Genosse Merten s-Brüssel, der Vertreter des ZGB., ver- sicherte dem Kongreß, daß er der nächsten Sitzung des JGB. von der mustergültigen Geschlossenheit der deutschen Gewerk- schaften und der Wiederherstellung ihrer frühe- ren Einheitsfront Kenntnis geben wird. Es waren keine Höflichkeitsphrasen, sondern begeisterte Worte der A n- e r k e n n u n g für die Täiigkeit der deutschen Gewerkschaften. Mit besonderer Wärme wurde die Versicherung des dnitschösterreichischen Vertreters. Genossen Schorfch, auf- genommen, daß die Zeit kommt, wo die österreichischen Ge- werkschaftsmitglieder als Glieder eines einheit- l i ch e n deutschen Staates in die Reihen der deutschen Gewerkschaftsgenossen eintreten. Er versicherte, daß es nicht die schlechtesten Mitkämpfer sein werden. Es sind schwere Zeiten, die zwischen Nürnberg und Leipzig bis Breslau hinter den deutschen Gewerkschaften liegen. Ungeheure Krisen und Rückschläge Hagelten auf die Arbeiterschaft hernieder. Allein sie sind überwunden. Die Gewerkschaften gehen mit frischer Energie an ihre Aufgaben, die Reihen der Organisationen zu schließen und ihren Einfluß für die Durchführung ihrer Beschlüsse in der Lohnfrage, zur Durchsetzung des Achtstundentages, zur Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie sowie fortschrittlichen Aufbau der So- zialgesetzgebung einzusetzen.
§rieörich-Ebert-�eim. Altenburg und München . Weimar , i. September.(Eigener Drahtbericht.) Der Kreistag nen Alten bürg, der über eine sozialdemokratische Mehrheit ver- fügt, bat in seiner letzten Sitzung beschlossen, am 1. Oktober ein Heim ,ra eröffnen, in dem Arbeitsveterancn Aufnahme finden sollen. Einem sozialdemokratischen Antrag, diesem Heim den Namen „Fr i o d r i ch- E b e r t- H e i m" zu geben, stimmten auch sämtliche bürgerliche Vertreter zu. Der Kreistag von Altenburg hat niit dieser Entschließung bedeutend mehr Takt gezeigt als der Hauptausschuß des M ü n ch e n e r Stadt r a t s, der mit bürgerlicher Mehrheit die Benennung einer Münchener Straße nach dem verstor- denen Reichspräsidenten abgelehnt und statt dessen eine ganze Reihe neuer Straßen nach allen möglichen Schlacht- orten benannt hat, an denen bayerische Truppen gekämpft haben. Man kann gespannt sein, ob das Plenum d«s Münchener Stadtrats, in dem die Bayerische Volkspartei aus- fchlaggebcnd ist, es fertig bringen wird, sich dem Votum seines Hauptausschusses anzuschließen. In Bayern ist zwar vieles möglich, aber man möchte doch hoffen, daß die Hauptstadt Bayerns in ihrem e i g e n e n I n t e r e f f e einen solchen von kleinlicher Parteiverblendung zeugenden Beschluß sich selber erspart.
