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Abendausgabe

Nr. 384 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 189

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennis

Sonnabend

15. August 1925

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Edmund Stinnes verschenkt Aktien. Ohne Zögern und Erbarmen".

Ein Angebot an die Belegschaft der Aga.

In seinem Kampfe gegen das Stügungskonsortium des Hugo- Stinnes- Konzerns ist Dr. Edmund Stinnes , der Hauptaktionär der Aktiengesellschaft für Automobilbau in Lichtenberg , auf ein eigenartiges Mittel verfallen. Bekanntlich verweigern die Banken die zur Fortführung der durchaus ren­tablen Werke notwendigen Betriebskredite. Die Aga war in folgedessen bis heute mittag außerstande, die Löhne aus zuzahlen. Vielleicht aus Furcht davor, daß das Borgehen der Banken zum Konkurs führen könne und in der Annahme, daß bei der Abwehr dieser Gefahr die Hilfe der Angestellten und Arbeiter des Betriebes nüglich sein könnte, hat nun Dr. Edmund Stinnes gestern abend dem Betriebsrat seinen Ent­schluß mitgeteilt, die Hälfte seines Aktien­befizes an der Aga der Arbeiterschaft zum Geschenk zu machen. In welcher Form die Verwaltnug des Aftien­patets erfolgen foll, steht noch nicht fest; gedacht war daran, daß der Betriebsrat es treuhänderisch für die ganze Beleg schaft verwalten soll, um dann eine etwa zur Verteilung ge­langende Dividende anteilmäßig auf die einzelnen Arbeiter zu perteilen.

Der ganze Vorschlag ist ein Notwehr-, vielleicht auch ein Reklameakt. In der berechtigten Sorge, daß ein derartiges Gewinnbeteiligungsverfahren auf nichts anderes als auf eine der bekannten und, man muß schon sagen, berüchtigten Werfsgemeinschaften hinausläuft, hat der Betriebs­rat bisher zu dem Schenkungsangebot noch) feine Stellung ge­nommen. Wie wir hören, wird er sich bemühen, eine Form zu finden, in der er die llebernahme der Aktien mit den Interessen der gesamten Arbeiterschaft in Einklang bringen kann. Wie das möglich ist, derüber besteht noch feine Klarheit; es müßte wohl vorher mit den zuständigen zentralen Gewerkschafts­instanzen verhandelt werden.

Diese vorsichtige Stellungnahme des Betriebsrctes ist 3: 1 billigen. Die Gefahr, daß hier in der Abwehr von ileber griffen der Banten eine tapitalistische Wertsgemein= schaftszelle gegründet wird, die nach bekanntem Muster den Werks- und Betriebsegoismus der Belegschaft hochzüchten kann und diese schließlich die Interessen der gesamten Arbeiter schaft vergessen läßt, ist nicht zu unterschätzen. Andererseits ist es durchaus denkbar, daß man in Uebereinstimmung mit den übrigen Gewerkschaftsinstanzen eine Form findet, die diese Be­denken beseitigt und den Zusammenhalt des Betriebes zur Aufrechterhaltung der Produktion gegen die Drosselungsver­fuche der Banken ermöglicht. Bezeichnend ist es jedoch in jedem Falle, wie jetzt der Erbe des großen Stinnes mit einem wirklich großzügigen Geschenk um die Gunst seiner Belegschaft wirbt, damit er den Kampf gegen die Banten aushalten kann. Man könnte dieses Borgehen als einen Verzweiflungsaft abtun. Damit

Eisenbahnkatastrophen in Frankreich .

Der D- Zug Köln - Paris verunglückt. Paris, 15. Auguft.( TU.) Gestern abend hat sich ein neues schweres Eisenbahnunglüd ereignet. Auf dem Bahnhof Seulis unweit St. Denis fuhr der Expreßzug Köln- Paris mit großer Gewalt auf den Liller Schnellzug auf. Die drei letzten Wagen des Schnellzuges wurden zertrümmert. Bier Perfonen wurden getötet und 50 zum Teil schwer verletzt. Durch die Dunkelheit waren die Reffungsarbeiten fehr erschwert. Unter den Berwundeten befinden sich verschiedene Personen, die aus Amiens tommen, wo fie unter den Opfern des Eisenbahnunglücks am Donnerstag Berwandte festzustellen versucht hatten. Der Minister für öffentliche Arbeiten hat sich sofort an die Unglücksstelle begeben. Ein zweites Unglück.

