Einzelbild herunterladen
 

He. 403 42. Jahrgang

7. Seilage ües vorwärts

Donnerstag, 27. August 1925

Seit Jahrzehnten strömen täglich Hunderte von Menschen hinaus zur Treptower Sternwarte, um den Blick aus der Enge des Alltags in die Erhabenheit unermeßlicher Fernen zu richten und durch Wort und Bild über das Werden und Vergehen der Welten Belehrung zu suchen. Bereits im Mai des nächsten Jahres kann nun die Trep - tower Sternwarte auf ein dreißigjähriges Bestehen zurückblicken. Das Institut, das inmitten des schönen Treptower Parkes liegt und noch heute von dem Direktor Dr. F. Archenhold geleitet wird, hat im Laufe der Jahre Wandlungen recht vielseitiger Art durchmachen müssen. Wiewohl dieses volkswissenschaftliche Institut aus dem Bild Berlins gar nicht wegzudenken ist, gibt es doch eine Unmenge Ber- liner, die von ihm wenig oder nichts wissen. Diese Zeitgenossen tun gut, sich mit der Treptower Sternwarte etwas näher zu beschästigen. Es ist Archenholds großes Verdienst, die Astronomie dem Volk um vieles nähergebracht zu haben. Das große Fernrohr, das erst- malig im Jahre 1306 einen Blick auf die Himmelskörper gestattete, rief bei den Beobachtern Erstaunen und Bewunderung hervor Da» niols war dieses Weltenwunder, das noch heute den Ruhm besitzt, das größte Fernrohr der Welt zu sein, einst sehr primitiv von einem einfachen Holzbau umgeben. Erst im Jahre 1903 gelang es, teils mit staatlichen, teils von privater Seite aufgebrachten Mitteln, einen Steinbau, wie er in seiner setzigen einfach-vornehmen Form dasteht, zu errichten. Heute ist die Sternwarte eine viel besuchte Stätte volkstümlichen Wissens und Belehrung und täglich strömen viele herbei, um den Filmvorträgen, den astronomischen Kollegien und den bvchintercssanten Vorträgen am Riesenfernrohr beizuwohnen. Die üstronomiscbc Wissenschast, die vor Jahrhunderten den Sterndeutern ungeahnte Macht über Völker und Könige verlieh, ist heute dem ganzen Volke erscklossen worden. In knapp drei Viertelstunden ist man draußen in Treptow , und kann selbst alsSternkieker" Unter fachmännlscher Führung und Erklärung die Himmelskörper beob» eckten. Schon vor dem Institut glühen als sinnreich gedachte Licht- - eklame in kleinen elektrischen Birnen die Sternbilder des Großen Bären, des Orion, des«chwanes usw. Sie geben dem Besucher es grauen Gebäudes, dessen zum Himmel starrendes schwarzes Riesenrohr sich drohend wie ein Geschützrohr vom Horizont abhebt, die rechte Stimmung zur Besichtigung der Himmelswunder. Die Himmelskanone. lieber Treppen und Irrgänge geht es hinaus zu dem Wunder- wert der Technik, zu dem Riesensernrohr. Ungeahnte seltsame Wunder tun sich dem Besucher hier auf. Ein surrendes Geräusch, das von den Elektromotoren herrührt, bringt das gewaltige Rohr in unglaublich kurzer Zeit in die richtige Stellung. Durch ein

winziges Guckloch sieht man einen Teil des Mondes und fast scheint es, als könnte man diesen unerforschten Planeten mit den Händen greifen. Krater liegt neben Krater, ein erloschenes Vulkangebiet. An einer Stelle heben sich klar und deutlich als tiefer Einschnitt die Mondalpen ab. Auch Planeten wie Mars , Saturn, Jupiter usw. sind an wolkenlosen Abenden durch das Fernrohr so gut zu beob-

Das große Fernrohr.