wie sie iügen! Tie„Humanitck" über den Konflikt in der KPD . Die Absetzung Ruth Fischers ist selbstverständlich für die kommunistischen Sekten in den übrigen Ländern ein Er- eignis allererster Ordnung. Dia Linksschwenkung, die die deutsche Kommunistische Partei auf Befehl der Exekutive vcrgenommeu hatte, konnte selbstverständlich bei den übri- g c n kommunistischen Parteien nicht Habt machen. So hat auch in Frankreich ein vollkommener Umsturz aller Begriffe stattgefunden. Alle früheren Größen der französischen Partei wirrden g e m a ß r e g e l t und durch neue Kreaturen ersetzt. Diesen Herrschaften wird natürlich durch das Rückwärts- kommando der Exekutive das Konzept ganz erheblich verdarben. In der„H u m a n i t 6 vom 2. September wird an ganz versteckter Stelle unter Sport- und Streiknach- richten ein Telephonat des Berliner Korrespondenten ver- öffentlicht. Darin heißt es wortwörtlich: „Der letzte Parteitag hatte bereits die Krise der Partei und das Mißtrauen der Mitglieder gegen die Zentrale aufgedeckt. Das Anwachsen des
ultralinken Flügels, der zwar in Worten bekämpft, in Wirklichkeit aber von der Zentrole unterstützt wurde, wies auf eine tiefe Krise hin. Die falsche Taktik der Gewerkschaften und in der Frage der Gewerkschoftseinheit, der übertriebene Zentralismus, der Per- zicht auf Heranziehung einer großen Anzahl namentlich alter Mit- arbeiter, die absolute Unfähigkeit der Parteileitung, der politische Kampf mit den Tagesforderungen der Massen— olles das machte einen Umschwung zur unbedingten Not- wendigkeit.''• Dabei hat der letzte Parteitag der KPD. einstimmig der Zentrale sein Vertrauen ausgesprochen. Von der„Roten Fahne" wurde beim Abschluß des Parteitages festgestellt, daß jetzt unwiderruflich, e'm für olle Mal der absolut zu- verlässig und richtig erkannte Leninismus in der Partei sich durchgesetzt habe, daß dieser von Arbeitern beschickte Parteitag, auf dem jede Fraktionsbildung unterblieben fei, endgültig die KPD. als die„eiserne und unbesiegbare Kohorte der Weltrevolution", als„die einzige Arbeiterpartei" in Deutschland konstituiert habe. Keine sechs Wochen sind vergangen und schon entdeckt der bedientenhaft eifrige „Humanitä"-Korrespondent, daß auf dem Parteitag„das Mißtrauen. der Mitglieder gegen die Zentrale" zutage getreten fei. Es geht doch nichts über die Fixigkeit im Lügen. Kam- munisten lassen sich darin jedenfalls nicht übertrumpfen.
wirth und öas Zentrum. München , 4. September. (Mtb.) Die bekannte katholische Wochenschrift„Allgemeine Rundscha u", die politisch zwischen Bayerischer Volkspartei und Zentrum zu vermitteln sucht, schreibt über den Fall Wirth:„Dr. Wirth hat seinen Austritt aus der Zentrumsfraktion des Reichstages angezeigt, will aber außerhalb derselben als Vertreter des sozialen und republikanischen Zentrums bleiben. Wie ist das zu verstehen? Die Zentrumspartei versichert, Dr. Wirth bleibe in der Partei und die Form seiner Erklärung legt das auch nahe. Zugleich aber bestimmt er das Zentrum, dem er am gehären will, al? sozial und republikanisch. Das ist entweder eine Selbstverständlichkeit für die Partei, die allen Ständen das Ihre geben will und treu zur Verfassung steht,— oder es soll das Zentrum auf eine bestimmte Bahn festlegen. Nach Wirths bisheriger Haltung und dem Zeitpunkt seines Austritts aus der Fraktion ist das letztere anzunehmen. Aufwertung, Zölle und Steuern hat das Zentrum mit der Rechten gemacht: Wirth wünscht es wieder bei der Linken zu sehen. Anscheinend aus die Dauer und grundsätzlich damit löst er sich vom alten Zentrumsgedanken, mag er mit seiner Ablehnung der neuen Gesetze Recht haben oder nicht. Das Zentrum kann nicht werden, was Wirth sozial und republikanisch ne n n t. Oder es wird eine Linkspartei, genau wie es durch grundsätzliche Anerkennung des Bismarckreiches eine Rechtspartei würde. Der auffällige Schritt des früheren Reichs- kanzlers und Freundes von Erzberger zeigt von neuem, wie tief der Gegensatz von rechts und links in die Partei eingedrungen ist. Das Zentrum kann nur weiterleben als eine Partei der Ideen. Andernfalls weicht es dem Z w e i p a r t e i s y st e m.' Dann ist aber keine machtvolle Gruppe mehr da, die dem heutigen Staat des pärlamentarischen-bureoukrotischen Zentralismus Widerstand leistet. Möchte das Zentrum die letzte Stunde seiner eigenen Rettung nicht verpassep." Marx und Schofer für Parteieinigkeit. Ludwigshafe«, 4. September.(Mtb.) Reichskanzler a. D. Dr. Marx und Prälot Dr. Schofer haben der„Reuen Pfälzi. -fchsn Landeszeiwng" zur füLweftdelltschen Zentrumsto�üng) die' am Samstag und Sonntag für Baden, Hessen . Pfah und das Saargebiet in Ludwigshafen stattfindet, schriftliche Willkommensgrüße gesandt. Reichskanzler a. D. Dr. Marx weist in seinem Schreiben auf die Notwendigkeit der Existenz einer Mittelpartei, �ne. sie das Zentrum sei, hin und betont ihre Unersetzlichkeit für die Wahrung der kirchlichen Freiheit und der besonderen be- rechtigtcn Ansprüche des katholischen Volksteiles. Angesichts der un- gemein schwierigen Lage einer solchen Partei sei Einigkeit, Selbstüberwindung und Verzicht auf manche un-
erfüllbaren Wünsche notwendig. Der Führer der badischen Zentrums- partei erinnert an den Vorkämpfer des Zentrums in Boden, Geistl. Rat Wacker, dessen Parole gleichfalls Sammlung und Einigkeit gewesen' sei.
