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Sonntag 30. /wgusiI92S

Unterhaltung unö ÄVissen

Seilage öes vorwärts

Der Käfig.

(Nach den Papieren eine» Zuchthäusler».) Von Max Barthel . (Schluß.) Ich kam vor da» Gericht. Ich erzählte dem Riä�er meine Ge- schichte. 2ch verlor mich nicht in Klagen und Tränen, sondern kämpfte für die Wahrheit. Und trotzdem wurde ich oerurteilt. Der Richter, der da» Urteil verkündete: zwei Monate Gefängnis wegen Diebstahl war»in alter, ehrwürdiger Herr. Er sah wie mein Vater au», als er noch nicht blind war. Trotzdem der Richter hört«, war er taub für mich. Er kannte und hörte nur eins: die Stimme des Gesetzes. Da» Zeugnis des Postmenschen und meine Der- gangenheit: zehn Tage iSefüngnis wegen Hehlerei. Als das Urteil verkündet wurde, fiel meine Mutter schreiend zusammen. Ich hörte die Stimme meines Vaters:.Was sagt er? Ist mein Sohn frei- gesprochen worden?" Wieder drehten sich die großen Eisentüren des Gefängnisse« und schlössen mich ab von der Welt. Aber auch im Gefängnis ist Welt, verkümmerte Welt, Welt der Gefangenen, Verbitterten. Hof- senden und Hoffnungslosen. Dort im Gefängnis freundete stch ein junger Mann an mich an. der wegen Hehlerei saß. Er hieß ßiebe- stahl und stammte aus Hamburg . .Friedrich", sagte er einmal zu mir,.ich war Seefahrer und bin in China und Australien gewesen und kenne die Welt: st« ist ein großer Käfig, in dem die Bestie Mensch stch um das Futter blutig zerreiht. Du bist ja noch ein Bähschaf, mein Lieber, doch auch dir werden Krallen und Zähne wachsen." Damals verstand ich seine Rede noch nicht, ich oerstand nur den Trost der menschlichen Stimm« und schluchzte: �ia. ja. wenn ich erst größer bin. Auch ich will das Meer befahren." .Wann kommst du frei?" fragte Liebestahl. .Heute in sieben Wochen." antwortet« ich. ,3ch komme drei Tage früher und wart« aus dich," sagte Liebe- stahl..Da türmen wir zusammen nach Hamburg ." .Und dann fahren wir nach Amerika, " sagt« ich. »Oder nach China ." sagte der ehemalig« Matrose. Wir sind nicht nach China oder Amerika gefahren, denn als ich endllch frei kam, wurde ich einer Erziehungsanstalt überwiesen. Erst nach zehn Jahren habe ich Liebestahl wieder gesehen. Da fuhr er schon lange nicht mehr zur See. Da befuhr er da» wüst« Schlamme«: der Zelt und wurde von ihm verschlungen. Ich habe mir oft die Frag« gestellt: was wäre aus dir ge- worden, Fritz, wenn dein Vater viel Geld gehabt hätte und wenn deine Mutter nicht den Staub und Schmutz des Gericht» 2? Jahre lang aufwischen mußte? Du hättest Rennfahrer werden können, Fritz, gab ich mir oft zur Antwort, hundert Kilometer in der Stunde, in der die Welt mit sausendem Wind dich umtanzt. In der Zeit, als ich zum zweiten Male im Gefängnis war, stellte ich oft solche Fragen an da» Schicksal.... Der Direktor der Erziehungsanstalt war menschlich und freund- lich zu mir. aber hier gilt doch der alte Spruch aus der Bibel, der ein wenig umgeändert so lautet:.Dein Vater hat dich mit Peitschen gezüchttgt, ich aber will dich mit Skorpionen züchtigen!" Und ich wurde mtt Skorpionen gezüchtigt. Mit den besten Vorsätzen oerließ ich da» Gefängnis. Ich wollte nicht nach Hornburg , ich wollte«in braver Mensch werden, wollt« arbeite» und der Mutter helfe», den