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Sonntag 23. August 1925
Unterhaltung unö Ä9ijfen
Seilage ües Vorwärts
Mariechen Kublich. Von C. C. haedicke. (Schluß.) Enzian Meierte heißt der Kommis. Er ist weder schwarz noch blond: die Locke ist von echtem Schweineschmalz. Auf seiner Nase kann ein Däumling sitzen und sich eingelassen wie in einen Tragkorb seinen Ritt in die Well machen. Enzian Weierle hat einen Buckel, jedoch ist es nicht sicher, ob es ein wirklicher Buckel ist. Seine Hände sind rotblau vom Frost und vom ätzenden Saft des Gurkenfasses, seine Augen sind wie kleine Rosinen. Und Enzian Weierle wiegt Graupen, Wehl, Reis und geriebenen Wohn mit einer Genauigkeit, als ob es Feingold wäre: man muß sich gedulden bis er fertig ist. Mariechen Kublich ist geduldig. Die kleinen Rosinen hüpfen über die Warze an ihrem Finger, hüpfen über ihr glattes rotes Haar. Enzian Weierle zählt die Sommersprossen auf Mariechens Nase, er zählt die weißen Punkte in Mariechens blauer Bluse.  -- Die kleinen Rosinen bleiben an Mariechens Busen hängen; da geraten die rotblauen Hände ins Zittern und Enzian Weierle wiegt nicht für einen, sondern für zwei Groschen grüne Drops in die Tüte. Am Abend steht Mariechen Kublich vorm Kino, sieht die Bilder an und kaut. Der rote Kinomann ist da wie sonst. Und der rote Kinomann tippt mit seinem langen Stab an Mariechens Tüte: da kreischt Mariechen auf, läßt die Tüte zu Boden fallen und läuft da- von. Im Hausflur und auf der Treppe ist es heute dunkler als sonst. Auf jedem Absatz sitzen unheimliche Gestalten und aus den Türen fahren lange polierte Stäbe mit roten Troddeln auf Mariechens Herzseite zu. Aber schließlich ist sie oben. Sie schließt das Dach- fenster und stellt sich das Kästchen mit dem ausgefallenen Zahn, der ihr einmal Glück gebracht hat, vors Bett, denn sie fürchtet sich sehr. Sie zieht das rot und blaugewürfelte Bett weit über den Kopf: nun fühlt sie sich sicher, schläft ein und träumt: der bucklige Kommis hat sich die Locke abgeschnitten, aber er hat einen steif in die Höhe ge- richteten Schnurrbart und steht in einem roten Ueberrock mit goldenen Knöpfen hinter dem Schaufenster und klebt grüne Bonbons an die Scheiben.--- Schon feit sechs Monaten»geht' Mariechen Kublich mit Enzian Meierte. Jetzt kaut fast immer Zuckerdrops, aber auch Schokolade und gebrannte Mandeln. Sie hat auch einen Alllagshut, aber sie sagt niemals»mein Mann' und tritt die Nähmaschine wie zuvor. Des Sonntags geht Mariechen mit Enzian Meierte in den Luna- park. Dort fährt sie Karussell und Rutschbahn, die ins Wasser saust und geht ins Hippedrom. Mariechen kreischt nicht, wenn sie auf der Rutschbahn sitzt. Sie hält sich ganz still. Nur ihre wasserblauen Augen sind groß aufgerissen. Ihre Beine baumeln unter dem roten Plüschsitz, und ihre Fußspitzen nicken einander in freudiger Er- regung zu. Einmal hat Mariechen Geburtstag. Sie steht um fünf Uhr auf, steckt frische Gardinen an das Waschküchenfenster und zackt mehrere Bogen Zeitungspapier aus für den Herd. Am Abend bringt ihr Enzian Weierle einen Fuchsientopf, eine Leberwurst, zwei Tafeln allerfeinste Schokolade, ein Sülzkotelett und einen Taschenkamm. Mariechen legt alles in Reihe und Glied auf den Tisch: den Taschen- komm legt sie quer über die