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Mr. 42942. Jahrg. Ausgabe A nr. 219

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Freitag, den 11. September 1925

Die Einladung nach Berlin abgegangen

Die Teilnahme Italiens noch zweifelhaft.

Genf , 10. September. ( WTB.) Bon zuverläffiger Seite wird zu verstehen gegeben, daß heute nachmittag an den Außenminister Dr. Stresemann ein von Briand unterzeichneter Brief ab­gegangen fein foll, der die Einladung zur Teilnahme an der geplanten Minifferfonferenz über die Sicherheitsfrage enthalte. In dem Brief sollen feine Angaben weder über den Zeitpunkt der Minifferfonferenz noch über den Konferenzort enthalten fein; ferner foll die Frage der Teilnahme Italiens an den weiteren Berhand­langen offengelassen sein.

Man erwartet Deutschlands Antwort. Genf , 10. September. ( Eigener Drahtbericht.) Vorläufig sind Genf , 10. September. ( Eigener Drahtbericht.) Vorläufig find die Verhandlungen über den Sicherheitspakt zu einem Stillstand gekommen, da man jetzt erst eine Antwort aus Berlin ab­wartet: Auskunft von der deutschen Regierung darüber, ob sie eine Konferenz ähnlich den Londoner Beratungen oder fleineren Umfangs und welchen Tagungsort fie wünscht. Der englische Stand­puntt geht dahin daß an den geplanten Besprechungen nur die Außenminister der direkt interessierten Großmächte teilnehmen sollen. Dieser Konferenz soll dann eine Beratung zur Regelung der Ost fragen folgen. Die französische Regierung vertritt dagegen die These, daß der gleichzeitige Abschluß von Schieds. gerichtsverträgen mit Polen und der Tschechoslowakei Boraus. fegung für den Abschluß des Garantiepakts ist. Die Schwierig. teit liegt nach französischer Auffassung darin, daß das mit Polen bereits getroffene Militärbündnis in lebereinstim­mung mit dem neuen Garantiepakt zu bringen ist. Die in diesen Tagen gepflogenen Verhandlungen zwischen Benesch, Strzynfti und Briand follen ausschließlich diesem Problem gegolten haben.

Sicherheitsdebatte in Genf .

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In der

Chamberlain gegen Undén für das Protokoll. Genf , 10. September. ( Eigener Drahtbericht.) Donnerstagsigung des Bölkerbundes fand die Aussprache über den Tätigkeitsbericht des Völkerbundrates ihren Höhepunkt in den Reden des englischen Außenministers Chamberlain und des schwe­dischen Vertreters Genossen Unden. Diese Reden bedeuteten eine Gegenüberstellung des tonservativen und des fortschritt lichen Standpunktes.

dienen.

Chamberlain

führte aus: Ein praktischer Beweis unserer Bewunderung und unferes Vertrauens zu dem Rat des Bölkerbundes und seiner Ge­rechtigkeit ist der llmstand, daß wir den Rat zum Schiedsrichter in einer bedauerlichen Meinungsverschiedenheit zwischen uns und der Türkei gewählt haben, die leider nicht freundschaftlich beigelegt werden konnte. Es fann nicht meine Absicht sein, die Darlegungen über die Tätigkeit des Bundes zu wiederholen. Ich möchte aber darlegen, von welchem Geiste wir erfüllt sind und welches Ziel wir verfolgen, oder welche Methoden nach unserer Meinung zur Er­reichung der im Genfer Protokoll niedergelegten Ziele am besten Es bestehen Meinungsverschiedenheiten in der Ver­fammlung, aber im 3iel ist sie sich einig.( Beifall.) Der dänische Vertreter erflärte am Donnerstag, es sei nicht unsere Auf. gabe, den Angreifer zu strafen, sondern den Angriff zu ver hindern. Das scheint mir ein guter Grundsatz zu sein, den wir ftets im Auge haben sollen. Die Bestrafung des internationalen Verbrechens ist ebenjo notwendig wie diejenige des individuellen, aber der 3 wed ist nicht die Strafe, sondern die Verhinderung des Verbrechens. Es scheint meiner Regierung, daß der Unterschied dieser Grundsäge bei der Ausarbeitung des Protokolls etwas außer Acht gelassen worden ist.