Dater unterstützen, die De- schwister Heb haben. In der Anstalt wuchs die Sehnsucht nach meiner Mutter bis in den Himmel. Der Herr Direktor kümmerte sich wenig um die Ordnung in der Anstatt, wir hatten viel Be- wegungsfreiheit. und eines Tages llef ich fort. Am nächsten Tag« schon hatten sie mich wieder eingefangen. Der Direktor blitzte und donnerte mich an. aber es half nichts, von meinem Herzen zum Herzen der Muttor wölbte sich der Regenbogen der Lieb«. Zum zweite» Male entfloh ich der Anstatt. Zum zweiten Male wurde ich gefangen und der Zorn des Direktors war schrecklich. »Ich könnte dir Gehorsam eintnuten," sagte er zum Schluß seiner Rede,»aber das will ich nicht, nein. Du kommst nach Rosen» thal." Ich schrak zusammen, denn Rosenthal war trotz de» schönen Namens die berüchtigste Anstatt im ganzen Lande. Sie hätte Dornenpracht heißen können. Rosenthal war der Sammelpunkt der künstigen Verbrecher, ihre Lehrschule, ihre Brutstätte. Also kam ich nach Rosenthal. Nur ein ganz großer Schrift- steller könnt« ein Sittengemälde von dieser Anstatt entwerfen. Auch er. der vielwissende und Bielerfahrene, würde nur mtt Entsetzen die grausigen Abgründe ausmessen, in denen sich das Leben der Zöglinge abspiette. Zu der Hemmungslosigkeit der Jugend kam noch die Grausamkett des Kindes, die Triebhastigkett aufwachender Erottk. Viele der Kameraden kamen, wie ich. aus dem Gefängnis, waren tätowiert, spielten stch als Männer auf und hatten ihre männ- lichen Liebsten. Zu dem tragischen Gemälde, das einmal ein großer Dichter über diese Anstallen entwerfen wird, will ich nur die schwachen Schatten einzeichnen: viele von den läjährigen Knaben waren in den übelsten Nachtlokalen der verrufensten Stadtgegend aufgegriffen worden. Nein, in Rosenthal blühten keine Rosen. Bei der ersten Gelegenheit entfloh ich. Nach Hause durste ich nicht. Damals bestand ein Gesetz, daß eine Mutter, die ihren ent- stohenen Sohn oerbarg, 6 Monate Gefängnis bekam. Ich habe viele Gesetze hassen gelernt, aber dieses Gesetz war das schmachvollste. Wie kann man gegen das Herz der Mutter die kalte Sträflingszelle setzen? Wie kann man auf Mutterliebe mit Haß antworten? Nun, euch dieses Gesetz ist von den Männern gemacht worden wie alle übrigen Gesetz- Darum sind sie lieblos, herzlos, brutal, tödlich. Einige Zeit trieb ich mich obdachlos in Berlin herum, aber dann wagte ich mich doch nach Haufe und schlief auf dem Boden. Die Mutter nur wußte mein Versteck und brachte Essen . Sie kauerte sich neben mir auf den kalten Boden, streichelte mich, blieb manch- mal die ganze Nacht und ich verlorener Sohn schlief süß in ihrem Schoß« ein. Am Morgen, wenn sie zum Gericht mußte, weckte sie mich mit einem Kuh. Da liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Einmal sagte sie: »O, mein Kind, wie soll das enden? Dreimal waren schon die Leute da, um dich zu suchen." Mutter," wimmerte ich,»oerrat« mich nicht. Sie schlagen mich tot." Der Mensch, der Immer mit dem Gericht zu tun hat. und wenn er nur den Dreck auf dem Fußboden aufwischt, kennt die Gesetze und je mehr er sie kennt, um so schrecklicher erscheinen sie ihm. Was muß meine Muttsr in jenen Tagen, als ich versteckt auf dem Boden des Hauses lag. ausgestanden haben! Sie gehörte ja bei-