beiden Schokoladentafeln, daß er eine Brücke bildet. Und heute führt Enzian Weierle Mariechen Kublich ins Kino. Es ist ein ganz neues Stück. Mariechen hat die Bilder noch nicht im Kasten gesehen. Enzian bezahlt l.60 Mark an der Kasse und er- hält zwei braune Billetts. Wie im Traum geht Mariechen an dem roten Kinomann vorbei: ihr Aermel oerhakt sich an einem seiner goldenen Knöpfe, der rote Kinomann lacht und kitzelt Mariechen heimlich in der Taille. Im Kino ist es dunkel. Auf einem grünlichbeleuchteten Podium spielt ein Geiger gedämpft eine Serenade. Mariechen denkt an ihre Einsegnung. Sie sitzt gewaltsam gerade, als hätte sie das schwarze Einscgnungskleid an und in Zuckerwasser gewelltes Haar. Zwei Kerzen schweben zwischen den Reihen der Zuschauer hin und her. Jetzt kommt eine direkt auf Mariechens Platz zu, und sie sieht, daß es eine elektrische Taschenlampe ist. Der Geiger spielt jetzt das Lied von den Bananen und auf der Leinwand erscheinen die Namen der Schauspieler. Das Stück heißt:Das Berhängnis am Amorsee.' Mariechen versteht nichts von dem was vorgeht. Alles ist ungewöhnlich, das genügt. Was geschieht, geschieht furchtbar flink bsitzartig schnell wupp, wupp--. vor allem wird unendlich viel gerannt, wohin weiß man nicht.-- Gleich nach Mariechens Einsegnung war einmal ein Mann durchs Dorf gekommen, der hatte einen Helm auf dem Kopfe gehabt, an dem lauter Glöckchen hingen, und wenn der Mann den Kopf schüttelte, spielten die Glöckchen eine Melodie. Und eine Pauke hatre der Mann, und eine Trompete und einen Affen, der konnte die Mütze abnehmen und das Gewehr präsentieren, auch blitzartig flink wupp. wupp.-- Ein Leichenzug zieht wupp wiipp'- über die Filmlein­wand. Enzian Weierle hat Mariechens Hand gefaßt. Der Geiger spielt etwas sehr Trauriges: in der vordersten Reihe fängt ein alter Herr an zu schluchzen und hinter Mariechen knistert einer mit Pergamentpapier. Als alles zu Ende ist, scheint Mariechen 5hiblich die Straße seltsam unwirklich. Die Autos, die Lichter in den Eafes, die heim- wärtsgehenden Theaterbesucher, die Damen der Straße alles ist eine Fortsetzung des Kinos. Mariechen würde sich nicht wundern, wenn die Autos, die Häuser, alles plötzlich verschwinden und statt dessen nichts mehr da sein würde als eine große glatte weihe Lein- wand.--- In den kommenden Wochen surrt i�ie Nähmaschine ständig die traurige Leichenzugmclodie aus dem Kino. Enzian Weierle ist garnisondienstverwendungssähig und hat fortgemußt. Beim Abschied hat er Mariechen einen Kasten rosa Briefpapier gegeben und hat ihr zu schreiben versprochen. Mariechen steht des Abends wieder allein vorm Kino und sieht die Bilder draußen an. aber sie weiß jetzt, daß die Bilder eigenttich lebendig sind, wenn man ein Billett kauft, und daß zu jedem einzelnen Musik gehört. Aber allein hineingehen tut Mariechen Kublich nicht. Eines Tages ist auch der rote Kinomann fort. Im Schaufenster des Papierladens hängt eine Postkarte, darauf Soldaten mit be- kränzten Mützen und geschmückten Gewehren. Und die Soldaten marschieren und darunter st»h»- JDtorgen muß ich fort von hier
Umwertung aller Unwerte.
lvarch ihre» ollgemeivea Dalle» gezwungen, bemühen sich die.Völkischen  ', sich durch sogeoaoule ehrliche Arbeit ihre» deutscheu Seiauge» zn erhalten.)