achten, daß man sich nur einige Meter von den Planeten entfernt dünkt. Interessant genug sind einige Angaben über die Kosten und Ausmaße des Riesenfernrohres, mit dem diesen umgebenden Bau, mit seinen Sälen und Zimmern. Die Länge des Fernrohres beträgt 2t Meter und der Durchmesser der Objektivlinse 65 Zentimeter. Das Gewicht der beweglichen Eisenkeile beträgt 2630 Zentner, wo- von allein auf die beiden riesigen Blciteller, die das Riesenrohr im Gleichgewicht halten, je 223 Zentner entfallen Das Fernrohr wird durch vier Elektromotoren bewegt, die alle vom Okularende aus betätigt werden können. Ein finnreiches Uhrwerk hebt die Drehung der Erde auf, so daß der Stand des Beobachters unbeeinflußt von der drehenden Bewegung unseres Planeten immer mit dem gleichen Punkt des Himmelsgewölbes in Verbindung bleibt. Es ist durch diese Konstruktion möglich geworden, die drei Hauptpunkte des Fernrohres, Sehpunkt. Schwerpunkt und Drehpunkt in einem Punkte zusammenfallen zu lassen. An diesem Punkt kann dann der Beob- achter in aller Ruhe die Bewegung und Benutzung des Fernrohres vornehmen. Zur Aushebung der Durchbiegung des 21 Meter langen Rohres wurde eine Vorrichtung verwandt, die aus 48 Zug- und Dnickstangen besteht und sich bisher sehr gut bewährt hat. Sibliothek und Museum. Die große und großartige Bibliothek, die es mit jeder Unwer- sitätsbibliothek aufnehmen kann, umfaßt etwa 13 333 Bände, deren älteste handschriftliche Aufzeichnungen bis in das Jahr 837 zurück- reichen. Es sind sämtlich rein wissenschaftliche Werke, die chie allgemeine Astronomie, die Astrometrie, die Astrophysik und die Astromechanik eingehend behandeln. Sogar das Buch, nach dem sich der berühmte Entdecker Amerikas , Kolumbus , orientierte, ist vorhanden. Ausgeliehen werden diese Bücher allerdings nicht, aber jeder, der wissenschaftlich aus ihnen schöpfen will, kann diese wert- vollen Werke im Lesesaal der Sternwarte studieren. An diese Bibliothek reiht sich eine Porträt- und Eindrucksammlung an, die für die Geschichte der Astronomie manches Wertvolle enthält. Hinzu kommt noch eine ebenso wertvolle Autographensammlung, die u. a. Briese von Gauß, Bessel, A. o. Humboldt, Hörschels usw. enthält. Ein weiterer großer Saal, das Sternwartemuseum, birgt Modelle, niedergegangene Meteore, Himmelskarten usw. U. a befindet sich dort die berühmte Treptower Sternwarteuhr. Dieses Kunstwerk uhrtechnischer Feinmechanik befindet sich unter einer Glasglocke, die dos Uhrwerk luftdicht verschließt und auf eine Hundertstel Sekunde genau geht. Aber der Ehrgeiz des Direktors Archenhold geht noch weiter und er will versuchen, die Uhr noch genauer regulieren zu können. Hier ist also der Ausgangspunkt der Aufschriften an den Berliner Normaluhren, die da sagen.Vach der Normalzeit der Treptower Sternwarte" und die manchmal Mick verflucht genau" gehen. �ls öer Komet am Himmel war. Der trotz spartanischer Einfachheit dennoch künstlerisch gehaltene vortragssaol hat einige hundert Sitzgelegenheiten. Berühmte Gc- lehrte, wie der Marsforscher Lowel, Amundsem der hier in einem überfüllten Saale nach seiner Entdeckung des Südpoles sprach, und viele andere haben hier schon ihre Vorträge gehalten. Täglich finden hier Film- und Lichtbildoorträge statt, die sich eines regen Besuches erfreuen. Zur Zeit der Einweihung im Jahre 1303, aber auch kaum ein Jahr später, im Jahre 1310, als das Erscheinen des Halleyschen Kometen die Welt der Vernichtung und dem Untergang preisgeben sollte, hatte die/ Sternwarte Tsiassenbesuche aufzuweisen. So war es in der Nacht zum 13. Mai 1310, als Zehnlausende die Sternwarte umlagerten und Hunderte die Plattform der Sternwarte füllten, um auf das Erscheinen des Kometen, nach dem die Weltuntergangs- Prophezeiung aufgestellt war, zu warten. Automobile und andere Fahrzeuge sollen Reihe an Reihe bis hinunter zur Ringbahn ge- standen haben. Der Treptower Park glich einem großen Heerlager. Vielen werden noch die zahlreichen Selbstmorde zur damaligen Zeit bekannt sein, die aus Furcht vor dem angeblichen nahen Welt­untergang oerübt wurden. Wer pünktlich erschien, war der Komet was aber nicht eintrat, war der Welkintergang. Ein Bomben geschäft machten die Treptower Kastwirte, die sehr bald mn ihre Pforten das SchildAusverkauft" setzen mußten.Noch am 18. Mai