Eisenbahnerkonflikt.

verstehe gar nicht, weshalb öiese Leute für öen Vinter eine Lohnerhöhung fordern, die haben es doch immer ganz sthön warm.

nahe selbst dem Gericht an. war ja auch ein Rädchen in der schreck- lichen Maschine und mußt« sich drehen und bewegen, wenn diese Maschine sich drehte und bewegte. Und als eines Tages eine Mutter vor dem Gericht stand, die ihren aus der Fürsorgeanstatt entflohenen Sohn verborgen hatte und auch verurteitt wurde, da wußte sie nicht aus und ein. lief selbst zur Polizei und ließ mich tu die Anstatt zurückbringen. .Fritz," sagt« sie weinend zum Abschied,»ich bin ruhiger, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Denke doch an den Bater. Führe dich gut. Ich will eine Eingabe machen, daß du bald freikommst." Mutter," sagte ich zum Abschied,ich komme bald frei." In der Anstatt Rosenthal empfing mich der Direktor und über- gab mich nach kurzem Verhör dem Prügelmeister. Ich mußte meinen Oberkörper entblößen und bekam 25 Schläge. In meinem Leben habe ich viel Prügel bekommen, aber so bluttg zerhauen wie an dem einen Tage war ich noch nie. Zwei Flammen verzehrten mich, die Flamme des Schmerzes und die wildere Flamme des Hasses. Jetzt war ich so weit. Jetzt war auch ich gezeichnet wie ftüher die Männer des Bagno. Am selben Tage lief ich davon und zeigte der Mutter den zerschundenen Rücken, von dem die Haut in Fetzen hing. Die Mutter wimmerte, als hätte man sie geschlagen, und wusch mit ihren Tränen meine Wunden. Mein Weg lag jetzt klar vor mir. Ein letzter Kuß auf den Mund der Mutter, eine letzt« Umarmung, ein letztes Lebewohl(der Vater wurde zum zwölften Male operiert) und ich verließ das Haus. Der Mensch muß leben. Auch ich war ein Mensch, und als ich keine Arbeit bekam, stahl ich. wurde gefaßt, meinen Kameraden ge- lang die Flucht, bald war die Verhandlung, die mich auf vier Mo- nate ins Gefängnis schickte. Ich ging gern ins Gefängnis, viel lieber als nach Rosenthal.... Als ich 20 Jahre alt war, kam ich zum ersten Male ins Zucht- haus. Wenn ich in diesem Bericht hier und dort moralische Er- wägungen angestellt habe, sind diese Betrachtungen von der gewöhn- lichen Bürgermoral himmelwett entfernt. Ich habe sie hinge- schrieben, um den Pädagogen den Unsinn von der Lehreder Ver- brecherseele" klarzumachen. Auch jetzt will ich nicht moralisieren, sondern nur zitteren und zwar einen Satz aus der Rede des Staats- anwalts, der mich ins Zuchthaus schickte. Meine Herren Geschworenen, " sagte der Staatsanwalt, ein stmger, gut angezogener Herr,>a die Fürsorgeerziehung nichts ge- Holsen hat, beantrage ich eine Zuchthausstrafe in der Höhe von drei Jahren und wegen ehrloser Gesinnung die Aberkennung der bürger- lichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren." Das Gericht erkannte auf die beantragte Strafe. Ich blieb gleichgültig. Bürgerlich« Ehrenrechte? Was waren meine Ehren- rechte? Zu hungern, zu frieren, zu verrecken, das waren sie. Sie hatten mich ehrlos gemacht, die Herren vom Gericht, ehrlos, wehr- los. Sie hatten ja die Macht und ich war nicht mehr in ihren Zlugen als der Schmutz, den meine Mutter 27 Jahre lang von den Treppen und Zimmerböden der Gerichte aufwusch. Das alte Berliner Zuchthaus nahm mich auf. Zuerst war ich ganz niedergeschlagen. Drei lange Jahre sollte ich meine Mutter und meine Geschwister nicht mehr sehen. Ich dachte an meine Schwester Meta, die krank und schwach im Bette lag, als ich ver- urteitt wurde. Don allen Geschwistern liebte ich Meta am meisten. Endlich kam der erste Brief von zu Hause. Es war ein Trauer. brief. Meine Schwester war gestorben. Als ich ins Zuchthaus kam, wollte mich der blinde Dater ver- stoßen. Die Mutter weinte hilflos, aber Meta besänftigte den Vater und sagte:Ihr müßt den Fritz behalten. Vater, es ist doch dein Kind." Das hat mir die Mutter nach der Verhandlung erzählt. Und nun war Schwester Meta tot. Ich sah sie im Traum aus dem

