Die M o s s u l f r a g e stellk ein anderes KcmfMtsobjekt im nahen Orient dar. Hier sind England und die T ü r k e i die streitenden Partner. Sie hatten die Entscheidung der Streit- frage dem Völkerbunde übertragen, der sie im September norigen Jahres einer speziellen Mossulkommission überwies. Diese hat vom Januar bis April dieses Jahres an Ort und Stelle die Angelegenheit studiert und vor kurzem die Ergeb- nisse ihrer Arbeiten in einem Bericht dem Völkerbünde unter- breitet, dessen Sekretariat ihn nun in Form eines Buches ver- öffentlicht hat. Die bevorstehende September-Session des Völkerbundes wird sich mit dieser Frage befassen. Augenscheinlich sind weder die Engländer noch die Türken mit den Schlußfolgerungen der Völkerbundskommission zu- frieden. Die englische und namentlich die türkische Presse greifen den Bericht heftig an. Dieser lehnt nämlich den tür - tischen Vorschlag einer Volksabstimmung im Mossulgebiet ab. Andererseits aber hält er die Angliederung des strittigen Ge- bietes an das Jrakgebiet nur in dem Falle für möglich, wenn es 25 Jahre unter dem Mandat des Völkerbundes bleibt und wenn die Kurden eine völlige Selbstverwaltung erhalten. Andernfalls solle es der Türkei zurückgegeben werden. Sollte sich aber der Völkerbund für eine Teilung des Mofsulgebietes entschließen, so müsse die Grenze dem Flußlauf des kleinen Sab folgen, d. h. die Stadt Mofsul und der größte Teil des Gebietes müsse der Türkei überlassen werden. Die englische Presse lehnt indes die Einmischung der Kommission in die politische Seite der Streitfrage ab, da dies nicht zu ihrer Auf- gäbe gehöre. In der Tat ist die Mossulfrage höchst kompsiziert und harrt noch ihrer rationellen Lösung. Ethnographisch betrachtet ist das Mossulgebiet weder türkisch, noch arabisch-irakisch, sondern— wie auch die Völkerbundskommission festgestellt hat— vorzugsweise kurdisch. Von der Gesamtbevölkerung, die auf 800 000 geschätzt wird, entfallen auf die Kurden nicht weniger als 500 000, während die Araber 160 000 und die Türken nur 40 000 zählen. Den Rest bilden Nestorianer, Juden u. a. Es handelt sich hier also hauptsächlich um die kurdische Frage, was meist vergessen wird, wenn man über die Mossulfrage spricht. Gerade weil das Mossulgebiet kuxdisch ist, wollen die Türken es um jeden Preis wieder im Rahmen ihres Reiches haben, denn die Mehrzahl der Kurden lebt in den an Mossul angrenzenden Gebieten der Türkei : Diarbekir , Hekkiari und Bitlis . Die Türken haben große Angst vor der Wiederaufrollung der kurdischen Frage durch die Engländer. Diese haben immer die Gründung eines ganz oder halb unabhängigen kurdischen Staates begünstigt. Der Vertrag von Stores setzt die Möglichkeit des autonomen Kur- distan voraus. Auch gegenwärtig haben die Engländer diesen Plan nicht aufgegeben. Der letzte Aufstand in Kurdistan war ein Beweis dafür, daß auch die Kurden die Selbständigkeit ihres Landes mit aller Kraft anstreben. Es handelt sich also tatsächlich nicht allein um das kurdische Mossulgebiet in Mesopotamien , sondern auch um die benach- karten kurdischen Gebiete auf dem Territorium der Türkei , die leicht für sie verlorengehen würden, wenn das selbständige Kurdistan eine Tatsache wird. Die Gesamtzahl der Kurden ist keineswegs gering: sie beläuft sich auf zirka 21/2 Millionen. Die Zukunft der Kurden und Kurdistans ist es, die die Türken beunruhigt. Vor einiger Zeit schrieb ein türkisches Blatt: „Mit der Loslösung Mosiuls von der Türkei wird das kurdische Element in zwei Teile geteilt, was auch an sich eine Gefahr für uns darstellt." Anläßlich des letzten Berichtes!�r Völkerbundskommission spricht die türkische Presse noch offener aus, daß sie das Mossulgebiet für sich oerlangt, und daß andern- falls ein Krieg entscheiden müsse. So gewinnt die Mossulfrage nicht nur unter dem Gesichts- punkte der wirtschaftlichen Interessen(die Oelfrage!) und der strategischen Lage(die Bagdadbahn !), sondern auch unter dem des Nationalitätenproblems in der Türkei eine eminent weit- politische Bedeutung, die über den Rahmen Vorderasiens hinausreicht.
