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Sonntag, 30. �agnsi 1025

Di« Lebensmittelpreise ziehen fortgesetzt an. Die Verbraucher werden vorsichtig und systematisch daraus vorbereitet, daß mit einer Winterteuerung auf allen Gebieten des Lebensmittelhandels zu rechnen sei. Die neuen Zollgesetze und Verbrauchssteuern geben den Spekulanten die erwünschte Gelegenheit, die auch ihnen aufgebürdeten Lasten auf den Verbraucher abzuwälzen. Mehr denn je ist der Inlandsmarkt auf billige Lebensmittel für die wirtschaftlich Schwachen angewiesen. Der deutsche Fischhandel beklagt mit Recht, daß der Seefisch in Deutschland sich noch immer nicht zu einem Volks- Nahrungsmittel, wie etwa in England oder Holland , aufschwingen will, und daß täglich wegen ungenügender Nachfrage groß« Mengen von Seefischen in die Stockfisch- und Fischmehl- fabriken wandern. Oer üeutjche Seefischfang. Man soll auch nicht die Erträgnisse des deutschen Seefischfanges vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus als unbedeutend hin- stellen. Wenn man z. B. die von deutschen Fahrzeugen in deutschen Fischereihäfen abgesetzten Mengen eines Vierteljahres, etwa der Monate März bis Mai 1925, zusammenstellt, so ergibt sich eine Fangmenge von ö27 450 Zentnern, die einen Erlös von ö 542 109 M. erbrachten, wobei sich ein Durchschnittspreis von zirka 19 Pfennig für das Pfund ergab. Dieser Hinweis auf die immerhin recht statt- lichen Fangergebnisse erscheint deshalb jetzt am Platze, weil in den Fischereihäfen schon wieder das Gemurmel von einem kommenden Streik zu rumoren beginnt, von einem Streik, den man bester al, den letzten organisieren und bi» zur äußersten Konsequenz durch. führen will. Das heißt, ins Volkswirtschaftliche übersetzt, daß in einer Zeit beginnender Lebensmittelknappheit und Lebensverteuerung der immerhin billige und außerordentlich nahrhafte Seefisch für viele Wochen, ja Monate von der Speisenkarte der kleinen Wirtschaft. von dem MittMg-.tisch des kleinen Mannes oerschwinden wird, und daß die engliscye, skandinavische und holländische Ware, durch die Marktlage unerhört verteuert, zu einem Leckerbisten sich wandett. Mit Bestimmtheit ist damit zu rechnen, daß seitens der Fischdampfer. reedereien und des Fischhandels wieder, wie schon beim letzten Streik, der zwölf Wochen andauerte, alle Schuld den.radikalen' Seeleuten in die Schuhe geschoben werden wird. Verfasser dieser Zeilen hatte damals in Altona Gelegenheit, die Treibereien gegen die streikenden Seeleute aus nächster Nähe zu beobachten: er hat jetzt wieder an- läßlich einer Fischdampferreise Leben und Einkommen dieserRadi- kalen' einer Prüfung unterzogen. Ihr Ergebnis ist erschütternd. Die kärgliche Entlohnung. Wenn schon der ungenannteKapitän eines großen deutschen Dampfers' in derHansa ', dem Organ.des Schutzverbandes Deutscher Reeder, den Reedereien die Leviten liest und darauf hin- weist,daß die Bezahlung der Leute bis in die neueste Zeit einfach nicht ausreichte, um sich und ihre Familie zu ernähren', wenn er die Reeder mahnt, nicht darauf bei den Tarifverhandlungen aus- zugchen,wie billig man durch Dialektik davonzukommen vermag', so läßt allein dies schon einen bedeutsamen Schluß auf die Lage