Es scheint meiner Regierung, daß, wenn der Bölkerbund seine Autorität ausüben soll,

den großen Verschiedenheiten der Böller Rechnung gefragen werden muß.

Das Protokoll mag für die Verhältnisse einiger Nationen passen, aber zahlreiche große und kleine Völker stehen auf dem Standpunkt der britischen Regierung. Wir scheuen vor allgemeinen Brinzipien und logischen Schlußfolgerungen zurück, weil die mensch liche Natur nicht logisch ist. England hat seit 250 Jahren feine Revolution gehabt, und zwar deshalb, weil wir nie all gemeine Prinzipien aufgestellt haben. Wir haben nie Regeln des Handelns für alle Fälle festgelegt. Wir sind immer vom Besonderen zum Allgemeinen fortgeschritten, und unsere Freiheit verdanken wir

dem weisen Grundfah der Kompromiffe

als Lösung der Schwierigkeiten des Augenblics. So betrachten wir auch diese große internationale Frage. Wir teilen den Wunsch nach einer Regelung der Friedensfrage, nach der Sicherung des Friedens, nach der möglichsten Ausrottung des Krieges. Der Versuch, einen Krieg herbeizuführen, muß erschwert und den Friedensfreunden Zeit geçeben merden, ihren Einfluß verfügbar zu machen und die Berurteilung des Friedensbrechers herbeizuführen.

Man hat im vorigen Jahre so viel über die Santtionen beraten. Ich sage mit voller Ueberzeugung, daß

die moralischen Sanktionen ebenso wichtig sind wie diejenigen der Gewalt

und, daß moralische Sanktionen schließlich am wirksam ft en sind. Unser Ziel ist: Alle sollen fühlen, daß der Frieden gesichert ist. Wir verfolgen das gleiche Ziel, das im letzten Jahre an­geftrebt wurde:

Entwaffnung durch Sicherheit, Sicherheit durch Schiedsspruch. Das Schiedsgericht sichert die Abrüstung. Das ist die gemeinsame der physischen Abrüstung ist die moralische Abrüstung. Wir Plattform des Völkerbundes.( Beifall.) Eine Vorbedingung müssen endlich das Mißtrauen und die Furcht bannen, die heute über allen Ländern laftet, namentlich in den ehemals friegführen­den Gebieten. Meine Regierung ist der Meinung, daß wir zu nächst diese Furcht in jenen Gebieten bannen müssen, die der Ur­sprung und Schauplatz des Krieges waren. Wir müssen hier eine Garantie schaffen. Im März habe ich vor dem Rat unsere Ziele dahin entwickelt, den

Bölferbundspakt zu ergänzen durch besondere Bereinbarungen für besondere Zwecke.

Diese Vereinbarungen sollen rein defensiv und im Geiste des Diese Vereinbarungen sollen rein defensiv und im Geiste des Baltes gehalten sein und unter Leitung des Völker bundes stehen. Dieses Ziel können wir erreichen, wenn diejenigen Länder, deren Differenzen am leichtesten zum Streite führen können, zu einer Vereinbarung gelangen. An diesem Werk ist meine Re­gierung beteiligt. Bir suchen eine neue Allianz gegen die eine ander andere Macht, teine Fortdauer der Leidenschaft und des Neides der Mächte. Wenn wir so zu wechselseitigen Abkommen uns finden, so hoffen wir, daß wir die Sympathie und Billigung des Völkerbundes erlangen.( Lebhafter Beifall.)

Aus den letzten Worten Chamberlains ging deutlich die Ab= fage Englands gegenüber jeglichem Rettungsversuch des Genfer Protokolls hervor. Im Gegensaß hierzu ließ die Rede des Genossen