Der neue Schulgeift. Erbauliches aus amtlichen Schulberichten. Der demokratische Landtagsabgeordncte Dr. B 0 h n e r, selbst Leiter eines Magdeburger Lyzeums, erzählt in der „Vossischen Zeitung" über das antirepublikanische T r e i b e n an den höheren Schulen Dinge, die selbst in unserer an Ueberraschungen übersättigten Zeit zu überraschen geeignet sind. Dieses Jahr, sagt Bohner, war am 11. August wohl überall geflaggt: es war ja ein deutschnationaler Innenminister, der die Beflaggung befohlen hatte. Die Republik stürzt nicht zu- stimmen, wenn einmal die Flagge fehlt. Wenn aher ein Republi- kaner in dem festen Gefühl, daß ein großes Volt sich selbst in einem Sinnbild erkennen will, und daß daher die Republik überall dort ihre Fahnen zeigen muß, wo früher das Kaiserbild hing, die ab- sichtliche Nichtbeflaggung rügt und beim Landrat wegen der Beflaggung vorstellig wird, dann dürfen ihm jüngere, nichtan- gestellte Kollegen im Konferenzzimmer ungestraft den Gruß verweigern. Einen Schutz findet er nicht. Man wird am 11. August dieses Jahres in Betzdorf wohl auch das Deutschlandlied gesungen haben. In früheren Jahren sang man an der dortigen höheren Schule nach dein Deutschlandhoch nur:„Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?" Das Deutsch- l a n d l i e d war ja durch Friedrich Ebert „v e r w e i h t". Die Ortspresse drang dann auf das Deutschlandlied. Immerhin, beim ossiziellen Fackelzug anläßlich der Jubelfeier des Gymnasiums in Merseburg diesen Zull war sogar das Ehrhardtlied die Ralionalhymue: wenigstens wiederholte die Festkapelle es immer wieder.... Parteipolitische Pereine sind den Schülern verboten. Das Mi- nisterium wird keine Liste solcher Pereine zusammenstellen; es muß dies den einzelnen Anstalten überlassen bleiben. Aber man faßt sich an den Kopf, wenn man im Jahresbericht eines großen staatlichen Gymnasiums der Provinz Sachsen liest: „Auch anderwärts betätigen sich eine große Anzahl von Schülern in Dereinen, hauptsächlich sportlicher Art", folgen 9 Sportklubs, Bismarckbund. Zungstahlhelm. Zungdeusichcr Orden. Tierschntzver- ein. Kennt man die parteipolitische Tätigkeit des Jungdeutschen Ordens so wenig, oder ist es ein Ironiker, der ihn mit Absicht neben den Tierschutzverein stellt? An der Oberrealschule in Deißensels(Saale ) gelten diese Per- eine sogar als Schülervereine. Der eben ausgegebene ge- druckte Jahresbericht oerkündet: „Aus dem Dercinsleben berichten die Obmänner der Schüler- vereine: 1. Die Deutsche Jungenschaft . 2. Adler und Falken. Z. I u n g d 0(Jungdeutscher Orden ). 4. W e r w 0 l f." Was sagt der Direktor zu dem Jungdobericht? Rur ein Satz: „Wir beteiligten uns an sämtlichen„Deutschen Tagen in und um. Weißenfels ." Weiß er nichts von dem Charakter dieser mit Düsterberg-Hochs auf den Kaiser schließenden Deutschen Tage, lebt er in Mitteldeutschland und weiß nichts von dem Hitzegrad des politischen Lebens in Mitteldeutschland ? Den Iverwols hat die Behörde für Schüler verboten. An der Weißen- felser Oberrealschule berichtet der Obmann des Werwolss: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, neben anderen vaterländischen Tugenden Kameradschastlichkeit, Gehorsam, Selb- ständigkeit, besonders auch den mitikärifchen Geist in der Zugend wachzuhalten und zu pflegen. Zu diesem Zwecke fand allwöchent- lich eine Bachtübung und jeden Monat eine größere Hebung mehrerer Ortsgruppen statt. Um den Geist des Werwolf ins Volk zu tragen, veranstalteten wir einen Werbeabend. Der Bund nahm an vielen auswärtigen und einheimischen vater- löndischen Tagen teil." Man muß sich, so schließt Dr. Bohner seine Mitteilun- gen, über die Schülervereine an dieser Schule nicht wundern, wenn der Jahresbericht mehrfach auch sonst die Ab- neigung gegen die neue Zeit betont. Gemäß den Bestim- mungen des Ministeriums existiert auch in Weißenfels ein