der Seeleute, besonder« ober der im Fstchereigewerbe tätigen, zu. Wie liegen hier die Verhältnisse? Der Matrose an Bord eine» Hochseefischdampfers erhält bei vierundzwanzigstündiger Kündigungs­frist Monatsheuer, freie Kost, einen prozentualen Anteil am Netto- Umsatz und bei der Landung im Heimathasen vom Fang als Ver- hcirateter gewöhnlich 15 Pfund Fisch, als Unoerheirateter 19 Pfund. Das klingt erstaunlich hoch: wie aber sieht dies alles im nüchternen Licht des Tatsächlichen aus? Die Monatsheuer beträgt 84 M.; die Beköstigung ist, die freien Tage an Land abgerechnet, mit 45 M. anzusetzen, vom Nettoumsatz erhält der Matrose ein halbes Prozent. Rechnet man den Jahresumsatz eine« Fischdampjers hoch mit 99 090 Mark. |o ergibt sich für den Matrosen die Jahressumm« von 459 M., o. h. monatlich der Betrag von 37.50 M. Die Summe aller dieser Monatsbeträge muß aber im Jahre um den Satz für einen und einen halben Monat gekürzt werden, während welcher Zeit die Fischdampfer aufliegen und überholt werden. Endlich muß in dieser Berechnung der von den Seeleuten zu tragende verschleiß sehr teurer Berufskleidung angesetzt

-Hieven" der Netze bei schwerem Wetter.

werden. Ein Matrose oder Steuermann braucht sährstch Zwei Oel- röcke, ein Paar Seestiefel, sechs paar handschnh«. zwei Hosen, drei Kittel, und nur diese Gegenständ«, ohne all das viele Beiwerk, er-' geben die stattliche Summe von 229,50 Hl. im Jahre, d. h. 19,19 M. im Monat. Es ergibt sich demzufolge folgende Zusammenstellung für einen Monat: Klasse Prozenie Kost Heu« Deputat Kleidung Liegezeit Summe Matrose 37,59 45. 84. 8,59 19,19 18,49 132,59 Heizer 37,59 45, 93. 3,59 21,99 157,19 1. Steuer« mann 75. 45,-135, 3.59 19,19 239,49 Will man die Swndenentlohnung errechnen, muh man folgendes erwägen: Beim.Dampfen', d. h. auf der Reise zum und von, Fangplatz, arbeitet das gesamte personal an Bord täglich zwölf Stunden. An den Fangtagen wird durchschnittlich alle vier Sttmden gehievt', d. h. das Netz an Bord gezogen; eine auf 16 Stunden festgelegte Arbeitszeit trifft aber trotzdem nur dann zu, wenn gutes Wetter herrscht, der Fang nicht sonderlich ergiebig ist, keine Netz- schöben eintreten und die Wache von je drei Stunden am Ruder, die drei Matrosen wahrnehmen(so daß je fünf Stunden Wache auf Mann und Tag kommen), nicht miteingerechnet wird. Sonn- und Feier­tage gibt e» nicht. Freizeit gibt es durchschnittlich monatlich zwei Tage. Setzt man alle Stunden gleich, ohne Ueberstunden, Nacht- arbeit und Sonntagsarbeit höher zu bewerten, so kommt man zu nachstehendem Ergebnis: Klasse Ges.-Mon.< Tagem.lS Tagem. IS Gelamt- M. für die Stunde Einkommen Arb.-Std. Lrv.-Std. Std.-Anz. genau abgerund. Matrose 132.59 4 24 432 9,897 9,31 Heizer 157,19 28 336 9,467 0,47 1. Steuer- mann 239,49 4 24 432 9,554 9,55 Wollte man nun die über acht Stunden hinaus geleistete Arbeit als Ueberstunden mit 25 Proz. und die Nochistunden und die Sonntags- arbeit mit 59 Proz. Aufschlag bewerten, so würde sich ein Stunden- lohn für den Matrosen von 26 Pfennigen ergeben. Härteste flrbeit größte Hefahr! Doch bleiben wir bei dem so vielgünstigeren' Satz von 31 Pfennigen für die Arbeitsstunde. Den Sinn dieser Bezahlung erkennt man erst dann, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Seeleute von Januar bis Juni einen Monat, von Jnli bis Dezember immer einen halben Monat lang unterwegs sind, in engsten, Raum. wie die von ihnen gefangenen Heringe, untergebracht sind, Proviant zweiter Klasse erhalten, Tag und Rächt, in Wind und Wetter, von Seen überspült, in Island im Winter in ewiger Rächt und bei orkan - artigen Stürmen fischen, daß sie im Monat höchstens zwei freie Tags für ihre Familie erhalten und an einem von ihnen noch zur Reederei fahren müssen, weil der Reeder das ihnen zustehende Geld am Ankunftstage noch nicht von der Bank abgehoben hat. Daß die Reisen, weil die Nordsee immer mehr leergefischt wird, nach Marokko oder dem Weißen Meer ausgedehnt werden, daß damit die Gefahren für die Besagung wachsen, die schon beim jetzigen Island - fayg jährlich im Durchschnitt neun Dampfer verschlingen(in sieben

