Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 390 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 192

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner   Dolksblatt

10 Pfennig

Mittwoch

19. August 1925

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Ferufprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Belgisch- amerikanisches Abkommen. Schweizer   Wirtschaft und Politik.

Rückzahlung der Schulden.

Washington  , 19. Auguft.( WIB.) Die amerikanische  Schuldentommission und die belgischen Vertreter haben gestern ein endgültiges Abkommen über die Zurückzahlung der bel­gischen Schulden erzielt. Danach sollen die belgischen Schulden, die während des Krieges gemacht worden sind, im Betrage von 170 Mil­lionen Dollar in 62 Jahren zurückgezahlt werden, ohne daß dafür Zinsen berechnet werden. Die Summe von 246 Millionen Dollar, die sich Belgien   nach dem Waffenstillstand geliehen hat, foll gleich­falls in 62 Jahren zurückgezahlt werden, und zwar mit Pro3. Jinfen nach Ablauf der ersten 10 Jahre.

Was Belgien   erhält, bekommen andere nicht! Washington  , 19. Auguft.( WTB.) Die amerikanische   Schulden kommission weist darauf hin, daß bei der Regelung der belgischen Schulden die von dem verstorbenen Präsidenten Wilson auf der Versailler Friedenskonferenz übernommenen Verpflichtungen eine starre moralische Bindung der Vereinigten Staaten   bedeuteten. Die jetzt zustandegekommenen Bedingungen dürften aber nicht als Präzedenzfall für die Verhandlungen mit anderen Läns dern angesehen werden. Insbesondere wird hervorgehoben, daß Amerifq es a bgelehnt hat, die Zahlungsverpflichtungen Belgiens  von dessen Einfünften aus dem Dawes- Plan   abhängig zu

machen.

Amerika   und der Sicherheitsvertrag.

Lediglich europäische Angelegenheit.

Paris  , 19. Auguft.( Havas.) Die Anwesenheit Hough­ton's bei dem offiziellen Effen und feine Unterredung mit Briand  und Chamberlain gelegentlich der Londoner   Besprechung haben zu Gerüchten über eine mehr oder minder direkte Beteili­gung der Vereinigten Staaten   an der Sicherheitsfrage Anlaß gegeben. Nach Auffassung der offiziellen Kreise ist diese An­nahme in feiner Weise gerechtfertigt. Die Vereinigten Staaten  erwarten teine Aufforderung, und wenn sie eine solche erhielten, würden sie es wahrscheinlich a blehnen, Vertreter zu entfenden, um eine falsche Auslegung ihrer Anwesenheit zu vermeiden. Die amerikanische   Regierung hat in London   und Paris   an der Inkraft­fehung des Dames- planes teilgenommen, weil fie direkt intereffiert war; aber obwohl fie alles verfolgt, was dazu bestimmt ift, in Europa   den Frieden zu gewährleisten, ist sie der Ansicht, daß die Sicherheitsfrage lediglich die europäischen   Mächte angeht.

Nieder mit den Mördern!"

Bulgarenbegrüßung in Paris  .

Paris  , 19. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Der Präsident und der Vizepräsident der bulgarischen Kammer, die augenblicklich in Baris weilen, wurden am Dienstag abend beim Berlassen der Kunst­ausstellung auf den Champs Elysées   plötzlich von etwa 40 Bulgaren  umringt und mit den Rufen: Nieder mit den Mördern!" empfangen. Ein Polizeibeamter, der die beiden Ueberfallenen

Arbeitererfolg in Köln  .

Beilegung des Gemeindearbeiterstreiks. Köln  , 19. August.( Eigener Drahtbericht.) Die Kölner   Gemeinde­arbeiter, die am Dienstag morgen in den Streit traten, haben einen in der deutschen   Gewertschaftsbewegung selten schnellen über raschenden Erfolg erzielt. Am Dienstag abend nahm eine sehr stark besuchte Versammlung der Gemeindearbeiter das von uns bereits mitgeteilte Angebot der Stadtverwaltung mit großer Mehr­heit an. Damit ist der Streit beendet. Die Arbeit wurde noch in der Dienstagspätschicht wieder aufgenommen.

Unersättlich!

Die Agrarier wollen Regierung und Oppofition zugleich sein.