Schulausschuß zur Vorberatung der SchulangÄege», heiten. Kurz und bündig berichtet der Jahresbericht: „Die neue Behörde, der Schulausschuß, hat für uns keine Bedeutung. Er wird sehr selten einberufen, die wichtigsten, die Schule betreffenden Maßnahmen werden ihm nicht oorge- legt, an die Beschlüsse, die er etwa faßt, ist niemand gebunden." Der Leser begreift: diesen Schulausschuß hat uns auch diese verfluchte Republik gebracht, aber wir hier pfeifen auf ihn, Und alles das wird inamtlichenSchulberichtenge, druckt und auch republikanischen Eltern ins Haus geschickt, Scheinkampf gegen üie Teuerung. Die Heuchelei der Regierung. Die Nachrichten über die beabsichtigte Aufhebung der letzten noch bestehenden notwirtschaftlichen Verordnungen, dar» unter auch der Verordnungen über die Preistreibereien und die Preisprüfungs stellen haben die Regierung zu einem lendenlahmen Dementi veranlaßt. Das Reichskabinett behauptet, es habe selber zu den Vorlagen an den Reichsrat noch keine Stellung genommen. Es ist schon möglich, daß diese Angaben in dieser Form richtig sind. Damit ist aber noch gar nichts Positives über die Absichten der Reichsregierung gesagt. Tatsache ist, daß das Reichsernährungs- Ministerium, offenbar in Verfolg seiner eigentlichen Auf» gaben, seit Monaten auf die Beseitigung aller wirtschaftlichen Notverordnungen hindrängt und unter gar keinen Umständen von einer Aufrechterhaltung der Preisprüfungsstellen etwas wissen will. Das Reichsernährungsministerium sieht seine Aufgabe nicht etwa darin, die Ernährung der Bevölke» rung sicherzustellen, sondern den parteipolitischen Aus» fassungen des Reichs ernährungsmini st ers und der Deutschnationalen zum Durchbruch zu ver- helfen. Die Organe der deutschen Landwirtschast haben zwar eine marktschreierische Reklame organisiert, um die Schuld der ungeheuerlichen Preistreibereien, namentlich auf dem Fleischmarkt, von s i ch abzuwälzen und sie anderen, den Händlern und Fleischern, in die Schuhe zu schieben. Gleich- zeitig unterstützen die Organe der Landwirtschaft aber alle Schritte des Ernährungsministers auf gänzliche Aufhebung der Preisprüfungsstellen. Offenbar rechnen die Herrschaften damit, daß dann ihre an den Säulen Berlins angeschlagenen vollkommen willkürlich zusammengestellten Zahlen, die ihre Schuldlosigkeit an der Fleischteuerung beweisen sollen, nicht so leicht mit amtlicher Autorität zu widerlegen sind. Durch diese Stellungnahme des deutschnationalen Reichsernährungs» Ministers ist die Entscheidung des Reichskabinetts vorweg sichergestellt. Es kommt hinzu, daß die Auffassung des Er- nöhrungsministeriums selbstverständlich den Gerichten, die in diesem Fall besonders hellhörig sind, längst bekannt ist. In- folgedessen finden Verurteilungen durch die Gerichte auf Grund der strittigen Verordnungen überhaupt nicht mehr statt. Di« Untersuchungen der Preisprüsungsstellen, die namenttich auf Veranlassung des Berliner Polizeipräsidenten die Schöneberger Stelle mit großer Gründlichkeit in die Hand genommen hat, sind deshalb von vornherein zur Wirkungs- losigkeit verurteilt. Ohne die Möglichkeit von Zwangs- maßnahmen bleiben die Prüfungsstellen ein Heft ohne Klinge. Die bisherigen Untersuchungen hoben bereits ein» wandfrei ergeben, daß eine mindestens 20prozentige Ueberteuerung der Kleinhandelsfleischpreise vorhanden ist. die wirtschaftlich n i ch t zu rechtfertigen ist. Wenn die Re» gierung jetzt andeutet, als ob sie die Preisprüfungsstellen vielleicht doch noch am Leben lassen will, so ist das eitel Heuchc» lei. Sie selber hat dafür gesorgt, daß in Zukunft die Gefrier- fleischcinfuhr auf ein Minimum beschränkt wird, sie lzat die Zollgesetzgebung durchgeführt, um die Preise hochzuhalten. Sie hat deshalb kein Recht, über die Folgen ihrer Politik zu jammern. Sie sollte lieber ehrlich sein und zugeben, daß die katastrophal sich entwickelnde Teuerung eineFolgeihrer bewußtaufTeuerungderJnlandspreiseein» gestellten Wirtschaftspolitik ist.