Paris , 15. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Gestern um 5 Uhr 20 ereignete sich ein Eisenbahnunglüd bei Pontoise . Ein Zug Dieppe- Paris entgleifte, wie die eingeleitete Unter­fuchung festgestellt hat, infolge eines Jrrfums des Weichenstellers. 7 Personen wurden verwundet, darunter ist jedoch niemand lebens­gefährlich verleht.

Eisenbahnunglück in Oesterreich . Wien , 15. Auguft.( TU.) Der D- Zug Wien - Belgrad ftieß gestern nachmittag bei der Station St. Corenzen auf einen Güterzug, wobei mehrere Eisenbahnwagen zerfrümmert wurden. 15 Personen haben Berlegungen davon getragen.

Einstellung der Optantenausweisung.

würde man aber der Sache nicht gerecht werden. Tatsächlich handelt es sich um ein erbittertes Ringen. bei dem Gedeihen und Verderben eines bisher rentablen Betriebes auf dem Spiele stehen und zu dem es gar nicht erst hätte kommen brauchen, wenn die Herrn Kapitalisten, die untereinander streiten, den Dienst an der Produktion über die finanzillen Auseinandersetzungen stellen würden.

Eine Erklärung Dr. Edmund Stinnes .

Faschistenpolitik.

( Bon unserem italienischen Rorrespondenten.) Rom , 13. August 1925.

M

Zu den Vorgängen bei der Aga veröffentlicht Dr. Ed- schlechten Mann mitleidig die Natur". Immerhin rät die mund Stinnes folgende Erklärung:

schreibt in einem seiner zahllosen Telegramme dem Faschis­Farinacci, der große Rufer im Streit der Fraktionen, morgen wie heute, ohne 3ögern und ohne Erbar mus diese Regel vor: Immer vorwärts, heute wie gestern, men!" Gelegenheit zu diesem telegraphischen Vorstoß gibt Spezia, wo die Faschisten, bei Stimmenthaltung der ge­ein sogenannter Wahl ausgang in der Hasenstadt samten Opposition, die Mehrheit und die Minder­heit der Stadtverordneten erzielten. Derartige Siege" zu feiern ist eine faschistische Spezialität schamlos schuf den faschistische Bresse davon ab, in größeren Städten die Kom­Der Aktiengesellschaft für Automobilbau fehlt andere Großstädte feit Jahren unter außerordentlicher Ver­munalwahlen anzusagen, obwohl Rom , Turin , Genua und zurzeit die normale finanzielle Unterstügung, nachdem durch waltung stehen.. Das Beispiel von Palermo war eben doch mein Ausscheiden aus der Firma Hugo Stinnes ihr die bisherigen nicht ermutigend, wo in einzelnen Abteilungen der Finanzierungsmöglichkeiten seitens der Firma Hugo Stinnes ent= zogen wurden und die früheren Bankverbindungen mit einer Aus­inneren Stadt 80 Prozent antifaschistische nahme die vorher vorhandene Unterſtügung ablehnten, und zwar Vororte den Faschismus gerettet haben, wie sie seit Jahr­Stimmen abgegeben wurden und wo überhaupt nur die wegen des Interesses derselben Banken im Hugo- Stinnes Stügungs- zehnten den Beruf in sich fühlten, den Kandidaten jedweder fonsortium. Die Führung des Bankenkonsortiums steht auf dem Regierung zu retten. Nach dem Wahlausgang von Palermo Standpunkt, daß ihr die Aktiengesellschaft für Automobilbau völlig gleichgültig jei und überläßt es der Aktiengesellschaft für Auto- sche Partei am besten weiß, was er gekostet hat, tritt die For­16 000 gegen 25 000 Stimmen von denen die faschisti­mobilbau, ihre Forderungen gegen Hugo Stinnes im Prozeßwege derung der Abschaffung der kommunalen Auto= geltend zu machen. Damit kann man selbstverständlich keine nomie in der faschistischen Presse wieder in den Vorder­Löhne bezahlen und 8-10.000 Arbeiter- und Angestellten­familien, die direkt und indirekt von dem Werk abhängen, drohen der schen Provinzen durch einen von der Regierung ernannten grund. Die Habsburger ließen die Kommunen der italieni­Arbeitslosigkeit anheimzufallen, trotzdem das Unternehmen fast voll und weiter besser beschäftigt ist als die überwäl- Podesta" regieren. Was man von früherer Fremdherrschaft tigende Mehrzahl der deutschen Unternehmungen gleicher und an hat ertragen müssen, wird man auch von der heutigen hin­derer Branchen. Die bisherigen Versuche, durch Bermittlung der nehmen. Aber der Faschismus schwankt hin und Reichsregierung und der Preußischen Regierung die notwendige her zwischen dem Respekt vor den Ueberresten der Verfassung Unterstügung zu erhalten, haben vorderhand noch nicht zu dem und der schlichten treuherzigen Parteigewalt. Nun tommt die Parole von oben, vom Ueber- Duce: gewünschten Erfolge geführt. Nach den von Bankseite ab­gegebenen Erklärungen habe ich den Eindruck, daß die Unterstügung entbietet der Provinzialrat von Bisa den Mördern des ,, ohne Zögern und ohne Erbarmen". Gleichzeitig in erster Linie deswegen unterbleibt, weil ich Besitzer der Aktien­majorität bin. So habe ich mich entschlossen, die Hälfte meines telegraphische Huldigung: jener Mord war selbst unter den Genossen Rindi seinen Gruß und sendet ihnen eine Aktienbefizes ohne Gegenwert der Arbeiterschaft des Werkes faschistischen Berbrechen eine Ausgeburt der Feigheit und Roh­telegraphische Huldigung; jener Mord war selbst unter den zu übereignen, die bisher die Verwaltung bei der Umstellung auf moderne Fabrikationsmethoden bestens und voll unterstützt hatte heit. Es wird den Einwohnern der Provinz Pisa eine und die daher mit die höchsten Löhne in Berlin verdienen konnte, rechte Freude machen, daß sich ihre Vertreter offiziell soweit das Werk noch mit Ueberschuß arbeitet. Ich hoffe, daß, korrigieren die Faschisten die Amnestie vom 3. August, die mit den Mördern solidarisch erklären. Gleichzeitig nachdem nunmehr eine Majorität meinerseits bei der Aktiengesell- in ihren Augen den Fehler hat, nicht zwischen Faschisten und schaft für Automobilbau nicht mehr vorliegt, dieses Unternehmen Antinationalen zu unterscheiden, wie die vorhergegangene die erforderliche Unterstützung erhält. Um entstehenden Ge­rüchten in der Deffentlichkeit vorzubeugen, habe ich hier zum ersten Amnestie ihres Regimes. Freilich haben die Faschisten aus der Amnestie, die bis auf Mord und Totschlag alle poli­Male seit meinem Ausscheiden persönlich Stellung genommen, da es in diesem Falle nicht um Handelsunternehmungen, Aktienbeteilitischen Verbrechen straffrei ausgehen läßt, insofern gungen und derartiges geht, sondern um Gedeih und Berderb eines gungen und derartiges geht, sondern um Gedeih und Verderb eines produttiven Betriebes mit Tausenden von Menschen.