Das Reichsfchulgefetz. Ein Schlag gegen Verfaffung und Geistesfreiheit. Ganz insgeheim ist der Entwurf eines Reichsfchul« gSsetzes ausgearbeitet worden, der an Folgerichtigkeit des kirch- lichen Machtwillens und der Niederhaltung des Schulfortschritts alle Befürchtungen übertrifft. Nachdem eine Reihe Lehrerzeitungen das Machwerk an die Oefsentlichkeit gebracht haben, wird offiziös ab- gewiegell. Es handele sich noch um keine endgulrige Vorlage. Jeden- falls aber ist der Wille der heute im Reiche der Denker Maß- gebenden die Anerkennung der Bekenntnisschule als Regel— im klaren Widerspruch gegen die Reichsverfassung—. der Gewissenszwang gegen Lehrer und Schüler, kurz die Erhebung des bayerischen Konkordats zum R e i ch s r e ch t, darin mit einer Klarheit zum Ausdruck gebracht. daß die furchtbare Gefahr) die das deutsche Geistesleben bedroht, auch dem schwachsichtigen AWe nun deutlich erkennbar ist. Der Bund entschiedener Schulresormer hat in einer Protestversammlung in Barlin den Abwehrkampf kraftvoll er» öffnet. Paul Oe st reich legte xiit der gebührenden Schärfe die ganze versteckte Tücke dar, die Hinter den zum Teil harmlos scheinenden Paragraphen des Entwurfs lauert. Die Gefahr der Kirchen schule, die mit Prügeln die Kinder zur Kirche zwingt, die den Lehrer bei Strafe des Verhungerns zwingt, Naturkunde uni) Geschichte im„Geiste des Bekenntnisses" lehren. Er forderte in beredten Worten den gemeinsamen Kampf aller Vertreter freien geistigen Lebens, aller Gegner der unter Kxummstab und General- superintendent gebeugten VerdunklungsanftaZt. Eine kräftige Entschließung, die diesem Willen Ausdruck gab. fand ohne Widerspruch Annahme. Sie muß cher Ausgangspunkt eines zähen und nicht ermüdenden Kampfes werden. Das Deutschland der Republik , der großen Denker und Freiheits- kämpser darf nicht zum Kirchenstaat herabgedrückt werden.
Hockschulftagen. Aus dem Hauptausschust des Preustische« Landtages. Im weiteren Verlauf der Beratung des Kulturetats im Haupt- ausschuß des Preußischen Landtages wies der Kultusminister Pro- fessor Dr. Becke darauf hin, daß die Reform der Hochschulverwal- tung weiterhin fortgeschritten sei. Der Erlaß der neuen Univer- s i t ä t s- und H o ch s ch u l v e r f a s s u n g e n stände unmittelbar bevor. Die Verhältnisse in der Studentenschaft hätten sich. namentlich in der wirtschaftlichen Selbsthilfearbeit, günstiger und ruhiger entwickelt. Man dürfe nicht jede politische Entgleisung ver- allgemeinern. Auch unerfreuliche politische Erscheinungen in Professoren kreisen dürften nicht immer gleich oerall- gemeinert werden. Die Kundgebung des Rektors der Universität Göttingen , in der er nur die Rechtsparteien als staatserhaltende Parteien bezeichnete, sei sehr unpassend und von dem Minister sofort gerügt worden. Die wissenschaftliche Fortbildung der Arbeiter würde von dem Ministerium aufmerksam gefördert. Die Akademie der Arbeit in Frankfurt habe sich gut entwickelt. Die Arbeit des Ministeriums aus diesem Gebiete sei auch im Ausland als vorblldlich anerkannt worden. . Genosse L einer! verwies auf den Studententag, wo der Minister nicht angemessen aufgenommen worden sei. Das zeuge von einer gefährlichen Einstellung der Studenten zum Staat. Der Redner richtete die Frage an den Minister, welche Maßnahmen gegen Professor Hellfritz-Breslau unternommen worden feien, der sich schwer gegen die Sraatsauforität vergangen habe. Das Gluckwunsch- telegramm des Rektors Lender aus Güttingen an Hindenburg sei eine Provokation gewesen. Die Etatstitel wurden angenommen. Zm Maslom-Prazeß verlesen die Herren Referendare im Schweiße chres Angesichts ununterbrochen„hochverräterische" Bro- schüren. Der ganze Prozeß ist ein Skandal ohnegleichen. Am Mitt- wach ist das Urteil zu erwarten.