Die Schaumweinöame von Koblenz . Eine cheinische Denkmalskomödie. In Koblenz am„Deutschen Eck ", wo Mosel und Rhein sich ver- wählen, steht das Riesendenkmal Wilhelm» des Ersten. Mit seinen pompösen Quadern, effektvollen Ornamenten und herausfordernden Bosen ist es ein echtes Kind des bronzenen Hohenzollerntums, das ein Stück feiner Siegesallee an diesen heroischen Platz versprengt;. Nun aber besitzt Koblenz «in zweites Denkmal. Und das wird, scheint es, viel berühmter werden als die kaiserliche Apotheose. Denn dieses neue Monument ist in keusche weihe Laken gehüllt. Es ist ein verschleiertes Bild unerhörter plastischer Sensationen, dessen Reize von Koblenzer Schupotempclwächlern behütet werden. Kurz, es ist ein Denkmal, das vielleicht nie von den Augen gewöhn- licher Lebender geschaut werden kann, und wie eine steinerne Legende siebt es im festlichen Borhofe der R e i ch s a u s st e l üi n g «De u t sch c r W e i n", die vor kurzem zu Koblenz eröffnet wurde. Es ist ein„deutsches Weindenkmal". Die Vereinigten Wein- gutsbesitzcr, G. m. b. H., schenkte» es der Stadt, auf daß es in Ver- bindung mit der Ausstellungseröfsnung feierlich vor den geladenen Korporationen enthüllt werden sollte. An den vier Seiten eines mit beziehungsreichen Spruchbändern geschmückten mächtigen Blocks stehen vier symbolische Gestalten. Da ist der„Bater Rhein", der den Rheinwein darstellt, die Lenden von Rebstöcken umgürtet. Dy steht eine„minnigc, schlanke, liebliche Jungfrau", wie es in der Festschrift heißt, die den Moselwein kennzeichnet. Ein junger Bursche— das ist der Iungwein Aber an der vierten Seite, da steht sie, die •schöne, die an allem schuld ist, die mit lässiger Hand selig da» Gewand herabgleiten läßt, die verführerische Schaumwein-. d a m e. Sie ist die Heldin der nun folgenden Komödie. Die städtischen Behörden von Koblenz nahmen zuerst das Ge- schenk, ein Werk des begabten Münchener Bildhauers H e n s e l- mann, mit herzlichem Dank an. Der Oberbürgermeister Dr. Russell billigle begeistert alle Pläne, die ihm vorgelegt wurden. Zwei Koblenzer Stadbauräe wurden noch München zur Begutachtung der Arbeit ins Atelier des Künstlers qcfnndt. Sie- wurde offiziell abgenommen, nach Koblenz transportiert und bewundert, und man bereitete eine Eni- hüllung vor, die der Ausstellung Weihe, Würde und Glanz geben iolltc..ras Denkmal wurde in dem amtlichen Führer gepriesen, mit reizenden?lbbildungen auf Kunstdruckpapier, und die deutschen Zeitungen erhielten Mitteilungen von dem in Aussicht stehenden künstlerischen Ereignis. Doch— da kam der Umschwung. Die Geistlichkeit entdeckte„sittliche Gefahren". Man wollte die Gläubigen cier Diözesen vor dem Besuche der Ausstellung warnen, wenn die schlimme Schaumweindame mit solch frechen, spitzen Brüsten auf die in alten zuchtigen Gebräuchen wohlerfahrenen rheinischen Wein- freunde herabsehen dürfte. Eine Stadtverordnetenversammlung stritt an einem heißen Augusttage bis tief in die Nacht hinein um die plastischen Details und faßte mit einer Stimme Mehrheit den Bc- Ichluß, das.lenkmal nicht zu enthüllen. Da stand es nun, im„Ehrenhof", als die Ausstellungsgäste erschienen. Und so kam es. daß man von dem verhüllten Denkmal mehr sprach, als von der ganzen Ausstellung.