-

Während es den Einpeitschern der Zollvorlage im Zentrum voran Herrn Stegerwald- jetzt schon Angst wird vor den Folgen der Zölle, die sie eben beschlossen haben, beginnen die Interessenten aus dem agrarischen Lager mit der Vorbereitung einer neuen Offensive gegen die Lebenshaltung des Volkes. In der Deutschen Tageszeitung" fün­digt ein Herr D. von Hahnte an, daß der Reichslandbund mit der fleinen Zollvorlage sich nicht zufrieden geben werde, sondern grim mig" feststellt, daß sie den Agrariern nicht genug gebe. Er werde die Rolle der Opposition übernehmen:

"

Die geistige Leibeigenschaft", zu der in einem demokratischen Staatswesen auch die aus der Landwirtschaft erkürten Volksvertreter durch ihre ernst verpflichtende Teilnahme an der Regie rungstoalition, ohne die sie zur politischen Einflußlofigkeit verdammt wären, gezwungen werden, weist der freien berufsständischen Bertretung das Amt zu, sich als gesund reagierende Opposition einzustellen. Dazu muß fie fich völlig freimachen von der hohen Politik und in der ruchtigen Formulierung wie tatkräftigen Vertretung ihrer Forde. rungen fich feine Beschränkungen auferlegen mit Rücksicht auf die elwaige Zugehörigkeit einiger ihrer Führer zu Regierungsparteien. Bielmehr darf sie sich nur von dem einen Gesichtspunti leiten laffen: was frommt agrar- und wirtschaftspolitisch der Landwirtschaft."

zu schützen suchte, wurde niedergeschlagen; erst zwei weiteren Beamten gelang es, die beiden bulgarischen Politifer zu befreien. 3wei der Hauptschreier wurden festgenommen.

Der Marokkokrieg.

Marschall Pétain soll es schaffen. ist am Dienstag abend, nachdem er zuvor eine längere Konferenz Paris  , 19. August.( Eigener Drahtbericht.) Marschall Pétain mit dem eigens zu diesem Zwecke nach Paris   zurückgekehrten Ministerpräsidenten Painlevé   gehabt hatte, nach Marotto abgereift. Marschall Lyauthey abberufen und zugleich mit ihm auch Es verlautet, daß unmittelbar nach Pétains Eintreffen in Marotto General Sarrail seines Postens als Gouverneur von Syrien  enthoben werden soll. Marschall Pétain wird am Donnerstag in Algeciras   mit dem spanischen Diktator General Primo de Rivera zusammentreffen, um mit ihm das Zusammenwirken der franzö fischen und spanischen Truppen zu beraten.

Die nene Offensive.

Fes, 19. August.( Havas.) Im Abschnitt von Taza haben die französischen   Streitkräfte bei den Teil angriffen, die die Vor­bereitung für eine groß angelegte Offensive nach den Plänen Lyauthens und Naulins bilden, einen Erfolg erzielt. Westlich von Uezzan sind zwei französische   Stützpunkte angelegt worden, die die Verbindung zur spanischen Front sichern sollen. Die Operationen Streitkräfte haben alle Angriffsziele erreicht und rücken, wie vor­im Gebiete der Tfuls entwickeln sich günstig. Die französischen  gesehen, vor. Der Feind mußte sich nach Norden zurüdziehen und wird vom französischen   Bombengeschwader verfolgt. Süb lich vom Gebiet der Tjuls unterwarfen sich einige Stämme bedingungslos.

Kantons Hilferuf.

An die 2. Jnternationale.

London  , 19. Auguft.( TU) Aus Shanghai   wird gemeldet, daß zwei Mitglieder der Regierung der Stadt Kanton   an den inter­nationalen fozialistischen Kongres in Marseille   die Bitte gerichtet haben, China   im Kampf gegen den englischen 3mperialismus zu unterstühen.

China   verlangt Zollhoheit.

Peting, 19. Auguft.( WTB.) In der Einladung an die Mächte zur Tariffonferenz erinnert die chinesische Regierung daran, daß die chinesischen   Vertreter bei der Mashingtoner Konferenz in einer Sigung des pazifistischen und ostasiatischen Ausschusses zum Aus­drud gebracht haben, daß China   die Frage der Wieder herstellung der 3ollautonomie aufzurollen gedenke. Demgemäß schlägt die chinesische Regierung vor, diese Frage auf die Tagesordnung der bevorstehenden Konferenz zu sehen und erwartet, daß eine Regelung getroffen wird, welche die bisherigen Beschrän­tungen der chinesischen Zollhoheit beseitigt.