Ein zweiter Wettbewerb des Kultusministeriums für Bildhauer. Der Kultusminister beabsichtigt zur Förderung der bildenden Kun't einen weiteren(allgemeinen) Wettbewerb unter den p r e u ß i- s ch e n Bildhauern zu veranstalten. Dieser bezweckt die Gewinnung von Entwürfen für zwei Brunnenanlagen im Botanischen Garten in Berlin-Dahlem . Die Bildwerke sollen im sogenannten italienischen Garten an den Stellen, an denen sich jetzt Wasserrohre zur Ent- nähme von Trinkwasser befinden, aufgestellt werden und den Aus- fluh von Wasser weiterhin vermitteln. Für die Durchführung des Wettbewerbs wird der Minister bis zu 40 000 M. zur Verfügung stellen. Die Einsendung erfolgt bei der Akademie der Künste, Berlin W. 8, Pariser Platz 4, im Dezember. Dia näheren Bestim- mungen des Wettbewerbs werden noch bekanntgegeben.
Japans neues parlamenkshaus. Der japanische Parlamen- tarismus ist noch jung: sieht er doch erst auf ein Aller von 38 Iahren zurück. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb sich die Rc- gierung bisher die Kosten für ein würdiges Parlamentsgebäude sparen zu können glaubte. Aber die Zeiten sind nahe, in denen der nunmehr den Kinderschuhen entwachsene Parlamentarismus berufen sein wird, eine überragende Rolle im Leben des japanischen Volkes zu spielen. Dank der allgemeinen Wahlen wird zum mindesten das japanische Unterhaus bald von sich reden machen. Man ist sich des- halb auch allmählich klar darüber geworden, daß es einen unHall- baren Zustand bedeutet, die Gesetzgeber in den scheußlichen Holz- barocken zu belassen, die man in Tokio im Westen des Parks von Hibiya„bewundern" kann. Das neue Parlamentshaus, das be- stimmt ist, in Zukunft der japanischen Volksvertretung ein würdiges Heim zu bieten, befindet sich zurzeit im Bau. Es hat seinen Platz auf den Höhen von Nagato-Sho erhallen, in der Nähe des Amts- sttzes des Ministerpräsidenten. Die Kosten des Baues sind auf nicht weniger als 20 Millionen Pen veranschlagt. Die FundameMierungs- arbeiten haben zwei volle Jahre in Anspruch genommen. Sie waren gerade fertig geworden, als die Erdbebenkatastrophe vom 1. Septem- ber 1923 erfolgte. Die Architekten des neuen Parlamentsgebäudes haben sich denn auch die dabei gemachten Erfahrungen zunutze ge- macht. Das Gebäude soll ausschließlich aus Eisen, Stahl und Beton errichtet werden. Leider sind die für den-Bau bestimmten Mittel aber total erschöpft, so daß, wie verlautet, das Parlamsntsgebäude vor dem Jahre 1934 kaum fertiggestellt werden dürste.
