle meine Heimtücke in mir aufsteigen bis ganz in mein Gesicht herauf. Ich war heimtückisch, gut, und heimtückische Leute sahen den anderen niemals grade ins Ge- ficht, und sie lächelten immr so ausweichend und matt, deshalb schielte ich den ganzen Tag und gewöhnte mir ein kleines, starres Lächeln an. Wie führst du dich denn eigentlich auf?" sagte Mutter. Hast du Veitstanz?" Was ist das Veitzahn?" fragte ich. Eines Tages stand ich unten an der Ladentür und drückte die Nase platt an die Scheibe. Draußen hielten zwei Droschken, und die Kutscher lagen im Innern auf dem Boden und schliefen. Etwas weiter rechts war das Pflaster aufgebrochen, Sand und Steine lagen um- her: aber die Arbeiter saßen drinnen in der KneipeVictoria ", deren Besitzerin Addas Mutter war. Da hörte ich rufen und schrilles Gepfeife, dann Geheul und lustiges Gesinge: Scheibelein! Scheibelein! Scheibelein!" Eine lange, vornübergebeugte Gestalt in Soldatenuniform, kam vorbeigestelzt. Ein mageres, bärtiges Säufergesicht drehte sich unruhig nach allen Seiten, um die ihn verfolgenden Iun- gen im Auge zu behalten. Grade vor mir kam plötzlich eine Hand voll Sand vorbei- geflogen und traf ihn im Nacken. Eine schwache Röte ver- suchte sich über die fahlen Wangen zu breiten und seine brannt- weinfeuchten Augen füllten sich ganz voller Wasser. Die Droschkenkutscher erwachten, sprangen auf, aber verschmähten einzugreifen. Scheibelein war ein Veteran von 64, ein Kopenhagener Original, und ihm gegenüber war alles erlaubt. Eine neue Hand voll Sand rem geflogen und traf. Schei- belein blieb stehen und reckte sich in die Hohe. Er wurde eine ganze Elle länger, so daß ihm die Jacke seiner Uniform bis an die Brust rutschte. Dann drehte er sich um und wies mit einer schauspielerhaften Geste seines langen Armes auf die Kriegs- medaille, die ihm von der Brust bauncelte. ..Jungens!" brüllte er heiser: doch seine Anrede rief nur ein unbarmherziges, brüllendes Gelächtsr hervor und est> gan­zer Hngel von Sand prasselte aus ihn herunter. Er sank plötz- lich wieder zusammen, stellte sein Stullenpaket, das in ein großes rottariertes Schnupftuch gebunden war, auf unsere

Ladentreppe: dann lief er unerwartet schnell auf langen Bei- nen zu den Pflastersteinen, ergriff einen von ihnen, und ihn hoch über dem Kopfe schwingend, verfolgte er die Jungen. Die Droschkenkutscher lachten. Während des Lärms steckte ich den Kopf aus der Tür, ging zu dein roten Stullenpaket herunter und nahm es an mich. Eiligst lief ich dainit am Ladenfenster vorbei und in den Hausflur. Die Kutscher brüllten laut vor Lachen. Drinnen im Hos stellte ich das Stullenpaket hin und ver- schwand über die Küchentreppe. Noch lange danach hörte ich Scheibeleins Fluchen und das Pfeifen der Iungcns. Der ganze Platz hallte von dem Gesang: Scheibelein, Scheibelein! Wo ist dein Veutelein?" Ich saß oben auf der Küchentreppe und lauschte. Die Sonne schien grade auf mich, und ich hatte die Empfindung, als ob der Hof und die Fenster und der Himmel gar nicht vor Händen wären. Ich hörte, wie einer der Kutscher die Jungen ausschalt und kurz darauf sah ich Scheibeleins verblaßte, blaue Uniform- mütze in dem Hausflur auftauchen. Seine ganze lange Gestalt wackelte. Er spähte unruhig uinher, als ob er sich auf ver- botenem Territorium befände, bemerkte endlich das Stullen- poket und lief hin und nahm es an sich. Seine Bewegungen waren furchtsam und unbeholfen. Er stand eine Weile still und sah durch die Haustür, und ich konnte es ihm von hinten anmerken, wie er sich vor den Jungen fürchtete. Einen Augenblick schien es mir unfaßlich, daß ich mich auch an der Neckerei beteiligt hatte: doch dann ging er. Von dem Tage an war ich berühmt wegen msiner Hinter- list, und die Jungen spielten einige Male mit mir. Ejnar sah mich herablassend und gleichzeitig verächtlich- an; aber die Ver achtung trat immer deutlicher zu Tage. Einige Zeit sonnte ich mich in meinem Ruhm, obgleich ich nicht stolz auf meine Tat war, und später, als sie mich verachteten, suchte ich mich damit zu trösten, daß ich selbst eigentlich gar nicht damit gemeint wäre. Ich war also hinterlistig und ich empfand das sowohl als Schande, wie als persönliche Eigenart, die mich stark machte. Deshalb mischte ich mich unter die anderen Jungen und blinzelte vielsagend, als ob ich irgendetwas im Schilde führte: aber es dauerte nicht lange bis Ejnar Gelegenheit fand, mir seine tiefe Verachtung zu zeigen. (Fortsetzung folgt.)