Der Rotzbachcr nützt seine angeborenen Talente. fischt natürlich im Trüben.
Adolf Hitler   geht znr Landwirtschaft. Er zieht ans seinen früheren Reden de» schönsten Kohl.
Ehrhardt verwendet seine Kenntnisse im Ausbrechen aus Gefängnissen und produziert fich als Entfesselungs- künstler auf Schützenfesten und Rummelplätzen.
Was wird aus unserem Erich Lndendorff? R« selbstverständlich Kinoportier. Immer nochjeder Zoll ein Denkmal".
Mariechen Kublich kaust die Karte und stellt sie auf den Herd zu den Bildern der Matrosen. Im Schneideratelier ist viel Arbeit. Mariechen näht ein Unter- kleid aus schwarzem Satin. Die Nähte sind endlos wie die Straßen der großen Stadt. Mariechen hat Heimweh, sie weih nicht wohin. Die Maschine näht heute so schwer. Sie muß geölt werden. Mariechen holt das Maschinenöl. Ihre Knie zittern. Die Kolleginnen kichern. Mariechen öll die Maschine. Dann näht sie wieder. Es geht alles so langsam, und Mariechen nimmt sich vor, auch allein einmal ins Kino zu gehen, wo alles so blitzschnell vonstatten geht. Eine Dame kommt heremgettippelt und bestellt zwei schwarze Kleider, sie drückt ein weißes Seidentüchlein niit schwarzem Rand an die Augen. Irgendjemand sagt etwas von Beerdigung. Mariechen will aufstehen. Sic will das Plätteisen heiß machen. Aber sie kann sich nicht erheben. Sie muß sitzen bleiben und die traurige Melodie auf der Nähmaschine spielen, der rote Kinomann ist tot.-- Haben sie das Leichentuch noch nicht fertig, Fräulein Kublich?' fragt die Direktice, aber die Stimme klingt hohl und kommt aus weiter Ferne»Noch nicht', gibt Mariechen zur Antwort, aber sie weiß nicht, ob sie es wirtlich selber ist. ihr Oberkörper sinkt auf das polierte Holz der Nähmaschine und Mariechen Kublich fühlt, daß sie gestorben ist. Als sie zu sich kommt, liegt Mariechen in einem weißen Bett. Das weiße Bett steht in einem großen Saal. In dem großen Saal stehen viele weiße Betten, große und winzig kleine. Zwischen den großen Betten hindurch führt eine lange Straße, und die lange Straße entlang kommen und gehen Schwestern in weißen Hauben und Schürzen. Eine davon kommt dicht an Mariechen Kublichs Bett. Sie sogt. Mariechen habe ein Siebenmonots-Zknäblein zur Well ge- bracht. Aber Martechen Kublich schließt die Augen, sie weiß ja nicht, daß alles Wirklichkeit ist. Was soll sie auch mit einem Sieben- monats-Knäblein, sie tnuß doch die traurige Melodie auf der Näh- moschine spielen.--- Das Fieber geht nicht herunter', sagt eine Stimme, Mariechen kennt sie nicht. Jemand greist nach ihrem Puls es ist Enzian Meierte. Er hält ihre Hand und sie sitzen im Kino, und die weißen Betten ziehen in langem Zuge an ihnen vorbei. Aber es ist kein Leichenzug. Es sind lauter weiße Kutschen. Irgendwo erklingt Musik, aber es ist keine traurige Melodie Mariechen streicht ihre Bettdecke glatt ganz glatt--- ihre weiße Kutsche ist die letzte Kutsche es ist die allcrschönste mit rosa Rosen und Myrthen geschmückt-- Mariechen richtet sich halb auf, sie greist nach dem Handtuch, das an ihrem Kopfende hängt: mit einer Haarnadel be- festigt sie es auf ihrem roten Haar und läßt es nach hinten fallen, denn sie muß ja einen Schleier haben: der rote Kinomann wartet. Er steht am anderen Ende der Sttahe und hat einen schwarzen An- zug an und einen Blumenstrauß in der Hand-- die Glocken läuten-- ein roter Kakadu schwebt über Mar-echens Kopse es ist der Heilige Geist aus der Biiderbibel--- Mariechen Kublich atmet schwer-- sie lächett selig-- und lehnt sich weit in die Kissen zurück.---- Ein Lettschirm wird um das Bett gestellt. Die Oberschwester benachrichtigt de» Stationsarzt. Es werde» Anorduungen getroffen.