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Das unbegreifliche Ich.

efchichte einer Jugend. Roman von Tom Kristensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. T. Bogel .) Aber ich war schon früher gesagt worden und lief aus- gezeichnet. Ich bog in die Straße ein, wo ich wohnte, und spürte, daß meine Verfolger gleichfalls um die Ecke gestürzt kamen; der Abstand mußte kleiner sein, als ich geglaubt hatte. Ich vernahm ganz deutlich das weiche Aufschlagen der Woll- socken und ich konnte hören, wie der eine Junge heftig atmete. Da faßte ich einen sonderbaren Entschluß und lief ein« falsche Treppe hinauf; ich kannte einen Jungen, der dort wohnte. Die Tür fiel hinter mir zu. Dann wurde sie wieder geöffnet und eine Stimme rief: Warte man bloß!' Ich hatte Angst, daß der Junge nicht zu Hanse war und daß sie mir die Treppe herauf nachlaufen würden. Die Tür unten stand noch offen und ich hörte einige zusammen sprechen. Zum Donnerwetter, hier wohnt er ja gar nicht.' Natürlich tut er das.' Dann fiel die Tür zu. Ich legte mich bei einein Fenster auf die Lauer und spähte auf die Straße hinunter. Ja, da waren sie noch. Es stand ein ganzer Haufen drüben auf der anderen Seite und machten die Zehen in den Füßen krumm. Es waren ein paar Milch- jungen und dazwischen ein Schlächterjunge. Sic stierten das Haus auf und ab und in alle Fenster. Einer von ihnen zeigte auf etwas, aber das war ganz oben im vierten Swck. und ich beruhigte mich wieder. Ich lag in einer unbeauemen Stellung, die Beine hochgezogen, wagte aber nicht, mich zu rühren, damit mein Kopf nicht am Fenster sichtbar wurde und sie entdecken würden, daß ich mich noch auf der Treppe befand. Die Jungen blieben eine Weile auf der Straße stehen und bewegten die Köpfe suchend hin und her. Dann beredeten sie sich einen Augenblick zusammen und galoppierten plötzlich tänzelnd, als ob es ihnen Spaß machte, auf Wollsocken zu laufen, die Straße herunter. Gepfeife und Hallo tönte an den Häusern entlang. Das war der Auftakt zu einer Reihe bewegter Tage. Verschiedene Gerüchte begannen unter den Jungen in