abends kam zu mir eine adlige Dame«us den Gesellschaftskreisen der Provinz Ostpreußen und bat mich um Aufschluß über die Welt- untergangskatastrophe", so berichtet Dr. Archenhold. Ich beruhigte

sie, aber mit dem Erfolg, daß sie noch am selben Abend bei Treptow in die Spree ging und am anderen Tage als Leiche aufgefischt wurde.

Das unbegreifliche Ich. ZI) Geschichte einer Jugend. Roman von Tom Srislensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. E. Vogel.) Hinten über einen erhöhten Damm glitt eine Reihe von Lichtern vorüber, als ob ein langes, schwarzes Haus mit er- leuchteten Fenstern fortrollte. Ein Pfiff erklangi Wir gingen ein kleines Stück an der letzten Laterne vor- bei, aber bemühten uns, den Lichtschein unter unseren Füßen zu behalten, so daß wir in Sicherheit waren. Das Pflaster und der Rinnstein hatten aufgehört. Etwas weiter kam ein Elück Rasen mit niedrigen Lehmhügeln wie eine Insel zum Borschein. Huh!" sagte Karl und schüttelte sich, als ob es ihm kalt den Rücken herunterliefe,das ist mal dunkel, nicht? Huh! Aber kannst du Die Räuber und Strolche sehen?, ich nicht!" Nee," antwortete ich, aber mir war unheimlich zumute. Ich sah' zum Himmel auf und erblickte den Mond. Den kannte ich und ich fühlte mich beruhigt. . Sieh mal den Mond, sagte ich. Ja das ist das Gesicht vom lieben Gott. Kannst du feben" ob er böse ist, ja kannst du das, Waldemar?" ' Ich sah wieder in die Höhe. Der Mond hatte ein oer- 3trr'S®, "Nein.�er nichts, dennoch glaube, ich bin Jesus Christus ."' «Was ist denn das?.. Das ist Gottes Sohn. Ich bm Gottes Kind. Karl stand still und überlegte. Dann hob er trog.g �n Kopf und schrie:Das bin ich auch! ..Nein, du nicht, denn es gibt immer nur einen auf ein- mal. lind traust du dich deine Hand einem Löwen oder einem Pferd in den Mund zu stecken?" Ja, ich traue mich: aber keinem Pferd. Na. da siehst du's!" triumphierte ich. z-llud ich habe Farben hinter mir," fügte lch hrnzii. Im selben Augenblick tauchte eine schwarze Gestalt draußen auf dem Felde auf. Sie erhob sich und war min- destens vier Stock hoch. .Mutter!" schrie Karl, und«ick setzten uns augenblicklich jA Trab, an dar ersten Laterne vorbei, auf das Pflaster und