Undén

nicht weniger deutlich den Willen erkennen, mindestens die obli­gatortiche Schiedsgerichtsbarkeit beizubehalten. Unden führte aus: Die einstimmigen Hoffnungen der legtjährigen Bölker­bundsversammlung auf Berwirklichung von Schiedsgerichtsbarkeit, Sicherheit und Abrüftung blieben unerfüllt. Sicherheit und Abrüftung blieben unerfüllt. Trotzdem sollten Wirkung und Widerhall der Arbeit des letzten Jahres nicht verfannt werden. 3ahlreiche Kundgebungen für die Beibehaltung des Genfer Protokolls haben auf allen Seiten das Verlangen nach wirksamer Friedenssicherung erwiesen, wobei ich

als Beispiel nur die Marseiller Beschlüsse der Sozialistischen Internationale

anzuführen brauche. Ungeduldig erwarten wir das Ergebnis der gegenwärtigen Verhandlungen, die teilweise die Grundgedanken des Genfer Protokolls verwirklichen sollen. Wir erhoffen einen baldigen Abschluß dieser Verhandlungen und gleichzeitig den

Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Damit wird die Bedingung für eine allgemeine Abrüstung gegeben sein. Während des vergangenen Jahres hat das Prinzip der Schiedsgerichtsbarkeit durch den Abschluß weiterer Verträge wiederum bedeutende Fortschritte erfahren. Aber trotzdem sollte man sich fragen, ob die Schaffung eines allgemein gültigen, obli­gatorischen Schiedsvertrages nicht doch der Hoffnung vorzuziehen ist, daß dieser sich durch den Abschluß von Einzelverträgen verwirf­lichen werde. 3 mei Schwierigteiten stellen sich der In traftsetzung dieses Teiles des Genfer Protokolls entgegen. Einmal werden dadurch Zusäße zum Völkerbundspaft nötig, deren Ratifi­tation stets mit Schwierigkeiten verknüpft ist und ferner verlangt das System des Genfer Protokolls einen vorbehaltlosen Bei­tritt. Ließe sich nicht ein allgemeines llebereinkommen ausarbeiten, dem die Staaten, sofern sie es für nötig erachten, mit Vorbehalten beitreten fönnen? Da es unseres Erachtens von ungeheurer Be­deutung ist, noch vor dem Zusammentritt der nächsten Bölkerbunds versammlung die Möglichkeit der Aufstellung des Grundsatzes der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit zu erwägen, bringe ich fol­genden Antrag ein:

In der Erwägung, welche Bedeutung die Annahme des Grundsatzes der obligatorischen Schiedsgerichts bar keit bei der Schlichtung zwischenstaatlicher Streitfälle für alle Mächte hat, bittet die Versammlung den Bölkerbundsrat, die hier auf bezüglichen Stellen des Protokolls durch eine Sachverstän­digenkommission einer neuen Ueberprüfung zu unterwerfen, die den Zwed haben soll, die Verwirklichung dieses von der 5. Bölfer­bundsversammlung einstimmig gebilligten Zieles zu er leichtern.

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Die Vollversammlung wurde dann auf Freitag vormittag ver togt. Der von Unden eingebrachte Antrag wird der Vollversamm lung noch in dieser Tagung zur Aussprache vorgelegt werden.

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Der Podestà.

Und sein Land mit dem politischen Sanitätskordon. Rom , Anfang September.

Das faschistische Regime scheint sich selbst als eine In­fektionsfrankheit zu empfinden, gegen die man andere Länder schüßen muß. Daher der Sanitätsfordon der Post­miliz. Freilich darf man das Bild nicht zu Tode hezen, denn der Zweck des Isolierungsmanövers ist natürlich nicht der, andere Länder vor dem Faschismus zu bewhren; es follen vielmehr dem Ausland die Elemente zur Kritik des faschistischen Regimes vorenthalten werden. Man schreibe lobend oder man schweige!

Ein gelegentlicher Blick auf die Zustände diesseits des Kordons ist immerhin intereffant, um so interessanter, als mir aus der Rede Farinaccis vom 3. September erfahren, vielleicht erst unsere Enkel sehen werden. Wir zitieren im daß es sich um einen Dauer zustand handelt, dessen Ende Wortlaut die betreffende Stelle:

,, Es gereicht mir zur Freude und zu innerster Befriedigung, euch fagen zu können, daß unser geliebter Heerführer seine förper­lichen Kräfte und seine schöne blühende Gesundheit vollständig wieder. erlangt hat. So merkwürdig dies scheint diese vollständige Genesung ist zum großen Teil den bösen Wünschen zu danken, die umliefen und zum Teil heute noch im Umlauf sind. Vorgestern sagte er mir, feinen männlichen Blick auf mich richtend, daß er sich seiner förper­lichen Kräfte sicher genug fühlt, um es verbürgen zu können, daß sein Nachfolger erst noch geboren werden muß. Im übrigen sollen es sich alle Antifaschisten gesagt sein lassen, daß im schlimmsten Falle aller Wechsel der Minister und auch der Regie­rungen immer nur eine einzige Partei interessieren würde: die faschistische."