Der Staub. Don Otto Grünessen. Auf der Landstraße, die vom Bergwald in das Dorf hinab- führte, schleppten zwei Jungen eine Last Holz Sie waren armer Leute Kinder und mutzten jetzt in den Sommerferien fleißig für den Winter sorgen. Heule war die Ernte gut gewesen, denn es hatte gestern tüchtig geweht, und die dürren Aeste und Zweige waren Massen- hast zur Erde gefallen. Gebückt unter der schweren Last, die hinter ihnen aus dem Weg nachschleppte, trotteten die beiden durch das Dorf. Der Straßenstaub, von dem streifenden Holze aufgewirbelt, tanzte im Wind und ließ sich von ihm wegtragen. Auf der Terrasse vorVilla Irene", wo in jedem Sommer die vielen Kurgäste wohnten, saß man beim Morgenkaffee und las dabei die neuesten Zeitungen. Respektlos, wie Staub nun einmal ist, hüpfte er über die Zeitungen, sprang über die Kaffeetassen und ließ sich nieder auf die frischen Kuchen und Semmeln, die so lecker auf den weiß- gedeckten Tischen standen. Frau Großkaufmann Schmidt verspürte den Staub zuerst. Dann merkte ihn Herr Reichseisenbahnbctriebsoberinspektor Lohmann und bald die ganze Gesellschaft. Im Augenblick sahen sich die beiden Holzsammler entdeckt und im Handumdrehen standen sie mitten in einem Trommelfeuer von entrüsteten Zurufen und empörten Schimpfreden. .Unerhört!' .Unglaublich!' So eine Frechheit!' Könnt ihr Bauernlümmel denn eure Bündel nicht hoch nehmen?' Hinter die Ohren müßtet Ihr was haben!' Herr Obersteuersetretär Ouetschky meinte zu seiner Frau, daß die beiden Bengel das Holz sicher gestohlen hätten. Entsetzt drehten die jungen Sünder sich um. Da war allerdings eine Menge Staub in der Luft. Staub war sicher unangenehm, das sahen sie ein, und hilflos warteten sie der Dinge, die da kommen sollten. Die kainen denn auch und zwar in der Gestalt des Orts- polizeidieners Mackedanz. Die Polizei ist ja immer zur Stelle. wenn sie gebraucht wird, wenigstens bei solchen ganz unglaub- lichen Staatsverbrechen. Na ja, Ihr beilxm seid's natürlich!' Umständlich holte Macksdanz seinen Kneifer aus der Rocktasche und klemmte ihn aus die Widerspenstige dicke Nase. Und nun ging das Donnerwetter lss. Es prasselte nur s» auf die Jungen hernieder, die immer kleiner und ängstlicher wurde», bis ihnen die dicken Tränen die Backen herunterliefen. Davon war man auf der Terrasse recht befriedigt. Hier die schnell und nachdrücklich eingreifende Ordnungspoli>ei und da die zerknirschten, reumütigen Sünder. Das pasttt gewohnten Gedankengänge hinein.