Zahvhygienische Ausstellung l« Karlsruhe . Der ReichSvervand der deutsche ii Dentisten veranstaltet in der Woche vom 3.— 13. September in der Nnsslellunashalle zu Karlsruhe eine.Zahnhygienische Aus- stellmiß" unter dem Motto„Unsere Zahnet Die Ausstellung wird von weit über 200 reichSdeutschen Dentisten beschickt, die duechtveg mit eigene» Arbeiten vertreten sein werden. Firmen aus der Schweiz , Amerika und England haben die Ausstellung ebenfalls beschickt. Zulernatlonaker Kongreß für llndividualpsychologie. Dom 5.— 7. September findet im deutschen Zahnärziebaus, Bülowstr. 101, der zweite intcr- nationale Kongreß sür Jndinidualpsychologie statt. Aus der Tagesordnung stehen Vorträge aus folgenden ötebieten: Psychologie und Medizin, Päda» aogik und Jugendfürsorge, Kulturgeschichte'und Religion. Rechtzeitige • Anmeldung an die T-schästsstelle, Dr, Kunkel, Berlin-Dahlem. Falkenried 12, ist erwünscht.
preussisch-Monako . von Hermann Schützinger. Danzig , September 19 23. Wenn man auf der Fahrt nach dem deutschen Danzig bei Groß- Boschpol den Boden des polnischen Korridors bertitt, dann erwartet den Danzig -Fahrern am Bahnsteig eine Kohorte polnischer Zoll- beamter und Grenzschutzsoidaten, die in ihren grünen Uniformen und den pa'sepoilierten Poleyinutzen, mächtige Schlachtschwerter dentscher, österreichischer und russischer Herkunft an der Seite, am Bahnsteig auf- und abpatrouiliere», von derselben Langeweile über den end- losen Aufenthalt wie die Reisenden geplagt. Dazwischen huschen die Berkärifcrjnngen von Fenster zu Fenster und rufen halb bittend, halb klagend ihr„Bivo— Zigaretti— Chocolata— Papyrussi" zu den Zugsinsassen hinauf. Die Ortsnamen an den Bahnhöfen Strzebilino usw. verkünden gravitätisch, daß man sich auf polnischem Grund befindet: wenn auch der„Korridor" kaum 20 Kilometer breit ist. eine Strecke ungefähr wie von Potsdam nach Berlin . Und dann hält der Zug in einer knappen Stunde im Bahnhof von Danzig und man steht auf einem Platz, der ebenso gut in Mainz , in Ingolstadt , in Ulm oder in Altona liegen könnte, mit dem königlich preußischen Bahnhos, Generalkommando und den geschleiften Festungswerken im Hintergrund. Gleich faßt uns, die wir im heiligen Schauer vor dem Brennpunkt sich überschneidender nationaler und ökonomischer Interessen und voller Ehrfurcht vor der zuckenden Wunde des friedlosen Kontinents stehen, die muffige Lust alt- preußischer Kleinstädterei, die sich mit einem behäbigen Dust hanseatischer WohlanstänVigkeit mischt zu einem ganz eigenartigen Gebräu. Wenn mau vor dem wundervollen Zeughaus steht und die „Lange Brücke" entlang den Weichselarm hinuntergeht und auf die wie ein Spitzweg-Gcmälde am Abendhimmel hängende„Sternwarte " und den mittelalterlichen, turmartige» Hcbekran sieht, den„Stock- türm" und die-ssFrauenkirche" darüber wie Rcbelschatten, glaubt man Bremen oder Lübeck vor sich haben, vielleicht mit einer .östlichen" Nuance getönt. Diese Östliche Nuance kommt einem sofort zum Bewußtsein, wenn man sich vom Weichselnfer der Stadt zukehrt. Die Fähre über den Fluß wird weder durch eine Dampfmaschine noch durch einen Benzin- motör bewegt, sondern durch„Galeerensklaven", die ihren Riemen nach einer niittclalierlichen Methode an einem Tau einhaken und auf einem Laufsteg seitlich im Schiff die Fähre»orwärtsbewogen. Die alten Patrizierhäuser der„Frauengasse" mit ihren herrlichen Giebeln, mit den grotesken Figuren am Dach und einem terrafscnartigen Vor-� bau längs der Mauern, sehen von außen zwar herrlich aus und könnten jeden Maler entzücken— aber drinnen ist's fürchterlich! Winklig, eng, verbaut, Dachluken statt Fenster und die Treppe windet sich in einer Diele cinpor, die unten mit hartem Lehm fest- getreten ist. Hinter dem Zeughaus aber belegt die Stadt Danzig zum tiefsten Erstaunen ihrer Bewohner die erste Straße mit Asphalt! Ebenso musfig wie in den Häusern NN der Fraucngasse war es bis jetzt in der Danziger Republik. Die„Einbürgerung" eines „Ausländsdeutschen" ist keine leichte Sache gewesen und Gesuchs von Republikanern, Sozialisten und Juden wurden abschlägig beschiede»,