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tracht tommen, ist nun wir es von Farinacei erfahren­Daß böse Münsche" als wesentliche Heilmittel in Be­eine wissenschaftliche Anerkennung eines alten italienischen Sprichworts: Das Pferd, dem man flucht, bekommt ein glattes Fell." Vielleicht wäre es flug gewesen, sich nicht damit zu brüsten, wie glatt das Fell ist.

Bis der noch ungeborene Nachfolger so glatten Fells regierungsreif" ist, hat man natürlich noch viel Großes zu vollbringen. In erster Linie die endgültige Be­feitigung der tommunalen Selbstverwaltung. über sagt: Hören wir das kräftige Wörtlein", das Farinacci dar­

,, Unsere Bartei ist absolut gegen fommunale und pro vinziale Wahlen. Diese bedeuten für uns 3erstreuung und 3eitverlust. Oft sind sie der Anlaß zu Zwiftigkeiten, besonders im Süden, wo alter Familienhaß im Rampf um die Bürgermeister oder Stadtratsstelle wieder aufflammt. Daß wir die Mehrheit in allen Gemeinden haben, ist von uns bewiesen worden; jetzt müssen wir eine entgegengesetzte Aktion entfalten: alle die Gemeinde­verwaltungen beseitigen, die nicht auf der Höhe der Situation sind und nicht streng den faschistischen Vorschriften folgen. Wir müssen durch die außerordentlichen Kommiffare normali­fieren, um das italienische Volk auf die Einrichtung des Po= de st à" vorzubereiten. Wir haben mit Begeisterung für Neapel die Ernennung eines hohen Kommissars und für Rom die eines Gou­verneurs gesehen. Damit hat die Regierung den Grundsatz auf­gestellt, der die Norm der Zukunft bilden wird."

Gleichzeitig diskutiert man in der faschistischen Presse darüber, ob der Podestà von der Regierung unter den Orts­angehörigen zu ernennen sei oder einfach ein Staatsbeamter fein falle. So endet die Glorie der italienischen Kommunen, die so viel Blut für ihre Freiheit und ihre Rechte vergossen haben; sie endet mit der Einführung des Podestà, des Zwangsbürgermeisters, nach Habsburger Muster.

Daß wir tatsächlich nicht viel verlieren aus dem ein­fachen Grunde, daß wir nichts mehr zu verlieren haben, geht übrigens aus einer niedlichen Episode hervor. Bringt da ein Faschistenblatt unter dem 30. Auguff eine begeisterte Be­fchreibung der städtischen Wahlen von Cataina: Manifefte, Umzüge, Ordnungsdienst, Wahlbeteiligung, Schluß der Wahlhandlung, Bekanntwerden des faschistischen Siegs, Jubel im Volk und nächtliche Freudedemonstrationen alles wird von dem gewissenhaften Berichterstatter frafivoll geschildert. Nur eine Bagatelle stimmt nicht; das Geschilderte ist zeitlich etwas verrückt die Wahlen haben näm= lich nicht am 30. Auguft stattgefunden, son­dern sollen erst am 6. September stattfinden! Man ersieht daraus das Tröstliche, daß man in Italien auch ohne Gemeindewahlen, auch im Regime des Bodestà, auf begeisternde Berichte von Wahltagen nicht wird verzichten brauchen.

Während sich der altösterreichische Podestà vor­bereitet, reifen wir auch der russisch en Institution der administrativen Berschidung entgegen der faschistische Nationalismus hat seine Bewunderung für das Fremdländische nie verborgen und importiert für sein mer­dendes Kaiserreich alle abgelegten Gebrauchsgegenstände früherer Kaiserreiche. In seiner Rede bedauert es Farinacci, Orlando nicht ins 3 mangsdomizil geschickt zu haben,