Aber nun entzündet sich der rheinische Dolkszorn. Mehrere Male haben die Ausstellungsbesucher einen Sturm auf die weiß« Leinwand unternommen und unter Huronengebrüll die Scham des deutschen Weindenkmals entblößt. Nun steht ein Fähnlein Schutz- leute davor und droht den unbeugsamen Rheinländern mit der Waffe, falls sie es noch einmal wagen sollten..... Und die Aus« stcllungsleitung richtet energische Briefe an die Schenker, den Stein der Anstößigkeiten sofort zu entfernen. Aber Schlimmeres kann noch kommen! In einer in Koblenz verbreiteten Druckschrift wird die Verwaltung auf die Gefahr aus- merksam gemacht, die dadurch entsteht,„daß das Blut der Rheinländer entfacht wird durch die Darbietung der guten Weine in den Wirtschaften des der Ausstellung an- gegliederten Weindorfes und daneben durch die Ver- deckungdesDenkmals....." Ja, das rheinische Mädchen entflammt beim rheinischen Wein die Sinne auch dann, wenn es aus Stein ist! Und noch weiß niemand, ob diese rheinische Denk- malskomödic in Liebfrauenmilch oder in Drachenblut ertränkt werden wird. Rhenanus.
der Sieg öer Revue. Der Siegeslauf des jüngsten Kindes der Musen, der Revue, läßt sich nicht mehr aufhalten. Trotz aller Anfeindungen durch die Literarischen, die den Geist vermitteln, durch die Gemütvollen, deren Herz leer bleibt, und durch die Moralisten, denen die Revue empörend pikant vorkommt. Sie haben alle recht, die Literarischen, die Gemüt- vollen und die Moralisten, aber auch die Revucmacher. Ueber Ver- stand, Seele und bürgerliche Wohlanständigkeit haben die Sinne den Sieg errungen. Vor dem Admiralspalast stauten sich die Automobile, und eine dicke Menschenmauer bildete sozusagen Spalier vor der Welt der Eleganz, die ins Theater promenierte. Berlin merkt, hier ist was los. Das ist auch ganz richtig. Die neue Haller-Reoue „Achtung! Welle 5 9 5" ist dos Großartigste an Pracht- entfaltung, was man in Berlin je gesehen hat. Nicht weniger als 6l> Bilder hoben Hermann Haller , Rideamus und Willi W 0 l f f zusammengestellt und durch eine lose Handlung mitein- ander verknüpft. Die pompöse Kostbarkeit der meisten dieser Bilder überwältigt. Eine prunkende Märchenwelt tut sich da auf: unzählige Frauen, teils unbesorgt und freigebig die Schönheit ihrer Formen zeigend, teils mit verschwenderischer Pracht gekleidet, Gefunkel blitzender Steine, ein Duftmeer von Licht, Seide, Federn, Gold und Silber, und das olles von erlesenstem Geschmack. Wenn diese Revue ihren Weg macht, dann ist es das Verdienst der feinsinnigen Kunftgewerbler. Paul Leni , Marco Montedoro, Ladis- laus Czettel, Gesmar, Brunelleschi , Erte, Du- m 0 n t haben die leuchtenden Dekorationen, die reichen Vorhänge, die sieghaften Kostüme geschaffen. In der Sinfonie von Licht. Farbe und Glanz vergißt man gern, daß der Witz der Autoren diesmal nur bescheiden knistert, daß mehr Aktualität von nöten wäre, daß die weiblichen Solorollen mit A l i c e H e ch y und G e r t i K u t- s ch e r a für den Riesenraum nur unzureichend besetzt und daß die eingelegten Varietenummern nicht immer die erstklassigsten sind. EndjaMogoul zum Beispiel hat nur zwei Vorzüge: Sie kommt angeblich aus dem Palacetheater in Paris und hat— wirklich mal