unserer Straße umherzuschwirren. Karl hatte einen Stein an den Kopf bekommen unten in der Querstraße, und ging mit einer großen Binde über dem einen Auge. Bisweilen zogen Scharen von bewaffneten Jungen die Straße auf und ab. Unter uns gab es keinen Zusammenschluß, und keiner von uns begriff, weshalb die Feindlichkeiten angefangen hatten, bis alle eines Abends entdeckten, daß ich friedlicher kleiner Junge in der Matrosenbluse schuld an dem ganzen drohenden Kriege war. Es war an einem stillen Abend. Der Milchjunge Sophus, der gerade eingesegnet worden war, und Heinrich aus der Eismeierei standen in einer Haustür und neckten sich mit einigen gleichaltrigen Mädchen, die das Haar in einem großen Bogen auf der Stirn trugen und die Angewohnheit hatten, Sophus lange in die Augen zu sehen. Ringsherum standen wir anderen. Wir waren kleiner, aber fühlten uns in einer Gesellschaft, die es unter ihrer Würde hielt zu spielen. Plötzlich tauchten ein paar Jungen aus der Querstraße auf, und zwei von ihnen gingen grade in unseren Kreis herein und kriegten mich zu fassen. Wir wollen bloß den hier haben!" sagte der eine. Ich sah mich ängstlich nach Hilfe um. Sophus war fo groß, daß er mir gern helfen konnte, fand ich; aber sie wichen alle zur Seite, und es entstand ein leerer Raum um mich und die beiden Jungen. Das ist ja gar nickst der. den ihr holen sollt,' sagte 5)ein. rich überlegen,der hat doch wahrhastig nichts getan." Die beiden Jungen ließen mich los und standen einen Augenblick unschlüssig da. Dann licsen sie plötzlich zu ihrer Bande zurück und riefen:Oswald!" Aber diese Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen. Ich schubste die beiden Mädchen zur Seite und lief die Treppe herauf. Wo ist er geblieben?" Es war einer der Qusrstraßenjungen, der das fragte. Er ist nach Haufe gelaufen/' sagte Heinrich. Dann war er es also doch!'' Ja. das war er, ich habe ihn deutlich erkannt, sagte eme neue Stimme.Wo ist er geblieben?" Er ist da hernntergelaufen," sagte eines der Mädchen, aber was hat er euch denn getan?" Er hat hinten bei Fällenden Oswald von einem Zaun runtergeworfen, nicht wahr, Oswald? Und Oswald hat sich ein großes Loch geschlagen, und das muß gerächt werden."

Ja, das muß es, und wir verhauen die ganze Straße, wenn wir ihn nicht kriegen." Da hörten wir plötzlich einen Tumult und Sophus Stimme:Ihr solltet euch lieber nach Hause zu eurer Mutter scheren und euch trockenlegen lassen." Die Mädchen schrien und liefen auf die Treppe hinauf, und von draußen hörte ich Geheul und kräftiges Klatschen. Ein Körper wurde mit einem harten Bums gegen die Tür geworfen. Au, mein Auge," heulte einer. Dann ertönte ein Klappern auf dem Pflaster: man hörte mehrere Füße sich entfernen. Weiter unten auf der Straße wurden Schimpfworre ausgestoßen; aber zu meiner großen Freude vernahm ich ein Hohngclächter von Sophus. Ich wagte mich zu den beiden Mädchen herunter, und vorsichtig steckten wir die Köpfe heraus. Sophus und Heinrich, von einer bewundernden Schar um- geben, kamen uns entgegengegangen. Jetzt laufen sie nach Haufe, um Hilfe zu holen, und dann kommt der Schlosserlehrling und der lange Lulatsch, es ist ja Feierabend." Ich kam ganz auf die Treppe heraus. Hör mal, Waldemar, stimmt es, daß du einen von ihnen runtergefchmiffen hast?" Rein, das ist Schwindel," antwortete ich,das sagen sie bloß so." Die anderen standen und starrten mich an. Stimmt das?" fragte Scp'nis. Ich nickte. Das will ich auch m deinem Besten hosten, sagte er böse.Aber mm geh- ich nach Hause. Ich möchte keine Maulschellen von dem langen Lulatsch kriegen, er ist sechzehn Jahre und ein mächtiges Mensch." Und damit gingen wir alle nach Hause. Den ganzen Abend saß ich oben nn Fenster«nd hörte die Jimoen aus der Querstraße unien brüllen. Wenn sie unter die Laternen kamen, konnte ich sehen daß s lange Stangen trugen, und ich sah auch, daß sich ein paar Erwachsene ohne Kragen in dem Haufen befanden. Keiner von uns Jungen war unten: wir waren nicht stark genug. Den nächsten Tag, als ich in der Schule war, wuchsen sich die Erlebnisse zu phantastischen Berichten aus, die ich allen er-ählte; ich hatte jedoch keine Freude von ihnen, denn Sejr interessierte sich nicht dafür. (Fortsetzung folgt.)