zu den Häusern hin. Wir kamen an einem Laden vorüber, und ein Mann trat heraus; aber wir liefen noch ein Stück, bis mehr Leute auf der Straße waren. Mit klopfendem Herzen gingen wir dicht an sie heran, und wir fühlten die milde Wärme, die von Menschen ausströmen kann; doch es lag etwas Unwirkliches in dem gelben Licht der Schaufenster, und über all den ruhigen Männern und Frauen, die da zu- sammen sprachen und nichts von dem Feld wußten. Da steht Sophus!" sagte Karl. Der Milchjunge kam aus seiner dunklen Haustür heraus und sah uns lauernd an. Karl," sagte er,du kannst dich darauf verlassen, daß es etwas fetzt, wenn du nach Haufe kommst. Der Alte ist mächtig süchtig auf dich, und wie kannst du auch mit dem da spielen?" Er ist schuld daran," jammerte Karl,und er ist so ver- logen. Er sagt, er ist das Kind vom lieben Gott. Und er sagt--" So, also das tust du, dafür setzt's was!" Und ehe ich noch zwei Schritt fortgekommen war, stürzte er sich auf mich und drückte mich zusammen, so daß mein Kopf von seinem Arm eingeklemmt wurde. Also du bist das Kind vom lieben Gott. Ich werde dir deine Schnauze blutig hauen: da hast du einen, und noch einen!" Es blitzte und wurde dunkel, blitzte wieder und wurde dunkel. Ich schrie und sah auf. Einige Erwachsene gingen vorbei und sahen uns gleichgültig an. Es gab keine Hilfe, obgleich so viele Menschen in der Nähe waren. Ein neuer Schlag! Ein neues Blitzen, und ich fühlte, wie ich unnatürlich dick über der Nase und oben zwischen den Augen wurde. So, du bist das Kind vom lieben Gott. Du bist vielleicht noch dazu Jesus . Was bildest du dir eigentlich ein, du groß- schnäuziger Schafskopf." Und dann ließ er mich plötzlich los. Ich fiel in den Rinn- stein, und da ließ er mich liegen. Ich erhob mich langsam, wischte mir über das Gesicht und entdeckte Blut an meiner Hand. Ich wischte wieder, sah mehr Blut und fing laut zu schreien an. Mein ganzer Körper zitterte. Es mußte sehr wehtun, wenn es blutete. Ich schrie wieder und stürzte in wilder Flucht davon. Menschen �und Lichter flimmerten an mir vorbei: aber durch meine Tränen wurden die Lichter aus den Lijden vergrößert und verwijchte» die duntetu Menschen.

An der Haustür war ich ganz verzweifelt. Die Nase blutete und blutete und die Tür wollte nicht aufgehen. Als endlich ein Mann öffnete, stürzte ich mit einem herzzerreißen- den Geheul auf die Treppe und lief die ganze Zeit laut schreiend bis nach oben. Aber wie siehst du denn aus?" sagte Mutter entsetzt. Sie hatte mich gehört und aufgemacht. Ich wurde hereingezogen und gewaschen. Es ist nicht so schlimm, Waldemar, du kannst es dir selbst im Spiegel ansehen." Ton Tränen geblendet, kletterte ich über einige Möbel zum Spiegel hin, der an die Wand gelehnt stand. Er stand schräg, so daß ich mir. selbst von unten in die Nase sah, es war nur noch etwas eingetrocknetes Blut daran. Dann beugte ich mich plötzlich ganz nach vorn herüber und sah tief in den Spiegel hinein. Ich wollte die Farben hinter mir sehen, die, die Samuelsen gesehen hatte. Und einen Augenblick später wurde ich von Weinen gc- schüttelt, einem Schluchzen, das tiefer und unglücklicher war als je zuvor. Ich hatte nur mich selbst im Spiegel gesehen. S. Waldemar Rasmussen wurde nicht versetzt. Er mußte in Schanghai bleiben. Die beiden Menschen, mit denen er vertraulicher ver- kehrte, waren Robert Scott und der Däne. Im Zusammen- sein mit Robert Scott lernte er sich an der äußersten Grenze aller Genüsse fiihlen und mit dem Dänen zusammen fühlte er die Gleichgüligkeit aller Probleme. Keinerlei Kritik wurde in ihm wach. Er ließ sich ruhig in ihre Gedanken und Vor- stellungen hineingleiten. Nur ein einziges Mal führte er seine beiden Freunde zu- sammen: aber als er sie miteinander diskutieren hörte, war es, als ob zwei Kräfte in seinem eignen Innern aneinander gerieten. Er fühlte sich beunruhigt, und seit der Zeit zog er es vor, sich einzeln mit jedem zu treffen. Dann saß er mit vornübergebeugtem Kopf und hörte zu, und wenn er endlich zu sprechen anfing, brachte er nur ihre Ansichten hervor, die in seinem Hirn eine kleine, persönlich? Umgestaltung erfahren hatten. Er fühlte die gleiche Freude über diese Ansichten, die ein Grashalm fühlen mag, wenn er sich vor dem Winde beugt, und selbst wenn der Wind den einen Augenblick von Westene und den anderen von Osten kommt, bleibt der Grashalm doch stets der gleiche: er beugt sich nur. (Fortsetzung folgt.)