Sterbelager liegen. Die schönen Haare waren gelöst und flössen wie schwarzes Wasser um das wachsbleiche Gesicht. Der rote Mund war ganz erloschen. Auch die Mutter sah ich mtt tränenüber- strömtem Antlitz. Der Vater stand steif da, den Kopf ein wenig er- hoben, wie die Blinden . Seine Augen rollten wieder wie schwere Kugeln auf und ab. Nach diesem Traum fiel ich in schweres Nervenfieber. Die Un- nihe der letzten Jahre, der Tod der lieben Schwester, mein ver- pfuschtes Leben: all das rüttelte und schüttelte mich. Nachts sah ich Gespenster. Sieben lange Monate lag ich in der Jrrenabtei- lung des Zuchthauses. Der Wahnsinn hatte mich gestreift. Diese Monate waren entsetzlich. Ich sah an den anderen Kameraden, wie tief der Mensch fallen und zerfallen kann, wie er untergeht, zer- bricht, Tier wird und Spott seiner jelbst. Nein, nicht zum Tier. Ein Tier, auch wenn es eingesperrt ist, wird nicht so gequält wie der Mensch im Zuchthaus. Das Tier ist ja kein armer Mensch und braucht keine Angst vor den Gesetzen zu haben und hat keine bürgerlichen Ehrenrechte zu verlieren. Nach den sieben Monaten wurde ich drei weitere Monate be- obachtet. Dann kam ich in die Zelle zurück. Unterdessen machte das alte Zuchthaus Karriere und wurde zum Gefängnis befördert. Mit den anderen Kameraden kam ich nach dem Zuchthaus S. Das war auch so ein Rosenthal, aber für Männer. Dort hat man mich zu Schanden gemartert. In diesem Zuchthause hatte jeder Beamte seine eigenen Erziehungsmethoden und wir waren ihnen hilflos ausgeliefert. Für sie waren wir schlimmer als Raubtiere. Und doch waren wir alle einmal Kinder gewesen und glaubten an das Leben. Der Direktor war ein alter Reservehauptmann, herzlos, brutal, gemein, in einem Satz: der rechte Mann, um die herzlosen Gesetze an uns durchzuführen. Er hat nur mit Fesseln, Zwangsjacken und Arrest regiert. Niemals fiel ein menschliches Wort. Er war wie der Teufel. Sein Gehilfe, fein Teufelsgehilfe, war der Arzt. Er ließt die Gefangenen gleichgültig sterben. Ich weiß schon, er dachte: was soll die Welt mit einem Zuchthäusler anfangen? Am besten ist es schon, der Kerl stirbt. Aber auch der Zuchthäusler ist ein Mensch, im Zuchthaus vielleicht ein doppelt hilfloser Mensch, hat Ellern und Geschwister, Hunger nach Zärtlichkeit und ist, wie nie- mals zuvor, bereit zur Herzenserschütterung. Selbst der ärmst« Hund hungert doch nach einem liebevollen Wort. Wie oft habe ich an dem Sterbelager eines Totkranten ge- sessen und durch Trostworte gutzumachen versucht, was der Arzt durch feine Roheit verdorben hat. Den Todesstoß konnte ich nicht abwenden, aber die letzte Stunde doch ein wenig erleichtern. Wenn jemals die Schuld oder Unschuld von eistem Richter abgewogen werden sollte, ich bin gewiß, die armen Zuchthäusler, die an dem Arzt gestorben sind, werden freigesprochen, ihr Mörder aber wird verurteitt. In S. kam ich auch mit dem ehemaligen Matrosen Liebestahl zusammen. Er hatte nicht mehr die See befahren. Sein Schiff war leck und sank. Di« schwarzen Wasser des Todes gurgelten schon. Ter Arzt kam überhaupt nicht mehr und ließ den Mann einfach verrecken. Fritz," flüsterte der sterbende Matrose,mir geht es jetzt viel besser. 2n drei Monaten ist meine Zeit um. Auch du wirst da frei. Diesmal aber türmen wir nach Hamburg und heuern an. Di«Isabel" ist ein gutes Schiff, läuft zwölf Knoten in der Stunde. Kurs Südwestsüd. In Hongkong legen wir an." Er schwieg einen Augenblick und sah mich mit länzenden Augen an. Dann erhob er sich von dem harten Zuchthausbett und flüsterte: Kennst du Opium? Ich-werde mit unserem Schiffsarzt sprechen, daß du Opium bekommst." Dann schwieg er wieder erschöpft und fiel auf das harte Lager zurück. Ich glaubte schon, er seil tot. Doch