was Originelles— sich als Hauptkleidungsstück einen Brillanten in den Bauchnobel geklemmt. Sonst vollführt sie auf der Bühne walzende Sprünge, die nur ein Harmloser als Tanz auffassen kann. Das wird besonders deutlich, wenn man die unvergleichlichen Tiller-Girls sieht. Die Tiller- Girls sind Rhythmus, Schwung, Zartheit und Grazie. Die sechzehn Frauen schweben wie ein Körper über die Bühne. Eine vrachtvolle Schule von Exaktheit und Duft. Der nie verlegene Max Ehrlich führt ein Brillantfeuerwerk nach neuesten Witzen vor und Kurt Lilien assistiert ihm dabei als kesser Berliner Jungs. Den besten Titel für die Revue hat Herrn Haller Walter Bramme vorweggenommen.„Tausend süße Beinchen" wäre ein treffenderer und schlagenderer Titel gewesen, als sein„Achtung'. Welle 505"._ Dgr. Moderne russische Bauerndichter. Die russische Kritik nimmt in steigendem Maße Stellung gegen eine größere Gruppe von Dichtern, die in ihren Arbeiten revolutionäre Gedanken zum Ausdruck bringen und ihre» Mangel an Talent und Schulung durch Häufung reoolu- tionärer Schlaoworte und Betonung ihrer radikalen Gesinnung zu effetzen suchen. Sowohl die Theaterkritiker als auch die Buchkritiker beklagen diese Erscheinung. Ja sogar die Filmkritik beschwer! sich darüber, daß für das Filmdrama eine Schablone entstanden sei, nach der immer wieder gearbeitet werde: auf der einen Seite wird die schwelgende und verderbte Bourgeoisie darg-stellt, auf der anderen «eite das iugendfrische strebende Proletariol. welches dann im lerzten Akt den Sieg erringt. Soeben ist in Petersourg eine große Sainni- lung von Gedichten erschienen, deren Verfasser sämtlich Baliern aus verschiedenen Dörfern sind. In einem Vorwort hat derlßerlag auch hier wiederum auf die agitatorische Kraft und revolutionäre Ge- sinnung der Dichter hingewiesen, welche die sprachlichen Unebenheiten und den Bildungsmangel der Verfasser gutmachten. In einer Kritik der„Prawda" wird dem indessen energisch widersprochen. Der Kritiker erkennt die Gesinnung der verschiedenen Poeten als gut bolschewistisch an, meint ober, daß die agitatorische Kraft dieser Verse, welche der Verlag so sehr herausstreiche, sich bedeutend mehr geltend machen würde, wenn sich auch künstlerische Kraft ihr zugesellt hätte. Man leb- doch jetzt nicht mehr im efften Jahr der Revolution, und es liege kein Grund vor, sich am hilflosen Gestammel nur deswegen zu erfreuen, weil die betreffenden Verfasser bäuerlicher Abstammung seien. Der ganze Gedichtband wirke äußerst eintönig und die Ver- fafser hätten in künstlerischer Hinsicht noch sehr viel zu lernen. Auch mehrere dramatische Erzeugnisse von russischen Dichtern der aller- neuesten Schule haben in letzter Zeit eine ähnlich jcharfe Kritik er- fahren. «eoeralnwsikdlrektor Erich Kleiber , der eingeladen war, in diese« Herbst einen ZytluZ von 12 Konzerten in Buenos Aires zu dirigieren, konnte dem Ruf keine Folge geben, da er angesichts der Aufgaben, die an der StaatSopcr vorliegen, nicht.abkömmlich war. Er!ch weiaerl spricht am Freitag, den 21. August, abend; 8 Uhr, im .Reuen Buchladen", AuaSburger Straße 33, über„Reue politische und unpolitische Satire'. Antritt srei. Da» Opereltevhao» am Schisfbauerdamm sübrt ab 1. September de» Namen„Theater am Schiffbauerdamm'. DaS Theater wird mit seinem neuen Namen mit dem Lustspiel„Lady Fanny und die Dienstbotcnjrage- von Ferome K Jereme im September eröffnet.