ohne daß das„Obergericht" nur eine Begründung dafür zu geben brauchte. Wagte so ein verdammter reichsdeutscher Republikaner nur im geringsten aufzumucken, dann war er rasch„abgeschoben". Fünf Jahre muß man in Danzig als wohlanständiger Bürger gelebt haben, bevor man um die Aufnahme in die Danziger Republik nach- suchen darf. Und ist man aus Sachsen oder aus Thüringen oder gay ans Berlin , dann ist die Geschichte schon faul! Bayern und Mecklen- burgor waren mehr beliebt in dieser„freien Stadt". Jetzt hat sich ja— Gott sei Dank— der Wind gewendet und Sozialdemokraten sitzen an führender Stelle im„Senat" und im „Volkstag ", diesem Liliputparlament. Ueber den muffigen Aktenstaub des nun an seiner eigenen Senilität gestorbenen Regimes drängt der Weltverkehr über Danzig hinweg und den Korridor. Leichte, spottbillige Ford-Wagen sausen zwischen Danzig und der Bäderstadt Zoppot hin und her. Dort draußen, am Strand mit seinem braunen Gewühl badender Menschen hat sich im rosaroten Kasino Preußisch-Monako etabliert. Da findet man sich, der preußische Junker, der polnische Jude, der schwedische Jobber und der internationale Hochstapler und alle starren sie, brüderlich vereint, aufs Geld. Weiber mit vollen Brüsten und strähnigen Bubiköpfen, in dünnen Kleidern, stehen trinkgeld- benommen zwischen den Kavalieren und gieren nach den glücklichen Gewinnern und ihrem Geld. So stößt sich zwischen' Zoppot und Danzig , auf diesem mit den Sorgen Europas gedüngten Boden das Neue und das Alts, Arm und Reich— und die Jungens rufen voller Sehnen:„Bivo, Zigaretti, Chocolata!"
Ferdinand Hummel , der Berliner Pianist und Komponist, wird am k». September 7 0 Jahre alt. Es ist im Drang der Musik- entwicklung einer Stadt gut, ab und zu an die Säulen alter musi- kalischer Tradition zu erinnern. Hummel gehörte vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren zu diesen. Er begann als Virtuose der Harfe, studierte bei Kullack und in der Hochschule für Musik Klavier, bei Kiel und Bargiel Komposition. Seine Tondichtungen, die einst viel gesungen und gespielt, waren, sind fast alle vergessen. Vielleicht hat mancher noch den„Colnmbns" oder den„Germanenzug" gehört: auch so manchem Schauspiel schrieb er als ständiger Musik'berater des Theaters am Gendarmenmarkt die Begleitmusik. Nirgends ver- leugnet er die glänzende Schule, den einfachen, melodisty-reizvollen Stil seiner Lehrer. Er ist recht im eigentlichen Sinne ein oolks- tümlicher Musiker immer gewesen und geblieben, sein„Hallcluja" hört man noch jetzt oft in Kirchen singen. Als ich noch zur Schule ging, wurde von einem Lehrer der kühne und bezeichnende Satz ge- prägt: Napoleon beherrschte die Staaten, Hummel seinen Flügel. Ich verwandelte den Nachsatz damals in die Variante„wie die Hummel ihre Flügel". Aber ernsthaft ist der freundliche Hummel wohl nie ein Napoleon der Musik gewesen. Dafür wird er aber jetzt auch 70 Jahre und hoffentlich noch älter. Und nielleicht war mit dem Schulhummel überhaupt auch Johann Nepomuk, der Zeitgenosse Mozarts, gemeint._. A. S. Geiharl stavplviavn ci ofinct am 7. Oktober im Plenarsaal des Herren- Hauses die diesjährig- Reihe der D i ch t c r a b e n d e des V e r b a n d e S Deutscher Erzähler. Für die solgenden Abende haben Hermann S t e h r. und Jakob Wassermann bereits zugesagt, während mit Jakob Schaffner und Arthur Schnktzler noch Verhand- lungen schwebe».