Das ist das Programm der reinen Interessentenpartei. Die deutschnationale Reichstagsfraktion soll in der Regierung spielen, die die Regierung auf der Bahn der Liebesgaben bleiben, und der Reichslandbund will die Rolle der Opposition politik für die Agrarier weiter vorwärts treibt. Ein Spiel mit verteilten Rollen zur weiteren Ausplünderung des Volkes ist die Absicht.

Deutschnationale Krippenjäger. Akademische Stellenvermittlung der Deutschnationalen. In der deutschnationalen Agitation spielt die angebliche ,, Krippenjägerei" der Sozialdemokraten eine Hauptrolle. Daß früher überhaupt kein Mensch zählte, der nicht mindestens Leutnant oder Mitglied eines feudalen Korps war, das haben die deutsch  nationalen Agitatoren wohlweislich vergessen. Oder mindestens reden sie nicht mehr davon. In Wirklichkeit war die ganze Staats­maschinerie in wilhelminischen Zeiten nur für die Söhne der Junker da, die allein Anspruch darauf hatten, über ihr Bolt zu regieren. Die Leipziger Volkszeitung" veröffentlicht einen Aufruf des deutschnationalen Studentenverbandes. Darin heißt es:

"

Wie bei den Korporationen die Möglichkeit besteht, durch die Altherrenschaft aussichtsreiche Lebensstellungen zu bekommen, so befißt auch der Deutschnationale Studenten­verband eine mit ihm zusammenarbeitende Altakademikerschaft, deren oberster Grundsatz es ist, den Angehörigen unseres Ver­bandes gesicherte Existenzen zu gewähren."

Wie haben sich die Deutschnationalen als Hüter besserer Sitten über die Käufer eines sozialdemokratischen Parteibuches erbost, wie haben sie an allen Eden und Enden zum Kampfe gegen die Be­amtenforruption durch Parteimirtschaft aufgerufen! Und jeht veröffentlichen ihre hoffnungsvollen Sprößlinge Aufrufe, in denen fie darauf hinweisen, daß Sie Stellungen garantieren fönnen. Bei den Deutschnationalen spielt die Bluts familie wie die Bier familie gleichermaßen eine Rolle. Unter Rampf gegen die Korruption verstehen sie lediglich den Kampf für ihr Monopol auf gesicherte Existenzen".

Bacelli in Berlin  . Der päpstliche Nuntius, Pacelli, ist heute Dormittag zu dauerndem Aufenthalt in Berlin   eingetroffen.

( Brief unseres Rorrespondenten.)

Die Sweiz erlebt gegenwärtig die Hochflut der Fremdensaison. Alle Kurorte sind überfüllt, ihre Besucher­zahl zeigt schon wieder die gleiche Höhe wie vor dem Kriege, zum Teil ist sie fogar schon überschritten. Außergewöhnlich groß ist der Besuch der Amerikaner. Die amerikanischen   Reise­gesellschaften haben bereits mehr als 20 000 Personen an­gemeldet. 10 000 fommen mindestens noch außerhalb der Gesellschaftsreisen. Von den übrigen Nationen sind die Deutschen   am stärksten vertreten, denen man in Zermatt  , wenig wird die französische Schweiz  , abgesehen von Genf  , Zürich   überall in großen Scharen begegnet. Berhältnismäßig Kandersteg  , Interlaken  , Lugano  , Davos  , Arosa  , Bern   und besucht. Besonders die Ausflugsorte der schweizerischen Riviera wie Montreux  , Beven und Lausanne  , flagen sehr über die Ab­Hauptprozentsaz an Rurgästen stellten. wesenheit deutscher Ausflügler, die vor dem Kriege den