merellen Anweisung erhalten, daß die am 5. Auguft erneut aus­gesprochenen Ausweisungen der deutschen Optanten vorläufig nicht zwangsweise vollstrect werden sollen.

Polen und der Garantiepakt. Erklärungen des Außenministers.

Paris , 15. Auguft.( TU.) Der polnische Außenminister er­flärte nach seiner Unterredung mit Briand Pressevertretern, daß er den französischen Außenminister zu den Ergebnissen seiner Londoner Abmachungen beglückwünscht habe. Aus den Londoner Berhand­lungen ergebe sich, daß England, ohne besondere Verpflichtungen tie anerkannt babe. Bolen bleibe bei seiner Auffassung von der einzugehen, das Prinzip der gegenwärtigen Baran gegenseitigen Hilfe, die allein eine wirksame Aufrechterhaltung des Friedens gewähre. Bei der Aufnahme Deutschlands in den Bölkerbund handele es sich nur um eine Frage der Innenpolitik. Wenn sich die öffentliche Meinung in Deutschland be­ruhigt habe, werde die Reichsregierung die Aufnahme in den Völker bund beantragen. Für Polen liege das Sicherheitsproblem flar. Das erste Land, das die Waffen ergreife, um Frankreich zu helfen, werde Polen sein, weil es auf Grund des Artikels 16 dazu ge­3mungen sei. Der Sicherheitspaft werde große moralische Borteile mit sich bringen. Jeder Staat werde bis zu einem ge­wissen Grade aus Furcht vor der öffentlichen Meinung davon abge­halten werden, einen anderen anzugreifen.

Japanisches Ultimatum an China .