der Schweiz   wäre sicher noch größer, wenn nicht der immer Der Reiseverfehr von Deutschland   nach noch bestehende Visumzwang manchen Reisenden ab schreckte. Dieser Visumzwang ist bisher von der Schweiz   noch cufrecht erhalten worden für alle Staatsangehörigen Deutsch­ lands  , Desterreichs und Italiens  . Die Schweizer   Presse hat starken Einspruch erhoben, und unter dem Druck der öffentlichen in letzter Zeit gegen diese Behinderung des Reiseverkehrs Meinung hat sich jetzt der Schweizer Bundesrat endlich mit der Abschaffung des Visums befaßt. Auch das Schweizer  Bollwesen ist geeignet, den Fremdenverkehr zu unterbinden, statt ihn zu fördern. Immer wieder stellt die Schweizer   Presse fest, daß die Schweiz   den zweifelhaften Ruhm hat, gegen­Arbeiter 300 bis 400 Franken monatlich, dank der Schutzzoll­wärtig das teuerste Land der Erde zu sein. Be­politif, die Bundesrat Schultheß nun schon seit Jahren durch­trägt doch das Existenzminimum für einen verheirateten führt. Der mit Deutschland   vor einigen Monaten abgeschlossene 3ollvertrag hat zwar für einige Fertigwaren gewiffe Einfuhrerleichterungen gebracht. Aber schon fordert der Schweizer   Industriellenverband die Kündigung dieses Ver­trages. Auch jede Einfuhr von Bich und landwirtschaftlichen Produkten wird nahezu unmöglich gemacht. Alle Augenblicke muß ein Fall von Maul- und Klauenfeuche herhalten, um die Grenze gegen jede Einfuhr zu schließen. Es ist in der Schweiz  kein Geheimmis, daß diese Politik nur dem allmächtigen Schwei­ zer   Bauernfönig Dr. Lauer zuliebe geschieht. Die Schweizer  Bauern, zusammengefaßt in der katholisch- fonservativen Par­tei, geben zusammen mit den übrigen fonservativen Kreisen des Landes den Ausschlag. Dazu kommt, daß der Bundesrat seit dem Generalstreit von 1918 seine Sozialistenfurcht noch nicht verloren hat.

des eidgenössischen Außendepartements, aber eine wirkliche Die Schweiz   hat in Bundesrat Motta zwar einen Leiter Außenpolitit tennt die Schweiz   seit Jahr und Tag ni t mehr. Man begnügt sich mit einer Bolitik des Ausgleichs und der Fernhaltung jeder außenschweizerischen Politik. Dabei haben die verschietenen Grenzvorfälle im Tessin   er­fennen lassen, daß mit dem veränderten Italien   Mussolinis auch die Betonung einer Teffiner Irredenta   stärker geworden ist. Die eigentliche Tessiner   Bevölkerung will allerdings von die wirtschaftlichen Vorteile ihrer Zugehörigkeit zur Schweiz  einer Los- von- der- Schweiz- Bewegung nichts wissen; sie weiß Tessiner   Bauern. Die sogenannte Jungteffiner- Bewegung hat gut zu schäzen. Das Italien   des Faschismus mit seinen groß­spurigen Redensarten übt keine starke Anziehungskraft auf die ihre Anhänger hauptsächlich in den intellektuellen Kreisen Bellinzongs und Luganos  , die nahen Mailand  Unterstügung und Anregung erhalten. Mussolini   hat zwar feinerzeit offiziell jede faschistische Politik für den Kanton Tessin   zurückgewiesen; aber der Faschistenhäuptling Farinacci  hat erst kürzlich von dem größeren Italien  " gesprochen, das auch den Tessin   umschließen müßte. Popolo d'Italia" befürwortet darüber hinaus immer wieder eine energische italienische Kulturpropagamba im Tessin   als erste Etappe zur Wiedervereinigung". Uebrigens bestehen auch in der Schweiz   einige faschistische Ortsgruppen, die jedoch alles in allem vielleicht 1000 Mitglieder haben bei mehr als 100 000 Italienern, die gegenwärtig in der Schweiz   leben. ein intimer Freund Mussolinis und wohlwollender Dabei ist der italienische Gesandte in Bern   Michele Förderer des Faschismus. An metallenen Zuwendungen für ein intimer Freund Mussolinis und wohlwollender seine Freunde läßt er es natürlich nicht fehlen.

"

"

Interessant ist die Haltung der Schweiz   zum Anschluß Desterreichs an Deutschland  . Man würde den An­schluß nur mit sehr gemischten Gefühlen begrüßen. Die Base­ler Nationalzeitung" gab in letzter Zeit die allgemeine Stim­mung wie folgt wieder: Wir wünschen aufrichtig, daß an unserer Ostgrenze Land als Staatswesen bestehen bleibt, das in seiner sozialen und selbständiges politischen Struttur so viel Aehnlichkeit mit unserem eigenen Lande hat. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob die Schweiz  eines Tages von drei großen Nationalmächten eingeschloffen sein wird. Ihre Anziehungstraft auf die verschiedenen Nationalitäten unferes Landes fönnte einmal eine so große werden, daß sie den staatlichen Bestand der Schweiz   iprengen würde." Aus diesen Zeilen spricht die nicht zu leugnende Empfindlichkeit des Schweizers gegenüber allem, was irgendwie nach deutscher Anmaßung ausschaut. Kennzeichnend dafür ist eine Auslassung des Berner Bund", des eidgenössischen Zentralblattes, aus Anlaß