Angst um den Profit. Paris , 15. August.( TU.) Ans Tokio wird gemeldet, die japanische Regierung habe an das chinesische kabinett eine Note gerichtet, in der sie verlangt, daß fofort Maßnahmen zur. Bei legung des Streits in Schanghai ergriffen werden. Note, die ultimativen Charakter trägt, erregt beträchtliches

Die

Entrüftung in polnischen Rechtskreisen. Warschau , 15. Auguft.( TU.) Der polnische Innenminiffer hat gestern durch dringende Telegramme die polnischen Behörden in Posen und Pommerellen angewiesen, die Ausweisungen der deutschen Oplanten einzustellen. Nach Bekanntgabe dieser Anord­nung in den Abendblättern versammelten sich die Sejmabgeord­neten der Rechtsparteien und entsandten eine Abordnung zum mi- Aufsehen. nisterpräsidenten, die die sofortige Aufhebung der Berordnung des Junenministers verlangt. Die Antwort des Ministerpräsidenten stehtud brach heute ein Aufstand aus. Etwa 150 inhaftierte Rom­Gefangenenrevolte in Polen . Im politischen Gefängnis von noch aus. In den Rechtstreifen herricht im Zufamemnhang damit muniften und Utrainer überfielen die Mache und verlegten einige große Aufregung. Wärter. Es wurde Militär herbeigeholt. Ein Häftling wurde ge­Beuthen, 15. August. ( WIB.) Nach den vorliegenden tötet. 140 fonnten wieder eingefangen werden. Neun Häftlinge Meldungen aus Posen haben die Wojewoden von Posen und Pom- find verschwunden.

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reichen Vorteil gezogen, als sie durch ihren Parteisekretär im Voraus von ihr wußten und also reichlich von ihr Gebrauch machten, wie die zahlreichen Ueberfälle des Monats Juli beweisen.

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Wenn der König faschistisch genug gewesen wäre, die Am­nestie auch auf den Lotschlag auszudehnen, wäre Amendo Ia sicher nicht mehr am Leben. Berichtete er doch selbst, daß die Aufforderung der Rädelsführer, von ihm abzulassen, mit dem Hinweis auf das Zuchthaus begründet wurde. Immerhin sucht man, wie gesagt, die Mängel der Amnestie auszugleichen. Der Kommunist Rosaviva in Mailand befand sich seit einem Monat im Gefängnis, weil er, von sechs Faschisten. überfallen, sich mit dem Revolver zur Wehr gefeht hatte und einen der Angreifer verwundete. Da der Begriff der orwehr

so weit hat ausgedehnt werden müssen, um jeden faschisti­fchen Angriff zu decken( sogar bei der Ermordung Matteottis durch bezahlte Berufsmörder hat die fascistisde dahin, wo sich ein Nichtfaschist aus Not zur Wehr jetzt. Preffe von Notwehr gesprochen!), reicht er nicht mehr bis

Rojaviva tam also ins Gefängnis, weil er sich um sein gemeines nichtfaschistisches Leben gewehrt hatte, aber die noch von veralteten Ideen angetränkelte Amnestie verschafft ihm die Freiheit. Daher am 11. August ja fchi stiicher Angriff auf seine Wohnung, ein fleines Massenaufge­bot, denn Rosaviva hat 4 fleine Kinder und eine Frau, es handelte sich also schon um höhere friegerische Leistungen. Die Polizei griff ein, als die Miteinwohner eingriffen, und ver= haftete Angreifer und den-Angegriffenen. Um die nötige Distanz zwischen Faschisten und Böbel einzu­halten, wurde der Angreifer sofort, der Angegriffene erst am nächsten Tage freigelassen.

Mehr als eine Forderung ist das ,, ohne 3ögern und ohne Erbarmen" die Formel der heutigen Praktik. Be­denten muß man, daß die armen Faschisten immer wieder pro­Doziert werden. Was haben sie sich nicht über die Demilion von Orlando ärgern müssen! Ein früherer Minister­präsident und Inhaber des Annunziataordens, der sich aus dem politischen Leben zurückzieht mit der Begründung, daß für einen Mann seiner Partei und seiner Ueberzeugung" im heuti­gen öffentlichen Leben Italiens fein Raum mehr ist, zwingt die Faschisten geradezu, ihre Mistfübel über ihn zu entleeren. Man täte Unrecht, in dem Rücktritt Orlandos mehr zu sehen, als den Ausbrud des Etels und der Unluft. Mit dieser Motivierung hätte der Rücktritt nur einen prinzipiellen Sinn, menn er zur Mandatsnieberlegung aller Liberalen innerhalb der Aula oder zu ihrem Uebertritt zum Aventin geführt hatte. Aber Orlando wollte nicht als Führer handeln. Ihn hat einfach I der Etel übermannt. Wer im eigenen Baterlande die zweifel­